Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechszehntes Kapitel.
Der Landstreicher.

Frei, wie Natur den Menschen schuf, bin ich!
Eh' sclavisches Gesetz gebildet sich,
Der edle Wilde kühn den Wald durchstrich. –

Die Eroberung von Granada.

Während Quentin sich so in der Kürze mit den Damen besprach, was nothwendig war, um gewiß zu sein, daß dieser außerordentliche Zuwachs zu ihrer Gesellschaft der von Seiten des Königs erwartete Wegweiser war, bemerkte er, (denn er war eben so eifrig, die Bewegungen des Fremden zu beobachten, als es der Zigeuner seinerseits nur immer sein konnte,) daß der Mann nicht allein sein Haupt so weit als möglich zurückwandte, um sie zu beobachten, sondern daß er auch, mit einer besondern Art von Behendigkeit, die mehr der eines Affen, als eines Menschen glich, seine ganze Person rund auf dem Sattel herum preßte, so daß er fast quer auf dem Pferde saß, und dieß ebenfalls nur, um sie, wie es schien, desto aufmerksamer beobachten zu können.

Quentin, der an diesem Manöver kein großes Gefallen fand, ritt auf den Zigeuner zu und sagte ihm, als er plötzlich und schnell seine eigentliche Position auf dem Pferde nahm: »Mich dünkt, Freund, Ihr werdet nur ein blinder Wegweiser sein, wenn Ihr mehr auf den Schweif Eures Pferdes, als auf seine Ohren seht.«

»Und wär' ich wirklich blind,« antwortete der Zigeuner, »so könnt' ich dennoch Wegweiser durch jede Gegend dieses Königreichs Frankreich und durch die angränzenden Länder sein.«

»Doch seid Ihr kein geborner Franzose,« sagte der Schotte.

»Ich bin's nicht,« anwortete der Wegweiser.

»Was für ein Landsmann seid Ihr dann?« fragte Quentin.

»Ich bin aus keinem Lande,« antwortete der Wegweiser.

»Wie! Aus keinem Lande?« wiederholte der Schotte.

»Nein,« antwortete der Zigeuner, »aus keinem. Ich bin ein Zigeuner, ein Aegypter, oder wie sonst immer die Europäer in ihren verschiedenen Sprachen unser Volk nennen mögen; aber ich habe kein Vaterland.«

»Bist du ein Christ?« fragte der Schotte.

Der Zigeuner schüttelte das Haupt.

»Hund!« sagte Quentin (denn in jenen Tagen gab es wenig Toleranz im Geiste des Katholicismus), »betest du Mahomed an?«

»Nein,« war die unzweideutige und entschiedene Antwort des Wegweisers, der über des jungen Mannes heftiges Benehmen weder erstaunt noch beleidigt schien.

»Also bist du ein Heide, oder was sonst?

»Ich habe keine Religion,« antwortete der Zigeuner.

Durward fuhr zurück; denn obgleich er von Sarazenen und Götzendienern gehört hatte, so war es ihm doch nie in den Sinn gekommen, daß es eine Menschenklasse geben könne, die keine Weise der Gottesverehrung besitze. Er erholte sich von seinem Staunen, um seinen Führer zu fragen, wo er sich gewöhnlich aufhalte.

»Wohin mich der Zufall eben führt,« erwiderte der Zigeuner; »ich habe keine Heimath.«

»Wie bewahrst du dein Eigenthum?«

»Außer den Kleidern, die ich trage, und dem Pferd, das ich reite, habe ich kein Eigenthum.«

»Aber du kleidest dich hübsch und reitest stattlich,« sagte Durward. »Welche Mittel hast du zu deinem Unterhalt?«

»Ich esse, wenn ich hungrig bin, trinke, wenn ich durstig bin, und habe keine andern Mittel des Unterhalts, als die mir der Zufall in den Weg legt,« erwiderte der Vagabund.

»Unter wessen Gesetzen lebst du?«

»Ich gehorche Niemand, außer wenn es mir gefällt, oder die Nothwendigkeit es verlangt,« sagte der Zigeuner.

