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Zwölftes Kapitel.

Berauscht? – und Unsinn sprechen? streiten? zanken –
Hochfliegend schwatzen mit dem eig'nen Schatten?

Othello.

 

Ich habe dir bereits gesagt, mein lieber Tresham, daß mein Hauptfehler, was dir wahrscheinlich nichts Neues war, in einem unbezwinglichen Stolze bestand, der mich häufigen Kränkungen aussetzte: Nicht einmal leise hatte ich mir gestanden, daß ich Miß Vernon liebte; aber kaum sprach Rashleigh von ihr, wie von einem Preise, den er nach Gefallen gewinnen oder vernachlässigen konnte, so erschien in meinen Augen jeder Schritt, den das arme Mädchen in der Unschuld und Offenheit ihres Herzens gethan hatte, um eine Art von Freundschaft mit mir anzuknüpfen, als die beleidigendste Coquetterie. »So! Sie wollte mich vermuthlich zum Nothhelfer machen, wenn Mr. Osbaldistone kein Mitleid mit ihr hätte. Aber ich will ihr zeigen, daß ich nicht der Mann bin, der sich auf diese Art betrügen läßt – sie soll finden, daß ich ihre Künste durchschaue, und sie verachte.«

Nicht einen Augenblick erwog ich, daß der ganze Unwille, den ich ohne das geringste Recht hegte, nur bewies, wie ich nichts weniger als gleichgültig gegen Diana's Reize war; und in höchst übler Laune gegen sie und alle Töchter Eva's setzte ich mich zu Tische.

Mit Ueberraschung hörte Diana meine unfreundlichen Antworten auf einige Neckereien, die sie mit ihrer gewöhnlichen Ungezwungenheit machte, an; doch ohne den Argwohn, daß es böse gemeint sei, erwiderte sie meine rauhen Worte mit ähnlichen Scherzen, gemildert durch ihre heitere Laune, obwohl geschärft durch ihren Witz. Endlich bemerkte sie, daß ich wirklich übler Laune war, und antwortete auf eine meiner unhöflichen Aeußerungen: »Man sagt, Mr. Frank, auch von Thoren lasse sich etwas Verständiges lernen. Gestern wollte Vetter Wilfred nicht länger Prügelspiel mit Vetter Thorncliff spielen, weil Vetter Thorncliff ärgerlich wurde und stärker zuschlug, als es die Regeln eines freundschaftlichen Kampfes erlaubten. ›Wollte ich dir in allem Ernst den Kopf einschlagen,‹ sagte der ehrliche Wilfred, ›so kümmerte es mich nicht, wie böse du wärest, denn ich würde es nur um so leichter thun können. Aber es wäre hart, wenn ich Streiche über den Kopf bekäme und dir nur Scheinhiebe dagegen versetzen sollte.‹ – Versteht Ihr die Nutzanwendung, Frank?«

»Ich habe nie die Nothwendigkeit gefühlt, verehrte Miß, den wenigen Verstand, mit dem man in dieser Familie die Unterhaltung würzt, genau zu erforschen.«

»Nothwendigkeit! Und verehrte Miß! – Ihr setzt mich in Erstaunen, Mr. Osbaldistone.«

»Ich bin unglücklich darüber.«

»Soll ich diesen mürrischen Ton für Ernst halten, oder ist er nur angenommen, um Eure gute Laune desto schätzbarer zu machen?«

»Ihr habt ein Recht auf die Aufmerksamkeit so vieler Herren in diesem Hause, Miß Vernon, daß Ihr es nicht der Mühe werth halten könnt, nach der Ursache meines Stumpfsinnes und meiner Verstimmung zu fragen.«

»Wie!« sagte sie, »muß ich also glauben, daß Ihr meine Partei verlassen habt und zu dem Feinde übergegangen seid?«

Sie blickte hierauf über die Tafel, und da sie bemerkte, daß Rashleigh, der gegenüber saß, mit einem besondern Ausdrucke von Theilnahme in seinen rauhen Zügen uns beobachte, fuhr sie fort:

»Entsetzlicher Gedanke! – Ich sehe, es ist wahr;
Denn lächelnd blickt der Grimmige mich an,
Und zeigt auf dich, als auf den Seinen.

Doch, Dank dem Himmel und dem schutzlosen Zustande, der mich zum Dulden gewöhnt hat, werde ich nicht so leicht empfindlich. Und damit ich nicht zum Streit gezwungen werde, will ich Euch früher als gewöhnlich eine glückliche Verdauung Eurer Mahlzeit und Eurer üblen Laune wünschen.«

Und sie verließ die Tafel.

