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Einleitung.

Es bedarf kaum der Bemerkung, daß alles Folgende erdichtet ist.

Und Einer, der Verlust gehabt. –

Viel Lärmen um Nichts.

Wenn der ehrliche Dogberry all' die Ansprüche zusammenrechnet und aufzählt, die er auf allgemeine Achtung hat, und die ihn, wie er meint, von der beleidigenden Benennung hätten ausnehmen sollen, die ihm von Master Gentleman Conrade gegeben ward, so ist es merkwürdig, daß er gar nicht so viel Nachdruck auf sein gefüttertes Kleid legt, (ein Gegenstand von einiger Wichtigkeit in einer gewissen ehemaligen Hauptstadt, so viel ich weiß,) oder auf den Umstand, daß er »ein so artig Stück Fleisch wie Irgendeiner in Messina sei«, oder selbst auf den entscheidenden Punkt, daß er »ein ziemlich reicher Bursch sei«, als vielmehr darauf, daß er ein Mann sei, der Verluste gehabt hat.

In der That hab' ich stets an Kindern des Glücks bemerkt, sei es nun, daß sie den vollen Glanz ihres Reichthums vor denen verbergen wollen, die das Schicksal stiefmütterlicher behandelt hat, oder daß sie glauben, sich in unglücklicher Zeit erhoben zu haben, sei so ehrenvoll für ihre Glücksumstände, als es für eine Festung ist, eine Belagerung ausgehalten zu haben – sei dem wie ihm wolle, ich habe bemerkt, daß solche Personen nie unterlassen, euch mit einer Herrechnung des Verlustes zu unterhalten, den sie durch die bösen Zeiten erlitten haben. Ihr werdet selten an einer wohlbesetzten Tafel speisen, ohne daß die Zwischenräume zwischen Champagner, Burgunder und Rheinwein, wenn euer Wirth ein Geldmann ist, mit dem Sinken der Interessen, der Schwierigkeit, die Kapitale unterzubringen, die nun müssig in seinen Händen liegen müssen; oder, wenn er ein Gutsbesitzer ist, mit schmerzlicher Aufzählung rückständiger oder verminderter Renten ausgefüllt werden. Das hat seine Wirkungen. Die Gäste seufzen und schütteln ihre Häupter im Einklange mit dem Wirth, schauen auf den silberbeladenen Nebentisch, schlürfen wiederholt die reichen Weine, die im schnellen Kreislauf ringsum fluthen, und denken an das ächte Wohlwollen, welches, obwohl beschränkt in seinen Mitteln, doch Alles, was es besitzt, der Gastfreundschaft opfert; oder, was noch schmeichelhafter ist, an den Reichthum, der, unvermindert durch Verluste, fortfährt, gleich dem unerschöpflichen Vorrathe des edeln Abulkasem, ohne Verarmung solche bedeutende Erschöpfungen auszuhalten.

Diese klagende Laune hat indeß ihre Grenzen, gleich dem auswendig gelernten Klageliede, das, wie alle kränklichen Personen wissen, eine höchst reizende Unterhaltung gewährt, so lange man sich über nichts weiter zu beklagen hat, als chronische Beschwerden. Aber ich hörte nie einen Mann, dessen Credit wirklich im Sinken begriffen war, von der Verminderung seiner Fonds plaudern; und mein freundlicher und verständiger Arzt versichert mich, es sei höchst selten, daß die, welche ein derbes Fieber oder eine ähnliche tüchtige Krankheit haben, welche

Mit tödtlicher Krisis deutlich zeige,
Ihr Leben gehe bald zur Neige,

ihre Schmerzen zum Gegenstande angenehmer Unterhaltung machen.

Nachdem ich alle diese Dinge reiflich überlegt habe, bin ich nicht länger im Stande, meinen Lesern zu verhehlen, daß ich weder so unpopulär, noch in so schlechten Glücksumständen bin, um nicht auch mein Theil an den Leiden zu haben, welche gegenwärtig die von Geldern und Ländereien Lebenden in diesen Königreichen drücken. Ihr Autoren, die ihr von Schöpsenfleisch lebt, mögt froh sein, daß das Pfund um drei Pence gefallen ist, und wenn ihr Kinder habt, mögt ihr euch gratuliren, daß das Metzenbrod für sechs Pence zu haben ist; aber wir, die wir zu dem Stamme gehören, der durch Frieden und Ueberfluß zu Grunde gerichtet wird, wir, die Aecker und Vieh besitzen und das verkaufen, was jene armen Aehrenleser einkaufen müssen: – wir werden zur Verzweiflung getrieben durch die nämlichen Ereignisse, deren wegen ganz Grubstreet seine Attiken erleuchten würde, wenn Grubstreet Lichtstümpfchen zu diesem Zwecke sparen könnte. Ich setze daher meinen Stolz darein, die Leiden zu theilen, welche allein die Reichen drücken, und unterschreibe mich mit Dogberry: »ein ziemlich reicher Bursch«, doch immer auch »einer, der Verluste gehabt hat«.

In dem nämlichen edelmüthigen Geiste des Wetteifers habe ich kürzlich mein Heil mit dem Universalmittel gegen den Geldmangel versucht, worüber ich zu klagen habe, nämlich mit einem kurzen Aufenthalt in einem südlichen Himmelsstrich, womit ich nicht nur so manche Ladung Kohlen erspart, sondern auch die Freude gehabt habe, allgemeines Mitleiden mit meinen heruntergekommenen Verhältnissen bei denjenigen zu erwecken, die, hätte ich meine Einnahme ununterbrochen bei ihnen verzehrt, sich eben nicht viel darum gekümmert haben würden, wenn ich auch aufgehangen worden wäre. Nun aber findet mein Brauer, während ich meinen vin ordinaire trinke, den Absatz seines dünnen Biers vermindert, – während ich meine Flasche zu cinq francs aussteche, hängt mein Portweinmaaß ganz still bei meinem Weinhändler, – während ich meine côtelette à la Maintenon vor mir auf der Schüssel dampfen sehe, hängt der gewaltige Schinken ruhig am Pflock im Laden meines blauschürzigen Freundes auf dem Dorfe. Mit einem Wort, man vermißt zu Hause, was ich hier verthue; und die Paar sous, die der garçon perruquier verdient, ja selbst die Brodrinde, die ich seinem kleinen glattgeschornen, rothäugigen Pudel gebe, sind autant perdu für meinen alten Freund, den Barbier, und für den ehrlichen Trusty, den Bullenbeißer im Hofe. Demnach hab' ich die Freude, überall zu gewahren, daß diejenigen meine Anwesenheit beklagen und vermissen, die mich ganz gleichgültig im Sarge würden liegen sehn, sobald sie nur bei meinen Erben ihre Rechnung fänden. Von dieser Anklage der Selbstsucht und Gleichgültigkeit nehme ich jedoch feierlich den Trusty aus, den Hofhund, dessen Freundlichkeit gegen mich, wie ich vollen Grund habe zu glauben, stets bei weitem uneigennütziger war, als die irgend eines andern, der mir beistand, die gütige Steuer des Publikums zu verzehren.

Doch ach! der Vortheil, solch allgemeines Mitgefühl zu Hause zu erwecken, kann nicht ohne bedeutende persönliche Unbequemlichkeiten erlangt werden. »Wenn du willst, ich soll weinen, so mußt du selber erst Thränen vergießen!« sagt Horaz; und wirklich muß ich mich oft selbst hart anklagen, daß ich die heimischen Bequemlichkeiten, die mir aus Gewohnheit zum Bedürfniß geworden waren, gegen Fremdes umtauschen konnte, was bloß Grille und Liebe zur Veränderung zur Mode gemacht hat. Mit Beschämung muß ich bekennen, daß mein an derbe Hauskost gewöhnter Magen sich nach den Fleischschnitten sehnt, die nach Dolly's Weise bereitet sind, heiß vom Roste weg, auswendig braun, aber schön roth, wenn sie das Messer theilt; und all' die Leckerbissen von Very's carte mit ihren tausenderlei verschiedenen Orthographien von Biffticks de mouton vermögen den Mangel nicht zu ersetzen. Dann kann auch meiner Mutter Sohn den dünnen Getränken gar keinen Geschmack abgewinnen, und ich glaube fest, daß heut' zu Tage, wo man das Malz beinah für nichts hat, ein doppelter straick von Barleycorn »das arme häusliche Geschöpf, Dünnbier«, in eine Flüssigkeit verwandelt haben muß, welche zwanzigmal das saure substanzlose Getränk übertreffen wird, welches hier mit dem ehrenvollen Namen Wein belegt ist, in der That aber seinem Gehalte und Wesen nach mit dem Seine-Wasser ganz übereinkommt. Allerdings sind die theuren Weine ziemlich gut; gegen den Château Margaux oder den Sillery hab' ich nichts; dabei denk' ich aber gleichwohl stets sehnsüchtig an die trefflichen Tugenden meines alten gesunden Portweins zurück. Ja, bis zum garçon und seinem Pudel herab, wiewohl beide recht ergötzliche Wesen sind, und tausend lustige, unterhaltende Späße treiben, lag dennoch weit mehr ächter Humor in den Augenwinken, womit unser alter Dorfzeitungsbote die Morgenneuigkeiten zu überbringen pflegte, als alle Gaukler in Antoine in einer Woche darlegen können, und eine weit humanere und hundeähnlichere Sympathie in Trusty's Schwanzwedeln, als wenn sein Nebenbuhler, Toutou, ein Jahr lang auf den Hinterbeinen stände.