»Wer ist euer Führer, der euch befiehlt?«

»Der Vater unsers Stammes – wenn ich Lust habe, ihm zu gehorchen,« sagte der Wegweiser – »außerdem hab' ich keinen Befehlshaber.«

»Ihr seid also,« sagte der staunende Frager, »Alles dessen beraubt, was andere Menschen bindet – ihr habt kein Gesetz, kein Oberhaupt, keine sichern Unterhaltsmittel, kein Haus und keine Heimath. Ihr habt, der Himmel erbarme sich eurer, kein Vaterland – und, mag euch der Himmel erleuchten und vergeben, ihr habt keinen Gott! Was bleibt euch noch übrig, die ihr der Regierung, des häuslichen Glücks und der Religion beraubt seid?«

»Ich habe Freiheit« – sagte der Zigeuner – »ich beuge mich Niemand – gehorche Niemand – achte Niemand. – Ich lebe wo ich will – lebe wie ich kann – und sterbe, wenn mein Tag kommt.«

»Aber du bist einer augenblicklichen Hinrichtung unterworfen, wenn es dem Richter gefällt?«

»Mag sein,« erwiderte der Zigeuner; »so sterb' ich dann um so eher.«

»Auch der Einkerkerung,« sagte der Schotte; »und wo ist dann deine gerühmte Freiheit?«

»In meinen Gedanken,« sagte der Zigeuner, »die Ketten nicht fesseln können; während die eurigen, selbst wenn Eure Glieder frei sind, gefesselt bleiben durch eure Gesetze und euren Aberglauben, eure Träume von örtlicher Anhänglichkeit und eure phantastischen Vorstellungen von bürgerlicher Politik. Solche, wie ich, sind frei im Geiste, mögen unsre Glieder auch in Ketten sein – Ihr seid gefangen im Geiste, selbst wenn eure Glieder völlig frei sind.«

»Doch die Freiheit eurer Gedanken,« sagte der Schotte, »erleichtert die drückenden Fesseln eurer Glieder nicht.«

»Für eine kurze Zeit sind sie zu ertragen,« antwortete der Landstreicher; »und kann ich mich während dieser Zeit nicht befreien, und bleibt die Hilfe meiner Kameraden aus, so kann ich stets sterben und der Tod ist die vollkommenste Freiheit.«

Es entstand für eine Weile tiefe Stille, bis Durward endlich wieder zu fragen begann.

»Ihr seid ein wanderndes Geschlecht, den Nationen Europa's unbekannt – Woher leitet ihr euren Ursprung?«

»Das kann ich Euch nicht sagen,« antwortete der Zigeuner.

»Wann werdet ihr dies Königreich von eurer Gegenwart befreien, und nach dem Lande kehren, woher ihr gekommen seid?« sagte der Schotte.

»Wenn die Tage unsrer Pilgerschaft vollendet sein werden,« erwiderte der landstreichende Wegweiser.

»Seid ihr nicht von jenen Stämmen Israels entsprossen, die über den großen Euphratstrom in die Gefangenschaft geführt wurden?« sagte Quentin, der nicht vergessen hatte, was ihm zu Aberbrothick gelehrt worden war.

»Wären wir daher entsprossen,« antwortete der Zigeuner, »so folgten wir auch ihrem Glauben und hielten ihre Gebräuche.«

»Wie ist dein Name?« sagte Durward.

»Mein eigentlicher Name ist blos meinen Brüdern bekannt – die Leute außer unsern Zelten nennen mich Hayraddin Maugrabin, das heißt, Hayraddin der afrikanische Mohr.«

»Du sprichst zu gut für Einen, der stets unter deiner wilden Horde gelebt hat,« sagte der Schotte.

»Ich habe Einiges von der Wissenschaft dieses Landes gelernt,« sagte Hayraddin. »– Als ich ein Knabe war, ward unser Stamm von den Menschenjägern gehetzt. Ein Pfeil durchbohrte meiner Mutter Haupt, und sie starb. Ich, der ich in ein Tuch gewickelt war, was sie auf den Schultern trug, ward von den Nachfolgern gefangen. Ein Priester bettelte mich von des Profoß Bogenschützen und unterwies mich in französischer Wissenschaft zwei oder drei Jahr lang.«

»Wie kam es, daß du ihn verließest?« fragte Durward.

