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Fünfzehntes Kapitel.

 

Geht, Einige von euch, und bittet um Aufschub!

Bettleroper.

 

Capitain Weatherport war, ehe sich dieß zutrug, in eigener Person in Kirkwall angelangt, und mit großer Freude und Dankbarkeitsbezeigungen von dem Magistrate empfangen worden, der sich zu diesem Zwecke versammelt hatte. Vor Allen aber konnte der Bürgermeister seine Freude über die glückliche Erscheinung des Halcyon, gerade in dem Augenblicke, wo der Seeräuber ihm nicht mehr zu entrinnen vermochte, nicht genug an den Tag legen. Nicht ohne Verwunderung sah ihn der Capitain an, und sagte: »Nun, das seid Ihr den Nachrichten schuldig, die Ihr selbst mir gegeben habt.«

»Die ich gegeben habe?« sagte der Bürgermeister ganz erstaunt.

»Ja, allerdings,« antwortete Capitain Weatherport. »Wenn mir recht ist, so seid Ihr doch George Torfe, die erste obrigkeitliche Person in Kirkwall, von der dieser Brief unterzeichnet ist?«

Der erstaunte Bürgermeister nahm den Brief, welcher an Capitain Weatherport vom Halcyon gerichtet war, und die Nachricht von der Ankunft, Stärke u. s. w. des Fahrzeuges der Seeräuber enthielt, jedoch hinzufügte, daß diese bereits gehört hätten, der Halcyon befände sich an der Küste, daß sie auf ihrer Hut wären, und sich dadurch ihm entziehen würden, daß sie zwischen den Klippen und den Inseln von Holas hindurchgingen, wohin ihnen die Fregatte nicht folgen könnte; daß endlich, wenn es zum Aeußersten käme, sie verzweifelt genug wären, die Schaluppe an's Land laufen zu lassen und sie in die Luft zu sprengen, wodurch die Sieger sehr viele Beute und Schätze verlieren würden. Der Schreiber dieses Briefes gab deswegen den Rath, daß der Halcyon zwischen Duncansbay-Head und Cap-Wrath zwei oder drei Tage lang kreuzen sollte, um die Piraten von der Unruhe zu befreien, welche seine Nähe ihnen verursacht hätte, und sie einzuschläfern, um so mehr, da der Schreiber wisse, daß es ihre Absicht sei, sobald die Fregatte sich von der Küste entfernt hätte, nach der Bucht von Stromneß zu gehen, und dort ihre Kanonen, wegen einiger nöthigen Ausbesserungen des Schiffes, ja selbst, um es zu kalfatern, wenn sie Gelegenheit dazu fänden, an das Land zu bringen. Der Brief schloß damit, daß der Schreiber den Capitain Weatherport versicherte, wenn er mit der Fregatte am 24sten August in die Bucht von Stromneß einliefe, würde er an den Piraten einen guten Fang thun, – käme er früher, so möchte er sie wohl verfehlen.

»Ich habe diesen Brief weder geschrieben, noch unterschrieben, Capitain Weatherport,« sagte der Bürgermeister; »auch würde ich wohl nicht gerathen haben, Euere Ankunft zu verschieben.«

Jetzt kam die Reihe des Erstaunens an den Capitain. »Alles, was ich weiß,« sagte er, »ist, daß ich das Schreiben erhielt, als ich in der Bucht von Thurso war, und daß ich den Leuten von dem Boote, das es brachte, fünf Dollars schenkte, da sie bei sehr stürmischem Wetter über die Pentland-Frith gegangen waren. Sie hatten einen stummen Zwerg zum Steuermanne, die häßlichste Mißgeburt, die meine Augen je gesehen haben. – Die Genauigkeit Euerer Angaben macht Euch alle Ehre, Herr Bürgermeister.«

»Nun, es ist so, wie es ist,« sagte der Bürgermeister; »indeß ist es sehr die Frage, ob nicht der Schreiber dieses Briefes lieber gesehen haben würde, wenn Ihr das Nest kalt und die Vögel ausgeflogen gefunden hättet.«

Mit diesen Worten überreichte er den Brief an Magnus Troil, der ihn mit einem Lächeln, aber ohne weiter etwas zu sagen, zurückgab, da er ebenso, wie der scharfsinnige Leser, jetzt wohl begriff, warum Norna die Ankunft des Halcyon so genau vorher zu bestimmen im Stande gewesen war.

