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Siebenzehntes Kapitel.
Der erspähte Späher.

Den Spürhund? Wie? den ausgespähten Späher?
Laßt ab – für euch taugt solcher Umgang nicht.

Ben Jonson's Erzählung von Robin Hood.

Als Quentin aus dem Kloster eilte, konnte er den hastigen Rückzug des Zigeuners bemerken, dessen dunkle Gestalt im fernen Mondlicht gesehen ward, wie sie mit der Eile eines gepeitschten Jagdhundes durch die Straße des kleinen Dorfs und quer über die ebene Wiese, die jenseits lag, floh.

»Mein Freund rennt schnell,« sagte Quentin zu sich selbst; »aber er müßte doch noch schneller rennen, um dem flüchtigsten Fuß, der je die Heide von Glen-Houlakin betrat, zu entwischen.«

Da er zum Glück ohne Mantel und Waffen war, so konnte er ungehindert seine, selbst in den heimischen Thälern unübertroffene Eile anwenden, vermöge deren er, obwohl der Zigeuner tüchtig lief, diesen bald einholen zu können Aussicht hatte. Dies war indeß Quentins Absicht nicht; denn er hielt es für wesentlicher, Hayraddin's Bewegungen zu beobachten, als sie zu unterbrechen. Dazu ward er um so eher bestimmt, da der Zigeuner seinen Lauf mit großer Stetigkeit nach einer Richtung fortsetzte, und damit selbst dann fortfuhr, als der erste heftige Antrieb zur Flucht vorüber war; denn hieraus ließ sich schließen, sein Lauf habe ein bestimmtes Ziel vor Augen, als sich von einer Person erwarten ließ, die unvermuthet nahe vor Mitternacht aus einem guten Quartier gejagt wurde, und sich nun einen neuen Ruheplatz suchen wollte. Kein einzigesmal sah er sich um, und daher konnte ihm Durward unbemerkt folgen. Endlich, als der Zigeuner die Wiese durchlaufen und die Seite eines kleinen Flusses erreicht hatte, dessen Ufer mit Erlen und Weiden bedeckt ward, bemerkte Quentin, daß er still stand und auf seinem Horn einen leisen gedämpften Schall erklingen ließ, welchem durch ein Pfeifen in einiger Entfernung geantwortet wurde.

»Das ist ein Stelldichein,« dachte Quentin; »aber wie soll ich nahe genug kommen, um zu hören was vorgeht? Der Schall meiner Schritte und das Rauschen der Zweige, durch die ich mir Bahn brechen muß, wird mich verrathen, wenn ich nicht vorsichtig bin – doch, bei St. Andreas, ich will sie belauschen, als wären sie Glen-isla-Hirsche! Sie sollen erfahren, das ich das Waidwerk nicht umsonst erlernt habe. Dort begegnen sie einander, die beiden Schatten – ja, es sind ihrer zwei – die Uebermacht ist gegen mich, wenn ich entdeckt werde, und wenn ihre Absicht unfreundlich ist, was ganz wahrscheinlich. Und dann verliert die Gräfin Isabelle ihren armen Freund! – Doch wohlan, er wäre ja dieses Namens nicht würdig, wenn er nicht bereit wäre, es mit einem Dutzend ihretwegen aufzunehmen. – Hab' ich nicht mein Schwert mit Dunois gemessen, dem besten Ritter in Frankreich, und ich sollte eine Schaar jener Landstreicher fürchten? Pfui – Gott und St. Andreas meine Freunde, und jene sollen mich stark und fest finden.«

So entschlossen, und dabei mit einer Vorsicht, die ihn sein Jägerleben gelehrt hatte, stieg unser Freund in das Bett des kleinen Flüßchens, dessen Tiefe verschieden war und zuweilen kaum seine Füße bedeckte, zuweilen ihm bis an die Knie reichte, und so schlich er entlang, während seine Gestalt durch die überhängenden Zweige des Ufers verborgen und seine Schritte durch das Rauschen des Wassers unhörbar gemacht wurden. (Wir selbst näherten uns in frühern Tagen auf solche Weise dem Neste der wachsamen Raben.) So kam der Schotte unbemerkt näher, bis er deutlich die Stimmen derjenigen unterschied, welche Gegenstand seiner Beobachtung waren, obwohl er die Worte nicht verstand. Da er sich jetzt unter den niederfallenden Zweigen einer prächtigen Trauerweide befand, welche fast die Oberfläche des Wassers berührten, so ergriff er einen dieser Zweige und schwang sich, indem er die größte Behendigkeit, Geschicklichkeit und Kraft anwandte, auf den Stamm des Baumes, wo er nun, sicher vor Entdeckung, in der Mitte der Zweige saß.