»Ich stahl ihm Geld – selbst den Gott, den er anbetete,« antwortete Hayraddin mit vollkommener Ruhe; »er ertappte mich und schlug mich – ich erstach ihn mit meinem Messer, floh in die Wälder und vereinte mich wieder mit meinen Leuten.«

»Elender!« sagte Durward, »du hast deinen Wohlthäter ermordet?«

»Warum fiel er mir mit seinen Wohlthaten zur Last? – Der Zigeunerknabe war kein im Hause erwachsener Hund, um den Fersen seines Herrn zu folgen und sich unter seinen Schlägen zu krümmen für das Futter. – Er war ein gefangener junger Wolf, der bei erster Gelegenheit die Kette brach, seinen Herrn zerriß und zur Wildniß zurückkehrte.«

Eine zweite Pause entstand hier, bis der junge Schotte, um den Charakter und die Absicht dieses verdächtigen Wegweisers noch weiter zu erforschen, Hayraddin fragte: »Ob es nicht wahr sei, daß sein Volk, bei aller Unwissenheit, eine Kenntniß des Künftigen zu besitzen behaupte, welche den Weisen, Philosophen und Gottesgelehrten einer verfeinerten Gesellschaft fremd sei?«

»Wir behaupten das,« sagte Hayraddin, »und mit vollem Rechte.«

»Wie kann es geschehen, daß eine so hohe Gabe einem so verworfenen Geschlecht verliehen ist?« sagte Quentin.

»Kann ich Euch das sagen?« antwortete Hayraddin. – »Ja, ich kann es in der That; aber erst dann, wenn Ihr mir erklärt, warum der Hund den Fußtritten des Menschen nachspüren kann, während der Mensch, das edlere Thier, nicht die Macht hat, jene des Hundes zu entdecken. Jene Macht, die Euch so wunderbar dünkt, ist etwas Instinktartiges bei unserm Geschlecht. Aus den Linien des Gesichts und der Hand können wir das künftige Geschick dessen sagen, der uns befragt, und zwar eben so sicher, als Ihr aus der Blüthe des Baums im Frühling sagt, welche Frucht er im Herbste tragen wird.«

»Ich zweifle an eurer derartigen Kenntniß, und fordere dich zu einer Probe auf.«

»Fordert mich nicht auf, Herr Knappe,« sagte Hayraddin Maugrabin. – »Ich kann Euch sagen, daß, mögt Ihr auch von eurer Religion schwatzen, was Ihr wollt, die Göttin, die Ihr verehrt, in dieser Gesellschaft reitet.«

»Still!« rief Quentin erstaunt; »bei deinem Leben, kein Wort weiter, außer zur Antwort dessen, was ich frage; – kannst du treu sein?«

»Ich kann's – alle Menschen können's,« sagte der Zigeuner.

»Aber willst du treu sein?«

»Würdest du mir mehr glauben, wenn ich es beschwören würde?« antwortete Maugrabin höhnisch.

»Dein Leben ist in meiner Hand,« sagte der junge Schotte.

»Schlagt zu, und seht, ob ich mich zu sterben fürchte,« antwortete der Zigeuner.

»Würde dich Geld zu einem treuen Wegweiser machen?« fragte Durward.

»Wenn ich es nicht ohnehin bin, nein,« erwiderte der Heide.

»Was würde dich sonst binden?« fragte der Schotte.

»Freundlichkeit,« erwiderte der Zigeuner.

»Soll ich schwören, dir solche zu erzeigen, wenn du uns ein treuer Wegweiser auf dieser Pilgerfahrt bist?«

»Nein,« erwiderte Hayraddin, »es wäre thörichte Verschwendung eines so seltenen Gegenstandes. Dir bin ich bereits verbunden.«

»Wie!« rief Durward, mehr denn je erstaunt.

»Gedenke der Kastanienbäume an den Ufern des Cher! Das Opfer, welches du losschnittest, war mein Bruder, Zamet, der Maugrabin.«

»Und doch,« sagte Quentin, »finde ich dich in Verbindung mit den nämlichen Beamten, durch welche dein Bruder getödtet ward; denn es war Einer von ihnen, welcher mir angab, wo ich dich treffen konnte – derselbe wahrscheinlich, welcher jenen Damen deinen Dienst als Wegweiser verschaffte.«

»Was können wir thun?« antwortete Hayraddin düster – »diese Menschen gehen mit uns um, wie der Schafhund mit der Heerde; sie beschützen uns eine Zeit lang, treiben uns hierhin und dorthin nach ihrem Gefallen, und enden stets damit, uns zur Schlachtbank zu führen.«

Quentin hatte später Gelegenheit, zu erfahren, daß der Zigeuner in diesem Punkte die Wahrheit sprach, und daß die Profoßwache, bestimmt, die Landstreicherschaaren, die das Königreich belästigten, zu unterdrücken, Verbindung mit ihnen unterhielt, und eine Zeit lang die Ausübung ihrer Pflicht bei Seite setzte, welches stets damit endete, daß sie ihre Verbündeten zum Galgen führte. Dies ist eine Art politischer Wechselgemeinschaft zwischen Dieb und Häscher, zur vortheihaften Ausübung ihres beiderseitigen Gewerbes, welches in allen Ländern bestanden hat, und in dem unsern keineswegs unbekannt ist.