Nachdem Diana hinausgegangen war, fühlte ich mich mit meinem Betragen unzufrieden. Ich hatte ihr Wohlwollen, dessen treue Aufrichtigkeit sie mir erst kürzlich zeigte, zurückgestoßen, und war nahe daran, das reizende, und nach ihren eigenen Worten schutzlose Wesen, von dem es dargeboten ward, zu beleidigen. Mein Betragen kam mir roh vor. Um diese schmerzlichen Erwägungen zu bekämpfen oder zu ertränken, sprach ich der Flasche, die um den Tisch kreiste, mehr als gewöhnlich zu.

Der aufgeregte Zustand meines Gemüthes und meine gewöhnliche Mäßigkeit machten, daß das Getränk schnell wirkte. Eingewurzelte Trinker, glaube ich, erhalten die Fähigkeit, eine große Menge starker Getränke zu sich zu nehmen, ohne eine andere Wirkung zu verspüren, als daß jene Verstandeskräfte getrübt werden, die in ihrem nüchternen Zustande nicht zu den hellsten gehören; aber Männer, welche dem Laster der Trunkenheit fremd sind, werden durch berauschende Säfte gewaltsamer ergriffen. Einmal erregt, wurde meine Stimmung bald ausgelassen. Ich sprach viel, stritt über Sachen, von denen ich nichts verstand, erzählte Geschichten, deren Ende ich vergaß, und lachte unmäßig über meine Vergeßlichkeit; ich ging ohne das geringste Urtheil mehrere Wetten ein, und forderte den Riesen John zum Ringen heraus, obwohl er in Hexham den Kreis ein ganzes Jahr behauptete und ich mich nie darin versuchte.

Mein Oheim war so gütig, dieß Uebermaaß trunkener Thorheit zu verhindern, welches sonst wahrscheinlich meinen Hals in Gefahr gebracht hätte.

Uebelwollende haben sogar behauptet, ich hätte während dieses Zustandes ein Lied gesungen; da ich mich dessen aber nicht erinnere, und weder vorher noch nachher je in meinem Leben eine Melodie versuchte, so wird die Lästerung keinen Grund haben, wie ich hoffe. Ich war ohne diese Uebertreibung abgeschmackt genug. Zwar hatte ich meine Besinnung noch, aber ich verlor bald alle Selbstbeherrschung, und meine ungestümen Leidenschaften rissen mich mit sich fort. Ich hatte mich mürrisch, unzufrieden und zum Schweigen geneigt, niedergesetzt – der Wein machte mich geschwätzig, streitsüchtig und zänkisch. Ich widersprach Allem, was behauptet ward, und griff, ohne Rücksicht auf meinen Oheim, dessen politische Grundsätze und dessen Glauben an. Rashleighs erkünstelte Mäßigung, die er sehr wohl mit Anreizungen zu vereinigen wußte, empörte mich mehr, als die lärmenden und polternden Reden seiner Brüder. Mein Oheim suchte, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die Ordnung unter uns herzustellen, aber sein Ansehen ging in dem Taumel des Rausches und der Leidenschaften verloren.

Wüthend über eine wirkliche oder eingebildete beleidigende Aeußerung, schlug ich Rashleigh mit der Faust. Kein Stoiker, über eigene und fremde Leidenschaften erhaben, hätte eine Beleidigung mit einem höhern Grade von Verachtung hinnehmen können. Was er anscheinend nicht der Mühe werth achtete, zu ahnden, empfand Thorncliff für ihn. Degen wurden gezogen, und wir wechselten einige Hiebe, bis uns die übrigen Brüder mit Gewalt trennten, und ich werde nie das teuflische Hohnlächeln vergessen, das Rashleighs widrige Züge entstellte, als ich durch die vereinte Kraft von zwei dieser jungen Riesen aus dem Zimmer gebracht ward. Sie verschlossen die Thüre meiner Stube, und zu meiner unaussprechlichen Wuth hörte ich sie laut lachen, als sie die Treppe hinabgingen. Ich versuchte in meiner Raserei durchzubrechen; allein die Fenstergitter und die mit Eisen beschlagene Thüre widerstanden meinen Anstrengungen. Endlich warf ich mich auf das Bett, und entschlief unter Gelübden, mich am folgenden Tage grausam zu rächen.