Von hier aus erkannte er nun, daß die Person, mit welcher sich Hayraddin jetzt unterredete, vom eignen Stamme desselben war, und zu gleicher Zeit bemerkte er zu seinem großen Leidwesen, daß keine Annäherung ihn in den Stand setzen könne, ihre Sprache zu verstehen, die ihm gänzlich unbekannt war. Sie lachten viel; und da Hayraddin die Geberden eines Hin- und Herspringenden nachahmte und dabei zuletzt seine Schulter mit der Hand rieb, so zweifelte Durward nicht, er erzähle die Geschichte der Bastonade, die er vor seiner Flucht aus dem Kloster ausgehalten hatte.

Plötzlich ließ sich nochmals ein Pfeifen aus der Ferne vernehmen, welches sogleich durch einen oder zwei schwache Klänge aus Hayraddin's Horn beantwortet wurde. Gleich nachher erschien ein großer, starker, kriegerisch aussehender Mann, dessen nerviger kräftiger Bau einen schroffen Gegensatz zu den kleinen und hagern Zigeunern bildete. Er trug ein breites Wehrgehenk über der Schulter, woran ein außerordentlich langes Schwert hing; seine Hosen waren vielfach geschlitzt, und die Schlitze ließen Seidengrund von verschiedenen Farben sehen; sie waren durch wenigstens fünfhundert Bandschleifen an das knappe Büffelwamms befestigt, welches er trug, und der rechte Aermel des letztern zeigte einen silbernen Eberkopf, das Wappen seines Oberhauptes. Ein sehr kleiner Hut saß verwegen auf der einen Seite seines Kopfes, von welchem eine Fülle gelockten Haares herabhing, das zu beiden Seiten ein breites Gesicht umschloß, und sich mit einem eben so breiten, etwa vier Zoll langen Barte mischte. Eine lange Lanze trug er in der Hand, und seine ganze Ausrüstung war die eines der deutschen Abenteurer, die unter dem Namen der Lanzknechte bekannt waren und einen furchtbaren Theil des Fußvolks jener Zeit bildeten. Diese Söldner waren meist ein übermüthiges und raubgieriges Fußvolk, und da unter ihnen eine abgeschmackte Sage ging, daß einem Lanzknecht der Zutritt im Himmel wegen seiner Laster, und in der Hölle wegen seines lärmenden, aufrührerischen und zuchtlosen Charakters versagt sei, so betrugen sie sich so, als ob sie jenen nicht suchten und diese nicht scheuten.

»Donner und Blitz!« war sein erster Gruß in einer Art Deutschfranzösisch, welches wir nur unvollkommen nachahmen könnten. »Warum habt Ihr mich diese drei Nächte umsonst warten lassen?«

»Ich konnte Euch nicht eher sehen, mein Herr,« sagte Hayraddin äußerst demüthig; »da ist ein junger Schotte, mit einem Auge, so flink wie das einer wilden Katze, der bewacht meine geringsten Bewegungen. Er hat mich schon im Verdacht, und sollte dieser Verdacht bestätigt werden, so wär' ich auf der Stelle ein Mann des Todes und er würde die Frauen nach Frankreich zurückführen.«

»Was Henker!« sagte der Lanzknecht, »wir sind unsrer drei – wir wollen sie morgen anfallen und die Frauen entführen, ohne weiter zu gehen. Ihr und Euer Kamerad könnt sie bewältigen, und der Teufel soll mich holen, wenn ich's nicht mit Eurer schottischen wilden Katze aufnehme.«

»Ihr werdet finden, daß das tollkühn sein heißt,« sagte Hayraddin; »denn abgesehen davon, daß wir selber nicht besondre Fechter sind, so hat sich dieser Bursch mit dem besten Ritter in Frankreich gemessen, und ist mit Ehren davon gekommen – ich habe die gesehen, die ihn dem Dunois hart genug zusetzen sahen.«

»Hagel und Sturmwetter! 's ist nur Eure Feigheit, die aus Euch spricht,« sagte der deutsche Soldat.