Durward schied von seinem Wegweiser und kehrte zu den übrigen Begleitern zurück, wenig zufrieden gestellt über den Charakter Hayraddin's und wenig Vertrauen in die Versicherungen der Dankbarkeit setzend, die er ihm persönlich gegeben hatte. Er begann die beiden andern Männer, die ihm als Begleiter beigegeben waren, zu prüfen, und fand, daß sie dumm waren, und eben so ungeschickt, ihn mit ihrem Rathe zu unterstützen, als sie sich beim Gefecht abgeneigt bewiesen hatten, ihre Waffen zu brauchen.

»Es ist um so besser,« sagte Quentin zu sich selbst, indem sich sein Muth mit den gefürchteten Schwierigkeiten seiner Lage erhob; »die holde junge Dame wird Alles mir verdanken. – Was eine Hand – ja, und ein Kopf thun kann, – darauf, glaub' ich, kann ich kühnlich zählen. Ich habe meines Vaters Haus im Feuer gesehen, wo er und meine Brüder todt unter den Flammen lagen – ich wich keinen Fingerbreit, sondern focht bis zum Ende. Nun bin ich zwei Jahr älter, und habe die beste und schönste Ursache, mich tapfer zu halten, die je eines braven Mannes Brust entflammte.«

Diesem Entschlusse folgte Quentin, und die Aufmerksamkeit und Gewandtheit, die er während der Reise an den Tag legte, gab ihm fast den Anschein der Allgegenwart. Sein hauptsächlicher und liebster Posten war natürlich an der Seite der Damen, die, seine außerordentliche Aufmerksamkeit für ihre Sicherheit erkennend, sich mit ihm fast im Tone vertrauter Freundschaft zu unterhalten begannen, und großes Vergnügen an seiner naiven, aber doch feinen Unterhaltung zu finden schienen. Aber Quentin hütete sich, durch den Zauber dieser Gespräche die wachsame Vollziehung seiner Pflicht beeinträchtigen zu lassen.

Wenn er oft an der Seite der Gräfinnen war, bemüht, den Eingebornen eines ebenen Landes die Grampianberge, und vor Allem die Schönheiten Glenhoulakins zu schildern, – so ritt er eben so oft zu Hayraddin, an der Spitze des Zuges, um ihn nach dem Wege zu befragen und nach den Ruheplätzen, und sich so in Folge seiner Antworten, die er bei sich erwog, zu versichern, ob er durch Kreuzfragen irgend etwas Verrätherisches entdecken könne. Oft auch befand er sich beim Nachtrab, um sich der Anhänglichkeit der beiden Reiter zu versichern, bald durch freundliche Worte oder Geschenke, bald durch Verheißung größeren Lohnes, sobald ihr Geschäft beendigt sein würde.

Auf diese Weise reiseten sie länger als eine Woche auf Nebenwegen und durch unbesuchte Gegenden, machten auch häufig Umwege, um große Städte zu vermeiden. Nichts Bemerkenswerthes begegnete ihnen, obwohl sie dann und wann wandernden Zigeunerhorden, die ihnen Achtung bezeigten, weil sie unter der Leitung eines von ihrem Stamme waren, – Kriegern, oder vielleicht Banditen, die ihre Gesellschaft für zu zahlreich hielten, um sie anzugreifen, – oder Abtheilungen von Maréchaussée begegneten, wie man sie jetzt nennen würde, die Ludwig, der die Wunden des Landes mit Feuer und Schwert untersuchte, dazu anwandte, die ordnungswidrigen Banden, die das Innere des Landes unsicher machten, aus dem Wege zu räumen. Diese letztern ließen sie, Kraft eines Losungsworts, womit Quentin zu diesem Ende von Ludwig selbst versehen war, ungehindert ihres Weges ziehen.

Ihre Ruheplätze waren hauptsächlich die Klöster, von denen die meisten nach den Regeln ihrer Stiftung verbunden waren, Pilger, und unter dieser Bezeichnung reiseten die Damen, mit Gastfreiheit aufzunehmen, ohne ihnen durch lästige Fragen nach Rang und Stand lästig zu fallen, weil dies die meisten vornehmen Pesonen während der Erfüllung ihrer Gelübde eifrig zu verbergen strebten. Müdigkeit diente den Gräfinnen gewöhnlich zum Vorwand, um sich augenblicklich zur Ruhe zu begeben, und Quentin, als ihr Major Domo, ordnete Alles, was zwischen ihnen und ihren Wirthen nothwendig war, mit einer Schlauheit, wodurch sie aller Störung überhoben wurden, und mit einer heitern Gewandtheit, die nicht verfehlte, einen gleichen Grad von Wohlwollen bei denen, denen so eifrige Aufmerksamkeit gewidmet ward, hervorzurufen.