Allein mit dem Morgen kam kältere Reue. Ich fühlte auf das Schmerzlichste das Gewaltsame und Abgeschmackte meines Betragens, und mußte bekennen, daß Wein und Leidenschaft mich selbst unter Wilfred Osbaldistone herabgewürdigt hatten, den ich so gering achtete. Meine unangenehmen Betrachtungen milderten sich keineswegs, als ich die Nothwendigkeit einer Entschuldigung meines Betragens erwog und daran dachte, daß Diana Zeugin meiner Demüthigung sein müßte. Mein unschickliches und unfreundliches Benehmen gegen sie selbst vermehrte die Bitterkeit meiner Erwägungen nicht wenig, und dafür konnte ich nicht einmal die elende Entschuldigung eines Rausches anführen.

Unter diesen drückenden Gefühlen von Scham und Erniedrigung ging ich zum Frühstück hinab, wie ein Verbrecher, der sein Urtheil erwartet. Zufällig hatte ein heftiger Frost es unmöglich gemacht, die Hunde herauszulassen, und mir wurde nun noch die Demüthigung, die ganze Familie, Rashleigh und Diana ausgenommen, im vollen Divan bei einer kalten Wildpretpastete und einem Stück Rindfleisch zu finden. Alle waren sehr heiter, als ich hereintrat, und ich konnte mir leicht denken, daß sie sich auf meine Kosten lustig machten. Was mich so schmerzlich berührte, betrachteten mein Oheim und die Mehrzahl meiner Vettern als einen vortrefflichen Spaß. Sir Hildebrand neckte mich über die Vorfälle des gestrigen Abends, und versicherte, daß er es für besser halte, wenn sich ein junger Bursche drei Mal des Tages betrinke, als wenn er sich nüchtern zu Bette schleiche, wie ein Presbyterianer, und einen Kreis ehrlicher Kerle bei der Weinflasche verlasse. Und zur Unterstützung dieser tröstlichen Rede füllte er einen großen Humpen mit Branntwein, und ermahnte mich, ein Haar von dem Hunde, der mich gebissen, aufzulegen.

»Laß die Jungen hier nur lachen, Neffe,« fuhr er fort. »Sie würden eben solche Milchsuppen sein, wie du, wenn ich sie nicht, so zu sagen, mit Trinksprüchen und beim Humpen aufgezogen hätte.«

Bösartigkeit war im Allgemeinen nicht der Fehler meiner Vettern. Als sie sahen, daß die Erinnerungen an den vorigen Abend mich verletzten und verlegen machten, suchten sie mit plumper Freundlichkeit den unangenehmen Eindruck zu vernichten, den sie auf mich gemacht hatten. Thorncliff allein sah mürrisch und unversöhnt aus. Dieser junge Mann hatte mich von Anfang an nicht leiden können, und an den Beweisen von Aufmerksamkeit, die ich gelegentlich von seinen Brüdern erhielt, nahm er allein nie Antheil. Wenn er wirklich, was ich jedoch zu bezweifeln anfing, von der Familie als Diana's bestimmter Gatte betrachtet wurde, oder sich selbst dafür ansah, so konnte ein Gefühl von Eifersucht in ihm erwacht sein, indem er den Vorzug bemerkte, welchen Miß Vernon einem Manne zu gewähren schien, in welchem er vielleicht einen gefährlichen Nebenbuhler zu bekommen fürchtete.

Rashleigh trat endlich herein, sein Gesicht finster, wie ein Trauergewand, brütend, wie ich nicht zweifeln konnte, über der unverantwortlichen und schimpflichen Beleidigung, die ich ihm zugefügt hatte. Ich war bereits mit mir einig, wie ich mich bei dieser Gelegenheit benehmen mußte, und hatte mich glauben gelehrt, daß wahre Ehre darin bestehe, eine Kränkung, die mit der empfangenen Beleidigung in gar keinem Verhältnisse stand, zu entschuldigen, aber nicht zu vertheidigen.

Ich eilte daher Rashleigh entgegen, und äußerte mein höchstes Bedauern über die Heftigkeit, mit der ich am vorigen Abend gehandelt hatte. »Nichts,« sagte ich, »würde mir ein einziges Wort der Entschuldigung abgenöthigt haben, als nur mein eigenes Bewußtsein von der Unschicklichkeit meines Betragens. Ich hoffte, mein Vetter würde meine aufrichtige Reue annehmen, und bedenken, wie sehr das Uebermaaß der Gastfreundlichkeit seines Hauses an meiner Aufführung Schuld sei.«

»Er soll Freund mit dir sein, Junge!« rief der wackere Ritter in der vollen Aufwallung seines Herzens, »oder straf' mich – ich nenn' ihn nicht mehr Sohn! Warum stehst du denn da, Rashleigh, wie ein Stock? Es thut mir leid, ist Alles, was ein Ehrenmann sagen kann, wenn er etwas Unrechtes gethan hat, besonders beim Wein. – Ich war auch Soldat, und verstehe, denke ich, etwas von Ehrensachen. Laßt mich nichts mehr davon hören, und wir wollen mit einander gehen und den Dachs im Birkenwalde aufstören.«