»Ich bin so wenig feig als Ihr selber,« sagte Hayraddin; »aber fechten ist nicht meine Sache. Wenn Ihr es laßt, wie es verabredet ward, so ist's gut – wo nicht, so führe ich sie sicher zu des Bischofs Palast, und Wilhelm von der Mark kann sich ihrer dort leicht bemächtigen, vorausgesetzt, daß er nur halb so stark ist, als er vor einer Woche behauptete.«

»Potztausend!« sagte der Soldat, »wir sind so stark und noch stärker; aber wir hören eben von den hundert Lanzen von Burgund – das ist's, siehst du; fünf Mann auf die Lanze machen fünfhundert, und dann hol' mich der Teufel, wenn sie nicht eher uns suchen werden, als wir sie; denn der Bischof hat eine gute Macht auf den Beinen, das bleibt wahr!«

»Es bleibt also bei dem Hinterhalt am Kreuze der drei Könige, oder Ihr müßt das Unternehmen aufgeben,« sagte der Zigeuner.

»Aufgeben, aufgeben das Unternehmen mit der reichen Braut für unsern edlen Hauptmann – Teufel! Erst wollt' ich's mit der Hölle aufnehmen. – Mein Seel, wir Alle werden Fürsten und Herzöge sein, die sich hier Ducs nennen, und wir werden Schnaps im Weinkeller haben und französische Kronen die schwere Menge, und auch artige Dirnen obendrein wird es geben, wenn der mit dem Bart ihrer müde ist.«

»Also bleibt es beim Hinterhalt am Kreuze der heiligen drei Könige?« sagte der Zigeuner.

»Mein Gott, ja – Ihr schwört, sie dorthin zu bringen; und wenn sie vom Rosse gestiegen sind und am Kreuze knieen, was alle Menschen thun, nur solche schwarze Heiden wie du nicht, dann wollen wir uns an sie machen und sie sind unser.«

»Ja; aber ich versprach dies nothwendige Schelmenstück nur unter einer Bedingung,« sagte Hayraddin. – »Ich will nicht, daß dem jungen Mann ein Haar gekrümmt werde. Wenn Ihr mir dies zuschwört bei den drei todten Männern zu Cöln, so will ich Euch bei den sieben Nachtwandlern schwören, daß ich Euch treulich bis an's Ende dienen will. Und wenn Ihr Euren Eid brecht, so sollen Euch die Nachtwandler sieben Nächte aus dem Schlafe wecken, zwischen Nacht und Morgen, und in der achten sollen sie Euch würgen und verschlingen.«

»Aber, Donner und Hagel, was braucht Ihr so für das Leben dieses Burschen zu sorgen, der nicht Euer Blut noch Euer Landsmann ist?« sagte der Deutsche.

»Daran liegt Euch nichts, ehrlicher Heinrich; manche Leute haben Lust am Kehlabschneiden, manche am heil erhalten. – So schwört mir, daß Ihr ihm Leib und Leben schonen wollt, oder, bei dem hellen Stern Aldebaran, die Sache wird nicht weiter gehn. – Schwört, und bei den drei Königen, wie Ihr sie nennt, von Cöln – ich weiß, ein andrer Eid kümmert Euch nicht.«

»Du bist ein komischer Mann,« sagte der Lanzknecht, »ich schwöre« – –

»Noch nicht,« sagte der Zigeuner – »Gesicht herum, braver Lanzknecht, und sieh' nach Morgen, sonst möchten dich die Könige nicht hören.«

Der Soldat gab den Eid auf die vorgeschriebene Weise, und darauf erklärte er, sich bereit zu halten, da der Ort überhaupt ganz passend und kaum fünf Meilen von der gegenwärtigen Stelle sei.