Ein Umstand verursachte Quentin besonders Verdruß, nämlich der Charakter und die Nation seines Wegweisers, welcher, als ein Heide und ungläubiger Vagabund, überdies geheimen Künsten ergeben (das Kennzeichen Aller seines Stammes), oft als ein sehr ungeeigneter Gast für die heiligen Ruhestätten, wo die Gesellschaft gewöhnlich Halt machte, betrachtet, und daher nur mit größtem Widerwillen in den äußern Umkreis ihrer Mauern zugelassen wurde. Dies mußte sehr in Verlegenheit setzen; denn einerseits war es nothwendig, einen Mann bei guter Laune zu erhalten, der das Geheimniß ihrer Reise wußte, und andrerseits hielt es Quentin für unerläßlich, stets im Stillen ein wachsames Auge auf Hayraddin's Betragen zu haben, damit er, so weit es möglich war, mit Niemand Gemeinschaft haben möchte, ohne beobachtet zu sein. Dieß war natürlich unmöglich, wenn der Zigeuner außerhalb der Mauern des Klosters, wo man anhielt, wohnen mußte, und Durward konnte nicht umhin zu glauben, daß Hayraddin die letztere Einrichtung immer zu bewerkstelligen wünschte; denn, statt sich still und ruhig in dem ihm angewiesenen Quartier zu halten, waren seine Unterhaltungen, Possen und Lieder den Novizen und jüngern Brüdern so ergötzlich, in der Meinung der ältern aber so unerbaulich, daß es in mehreren Fällen Quentins ganzes Ansehen, unterstützt durch Drohungen, erforderte, um seine unehrerbietige und unzeitige Scherzhaftigkeit zu zügeln, und bei den Superioren mußte er all seinen Einfluß geltend machen, damit man den heidnischen Hund nicht aus dem Thore jagte. Es gelang ihm indeß durch die gewandte Manier, in welcher er die unziemlichen Handlungen seines Begleiters entschuldigte, und durch das geschickte Hindeuten auf die Hoffnung, daß er durch die Nähe heiliger Reliquien, geweiheter Gebäude und vor Allem durch die Gegenwart gottgeweihter Männer zu bessern Grundsätzen und vernünftigem Benehmen bekehrt werden möchte.

Doch am zehnten oder zwölften Tage ihrer Reise, nachdem sie Flandern betreten hatten und sich der Stadt Namur näherten, wurden alle Bemühungen Durwards vergebens, um die Folgen des Aergernisses, das sein heidnischer Wegweiser gab, auszugleichen. Die Scene war ein Franziskanerkloster von strenger Regel, und der Prior ein Mann, der später im Geruche der Heiligkeit starb. Nachdem man mehr als die sonst gewöhnlichen Bedenklichkeiten (die in diesem Falle allerdings zu erwarten waren,) überwältigt hatte, fand der verderbliche Zigeuner endlich ein Quartier in einem Nebengebäude, welches ein Laienbruder bewohnte, der das Gärtneramt versah. Die Damen zogen sich, wie gewöhnlich, nach ihrem Zimmer zurück, und der Prior, der zufällig einige weitläufige Verwandte und Freunde in Schottland hatte und Fremde gern von ihren Heimathländern erzählen hörte, lud Quentin, dessen Aeußeres und Benehmen ihm wohlgefiel, zu einem schlichten Klostermahl in seiner eignen Zelle ein. Quentin, der in dem Pater einen Mann von Einsicht fand, ließ sich die Gelegenheit nicht entgehn, sich mit der Lage der Dinge im Lütticher Lande bekannt zu machen, von welchem ihm während der beiden letzten Tage seiner Reise solche Gerüchte zugegangen waren, daß er für die Sicherheit der ihm Anvertrauten während des Restes ihrer Wallfahrt ernstlich besorgt ward, und sogar zu zweifeln anfing, ob sie der Bischof werde schützen können, wenn sie auch wohlbehalten zu seiner Residenz gelangt sein sollten. Die Antworten des Priors waren nicht sehr tröstlich.