Diese Zeichen der Reue kommen freilich ein wenig spät, und ich gestehe, (denn mit meinem werthen Freunde, dem Publikum, will ich ganz aufrichtig sein,) sie sind etwas beschleunigt worden durch die Bekehrung meiner Nichte Christy zu dem alten papistischen Glauben durch einen wachsamen Priester in der Nachbarschaft, so wie durch die Verheirathung meiner alten Tante Dorothee mit einem Reiterhauptmann auf halbem Sold, einem weiland Mitgliede der Ehrenlegion, der auch, wie er versichert, sicher bereits Feldmarschall geworden sein würde, hätte nur unser alter Freund Bonaparte fortgefahren zu leben und zu siegen. Was Christy betrifft, so gesteh' ich, ihr Kopf war durch die fünf Gesellschaften, denen sie in Edinburg häufig während einer Nacht beiwohnte, so sehr verdreht worden, daß ich, blieb mir auch gegen Mittel und Wege ihrer Bekehrung ein Bischen Mißtrauen, mich doch freute, daß sie an etwas Ernstes dachte; überdieß war der Schade dabei nicht groß, denn das Kloster übernahm sie aus meiner Hand gegen eine ganz erträgliche Pension. Aber sehr verschieden war die irdische Vermählung der Tante Dorothee von der himmlischen Christy's. Zum ersten gingen zweitausend zu 3 Procent jährlich für meine Familie so schnell verloren, als wenn man sie mit einem Schwamme von einer Tafel weglöschte; denn wer zum Teufel hätte denken können, daß Tante Dorothee noch heirathen würde? Wer hätte überhaupt glauben sollen, daß ein Weib mit fünfzigjähriger Erfahrung ein französisches Skelett heirathen würde, dessen untere Glieder mit den obern in einer derartigen Verbindung standen, als ob ein Paar halb ausgedehnte Zirkel so übereinander gestellt worden wären, daß die Stelle, wo sie zusammenhingen, kaum hinreichte, um den Leib zu repräsentiren? Alles übrige war Schnurrbart, Pelz und Calicohose. Sie hätte mit demselben Vermögen, welches sie dieser militärischen Vogelscheuche anheimgab, einen Pulk wirklicher Kosacken vom Jahr 1815 commandiren können. Es ließ sich jedoch nichts weiter zu der Sache sagen, besonders da sie zuletzt Rousseau zu ihrer Vertheidigung anführte – und so mag das denn auf sich beruhen.

Nachdem ich so meine Galle gegen ein Land ausgeschüttet habe, welches dem ungeachtet ein recht angenehmes Land ist, und das ich nicht tadeln kann, weil ich es aufsuchte, und nicht von ihm gesucht ward, so gehe ich nun über auf den unmittelbaren Zweck dieser Einleitung, und rechne ich, theures Publikum, nicht zu viel auf die Dauer deiner Gunst, (wie wohl, in Wahrheit, von denjenigen, die um deine Gunst buhlen, Beständigkeit und Gleichmäßigkeit des Geschmacks wenige schätzen,) so erstreckt sie sich vielleicht doch so weit, mir für den Nachtheil und Verlust Entschädigung zu gewähren, den ich dadurch erlitt, daß ich Tante Dorotheen in das Land der dicken Waden, der dünnen Knöchel, der schwarzen Schnurrbärte, der körperlosen Glieder, (denn ich kann versichern, der Bursch ist, wie mein Freund, Lord L –, sagt, eine vollkommene Elster, bloß Flügel und Bein), und der zarten Gefühle ziehen sah. Hätte sie einen tollen Hochländer von der halben Soldliste, oder einen melancholischen Sohn von Erin erkoren, so würde ich der Sache gar nicht gedacht haben; aber wie es sich nun gestaltete, war es kaum möglich, über ein solches Plündern ihrer rechtmäßigen Erben und Testamentsvollstrecker nicht einige Empfindlichkeit blicken zu lassen. Doch, »sei still, mein finstrer Geist!« und laß uns unser theures Publikum zu einem für uns angenehmeren und für andere unterhaltenderen Thema führen.

Indem ich, wie oben erwähnt, mein saures Gläschen trank und meine Cigarre rauchte, worin ich kein Neuling bin, so trank und rauchte ich mich, wie mein Publikum wissen muß, allmälig in eine gewisse Bekanntschaft mit einem homme comme il faut hinein, einem jener wenigen schönen alten Exemplare des Adels, die sich noch immer in Frankreich finden; die, gleich verstümmelten Statuen einer veralteten, längst verschwundenen Religionsweise, doch immer eine gewisse Verehrung und Achtung auch noch bei denjenigen erregen, die sonst weder das Eine noch das Andere freiwillig zu leisten gewohnt sind.

Während ich das Kaffeehaus des Dorfes besuchte, fiel mir zuerst die besondere Würde und Gravität im Benehmen dieses Herrn auf, seine Anhänglichkeit an Schuhe und Strümpfe, indeß er Halbstiefeln und Pantalons verachtete; sodann das croix de St. Louis im Knopfloche, und eine kleine weiße Kokarde an der Agraffe seines altmodischen Hutes. Etwas höchst Interessantes lag in seiner Erscheinung; seine ernste Haltung mitten unter der lebhaften lustigen Gruppe ringsum glich dem Schatten eines Baumes in sonniger Landschaft, um so anziehender, je seltener. Ich kam so schnell in seiner nähern Bekanntschaft vorwärts, als es die Umstände des Ortes und die Landessitte gestatteten, d. h. ich rückte näher an ihn heran, rauchte meine Cigarre in ruhigen und ununterbrochenen Zügen, welche kaum sichtbar waren, und richtete die wenigen Fragen an ihn, die eine gute Erziehung aller Orten, vorzüglich aber in Frankreich, dem Fremden gestattet, ohne daß er deßhalb fürchten muß, für zudringlich gehalten zu werden. Der Marquis von Hautlieu, denn dies war sein Rang, war so kurz und sententiös, als die französische Höflichkeit erlaubte, er beantwortete jede Frage, ohne selbst eine neue zu thun, und ermunterte nicht zu weiterem Nachforschen.

Die Ursache hievon war, daß der Marquis, der überhaupt schon nicht sehr zugänglich für Fremde irgend eines Volks, selbst nicht für Unbekannte seiner eigenen Nation war, eine besondere Scheu gegen Engländer blicken ließ. Ein Rest von altem Nationalvorurtheil mochte der Grund dieser Gesinnung sein, oder sie entsprang vielleicht auch aus dem Gedanken, daß die Engländer ein hochmüthiges, geldstolzes Volk seien, welchem Rang, verbunden mit beschränkten Vermögensumständen, nur ein Gegenstand der Verachtung oder des Mitleids sein könnte; oder wenn er endlich vielleicht an gewisse neue Ereignisse dachte, so mochte er sich auch wohl durch das nämliche Glück gekränkt fühlen, welches seinem Herrn den Thron und ihm selbst ein verringertes Eigenthum und ein zerstörtes château wiedergegeben hatte. Sein Mißbehagen zeigte sich jedoch nie auf thätlichere Weise, als durch die Entfernung aus englischer Gesellschaft. Nahmen die Angelegenheiten eines Fremden seinen Einfluß zu ihrem Besten in Anspruch, so bewilligte er die Verwendung desselben immer mit der Höflichkeit eines französischen Edelmanns, der da weiß, was er sich selbst und der nationalen Gastfreundschaft schuldig ist.