»Aber, hieße es nicht sicher gehn, wenn wir ein Fähnlein Reiter an der andern Seite der Straße, links vom Wirthshause, hätten, die sie überfallen könnten, wenn sie diesen Weg nähmen?«

Der Zigeuner überlegte einen Augenblick und antwortete dann: »Nein – das Erscheinen dieser Truppen in solcher Richtung könnte die Garnison von Namur alarmiren, und dann hätten sie ein zweifelhaftes Gefecht statt eines sichern Erfolges. Ueberdies werden sie am rechten Ufer der Maas reisen, denn ich kann sie führen, welchen Weg ich will, da dieser Schotte, so scharfsichtig er ist, nie einen Andern als mich nach der Richtung des Weges befragt hat. – Jedenfalls bin ich ihm durch einen sichern Freund empfohlen, dessen Worte Niemand mißtraut, bis man ihn ein Bischen näher kennt.«

»Höre, Freund Hayraddin,« sagte der Soldat, »ich will dich etwas fragen. Du und dein Bruder waret, wie ihr selbst sagtet, große Sterndeuter, das heißt, Sterngucker und Geisterseher. – Nun, woran zum Henker lag es dann, daß ihr nicht voraussahet, dein Bruder Zamet werde gehängt werden?«

»Ich will dir's sagen, Heinrich,« antwortete Hayraddin; – »hätte ich wissen können, daß mein Bruder ein solcher Narr sei, den Anschlag König Ludwig's dem Herzog Karl von Burgund zu sagen, so würde ich seinen Tod so sicher prophezeit haben, als ich schön Wetter im Juni prophezeien kann. Ludwig hat sowohl Ohren als Hände am burgundischen Hofe, und Karls Räthe lieben den Klang französischen Geldes so sehr, als du das Geklapper eines Weinkrugs. – Doch leb' nun wohl, und bleibe bei der Verabredung – ich muß meinen frühmuntern Schotten einen Bogenschuß weit außerhalb vom Thore der Höhle jenes faulen Gesindels dort erwarten, sonst wird er glauben, ich sei auf einer Excursion außen, die dem Erfolg seiner Reise nichts Gutes weissagt.«

»Nimm erst ein Schlückchen zur Herzstärkung,« sagte der Lanzknecht, ihm eine Flasche hinhaltend, – »doch ich vergesse – du bist dumm genug, nichts als Wasser zu trinken, wie ein schlechter Sklave Mahounds und Termagunds.«

»Du bist selber ein Sklav der Weinkanne und deiner Flasche,« – sagte der Zigeuner, – »mich wundert nicht, daß man dir blos den blutdürstigen und gewaltsamen Theil dessen überträgt, was bessere Köpfe ausgesonnen haben. – Der darf keinen Wein trinken, wer Anderer Gedanken wissen und seine eignen verstecken will. Doch, was predige ich dir, der du einen Durst hast, gleich den ewigen Sandstrecken Afrika's? – Lebe wohl – Nimm meinen Kameraden Tuisko mit dir – sein Erscheinen in der Nähe des Klosters könnte Verdacht erregen.«

Die beiden Würdigsten schieden, nachdem sich Jeder nochmals verpflichtet hatte, das Rendezvous beim Kreuz der drei Könige nicht zu verfehlen.