»Die Leute von Lüttich,« sagte er, »wären reiche Bürger, die sich, wie weiland Jeschurun, fett und dick gemästet hätten, so daß sie im Herzen stolz geworden auf ihren Reichthum und ihre Privilegien – daß sie verschiedene Streitigkeiten mit dem Herzog von Burgund, ihrem Lehensherrn, hätten, wegen Abgaben und Freiheiten – daß sie zu wiederholten Malen in offenen Aufruhr ausgebrochen wären, worüber der Herzog, als ein Mann von hitziger und reizbarer Natur, so aufgebracht sei, daß er bei St. Georg geschworen habe, daß er bei der nächsten Veranlassung die Stadt Lüttich dem zerstörten Babylon und Tyrus gleich machen und dem Gespötte und der Verachtung ganz Flanderns preisgeben wolle.«

»Und nach allem, was man hört, ist er ein Fürst, der ein solches Gelübde halten wird,« sagte Quentin; »daher werden sich die Leute von Lüttich wohl hüten, ihm eine solche Gelegenheit zu geben.«

»Das wäre zu hoffen,« sagte der Prior; »und darum beten alle Frommen im Lande, die nicht wünschen, daß das Blut der Bürger wie Wasser vergossen werde und sie wie Auswürflinge sterben müssen, bevor sie Frieden mit dem Himmel gemacht haben. Auch der gute Bischof arbeitet Tag und Nacht an der Erhaltung des Friedens, wie es einem Diener des Altars geziemt; denn es ist in der heiligen Schrift geschrieben: Beati pacifici. Aber« – – hier hielt der gute Prior mit einem tiefen Seufzer inne.

Quentin deutete bescheidentlich darauf hin, wie wichtig es für die Damen, die er begleitete, sein müsse, einige zuverlässige Nachricht über den innern Zustand des Landes zu erlangen, und daß es eine Handlung christlicher Liebe sein würde, wenn der würdige und verehrte Pater über diesen Gegenstand Aufklärung geben wolle.

»Es ist ein Gegenstand,« sagte der Prior, »wovon man nicht gern spricht, denn die, welche Uebles von den Mächtigen reden, werden, etiam in cubiculo, beflügelte Boten finden, die die Sache Jenen zu Ohren bringen. Indeß, um Euch, der Ihr ein gutdenkender junger Mann scheint, und Euren Damen, die im Begriff sind, voll Andacht eine heilige Wallfahrt zu vollenden, die kleinen Dienste, die in meiner Macht stehn zu erweisen, will ich offen gegen Euch sein.«

Dann schaute er vorsichtig umher, und dämpfte seine Stimme, als fürchte er belauscht zu werden.

»Die Leute zu Lüttich,« sagte er, »werden insgeheim zu ihren häufigen Meutereien durch Belialskinder aufgereizt, welche, obwohl wie ich hoffe fälschlich, vorgeben, dazu von unserm allerchristlichsten König Auftrag zu haben, der indeß gewiß diesen Namen besser verdient, als es für Jemand passen würde, der den Frieden eines Nachbarlandes störte. Wahr ist jedoch, daß sein Name unverholen von denen gebraucht wird, welche die mißvergnügten Lütticher unterstützen und aufreizen. Ueberdieß ist im Lande ein Edelmann von hoher Abkunft und kriegerischem Ruhme; außerdem aber ist er, so zu sagen, Lapis offensionis et petra scandali, – ein Stein des Anstoßes für die Lande Burgund und Flandern. Sein Name ist Wilhelm von der Mark.«

»Genannt Wilhelm mit dem Bart,« sagte der junge Schotte, oder der wilde Eber der Ardennen?«

»Und mit Recht so genannt, mein Sohn,« sagte der Prior; »weil er wie der wilde Eber des Landes ist, der mit seinen Hufen niedertritt und mit seinen Hauern zerreißt. Es hat sich eine Bande von mehr als tausend Mann gesammelt, die alle, wie er selber, Verächter des kirchlichen und bürgerlichen Gesetzes sind, sich für unabhängig vom Herzog von Burgund betrachten, und sich gleich ihrem Herrn von Raub und Gewaltthat erhalten, die sie ohne Unterschied an Geistlichen und Laien verüben. Imposuit manus in Christos Domini, – er hat seine Hand an den Gesalbten des Herrn gelegt, ohne zu achten, was geschrieben steht: ›Taste meinen Gesalbten nicht an und thue meinen Propheten kein Uebles.‹ – Selbst nach unserm armen Hause schickte er wegen Summen von Gold und Silber, als Lösegeld für unser Leben und für das unserer Brüder; darauf sandten wir ihm eine lateinische Bittschrift, die unsre Unfähigkeit, seiner Forderung zu willfahren, darstellte und ihn nach den Worten des Predigers ermahnte: Ne moliaris amico tuo malum, cum habet in te fiduciam. Aber dieser Bärtige Wilhelm, dieser Wilhelm von der Mark, der völlig unwissend in menschlicher Wissenschaft wie in der Menschlichkeit selbst ist, antwortete trotzdem in seinem lächerlichen Kauderwelsch: Si non payatis, brulabo monasterium vestrum.«