Endlich machte der Marquis zufällig die Entdeckung, daß der neue Gast an seinem gewohnten Orte ein Schotte von Geburt sei, ein Umstand, der bedeutend zu meinen Gunsten sprach. Verschiedene seiner eigenen Vorfahren waren, wie er mich belehrte, schottischer Abkunft gewesen, und er glaubte, sein Haus habe noch einige Verwandte in der Provinz Hanguisse jenes Landes, wie er sie zu nennen pflegte. Die Verwandtschaft war schon früh im letzten Jahrhunderte von beiden Seiten anerkannt worden, und er war während seiner Verbannung (denn vermuthlich hatte der Marquis unter Condé's Truppen gedient, und alles Mißgeschick und Elend der Auswanderung getheilt) einmal beinah entschlossen gewesen, den Schutz und die Bekanntschaft seiner schottischen Freunde in Anspruch zu nehmen. Alles erwogen jedoch, sagte er, hab' er sich ihnen unmöglich in Umständen zeigen können, die gar nicht empfehlend waren, und von denen sie sich eine kleine Bürde, ja wohl gar einigen Schaden hätten vermuthen müssen; deßhalb habe ihm das Beste geschienen, der Vorsehung zu vertrauen, und so viel möglich selbst für sein Fortkommen zu sorgen. Worin dieß eigentlich bestand, konnt' ich nicht erfahren; doch sicher war es nichts, was der Ehre des trefflichen alten Mannes hätte nachtheilig sein können, der fest an seinen Meinungen und seiner Rechtlichkeit hielt, trotz gutem oder schlechtem Rufe, bis ihn endlich die Zeit arm, alt und gebrochenen Muthes dem Lande wiedergab, das er jugendfrisch und gesund verlassen hatte, während er nun altersschwach war, und die Stimmung des Hasses vergessen hatte, der einst schnelle Rache an denen versprach, die ihn vertrieben hatten. Manche Punkte im Charakter des Marquis würde ich belacht haben, seine Vorurtheile, besonders was Geburt und Politik betraf, wofern ich ihn unter glücklichern Verhältnissen kennen gelernt hätte; in der Lage jedoch, worin er sich jetzt befand, würde Jedermann, und wären seine Vorurtheile, die wenigstens nicht unedlen, eigennützigen Ursprungs waren, auch nicht eben gut und ehrenhaft gewesen, ihn grade so haben achten müssen, wie wir den Bekenner oder Märtyrer einer Religion achten, obwohl sie nicht ganz die unsere ist.

Allmählig wurden wir gute Freunde, tranken unsern Kaffee, rauchten unsre Cigarren, und nahmen unsern bavaroise zusammen ein, und zwar sechs Wochen lang, ohne besondere Unterbrechung oder Abhaltung von beiden Seiten. Nachdem ich mit einiger Schwierigkeit den Schlüssel zu seinen Nachforschungen in Bezug auf Schottland durch die glückliche Conjectur erhalten hatte, daß die Provinz Hanguisse nichts anders sein möge, als unser Angusshire, so war ich im Stande, fast all' seine Fragen in Hinsicht seiner dortigen Verwandten auf mehr oder weniger genügende Weise zu beantworten, und ich war höchlich erstaunt, als ich entdeckte, der Marquis sei in der Genealogie einiger der vorzüglichsten Familien des Landes weit besser zu Hause, als ich es möglicherweise hätte erwarten können.

Seinerseits fand er sich so befriedigt durch unsere Unterhaltung, daß er sich endlich zu dem großen Entschlusse erhob, mich zum Essen nach Château de Hautlieu einzuladen, welches diesen Namen ganz mit Recht führte, da es auf einer der Anhöhen lag, welche die Ufer der Loire beherrschen. Dieses Gebäude lag etwa drei Meilen von der Stadt, wo ich mich einstweilen häuslich eingerichtet hatte, und als ich es zum ersten Male erblickte, konnte ich das Gefühl der Kränkung leicht vergeben, welches der Eigenthümer blicken ließ, als er in dem Asyl einen Gast empfangen mußte, welches er aus den Trümmern des Palastes seiner Ahnen erbaut hatte. Nach und nach jedoch bereitete er mich mit großer Heiterkeit, die indeß offenbar ein tieferes Gefühl verhüllte, auf die Beschaffenheit des Ortes vor, den ich zu besuchen jetzt im Begriff stand, und dazu hatte er auch genug Zeit und Gelegenheit, da er mich in seinem kleinen Cabriolet, von einem starken, schwerfälligen normännischen Hengst gezogen, nach dem alten Gebäude hinfuhr.

Die Reste desselben liefen entlang einer schönen Terrasse, die sich über die Loire erhob, und früher mit Treppen versehen gewesen war, reich verziert mit Statuen, in Felsen gearbeiteten Ornamenten und dergleichen künstlichen Verschönerungen, die sich stufenweise bis hinab an das Ufer des Flusses gezogen hatten. Diese ganze architektonische Verzierung, verbunden mit reichen Blumenparterren und fremdländischen Gesträuchen, hatte schon seit manchem Jahre den nutzbarern Arbeiten des Winzers Platz machen müssen; jene Reste aber, zu fest, um leicht zerstört zu werden, waren noch sichtbar, und lieferten, sammt den manchfachen kunstvollen Gestaltungen des Ufers, den vollkommenen Beweis, wie trefflich hier die Kunst zur Verschönerung der Natur angewendet worden war.

Wenige dieser Partien sind noch jetzt im vollkommenen Zustande; denn die Wandelbarkeit der Mode hat in England die gänzliche Umwandlung vollendet, welche Zerstörungssucht und Volkswuth in den französischen Lustgärten erzeugte. Was mich anlangt, bin ich sehr geneigt, die Meinung eines der besten Richter S. Price's »Abhandlung vom Malerischen«, an vielen Stellen; gern theilte ich hier die schöne, dichterische Schilderung mit, die er von seinen eigenen Gefühlen gibt, als auf Befehl eines Verschönerers ein alter Garten mit seinen Buchsbaumhecken, verzierten Eisengittern und seiner einsamen Wildniß zerstört werden mußte. unserer Zeit zu unterschreiben, welcher glaubt, wir haben unsern Geschmack für das Einfache übertrieben, und es erfordere die Nähe eines stattlichen Wohnhauses einige reichere Verzierungen, als die magern Gras- und Rasenplätze gewähren können. Eine höchst romantische Lage kann vielleicht gerade durch den Versuch, dergleichen architektonische Verzierungen anzuwenden, verdorben werden: aber bei weitem die größere Anzahl der Oertlichkeiten ist von der Art, daß die Anwendung von mehr architektonischen Zierrathen, als jetzt gewöhnlich sind, von nöthen scheint, um die nackte Zahmheit eines großen Hauses auszugleichen, welches mitten in eine Ebene hingestellt ist, wo es, ringsum ohne alle Verbindung, nicht anders aussieht, als ob es aus der Stadt spazieren gegangen wäre.

Wie der Geschmack so plötzlich und entschieden wechseln konnte, ist freilich ein anderer Umstand, wofern wir ihn nicht nach derselben Weise erklären wollen, nach welcher die drei Freunde des Vaters in Molière's Lustspiel eine Kur für die Melancholie seiner Tochter vorschlagen, – daß er nämlich das Zimmer derselben schmücken solle mit Gemälden, oder mit Tapeten, oder mit Porzellan, je nach den verschiedenen Dingen, womit jeder dieser Freunde Handel trieb. Verfolgen wir diesen Weg, so werden wir vielleicht entdecken, daß vor Alters der Baukünstler auch die Gärten und Lustanlagen in der Nachbarschaft des Hauses anzulegen hatte; und daß er, natürlich genug, hier seine eigene Kunst in Statuen und Vasen, in gepflasterten Terrassen und freien Treppen mit verzierten Balustraden entfaltete; während der Gärtner, dem Range nach tiefer stehend, das Pflanzenreich mit dem herrschenden Geschmacke in Einklang zu bringen suchte, und seine immergrünen Sträucher zu blühenden Wänden, Thürmen und dergleichen, verschnitt, so wie die einzelnen Bäume zur Form von Statuen. Aber seitdem ist es umgekehrt geworden, so daß der Landschaftsgärtner, wie man ihn nennt, mit dem Architekten fast auf gleicher Stufe steht; und daher wird nun auch ein ziemlich liberaler Gebrauch von Spaten und Spitzhacke gemacht, und man verwandelt die prahlerischen Arbeiten des Architekten in eine ferme ornée, so wenig verschieden von der Einfachheit der Natur, die sich in der umgebenden Landschaft zeigt, als es die Bequemlichkeit geeigneter und reinlicher Spaziergänge, die es in der Nähe der Wohnung eines Gentleman durchaus geben muß, möglicherweise mit sich bringt.