Quentin Durward wartete, bis sie ihm aus den Augen waren, dann stieg er aus seinem Versteck herab, während sein Herz bei dem Gedanken schlug, wie nahe die Gefahr ihm und seinem schönen Schützlinge gewesen – wenn sie in der That überhaupt schon vorüber – die Gefahr nämlich, die dieser schurkische Plan bereitete. Besorgt, auf seiner Rückkehr zum Kloster auf Hayraddin stoßen zu können, machte er einen langen Umweg, wobei er einen rauhen beschwerlichen Boden überschreiten mußte, und dieß setzte ihn in Stand, auf einer andern Stelle sein Asyl zu erreichen, als derjenigen, wo er es verlassen. Unterwegs ging er ernstlich mit sich zu Rathe, was am sichersten zu thun sein möge. Er hatte den Entschluß gefaßt, als er Hayraddin's Verrätherei vernahm, diesen zu tödten, sobald die Unterredung vorüber und seine Gefährten weit genug entfernt wären; doch als er den Zigeuner so viel Theilnahme für sein eignes Leben aussprechen hörte, so dünkte es ihm undankbar, die Strafe, die sein Verrath verdiente, in aller Strenge an ihm zu vollstrecken. Er beschloß daher, sein Leben zu schonen, und, womöglich, sogar seine Wegweiserdienste noch ferner zu benutzen, wiewohl unter solchen Vorsichtsmaßregeln, welche die Sicherheit der theuren Schutzbefohlenen, deren Erhaltung er sein eignes Leben im Innern geweiht hatte, erforderte.

Aber wohin sollte er sie führen – die Gräfinnen von Croye konnten weder in Burgund Schutz finden, von wo sie geflohen waren, noch in Frankreich, von wo sie gewissermaßen vertrieben waren. Die Gewaltthätigkeit des Herzogs Karl in dem einen Lande war kaum mehr zu fürchten, als die kalte und tyrannische Politik des König Ludwig in dem andern. Nach tiefem Nachdenken vermochte Durward keinen bessern und zuverlässigern Entschluß für ihre Sicherheit zu fassen, als den, daß sie den Hinterhalt vermieden, indem sie die Straße gen Lüttich am linken Ufer der Maas wählten und sich, wie die Damen ursprünglich Willens waren, unter den Schutz des Bischofs begäben. Des Prälaten Wille, sie zu schützen, konnte nicht bezweifelt werden, und wenn er durch die Schaar burgundischer Krieger verstärkt war, so hatte er gewiß auch die Macht dazu. Außerdem, wenn die Gefahren, welche die Feindseligkeit Wilhelms von der Mark bereitete, und andrerseits auch die Unruhen der Stadt Lüttich, drohend schienen, mußte er doch immer stark genug sein, die unglücklichen Damen zu schützen, bis sie unter gehöriger Bedeckung nach Deutschland geführt werden konnten.

Das Ergebniß dieses Nachdenkens – denn wo bliebe dergleichen ohne alle selbstische Betrachtungen? – war im Allgemeinen, daß Quentin meinte, der König Ludwig, der ihn so kaltblütig dem Tod oder der Gefangenschaft geweiht habe, hätte ihn damit auch zugleich der Verbindlichkeiten gegen die Krone Frankreichs enthoben; und demnach beschloß er, sich von derselben loszusagen. Der Bischof von Lüttich, so schloß er, braucht auch Soldaten, und überdieß meinte er durch die Verwendung seiner schönen Freundinnen, die ihn nun, vorzüglich auch die ältere Gräfin, mit mehr Vertraulichkeit behandelten, vielleicht eine Officierstelle zu erlangen, sowie den Auftrag, die Damen von Croye zu einem mehr gesicherten Orte, als die Nähe Lüttichs darbot, zu geleiten. Endlich hatten auch die Damen, freilich nur halb scherzweise, geäußert, der Gräfin eigne Vasallen aufzubieten und, wie Andre in diesen stürmischen Zeiten thaten, ihr starkes Schloß gegen alle und jede Angreifer zu vertheidigen; sie hatten Quentin scherzend gefragt, ob er das gefährliche Amt ihres Seneschalls annehmen würde; und als er das Amt mit bereitwilliger Freude und Ergebenheit annahm, hatten sie, auf dieselbe Weise, ihm beide ihre Hände zum Kuß gereicht, in Bezug auf die Uebertragung dieses ehrenvollen und Vertrauen heischenden Amts. Ja, ihm war, als habe die Hand der Gräfin Isabelle, eine der wohlgeformtesten und schönsten, welcher nur je ein Vasall solche Huldigung brachte, gezittert, als seine Lippen einen Augenblick länger als die Ceremonie forderte, darauf ruhten, und daß sich einige Verwirrung auf ihrer Wange und in ihrem Blicke malte, als sie die Hand zurückzog. Etwas mußte dieß Alles bedeuten; und welcher brave Mann von Quentin Durward's Alter würde nicht gern solchen Gedanken einigen Einfluß auf die Bestimmung seines Benehmens eingeräumt haben?