»Den Sinn dieses barbarischen Lateins,« sagte der junge Mann, »habt Ihr aber wahrscheinlich ohne Schwierigkeit begriffen, mein guter Vater?«

»Ach, mein Sohn,« sagte der Prior, »Furcht und Nothwendigkeit sind gewandte Dolmetscher; und wir waren genöthigt, die Silbergefäße unseres Altars einzuschmelzen, um der Raubsucht dieses grausamen Häuptlings zu genügen. – Mag es der Himmel ihm siebenfach vergelten! Pereat improbus! Amen, amen, anathema esto!«

»Ich wundere mich,« sagte Quentin, »daß der Herzog von Burgund, der so stark und mächtig ist, diesen Eber nicht hetzt, von dessen Verwüstungen ich bereits so viel gehört habe.«

»Ach! mein Sohn,« sagte der Prior, »der Herzog Karl ist jetzt zu Péronne, wo er seine Hauptleute über Hunderte und seine Hauptleute über Tausende versammelt, um Krieg gegen Frankreich zu führen; und so, während der Himmel Zwietracht zwischen die Herzen dieser großen Fürsten gesetzt hat, wird das Land von solch' untergeordneten Unterdrückern gemißhandelt. Aber es ist zur bösen Stunde, daß der Herzog die Heilung dieser innern Krebsschäden vernachlässigt; denn dieser Wilhelm von der Mark hat neulich offne Gemeinschaft mit Rouslaer und Pavillon unterhalten, welches die Häupter der unzufriedenen Lütticher sind, und daher ist nun zu fürchten, daß er sie bald zu einem verzweifelten Unternehmen aufreizen werde.«

»Aber der Bischof von Lüttich,« sagte Quentin, »hat doch noch Macht genug, um diesen unruhigen und stürmischen Geist zu bewältigen – nicht wahr, guter Vater? – Eure Antwort auf diese Frage liegt mir sehr am Herzen.«

»Der Bischof, mein Kind,« erwiederte der Prior, »hat das Schwert Petri ebensowohl als die Schlüssel. Er hat Macht wie ein weltlicher Fürst, und er hat den Schutz des mächtigen Hauses von Burgund; auch hat er geistliches Ansehn als ein Prälat, und er unterstützt beides mit guten Kriegern und Wehrmannen. Dieser Wilhelm von der Mark war in seinem Haushalt auferzogen und ihm durch viele Wohlthaten verpflichtet. Aber er gab, selbst am Hofe des Bischofs, seiner trotzigen und blutdürstigen Sinnesart Raum, und ward wegen eines Todtschlags, den er an einem von des Bischofs obern Hausbeamten verübte, von dort verwiesen. Seitdem, da er aus des guten Prälaten Nähe verbannt war, ist er sein beständiger und unversöhnlicher Feind gewesen; und jetzt, zu meinem Bedauern muß ich es sagen, hat er seine Lenden gegürtet und den Arm gegen ihn erhoben.«

»Also haltet Ihr die Lage des würdigen Prälaten für gefährlich?« sagte Quentin mit Besorgniß.

»Ach, mein Sohn,« sagte der gute Franziskaner, »wer oder was lebt in diesem Jammerthal, den wir nicht als in Gefahr betrachten könnten? Aber der Himmel behüte, daß ich von dem hochwürdigen Prälaten reden sollte, als von einem, dessen Gefahr dringend ist. Er hat viel Geldmittel, treue Räthe und brave Soldaten; und überdieß berichtete ein Bote, der gestern hier vorbei gen Osten zog, daß der Herzog von Burgund, auf des Bischofs Ersuchen, diesem hundert Krieger zur Unterstützung gegeben habe. Diese Verstärkung, zusammengenommen mit dem Gefolge, welches zu jeder Lanze gehört, reicht hin, es mit Wilhelm von der Mark aufzunehmen, dessen Name verflucht sei! Amen.«