Um von dieser Abschweifung zurückzukehren, welche dem Cabriolet des Marquis (seine Beweglichkeit wurde beträchtlich gehemmt durch die niederwärts drückende Wucht von Jean Roast-Beef, die das normännische Pferd vermuthlich eben so herzlich verwünschte, wie seine Landsleute vor Alters die stumpfsinnige Fettigkeit eines sächsischen Sklaven verfluchen mochten) Zeit gab, auf einem gekrümmten Fahrwege, der jetzt sehr im Verfall war, den Hügel hinan zu steigen, so bekam man nun eine lange Reihe dachloser Gebäude zu Gesichte, in Verbindung stehend mit dem westlichen Ende des Schlosses, welches gänzlich verfallen war. »Ich sollte,« sagte er, »vor Ihnen, als einem Engländer, wohl den Geschmack meiner Vorfahren entschuldigen, die diese Reihe von Ställen mit der Architektur des Schlosses in Verbindung gesetzt haben. Ich weiß, in Ihrem Vaterlande ist es üblich, diese etwas entfernt zu halten; aber meine Vorfahren besaßen eine erbliche Vorliebe für die Pferde, und besuchten sie gern häufiger, als passend gewesen wäre, wenn sie sich in größerer Entfernung befunden hätten. Vor der Revolution hatte ich dreißig schöne Pferde in dieser ruinirten Reihe von Gebäuden.«

Diese Erinnerung an die entschwundene Herrlichkeit entschlüpfte ihm nur zufällig, denn er war im Allgemeinen sparsam mit Anspielungen auf den frühern Reichthum. Es war schnell gesagt, ohne weder nach einer auf einstigen Wohlstand gelegten Bedeutsamkeit zu streben, noch um Mitleid mit dem Wegfall desselben zu verlangen. Indeß erweckte sie doch unangenehme Betrachtungen, und wir schwiegen beide, bis aus einer theilweis reparirten Ecke der ehemaligen Pförtnerwohnung eine lebhafte französische paysanne, mit Augen schwarz wie Agat, und glänzend wie Diamant, mit einem Lächeln hervortrat, welches eine Reihe von Zähnen zeigte, die Herzoginnen beneidet haben würden, und die Zügel des kleinen Fuhrwerks ergriff.

»Madelon muß heute den Bedienten vorstellen,« sagte der Marquis, nachdem er die tiefe Verbeugung, die Jene Monsieur gemacht, durch ein gnädiges Nicken erwidert hatte, – »denn ihr Mann ist zu Markte gegangen, und was La Jeunesse betrifft, so ist der durch seine verschiedenen Beschäftigungen in Anspruch genommen; Madelon,« fuhr er fort, als wir unter den Bogen des Eingangs traten, mit den verstümmelten Wappen der frühern Besitzer gekrönt, die jetzt durch Moos und Grashalme halb unkenntlich geworden, der verhüllenden Zweige von mancherlei Buschwerk nicht zu gedenken, – »Madelon,« fuhr er fort, »war meines Weibes Pflegetochter, und ward zum Kammermädchen meiner Tochter erzogen.«

Dieser beiläufige Wink, daß er Wittwer und kinderloser Vater sei, erhöhte meine Achtung gegen den unglücklichen Edelmann, dem jeder mit seiner gegenwärtigen Lage zusammenhängende Umstand ohne Zweifel seinen eigenen Antheil von Nahrung für seine melancholischen Betrachtungen lieh. Nach einer augenblicklichen Pause fuhr er in etwas heitererm Tone fort: »Sie werden sich an meinem armen La Jeunesse ergötzen,« sagte er, »der, beiläufig bemerkt, zehn Jahre älter ist als ich« (der Marquis ist über sechzig), »er erinnert mich an den Schauspieler in dem roman comique, der ein ganzes Stück mit seiner eigenen Person spielte – er beharrt dabei, maître d'hôtel, maître de cuisine, valet-de-chambre zu sein, eine ganze Suite von Bedienten in seiner eigenen armen Person. Oft erinnert er mich auch an einen Charakter in the Bridle of Lammermore, was Sie gelesen haben müssen, da es das Werk eines von Ihren gens de lettres ist, qu'on apelle, je crois, le Chevalier Scott.«

»Sie meinen wahrscheinlich Sir Walter?«

»Ja, denselben, denselben!« antwortete der Marquis.

Wir waren nun von den schmerzlichem Erinnerungen abgelenkt; denn ich vermochte meinen französischen Freund bei zwei besondern Umständen festzuhalten. Mit dem ersten hatte ich keine Schwierigkeit, denn obwohl dem Marquis das Englische nicht gefiel, meinte er doch, weil er drei Monate in London gewesen war, die verwickeltsten Schwierigkeiten unserer Sprache zu verstehen, und berief sich auf jedes Wörterbuch, von Florio abwärts, indem er behauptete, Bride sei einerlei mit Bridle. Ja er war in diesem philologischen Streitpunkte so schwer zu überzeugen, daß, als ich versuchte ihm anzudeuten, es komme in der ganzen Geschichte nichts von einem Zaume vor, er mit großer Fassung, und ohne Ahnung mit wem er spreche, die ganze Schuld dieses Widerspruchs auf den unglücklichen Verfasser wälzte. Ich gab mir nun wirklich Mühe, meinem Freunde, aus Gründen, die Niemand so gut wissen konnte, als ich selber, zu sagen, daß mein ausgezeichneter literarischer Landsmann, von dem ich stets mit der Achtung sprechen werde, die seine Talente verdienen, nicht für die unbedeutenden Werke verantwortlich sein könnte, die ihm die Laune des Publikums allzu großmüthig, und ebenso zu rasch, zugeschrieben habe. Von dem Antriebe des Augenblicks hingerissen, hätte ich leicht noch weiter gehen können, indem ich die negative durch die positive Versicherung bekräftigt, und meinem Wirthe gestanden hätte, daß möglicherweise Niemand anders diese Werke geschrieben haben könne, da ich selber der Verfasser sei; aber da ward ich von einer so voreiligen Selbstverurtheilung durch die ruhige Entgegnung des Marquis befreit, daß er froh sei, zu hören, diese unbedeutenden Tändeleien habe keine Person von Stande geschrieben. »Wir lesen sie,« sagte er, »wie wir die Späße eines Komödianten anhören, oder wie sich unsere Vorfahren an denen eines Hausnarren von Profession ergötzten, mit ziemlichem Vergnügen, die uns indeß schmerzlich berühren würden, wenn wir sie aus dem Munde einer Person vernehmen müßten, die bessere Ansprüche auf unsere Gesellschaft hat.«

Durch diese Erklärung hatte ich meine natürliche Behutsamkeit vollkommen wieder erlangt; und ich wurde nun so besorgt, mich selbst zu verrathen, daß ich nicht einmal wagte, meinem aristokratischen Freunde zu erklären, daß der Gentleman, den er genannt hatte, seine Berühmtheit, so viel mir bekannt, gerade denjenigen von seinen Werken zu danken habe, die sich, ohne Ungerechtigkeit, mit gereimten Romanen vergleichen lassen.

Genau genommen hatte der Marquis unter andern Vorurtheilen, auf die ich bereits hindeutete, auch einen mit Verachtung gemischten Abscheu vor jeder Art von Autorschaft, die nicht zum mindesten einen Folioband über Jurisprudenz oder Gottesgelahrtheit aufzuweisen hatte, und er blickte auf den Verfasser eines Romans, einer Novelle, eines fliegenden Gedichts oder einer Kritik in einer periodischen Schrift ebenso, wie die Menschen ein giftiges Gewürm betrachten, nämlich zugleich mit Furcht und Ekel. Der Mißbrauch der Presse, behauptete er, vorzüglich in ihren leichtern Gebieten, habe die Moralität ganz Europa's vergiftet, und gewinne allmählig nochmals einen Einfluß, der durch die Stimme des Kriegs zum Schweigen gebracht worden sei. Alle Schriftsteller, mit Ausnahme derer von dem größten und gewichtigsten Kaliber, hielt er für ergeben dieser schlechten Sache, von Rousseau und Voltaire herab bis zu Pigault le Brun und dem Verfasser schottischer Romane; und wiewohl er zugab, er lese sie pour passer le temps, so verabscheute er doch, gleich dem Knoblauch essenden Pistol, die Tendenz des Werkes, womit er beschäftigt war, ebensosehr, als er dessen Geschichte verschlang.