Rashleighs Gesicht glich, wie ich schon erwähnte, keinem andern Gesichte, das ich je gesehen habe, allein diese Eigenthümlichkeit lag nicht blos in den Zügen, sondern auch in ihrem wechselnden Ausdrucke. Wenn in andern Gesichtern Kummer in Freude, oder Unwille in Zufriedenheit sich verwandelt, so gibt es einen kurzen Uebergang, ehe der Ausdruck der herrschenden Leidenschaft die frühere ganz verdrängt. Es ist eine Art von Zwielicht, wie zwischen dem Schwinden der Dunkelheit und dem Aufgange der Sonne, während die geschwollenen Muskeln nachgeben, das dunkle Auge sich aufklärt, die Stirne sich glättet und das ganze Angesicht seine ernsteren Schatten verliert und heiter und ruhig wird. Rashleighs Gesicht zeigte nichts von solchen Uebergängen, sondern veränderte fast plötzlich einen Ausdruck der Leidenschaft in den entgegengesetzten. Ich kann es nur mit dem schnellen Wechsel auf der Bühne vergleichen, wo auf den Ton der Pfeife des Souffleurs eine Höhle verschwindet und ein Wald emporsteigt.

Auf diese Eigenheit wurde meine Aufmerksamkeit bei dieser Gelegenheit besonders gelenkt. Finster wie die Nacht trat Rashleigh in das Zimmer. Mit demselben unbeweglichen Gesichte hörte er meine Entschuldigung und seines Vaters Ermahnungen, und erst, als dieser nicht mehr sprach, verschwand auf einmal die Wolke, und er erklärte auf die freundlichste, verbindlichste Weise, daß ihm meine sehr artige Entschuldigung vollkommen genüge.

»Wirklich,« sagte er, »ich habe selbst einen so schwachen Kopf, wenn ich ihm mehr als meine gewöhnlichen drei Gläser aufbürde, daß ich nur eine unbestimmte Vorstellung von der Verwirrung des gestrigen Abends habe – ich erinnere mich einer Masse von Dingen, aber an nichts Bestimmtes, eines Streites, aber nicht der Veranlassung dazu. – Ihr könnt also denken, lieber Vetter,« fuhr er fort, indem er mir freundlich die Hand schüttelte, »wie sehr ich mich erleichtert fühle, da ich finde, daß ich eine Entschuldigung zu empfangen, statt eine zu machen habe. – Ich will kein Wort weiter davon hören; es würde sehr thöricht sein, eine Rechnung näher zu prüfen, auf der sich die Bilanz, die ich für ungünstig hielt, so unerwartet und angenehm zu meinem Vortheil gestaltet hat. Ihr seht, Mr. Osbaldistone, ich bediene mich der Sprache von Lombard-Street, und mache mich geschickt zu meinem neuen Berufe.«

Eben wollte ich antworten und erhob mein Auge, als ich Diana erblickte, die während des Gespräches unbemerkt hereingetreten und eine aufmerksame Zuhörerin desselben gewesen war. Verwirrt und beschämt blickte ich zur Erde und eilte zu dem Frühstückstische, an dem ich zwischen meinen geschäftigen Vettern Platz nahm.

Damit die Ereignisse des verflossenen Tages nicht ohne eine Lebensregel aus unserm Gedächtnisse verschwinden möchten, gab mein Oheim Rashleigh und mir den Rath, unsere Milchsuppengewohnheit, wie er es nannte, zu verbessern und uns nach und nach zu gewöhnen, eine herrenmäßige Menge starker Getränke zu genießen, ohne in Zank und Prügelei zu gerathen. Er empfahl uns, den Anfang mit einem Nößel rothen Wein des Tages zu machen, welches, mit Hülfe des Märzbiers und Branntweins, ein hübsches Maaß für einen Anfänger in der Kunst des Trinkens sei. Zu unserer Aufmunterung versicherte er, viele Männer gekannt zu haben, die in unserm Alter nicht eine Flasche auf einmal getrunken hätten, die aber, in wackere Gesellschaft gerathen, und herzhaftem Beispiele folgend, nachher ruhig und gemächlich sechsmal so viel ausleeren konnten, ohne Streit und ohne Geschwätz, und ohne am andern Morgen krank oder traurig zu sein.