Bei diesem Punkte ward ihre Unterhaltung durch den Sakristan unterbrochen, der, mit einer vor Zorn fast unverständlichen Stimme, den Zigeuner beschuldigte, die abscheulichsten Künste der Betrügerei gegen die jüngern Brüder geübt zu haben. Er hatte beim Abendessen in ihre Becher heftig berauschende Ingredienzen gemischt, zehnfach so stark als der stärkste Wein, deren Wirkung verschiedene der Brüderschaft unterlegen waren, – und wirklich, obwohl der Sakristan stark genug gewesen war, ihren Einwirkungen zu widerstehen, so sahen sie doch an seinem erhitzten Gesicht und an seiner schweren Zunge, daß selbst er, der Ankläger, einigermaßen von diesem unheiligen Getränk angegriffen war. Ueberdieß hatte der Zigeuner auch Lieder voll weltlicher Eitelkeit und unreiner Lust gesungen; er hatte den Strick des heiligen Franz verspottet, Scherz mit seinen Wundern getrieben und seine Geweiheten Narren und müßige Schelme genannt. Endlich hatte er Wahrsagerei geübt, und hatte dem jungen Pater Cherubin prophezeit, er werde von einer schönen Dame geliebt, die ihn zum Vater eines hübschen Jungen machen werde.

Der Vater Prior hörte diese Klagen eine Zeitlang schweigend an, als wär' er von stummem Abscheu durch ihre ungeheure Schändlichkeit befallen. Als der Sakristan geendet hatte, stand er auf, ging in den Klosterhof hinab und befahl den Laienbrüdern, bei Strafe der ärgsten Folgen geistlichen Ungehorsams, mit ihren Besenstielen und Karrenpeitschen Hayraddin aus den heiligen Mauern zu prügeln.

Dies Urtheil war in Quentin Durward's Gegenwart vollzogen, der, wie ärgerlich ihm der Vorfall auch war, doch leicht einsah, seine Vermittlung würde nichts fruchten.

Die über den Verbrecher verhängte Strafe war, trotz der Ermahnungen des Subpriors, mehr spaßhaft als furchtbar. Der Zigeuner rannte hin und her über den Hof, unter dem Lärm der Stimmen und dem Geräusch der Hiebe, von denen ihn manche nicht trafen, weil man absichtlich fehlschlug; andere, die seiner Person gewissenhaft zugedacht waren, verspottete seine Behendigkeit; und die wenigen, die ihm auf Rücken und Schultern fielen, nahm er ohne Klage oder Erwiderung hin. Der Lärm oder Tumult ward um so größer, da die unerfahrnen Schläger, unter denen Hayraddin Spießruthen lief, einander häufiger, als ihn selber, schlugen; bis endlich der Prior, der eine Scene zu endigen wünschte, die mehr ärgerlich als erbaulich war, das Pförtchen zu öffnen befahl, wo denn der Zigeuner mit Blitzesschnelle hindurchfliegend, in dem Mondlichte entfloh.

Bei dieser Scene kehrte ein Argwohn, den Quentin schon früher unterhalten hatte, mit doppelter Kraft zurück. Hayraddin hatte ihm noch am letzten Morgen ein bescheideneres und artigeres Betragen versprochen, als er bisher zu zeigen gewohnt war, wenn sie in einem Kloster auf ihrer Reise rasteten; aber er hatte dieses Gelöbniß nicht gehalten, und hatte sich weit gröblicher als sonst aufgeführt. Dahinter stak jedenfalls etwas; denn, welche Fehler der Zigeuner auch haben mochte, so fehlte es ihm doch weder an Verstand, noch, wenn er wollte, an Selbstbeherrschung; und war es nicht wahrscheinlich, daß er entweder mit seiner Horde oder sonst Jemand Gemeinschaft zu haben wünschte, woran er des Tages durch die Wachsamkeit, mit der ihn Quentin beobachtete, abgehalten ward, und daß er daher zu dieser List seine Zuflucht nahm, um aus dem Kloster entschlüpfen zu können?

Kaum hatte sich dieser Argwohn in Durwards Sinne erhoben, als er regsam, wie er in allen Bewegungen war, beschloß, dem durchgeprügelten Wegweiser zu folgen, und (womöglich heimlich), zu beobachten, was derselbe beginne. Als daher der Zigeuner, wie schon gesagt, aus dem Thore des Klosters floh, folgte Quentin, nachdem er in der Eile dem Prior die Nothwendigkeit, seinen Wegweiser im Auge zu behalten, erklärt hatte, diesem nach.



 << zurück weiter >>