Indem ich diese Eigenheit bemerkte, unterdrückte ich das offene Bekenntniß, welches meine Eitelkeit im Sinne hatte, und veranlaßte den Marquis, mir noch Mehreres über das Haus seiner Vorfahren mitzutheilen. »Hier,« sagte er, »war das Theater, wo mein Vater auf besondern Befehl, den er sich verschaffte, einige der Hauptpersonen der Comédie Françoise spielen ließ, als der König und Madame Pompadour ihn mehrmals an diesem Orte besuchten; – dort mehr nach der Mitte, war die Baronshalle, wo seine Lehensgerichtsbarkeit geübt wurde, wenn Verbrecher von Seigneur oder dessen Amtmann gerichtet werden sollten; denn wir hatten, wie unsre alten schottischen Edelleute, das Recht des Galgens und Rades, oder fossa cum furca, wie es die Rechtsgelehrten nennen; – unter derselben befindet sich die Marterkammer, oder das Gemach für die Tortur; und allerdings ist es traurig, daß ein so leicht gemißbrauchtes Recht in die Hände irgend eines lebenden Wesens niedergelegt sein konnte. Doch,« setzte er mit einem Gefühl von Würde hinzu, gegründet eben auf die Grausamkeiten, die seine Vorfahren unter den vergitterten Fenstern verübt hatten, auf die er deutete, »so groß ist die Wirkung des Aberglaubens, daß die Bauern sich bis auf diesen Tag den Kerkern nicht zu nähern wagen, wo, wie es heißt, der Zorn meiner Vorfahren in früherer Zeit so viel Grausamkeit beging.«

Als wir uns den Fenstern näherten, (denn ich bezeigte einige Neugierde, diesen Aufenthalt des Schreckens zu betrachten,) so erhob sich aus dem unterirdischen Abgrund ein gellendes Gelächter, welches, wie wir bald entdeckten, von einer Gruppe spielender Kinder herrührte, welche die vernachlässigten Gewölbe zum Schauplatz eines fröhlichen Spiels, Colin-Maillard, gemacht hatten.

Der Marquis war etwas verstimmt, und nahm seine Zuflucht zu seiner Tabatière; doch, im Augenblick sich fassend, bemerkte er, dies wären Madelons Kinder, die schon vertraut mit den Schrecken der unterirdischen Höhle geworden. »Ueberdies,« fügte er hinzu, »sind diese armen Kinder nach der Periode der vermeinlichen Aufklärung geboren, die unsern Aberglauben mit unserer Religion auf einmal verjagte; dies nöthigt mich, Sie zu erinnern, daß heute ein jour maigre ist. Der Pfarrer des Kirchspiels ist außer Ihnen mein einziger Gast, und ich möchte nicht freiwillig seine Meinungen beleidigen. Ueberdies,« fuhr er männlicher und seine Zurückhaltung von sich schüttelnd, fort, »haben mich Widerwärtigkeiten andere Gedanken über diese Dinge gelehrt, als sie mich das Glück lehrte; und ich danke Gott, daß ich mich nicht schäme, zu gestehen, daß ich die Gebräuche meiner Kirche befolge.«

Ich erwiderte schnell, daß, obwohl sie sich von denen meiner eigenen unterscheiden dürften, ich doch jede mögliche Achtung für die Vorschriften jeder christlichen Gemeinde hege, in dem Gedanken, daß wir uns Alle doch an denselben Gott, nach demselben großen Grundsatze der Erlösung, wenn auch unter verschiedenen Formen, wendeten; und hätte es dem Allmächtigen nicht gefallen, diese Verschiedenheit der Verehrung zu gestatten, so würden uns unsre Gebräuche eben so bestimmt vorgeschrieben worden sein, wie sie im mosaischen Gesetz niedergelegt sind.

Der Marquis war kein Händeschüttler, aber bei dieser Gelegenheit ergriff er die meine und schüttelte sie freundlich – die einzige Art, seine Beipflichtung meiner Meinung auszudrücken, die ein eifriger Katholik bei solcher Gelegenheit sich vielleicht erlauben konnte oder durfte.

Dieser Umstand der Erklärung und Bemerkung, nebst noch andern, welche der Anblick der weiten Ruinen erregte, beschäftigte uns, während wir zwei- oder dreimal auf der langen Terrasse hin- und hergingen, und etwa eine Viertelstunde in dem gewölbten und steinernen Pavillon weilten, der mit dem Wappen des Marquis geziert war, und dessen Dach, obwohl hier und da an seiner Wölbung schadhaft, doch noch fest und dauerhaft war. »Hier,« sagte er, indem er wieder den Ton eines frühern Theils seiner Unterhaltung aufnahm, »hier sitz' ich gern, sowohl des Mittags, wenn ich Schutz vor der Hitze will, als auch des Abends, wenn die Sonnenstrahlen auf der breiten Fläche der Loire verschwimmen – hier raste ich gern, nach den Worten Ihres großen Dichters, mit dem ich, obwohl Franzose, vielleicht vertrauter bekannt bin, als die meisten Engländer, hier raste ich gern,

Showing the code of sweet and bitter fancy.«

Gegen diese abweichende Leseart einer wohlbekannten Stelle Shakespeare's hütete ich mich zu protestiren; denn ich vermuthete, Shakespeare würde in der Meinung eines so feinen Beurtheilers, wie der Marquis, wenig gewonnen haben, wenn ich gezeigt hätte, daß er nach allen Autoritäten geschrieben habe, » chewing the cud« (»die Hülse käuend«, statt des obigen, »das Buch aufschlagend süßen und bittern Träumens«). Ueberdieß hatte ich genug an unserm frühern Streite gehabt, da ich längst überzeugt bin, (aber erst zehn Jahre, nachdem ich die Edinburgher Universität verlassen hatte,) daß das Höchste der Unterhaltung nicht darauf beruht, unsre eigne bessere Kenntniß in unbedeutenden Dingen zu zeigen, sondern darauf, daß wir das Unsere erweitern, verbessern und berichtigen durch die Autorität der Andern. Ich ließ daher den Marquis nach Belieben sein »Buch aufschlagen«, und ward dadurch belohnt, daß er sich in eine gelehrte und gründliche Untersuchung über den prächtigen Styl der Architektur einließ, der während des siebzehnten Jahrhunderts in Frankreich eingeführt wurde. Mit vielem Geschmack deutete er die Vorzüge und Mängel desselben an; und als er auf Punkte kam, denen ähnlich, über die ich mich früher verbreitete, berief er sich zu ihren Gunsten auf etwas ganz Verschiedenes, welches freilich durch den Gedanken ganz damit zusammenhing. »Wer,« sagte er, »würde gern die Terrassen von Sully's Schloß zerstören, da wir sie nicht betreten können, ohne daß uns das Bild dieses Staatsmanns vor die Seele tritt, der gleich ausgezeichnet war durch strenge Rechtlichkeit, wie durch unfehlbaren Scharfblick des Geistes? Wären sie um einen Zoll schmäler, oder um eines Tones Gewicht weniger massiv, oder wären sie nur im geringsten in ihrer Form verändert, könnten sie uns dann noch die Scene seiner patriotischen Betrachtungen sein? Würde ein ganz ordinäres Lusthaus ein passender Ort für den Herzog sein, wie er in seinem Lehnstuhle sitzt, und seine Gemahlin auf einem Tabouret – von dort aus Lehren des Muthes und der Treue ihren Söhnen, der Bescheidenheit und Demuth ihren Töchtern, und beiden der strengsten Sittlichkeit ertheilend, – während der Kreis des jungen Adels aufmerksam zuhörte, die Augen fest an den Boden geheftet, stehend, weder antwortend noch sich setzend, ohne den ausdrücklichen Befehl ihres Fürsten und Obern? – Nein, mein Herr,« sagte er mit Begeisterung; »zerstören Sie den Pavillon, worin diese erbauliche Familienscene vorging, und Sie nehmen dem Betrachtenden die Wahrscheinlichkeit, die Glaubwürdigkeit der ganzen Vorstellung. Oder können Sie sich diesen ausgezeichneten Pair und Patrioten in einem englischen Garten wandelnd vorstellen? Ei, eben so gut könnten Sie ihn sich in einem blauen Frack und weißer Weste denken, statt seines Henry-quatre-Kleides und seines chapeau à plumes: – bedenken Sie, wie er sich könnte bewegt haben, in dem gekrümmten Labyrinth einer ferme ornée, wie Sie sie nannten, mit seinem gewöhnlichen Gefolge von zwei Reihen Schweizergarde, die ihm voranschritten und in gleicher Anzahl folgten. Wollen Sie sich seine Gestalt vorstellen, mit seinem Barte – haut-de-chausses à canon, mit dem Ueberrocke mit zehntausend aiguillettes und Schleifen, Sie werden es nicht können, wenn Sie ihn in einen englischen Garten denken, ohne daß Ihnen dann das Bild in Ihrer Phantasie als das eines alten verrückten Mannes erschiene, den die Grille befallen hat, sich wie ein Ur-urgroßvater zu kleiden, und den eine Abtheilung Gensdarmen nach dem Hôpital de Fous führt. Aber betrachten Sie die lange und prächtige Terrasse, wenn sie noch vorhanden ist, die der redliche und exaltirte Sully gewöhnlich zweimal des Tags zum Schauplatz eines einsamen Spazierganges zu machen gewohnt war, während er die patriotischen Pläne erwog, die er zur Erhöhung von Frankreichs Ruhme nährte, oder in der spätern und sorgenvollern Zeit seines Lebens, wie er über dem Andenken an seinen ermordeten Herrn brütete, und über dem Schicksal seines zerrütteten Vaterlandes; denken Sie dazu den Hintergrund von Arkaden, Vasen, Statuen, Urnen, und was immer die Nähe eines herzoglichen Palastes andeuten kann, und die Landschaft bekommt auf einmal innern Einklang. Die factionnaires mit ihren Arkebussen, an den Enden des langen und ebenen Ganges stehend, zeigen die Gegenwart des Lehensfürsten an; noch deutlicher wird dieser indeß angezeigt durch die Ehrengarde, die ihm Vortritt und nachfolgt, die Hellebarden aufrecht haltend, die Mienen ernst und kriegerisch, als ständen sie einem Feind gegenüber, doch von demselben Geiste, wie ihr fürstlicher Gebieter, beseelt, – genau ihren Schritt nach dem seinigen messend, gehend, wenn er geht, haltend, wenn er hält, und ihren Gang auch nach den kleinsten Unregelmäßigkeiten des Stillstehens und Vorwärtsgehens, wie es seine Gedankenbewegung mit sich brachte, bequemend, und sich mit militärischer Präcision vor und hinter ihm schwenkend, der als Mittelpunkt und belebendes Princip ihrer bewaffneten Reihen erschien, wie das Herz dem menschlichen Körper Leben und Kraft gibt. Oder, wenn Sie lächeln,« fügte der Marquis hinzu, indem er zweifelnd meine Miene beobachtete, »wenn Sie zu einer Promenade lächeln, die mit der leichten Freiheit moderner Sitten so wenig überein stimmt, könnten Sie wohl die andere Terrasse zerstören, welche so oft von der bezaubernden Marquise von Sévigné betreten ward, woran sich so viele Erinnerungen knüpfen, die mit Stellen in ihren reizenden Briefen zusammenhängen?«