So weise dieser Rath und so tröstlich die Aussicht war, die er darbot, gewann ich nur wenig durch die Ermahnung; zum Theil vielleicht, weil ich, so oft ich die Augen erhob, Diana's Blicken begegnete, in denen ich ernstes Mitleiden mit Bedauern und Mißfallen vermischt zu lesen glaubte. Ich überlegte, wie ich eine Gelegenheit, mich auch gegen sie zu erklären und zu entschuldigen, herbeiführen könne, als sie mir zu verstehen gab, daß sie mir die Mittel, eine Unterredung zu erbitten, ersparen wolle. »Vetter Frank,« sagte sie, mich wie die Söhne ihres Oheims benennend, »ich habe diesen Morgen eine schwere Stelle in Dante's Göttlicher Komödie gefunden; wollt Ihr die Güte haben, in die Bibliothek zu kommen und mir Euern Beistand zu leihen? Wenn wir den Sinn des dunkeln Florentiners aufgespürt haben, wollen wir den Andern in den Birkenwald nachfolgen, und sehen, ob sie so glücklich sind, den Dachs aufzujagen.«

Ich erklärte natürlich meine Bereitwilligkeit, ihr zu folgen. Rashleigh erbot sich, uns zu begleiten. »Ich verstehe mich etwas besser darauf,« sprach er, »Dante's Sinn durch die Bilder und Auslassungen der wilden und düstern Dichtung zu verfolgen, als den armen, harmlosen Einsiedler dort aus seiner Höhle aufzujagen.«

»Verzeiht, Rashleigh,« erwiderte Diana; »da Ihr aber Eures Vetters Platz in der Schreibstube einnehmen sollt, so müßt Ihr ihm das Geschäft der Erziehung Eurer Schülerin hier überlassen. Wir werden Euch jedoch rufen, wenn es nöthig ist; seht daher nicht so ernsthaft aus. Ueberdieß gereicht es Euch zur Schande, so wenig von der Jagd zu verstehen. – Was wollt Ihr machen, wenn der Oheim in London Euch fragen sollte, an welchem Zeichen Ihr die Fährte eines Dachses erkennt?«

»Sehr wahr, Dienchen, sehr wahr!« sagte Sir Hildebrand seufzend. »Ich glaube, Rashleigh wird schlecht bestehen, wenn man ihn auf die Probe setzt. Er würde auch nützliche Wissenschaft erlernt haben, wie seine Brüder, denn er ist erzogen, wo sie wächst; aber französische Gaukler, und Büchergelehrsamkeit mit den neuen Steckrüben, und die Ratten und die Hannoveraner haben die Welt verändert, die ich in Alt-England gekannt habe. – Komm mit uns, Rashie, und trage meinen Jagdstock. Deine Cousine braucht jetzt deine Gesellschaft nicht, und man soll ihr nicht zuwider handeln. – Es soll nicht heißen, im Schlosse Osbaldistone war nur eine Frau, und sie starb, weil sie nicht ihren Willen hatte.«

Rashleigh folgte seinem Vater, wie dieser befahl, doch vorher flüsterte er Miß Vernon zu: »Vermuthlich muß ich in Gesellschaft der Förmlichkeit kommen und anpochen, wenn ich der Thüre der Bibliothek nahe?«

»Nein, nein, Rashleigh,« sagte Miß Vernon, »verbannt nur aus Eurer Gesellschaft die falsche Erzbetrügerin, Verstellung, und es wird Euch besser freien Zutritt zu unsern gelehrten Forschungen sichern.«

Mit diesen Worten ging sie nach der Bibliothek voraus, und ich folgte – wie ein Verbrecher zum Gericht, wollte ich sagen, aber es fiel mir ein, daß ich diesen Vergleich früher schon ein-, wo nicht zweimal brauchte. Also, ohne Gleichniß, ich folgte ihr mit einem Gefühl von Verlegenheit und Ungeschick, das ich gern um jeden Preis los gewesen wäre. Ich hielt es für eine unwürdige und erniedrigende Empfindung bei einer solchen Gelegenheit, da ich die Luft des Continentes lange genug eingeathmet hatte, um die Meinung anzunehmen, daß Leichtigkeit, Galanterie und ein gewisses anständiges Selbstvertrauen den Mann auszeichnen müssen, den eine schöne Frau unter vier Augen zu sprechen wünscht. Meine englischen Gefühle siegten indeß über meine französische Erziehung, und ich machte wahrscheinlich eine sehr traurige Figur, als Miß Vernon, einem Richter gleich, der einen wichtigen Fall anhören will, sich majestätisch in einen großen Armstuhl setzte, mir ein Zeichen gab, ihr gegenüber Platz zu nehmen (was ich that, ganz wie ein armer Schelm, der in's Verhör genommen werden soll), und die Unterhaltung im Tone bitterer Ironie anfing.


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