Nachdem er über diesen Punkt in's Reine war, hatte er zunächst zu überlegen, in wie weit er ferner die Führung seines treulosen Zigeuners anwenden könne. Seinem ersten Gedanken, ihn im Walde zu tödten, hatte er entsagt, und wenn er einen andern Wegweiser annahm, und ihn lebendig entließ, so hieße dieß gerade so viel, als den Verräther zum Lager Wilhelms von der Mark senden, um diesen von ihren Bewegungen in Kenntniß zu setzen. Er dachte daran, den Prior in sein Vertrauen zu ziehen und ihn zu bitten, den Zigeuner mit Gewalt so lange zu halten, bis er das Schloß des Bischofs erreicht haben könnte; doch bei reiferer Ueberlegung schien es ihm zu gewagt, einem Manne diesen Vorschlag zu machen, welcher theils als Greis, theils als Mönch von Natur furchtsam war, der die Bewahrung der Sicherheit des Klosters für seine wichtigste Pflicht betrachtete, und bei bloßer Erwähnung des wilden Ebers der Ardennen schon zitterte.

Endlich bildete sich Durward einen Operationsplan, auf den er besser rechnen konnte, da die Ausführung auf ihm selbst allein beruhte; und in der Angelegenheit, zu welcher er sich verpflichtet hatte, fühlte er sich zu dem Schwersten fähig. Mit einem festen und kühnen Herzen, obwohl der Gefahren seiner Lage sich wohl bewußt, konnte Quentin einem Menschen verglichen werden, der unter einer Bürde wandert, deren Last er wohl kennt, die aber dennoch nicht über seine Kraft und Ausdauer ist. Gerade als sein Plan gefaßt war, erreichte er das Kloster.

Auf ein leises Klopfen an das Thor öffnete dieses ein Bruder, der besonders vom Prior zu diesem Zwecke bestellt war, und benachrichtigte Quentin, die Brüder wären bis Tagesanbruch im Chor versammelt, um des Himmels Verzeihung für die mancherlei ärgerlichen Auftritte zu erflehen, die am Abend unter ihnen stattgefunden.

Der würdige Bruder bot Quentin die Erlaubniß an, der Andacht beizuwohnen; seine Kleider waren jedoch so durchnäßt, daß der junge Schotte genöthigt war, das Anerbieten abzulehnen und statt dessen zu bitten, sich an's Küchenfeuer setzen zu dürfen, damit vor Morgen sein Anzug trocken werde; denn er wünschte angelegentlich, daß der Zigeuner, sobald sie einander wieder begegneten, keine Spuren, daß er während der Nacht ausgewesen, an ihm bemerken solle. Der Bruder gewährte nicht nur sein Gesuch, sondern trug ihm auch seine eigne Gesellschaft an, und dieß traf um so glücklicher mit dem Wunsche Durward's zusammen, welcher Nachricht über die beiden Straßen wünschte, deren der Zigeuner in der Unterredung mit dem Lanzknecht gedacht hatte. Der Bruder, dem häufig Geschäfte außerhalb des Klosters übertragen wurden, war diejenige Person im Kloster, die am besten den erbetenen Unterricht gewähren konnte, bemerkte jedoch, daß es als ächten Pilgern den Damen, die Quentin führte, gezieme, die Straße zur rechten Seite der Maas zu nehmen, beim Kreuz der drei Könige vorüber, wo die geheiligten Reste Caspars, Melchiors und Balthasars (so nannte die katholische Kirche die drei morgenländischen Weisen, die mit Gaben nach Bethlehem kamen,) geruhet hatten, als sie nach Cöln gebracht wurden; auch hatten sie an diesem Orte mancherlei Wunder vollbracht.