Ziemlich ermüdet von dieser Abhandlung, wobei der Marquis gewiß deßhalb so lange weilte, um die Naturschönheiten seiner eigenen Terrasse zu erheben, die, obgleich sie so verfallen war, doch keiner so förmlichen Empfehlung bedurfte, berichtete ich meinem Begleiter, daß ich von England eben das Tagebuch einer Reise nach dem südlichen Frankreich, unternommen von einem jungen Freunde aus Oxford, einem Dichter, Zeichner und Gelehrten, erhalten hätte, worin er eine so lebendige und interessante Beschreibung des Schlosses Grignan, des Aufenthalts der beliebten Tochter der Madame Sévigné und häufig auch ihres eigenen Wohnorts, gebe, daß sich wohl Niemand, der das Buch gelesen, vierzig Meilen in der Runde befinden werde, ohne eine Wallfahrt nach diesem Orte zu unternehmen. Der Marquis lächelte, schien sehr erfreut, und fragte endlich nach dem Titel des fraglichen Werkes; dann schrieb er den Titel, wie ich dictirte, auf: » An Itinerary of Provence and the Rhone, made during the year 1819; by John Hughes, A. M., of Oriel College, Oxford,« – und bemerkte, er könne jetzt keine Bücher für das Schloß kaufen, wolle aber diese »Reise« der Bibliothek empfehlen, bei welcher er in der benachbarten Stadt abonnirt war. »Und hier,« sagte er, »kommt ja der Pfarrer, um uns von weitern Abhandlungen zu erlösen; auch sehe ich den La Jeunesse um den alten Säulengang schleichen, in der Absicht, die Tafelglocke zu läuten – eine sehr unnöthige Ceremonie bei drei Personen, deren Vergessen aber des alten Mannes Herz brechen würde. Nehmen Sie jetzt keine Notiz von ihm, da er die niedern Dienste des Hauses incognito zu verrichten wünscht. Wenn die Glocke ausgetönt hat, so wird er in der Eigenschaft eines Majordomo vor uns auftreten.«

Während der Marquis sprach, hatten wir uns dem östlichen Ende des Schlosses genähert, welches der einzige noch bewohnbare Theil des Gebäudes war.

»Die Bande noire,« sagte der Marquis, »als sie den Rest des Hauses zertrümmerte, um das Blei, Holz und andere Materialien zu erhalten, hat mir bei ihrer Verwüstung den unbeabsichtigten Gefallen erwiesen, das Haus in solche Dimensionen zu bringen, die für die Umstände des Besitzers weit besser passen. Es ist immer noch genug Laub für die Raupe da, ihre Puppe hinein zu wickeln, und was kümmert es sie, daß der Rest des Busches von Gewürm weggefressen ist?«

Während er so sprach, erreichten wir das Thor, wo La Jeunesse erschien, mit einer Miene, die zugleich Dienstbereitwilligkeit und tiefe Achtung ausdrückte, und einem Gesicht, welches, obgleich von tausend Runzeln bedeckt, bereit war, das erste freundliche Wort seines Herrn mit einem Lächeln zu beantworten, wodurch dann, trotz seines Alters und seiner Leiden, sich eine Reihe schöner, fester und weißer Zähne zeigte. Seine saubern weißen Strümpfe, die so lange gewaschen worden, bis ihre Farbe in's Gelbliche übergegangen war, – sein Zopf mit einer Rosette gebunden – die dünne graue Locke auf jeder Seite seiner magern Wangen – der perlfarbige Rock ohne Kragen – der Solitaire, das Jabot, die Handmanschetten und der chapeau-bras – alles das verkündigte, daß La Jeunesse die Ankunft eines Gastes im Schlosse als ein ungewöhnliches Ereigniß betrachtete, welchem er seinerseits durch Entfaltung von Pracht und Staat zu entsprechen habe.

Als ich den treuen, wenn auch phantastischen Diener seines Herrn betrachtete, der wahrscheinlich seine Vorurtheile so gut wie seine abgetragenen Kleider erbte, konnte ich nicht umhin, mir im Stillen die Aehnlichkeit einzugestehen, die, wie der Marquis bemerkte, zwischen ihm und meinem eigenen Caleb, dem treuen Squire des Herrn von Ravenswood stattfand. Aber ein Franzose, ein Factotum von Natur, kann sich noch weit leichter zu einer Menge von Dienstleistungen schicken, und vermag alle in eigener Person zu versehen, was der Umständlichkeit und Trägheit eines Schotten schwerer fällt. Dem Caleb an Geschicklichkeit wenn auch nicht an Eifer überlegen, schien La Jeunesse sich mit den gelegentlichen Anforderungen und Bedürfnissen zu vervielfachen, und vollbrachte seine manchfachen Geschäfte mit einer Sorgfalt und Schnelligkeit, daß andere Bedienung außer ihm weder vermißt noch gewünscht wurde.

Das Mittagsmahl vorzüglich war erlesen. Die Suppe, obwohl sie maigre genannt wurde, und die die Engländer zu verachten pflegen, war von trefflichem Geschmack, und der matelot von Hecht und Aal versöhnte mich, obwohl ich ein Schotte, mit dem letztern. Es gab auch ein Schüsselchen mit bouilli, für den Ketzer, so herrlich bereitet, daß es allen Saft behalten, und dabei doch zugleich so mürbe war, daß es nichts Delikateres geben konnte. Die potage nebst einigen andern kleinen Gerichten, war ebenfalls gut zugerichtet. Aber, was der alte Maitre d'Hotel selbst als etwas Vorzügliches pries, indem er voll Freude über meine Ueberraschung selbstgefällig lächelte, als er es auf den Tisch setzte, war ein ungeheurer Napf mit Spinat, nicht zu einer glatten Oberfläche geglättet, wie ihn unsere uneingeweihten Köche über'm Kanal anzurichten gewohnt sind, sondern zu Hügeln schwellend und zu Thälern absinkend, über die ein stattlicher Hirsch hinschwebte, verfolgt von einem Rudel Hunden und von einer edlen Schaar von Jägern zu Roß mit Hörnern und geschwungenen Peitschen – Hunde, Jäger und Hirsch, alles war von geröstetem Brod sehr kunstreich ausgeschnitten. Erfreut über das Lob, welches ich nicht unterließ diesem chef-d'oeuvre zu ertheilen, bekannte der alte Mann, daß er den besten Theil von zwei Tagen zur Vollendung desselben verwendet habe; und dazu sagte er noch, Ehre gebend, dem Ehre gebührte, daß diese glänzende Idee nicht ganz sein eigen sei, sondern daß sich Monsieur selber die Mühe gegeben habe, ihm einige bedeutende Winke deßhalb zu ertheilen, ja daß er sich sogar herabgelassen habe, ihm bei Ausführung einiger Hauptfiguren Beistand zu leisten. Der Marquis erröthete ein wenig bei dieser Erläuterung, die er lieber unterdrückt gewünscht hätte; doch gestand er, er habe mich gern mit einer Scene aus dem Volksliede meines Vaterlandes, Milady Lac, überraschen wollen. Ich antwortete, daß ein so glänzendes Gefolge eher einer großen Jagd Ludwigs XIV. gliche, als der eines armen schottischen Königs, und daß die paysage eher Fontainebleau als den Wildnissen von Callender ähnlich sei. Eine graziöse Verbeugung beantwortete dies Kompliment, und er gestand, es möchten ihm wohl Erinnerungen an die Sitten des alten französischen Hofes, als dieser im vollen Glanze, in der Phantasie vorgeschwebt haben – und so ging die Unterhaltung auf andere Gegenstände über.

Unser Dessert war köstlich – der Käse, die Früchte, der Salat, die Oliven, die cerneaux, sowie der köstliche weiße Wein, jedes war in seiner Art unbezahlbar, und der gute Marquis bemerkte mit einer Miene großer Zufriedenheit, daß sein Gast ihren Verdiensten wahrhaft Ehre mache. »Ueberhaupt,« sagte er, »es ist jedoch nur eine thörichte Schwachheit einzugestehn – doch überhaupt muß ich mich darüber freuen, daß ich noch vermag, einem Fremden eine Art von Gastfreundschaft zu bieten, mit welcher er zufrieden scheint. Glauben Sie, es ist nicht allein Stolz, der uns pauvres revenants so zurückgezogen leben, und die Pflichten der Gastfreundschaft vermeiden läßt. Es ist wahr, nur zu Viele durchwandeln die Hallen unserer Väter, mehr wie die Geister ihrer verstorbenen Eigenthümer, als wie lebende, in ihr Eigenthum wieder eingesetzte Menschen; jedoch ist es mehr in Rücksicht auf euch, als um unsere eigenen Gefühle zu schonen, daß wir die Gesellschaft unserer fremden Besucher nicht festhalten. Wir haben die Idee, eure reiche Nation sei dem Prächtigen und der grande chère vorzüglich zugethan – sowie der Behaglichkeit und dem Genusse jeder Art. Und nun sind die Mittel der Bewirthung, die uns geblieben sind, in den meisten Fällen so beschränkt, daß wir uns selbst von solchem Aufwand und solcher Ostentation gänzlich ausgeschlossen fühlen. Niemand will gern sein Bestes darbieten, wenn er nicht Grund hat, zu glauben, es werde Vergnügen machen; und da viele von euch ihre Tagbücher veröffentlichen, so würde sich der Herr Marquis wahrscheinlich nicht sehr freuen, wenn er das arme Diner, das er dem Milord Anglais bieten konnte, dem ewigen Andenken preisgegeben sähe.

Ich unterbrach den Marquis, daß, wünschte ich je, eine Nachricht von der mir hier gewordenen Bewirthung bekannt zu machen, ich dies einzig in der Absicht thun könnte, das Andenken an das beste Mittagsmahl zu bewahren, das mir in meinem Leben zu Theil geworden. Er verbeugte sich und äußerte: »entweder wiche ich sehr von dem Nationalgeschmacke ab, oder die Nachrichten davon wären sehr übertrieben. Besonders lieb war es ihm, daß ich den Werth der Besitzungen, die ihm geblieben waren, zu schätzen wisse. »Das Nützliche,« sagte er, »hat gewiß das Prächtige zu Hautlieu und anderwärts überlebt. Grotten, Statuen, seltene Sammlungen ausländischer Geräthe, Tempel und Thürme sind zu Grunde gegangen; aber der Weinberg, der potager, der Obstgarten, der étang, sind noch vorhanden;« und nochmals drückte er seine Freude darüber aus, daß die vereinten Produkte von alle dem selbst einem Britten eine erträgliche Mahlzeit bieten könnten. »Ich hoffe nur,« fuhr er fort, »Sie werden mich überzeugen, daß Ihre Complimente auch aufrichtig gemeint sind, indem sie die Gastfreundschaft des Schlosses Hautlieu so oft annehmen, als es Ihre bessern Unterhaltungen während Ihres Aufenthaltes in der Nachbarschaft erlauben.«

Ich versprach bereitwillig, eine Einladung anzunehmen, die so freundlich geboten wurde, daß es schien, als sei der Gast die Person, welche eine Verbindlichkeit auflegte.

Die Unterhaltung ging nun auf die Geschichte des Schlosses und seiner Nachbarschaft über – ein Gegenstand, wo der Marquis festen Grund hatte, obwohl er kein großer Alterthumskundiger, nicht einmal ein gründlicher Historiker war, wo es ein anderes Kapitel, als das hier berührte, galt. Der Pfarrer war indeß zufällig beides, und dabei ein sehr unterhaltender freundlicher Mann, mit sehr zuvorkommendem Wesen und so höflicher Bereitwilligkeit, sich mitzutheilen, die ich als einen Hauptcharakterzug der katholischen Geistlichkeit fand, mag sie nun wohlunterrichtet sein oder nicht. Von ihm erfuhr ich nun auch, daß noch die Reste einer stattlichen Bibliothek im Schlosse Hautlieu vorhanden wären. Der Marquis zuckte die Achseln, als mir der Pfarrer dies berichtete, sah bald auf die eine, bald auf die andere Seite, und zeigte dieselbe Art leichter Verlegenheit, die er nicht im Stande gewesen, zu unterdrücken, als La Jeunesse etwas von seiner Einmischung in die Küchenangelegenheiten geplaudert hatte. »Ich würde mich glücklich schätzen, Ihnen die Bücher zu zeigen,« sagte er, »aber sie sind in so wilder Unordnung, und in so übelm Zustande, daß ich mich schämen muß, sie Jemand vorzuweisen.«

»Um Vergebung, mein theurer Herr,« sagte der Pfarrer, »Sie wissen, daß sie den großen englischen Büchernarren, den Dr. Dibdin, Ihre seltenen Reliquien betrachten ließen, und Sie wissen auch, wie achtungsvoll er davon sprach.«

»Was wollt' ich machen, liebster Freund?« sagte der Marquis; »der gute Doctor hatte eine übertriebene Nachricht von diesen Ueberresten dessen, was einst Bibliothek war, gehört – er hatte sich in der auberge unten niedergelassen, entschlossen, sein Ziel zu gewinnen, oder unter den Mauern zu sterben. Ich hörte sogar, er habe die Höhe des Thurmes ausgemessen, in der Absicht, Sturmleitern anzuwenden. Ihr konntet mir doch nicht zumuthen, einen achtbaren Geistlichen, wenn auch von einer andern Kirche, zu solch' einer That der Verzweiflung zu bringen? Das hätt' ich bei meinem Gewissen nicht verantworten können.«

»Doch Sie wissen, Herr Marquis,« fuhr der Pfarrer fort, »daß Dr. Dibdin über das schlimme Schicksal, das Ihre Bibliothek betroffen, so erzürnt war, daß er die Macht unserer Kirche offen beneidete, weil er inniges Verlangen trug, ein Anathem auf die Häupter jener Zerstörung zu schleudern.«

»Sein Zorn stand im Verhältniß zu seiner getäuschten Erwartung, wie ich vermuthe,« sagte unser Wirth.