Quentin erwiederte, die Damen wären entschlossen, alle heiligen Stationen ihrer Pilgerschaft mit äußerster Pünktlichkeit zu beobachten, und gewiß würden sie das Kreuz besuchen, sei es auf der Hin- oder Rückreise von Cöln; aber sie hätten Nachrichten erhalten, daß die Straßen auf der rechten Seite des Flusses jetzt durch die Krieger des trotzigen Wilhelm von der Mark unsicher gemacht seien.

»Nun, der Himmel verhüte,« sagte Bruder Franz, »daß der wilde Eber der Ardennen so sehr in unserer Nähe wieder sein Lager nehmen sollte! – Trotzdem wird die breite Maas eine gute Schutzwehr zwischen uns sein, selbst wenn Ihr recht hättet.«

»Aber sie wird keine Schutzwehr zwischen meinen Damen und dem Räuber sein, wenn wir über den Fluß gingen und am rechten Ufer reisten,« antwortete der Schotte.

»Der Himmel wird die Seinen schützen, junger Mann,« sagte der Bruder; »denn es wäre hart, zu glauben, daß die Könige jener heiligen Stadt Cöln, welche nicht dulden, daß ein Jude oder Ungläubiger auch nur das Innere ihrer Mauern betritt, so vergeßlich sein könnten, und ihre Verehrer, die als treue Pilger zu ihrem Heiligthume kommen, plündern und mißhandeln ließen, und das von so einem ungläubigen Hund, wie dieser Eber der Ardennen, der schlimmer ist, als eine ganze Wüste voll saracenischer Heiden, und als die zehn Stämme Israels noch obendrein.«

Wie viel Vertrauen Quentin auch, als strenger Katholik, auf den besondern Schutz Caspars, Melchiors und Balthasars setzen mußte, so konnte er doch nicht umhin, sich zu erinnern, daß die Pilgerschaft der Damen nur aus irdischer Politik angenommen war, und also er und seine Schutzbefohlnen schwerlich das Wohlgefallen der Heiligen in Anspruch nehmen konnten. Deshalb beschloß er, so viel als möglich zu vermeiden, die Damen in eine Lage zu setzen, wo wunderbare Hilfe nothwendig sein würde. Indeß gelobte er, in der Einfalt seines frommen Glaubens, selber eine Pilgerfahrt zu den drei Königen nach Cöln in eigner Person, vorausgesetzt, daß die gegenwärtige Reise derjenigen, über deren Sicherheit er jetzt wachte, von jenen ebenso einsichtsvollen und königlichen, als auch heiligen Personen zu gewünschtem Ende geführt würde.

Um diese Verbindlichkeit mit aller Feierlichkeit einzugehn, ersuchte er den Bruder, ihn in eine der vielen Kapellen zu führen, die sich nach dem Schiff der Klosterkirche öffneten, und hier bekräftigte er auf den Knien und mit aufrichtiger Frömmigkeit das Gelübde, das er im Herzen gethan hatte. Die fernen Töne im Chor, die Feierlichkeit der todten stillen Nachtstunde, die er für diese andächtige Handlung gewählt hatte, die Wirkung der glimmenden Lampe, womit das kleine gothische Gemach erleuchtet war – Alles trug dazu bei, Quentins Gemüth in den Zustand zu setzen, wo es seine menschliche Schwachheit bereitwillig anerkennt, und die übernatürliche Hilfe und Beschützung sucht, die, bei jeder Religion, mit Reue für vergangene Sünden und mit Entschlüssen zu künftiger Besserung erkauft werden muß. Daß der Gegenstand seiner Andacht nicht recht gewählt war, war nicht die Schuld Quentins; und da sein Vorsatz aufrichtig war, so können wir glauben, daß er auch der einzig wahren Gottheit angenehm war, welche die Beweggründe, nicht die Formen des Gebets berücksichtigt, und in deren Augen die aufrichtige Andacht eines Heiden mehr gilt, als die Heuchelei eines Pharisäers.

Nachdem er sich und seine hilflosen Gefährtinnen den Heiligen und dem Schutze der Vorsehung empfohlen hatte, begab sich Quentin endlich zur Ruhe, und verließ den Mönch sehr erbaut durch die Tiefe und Aufrichtigkeit seiner Andacht.



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