»Keineswegs,« sagte der Pfarrer; »denn er war so begeistert von dem Werthvollen, was noch vorhanden, daß ich überzeugt bin, nur Ihr bestimmter Wunsch des Gegentheils verhinderte, daß das Schloß Hautlieu nicht wenigstens zwanzig Seiten in dem splendiden Werke einnimmt, wovon er uns eine Abschrift sandte, und welches ein stetes Denkmal seines Eifers und seiner Gelehrsamkeit bleiben wird.«

»Dr. Dibdin ist äußerst artig,« sagte der Marquis; »und wenn wir unsern Kaffee genossen haben – hier kommt er schon – wollen wir nach dem Thurme gehen; und ich hoffe, der Herr werde, wenn er meine geringe Mahlzeit nicht verschmäht hat, mir auch den Zustand meiner verwirrten Bibliothek verzeihen, während ich mich nicht weniger glücklich schätzen werde, wenn ich Ihnen auch hier einige Unterhaltung geben kann. In der That,« fügte er hinzu, »wäre dies auch nicht der Fall, Sie, mein guter Vater, haben alles Recht über Bücher, die ohne ihre Vermittelung nie zu ihrem Eigenthümer zurückgekehrt sein würden.«

Obwohl dieser Zusatz der Höflichkeit offenbar durch die Zudringlichkeit des Pfarrers dem widerstrebenden Freunde entrissen worden war, dessen Wunsch, die Entblößung des Landes und den Umfang seiner Verluste zu verbergen, stets mit der Neigung, gefällig zu sein, im Streit zu liegen schien, so konnte ich doch nicht umhin, ein Anerbieten anzunehmen, das ich nach strenger Artigkeit vielleicht hätte ablehnen sollen. Da es jedoch eine Sammlung von solcher Merkwürdigkeit war, daß sie unserm bibliomanischen Freunde den Wunsch einflößte, die verlorne Hoffnung selbst Sturm laufen zu lassen, so hätte es eine verzweifelte That der Selbstverläugnung heißen müssen, der Gelegenheit, sie zu sehn, auszuweichen. La Jeunesse brachte Kaffee, wie man ihn nur auf dem Continent genießt, auf einer Präsentirschüssel, die mit einer Serviette bedeckt war, damit man sie für silbern halten konnte, und chasse-café von Martinique auf einem kleinen Aufwärter, der es gewiß war. Nachdem unser Mahl so beendigt war, führte mich der Marquis auf einem escalier dérobé in einen geräumigen und wohl proportionirten Salon, von fast hundert Fuß Länge; aber so wüste und verfallen, daß ich meine Augen am Boden haften ließ, damit sich mein freundlicher Wirth nicht etwa aufgefordert fühlen möchte, die verwischten Gemälde und zerrissenen Tapeten, oder was noch schlimmer, die Fenster, die an einer oder zwei Stellen dem Sturmestoben zu sehr nachgegeben, zu entschuldigen.

»Wir haben den Thurm etwas wohnlicher zu machen gesucht,« sagte der Marquis, während er sich eilig durch dies Zimmer der Zerstörung bewegte. »Dies,« sagte er, »war in früherer Zeit die Gemäldegallerie, und im Boudoir drüben, welches wir nun als Lesezimmer benutzen, wurden einige seltene Kabinetsstücke aufbewahrt, deren kleiner Maßstab verlangte, daß man sie in der Nähe betrachtete.«

Bei diesen Worten zog er einen Theil der Tapete, deren ich gedachte, bei Seite, und wir betraten das Gemach, wovon er sprach.

Es war achteckig, ebenso wie die äußere Gestalt des Thurmes, dessen Inneres es bildete. Vier Seiten hatten vergitterte Fenster, deren jedes nach einer andern Richtung eine treffliche Aussicht über die majestätische Loire gewährte, so wie über die umliegende Landschaft, durch welche jene sich wand. Die Fenster waren mit farbigem Glas ausgesetzt, durch zwei derselben strömte der Schimmer der sinkenden Sonne, eine glänzende Vereinigung religiöser Embleme und Wappenbilder zeigend, die man kaum anders, als mit geblendetem Auge betrachten konnte. Aber die andern beiden Fenster, von denen die Sonnenstrahlen gewichen waren, ließen sich genauer untersuchen, und es zeigte sich bald, daß die Fenster mit buntem Glas versehen waren, welches ihnen nicht ursprünglich gehörte, sondern, wie ich nachher sah, vielmehr der entweihten und profanirten Schloßkapelle. Es war mehrere Monate hindurch eine Unterhaltung für den Marquis gewesen, dies rifacimento zu Stande zu bringen, und zwar unter dem Beistande des Geistlichen und des zu Allem brauchbaren La Jeunesse; und obwohl sie nur Fragmente zusammengesetzt hatten, die zum Theil sehr klein waren, so brachte doch das bunte Glas, bis man es genauer und mit dem Auge eines Alterthumkenners untersuchte, im Ganzen eine recht hübsche Wirkung hervor.

Die Seitenwände des Gemachs, die keine Fenster hatten, waren (mit Ausnahme des Raumes für die kleine Thür) von Schränken und Regalen ausgefüllt, einige von Wallnußbaum, künstlich geschnitzt, und durch die Zeit so dunkel geworden, daß sie in der Farbe einer reifen Kastanie glichen; andere waren von gemeinem Holze, und sämmtlich bestimmt, den Mangel zu ersetzen und herzustellen, den die Gewalt und Zerstörungssucht hier angerichtet hatten. In diesen Regalen waren die Trümmer oder vielmehr die kostbaren Reliquien einer sehr splendiden Büchersammlung niedergelegt.

Des Marquis' Vater war ein unterrichteter Mann gewesen, und sein Großvater war selbst am Hofe Ludwig XIV., wo Literatur gewissermaßen als Mode galt, wegen des Umfangs seiner Kenntnisse berühmt worden. Diese beiden Eigenthümer, reich an Glücksgütern, und liberal, wo es die Befriedigung ihres Geschmacks galt, hatten zu einer seltenen, sehr alten Büchersammlung, die sie von ihren Ahnen ererbt hatten, solche Zusätze gemacht, daß es nur wenige Sammlungen in Frankreich gab, welche mit der zu Hautlieu verglichen werden konnten. Sie war gänzlich zerstreut worden in Folge eines übelberechneten Versuchs des jetzigen Marquis, im Jahr 1790, sein Schloß gegen einen revolutionären Pöbelhaufen zu vertheidigen. Glücklicherweise gelang es dem Pfarrer, der durch sein leutseliges und gemäßigtes Betragen, so wie durch seine evangelischen Tugenden, großer Theilnahme bei den benachbarten Landleuten sich erfreute, viele der Bände zu kaufen, oft für die geringe Summe weniger Sous, bisweilen sogar um den Preis eines Glases Branntweins, die ursprünglich große Summen gekostet hatten, aber von den Schurken, die das Schloß plünderten, fortgeschleppt worden waren. Er selbst hatte auch viele solcher Bücher erkauft, so weit seine Mittel reichten, und seiner Bemühung war es zu danken, daß man sie wieder in dem Thurm aufgestellt traf, wo ich sie fand. Es war daher kein Wunder, daß der gute Pfarrer Stolz darein setzte und Freude daran hatte, die Sammlung den Fremden zu zeigen.

Abgesehen von vielen unbedeutenden Bänden, Unvollkommenheiten, und all' den andern ärgerlichen Umständen, die einem Liebhaber begegnen, wenn er eine übelgehaltene Bibliothek beschaut, befanden sich in der zu Hautlieu doch noch viele Artikel, die fähig waren, den Bibliomanen, wie Bayes sagt: »zu erheben und in Staunen zu setzen.« Hier fanden sich:

»Das kleine seltene Buch, woran das Gold erblichen,« wie Dr. Ferrier gefühlvoll singt – seltene und reichgemalte Meßbücher, Manuscripte von 1380, 1320 und noch früherer Zeit, Werke mit gothischer Schrift, gedruckt im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert. Von diesen jedoch denke ich eine genauere Nachricht zu geben, wenn mir der Marquis seine Erlaubniß geben sollte.

Unterdessen reicht es hin, zu sagen, daß ich, erfreut über den Tag, den ich Hautlieu gewidmet hatte, meinen Besuch häufig erneuerte, und daß der Schlüssel zu dem achteckigen Thurme mir stets zu Diensten stand. In diesen Stunden gewann ich einen Theil der französischen Geschichte sehr lieb, die, obwohl höchst wichtig für die von Europa im Ganzen, und durch einen unvergleichlichen alten Historiker erläutert, doch nie von mir genügend studirt worden war. Um den Gefühlen meines trefflichen Wirths zu schmeicheln, beschäftigte ich mich zu derselben Zeit mit einigen Familiendenkwürdigkeiten, die sich glücklicherweise erhalten hatten, und die einige interessante Einzelnheiten, auf Schottland bezüglich, enthielten, welche mich zuerst vor den Augen des Marquis von Hautlieu hatten Gnade finden lassen.


Ich erwog diese Dinge, more meo, bis zu meiner Rückkehr nach England zum Rindfleisch und Steinkohlenfeuer; ein Wechsel des Aufenthalts, der kurz nachher stattfand, nachdem ich diese gallischen Erinnerungen aufgezeichnet hatte. Zuletzt nahm das Resultat meines Nachsinnens die Form an, welche meine Leser, wofern sie diese Vorrede nicht unwillig gemacht hat, nun selbst zu beurtheilen im Stande sind. Sollte sie das Publikum günstig aufnehmen, so werde ich es nicht bereuen, daß ich für eine kurze Zeit abwesend war.



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