Ohne sich weiter um die Aufhellung eines Umstandes Mühe zu geben, der unerklärlich schien, bat Capitain Weatherport, daß die Vernehmung beginnen möchte. Cleveland und Altamont, wie er sich zu nennen beliebte, wurden von der Mannschaft des Piraten zuerst vorgeführt, da sie als Capitain und Lieutenant angegeben waren. Die Untersuchung hatte gerade ihren Anfang genommen, als, nach einigem Wortstreite mit den Gerichtsdienern, welche an der Thüre Wache standen, Basil Mertoun in das Zimmer stürzte, und ausrief: »Nehmt das alte Opfer für das junge hin! Ich bin Basil Vaughan, nur zu wohlbekannt in der Gegend unter dem Winde – nehmt mein Leben, und schonet das meines Sohnes!«

Alle waren erstaunt, Niemand aber mehr, als Magnus Troil, der schnell die obrigkeitlichen Personen und den Capitain Weatherport versicherte, daß dieser Mann schon seit einer Reihe von Jahren auf dem Festlande von Shetland friedlich und rechtlich gelebt habe.

»In diesem Falle,« sagte der Capitain, »habe ich mit dem armen Manne nichts zu thun, denn zwei Begnadigungs-Bekanntmachungen sichern ihm seine Straflosigkeit, und wahrhaftig wünschte ich, da ich so Einen an des Andern Halse hängen sehe, ich könnte eben das vom Sohne sagen.«

»Aber, wie ist das – wie kann das sein?« sagte der Bürgermeister; »wir nannten den alten Mann immer Mertoun, und den jungen Cleveland, und jetzt scheint es, daß Beide Vaughan heißen.«

»Vaughan,« sagte Magnus, »ist ein Name, den ich nur zu gut kenne, und nach dem, was ich neulich von meiner Base Norna gehört habe, hatte der alte Mann ein Recht, ihn zu führen.«

»Und ich glaube, der junge Mann ebenfalls,« sagte der Capitain, der während der Zeit ein Papier durchlaufen hatte. »Hört mich einen Augenblick an,« sagte er, indem er sich zu dem jüngeren Vaughan wandte, den wir bis jetzt Cleveland genannt haben. »Ihr sollt Clemens Vaughan heißen, junger Mann; – seid Ihr derselbe, der, damals nur noch ein Knabe, einen Haufen Seeräuber commandirte, welcher vor ungefähr acht oder neun Jahren ein spanisches Dorf, Quempoa, auf dem spanischen Festlande plünderte, um einige Schätze zu rauben?«

»Es würde mir doch zu nichts helfen, es zu läugnen,« antwortete der Gefangene.

»Nein,« sagte Capitain Weatherport, »allein es kann Euch sehr viel nützen, wenn Ihr es eingesteht. Die Maulthiertreiber entkamen mit den Schätzen, während Ihr, mit Gefahr Eueres eigenen Lebens die Ehre zweier spanischen Damen gegen die Angriffe Euerer Begleiter vertheidigtet; erinnert Ihr Euch daran?«

»O ja,« sagte Bunce, »ich erinnere mich; denn unser Capitain hier wurde seines edlen Betragens wegen maronirt, und ich entging nur mit Mühe der Strafe, gepeitscht und gezüchtigt zu werden, weil ich mich seiner angenommen hatte.«

»Wenn das Alles sich wirklich so verhält, dann ist Vaughans Leben außer Gefahr – die Frauenzimmer, welche er rettete, waren Damen von Stande, Töchter des Gouverneurs der Provinz, und schon vor langer Zeit hat der dankbare Spanier bei unserer Regierung darum nachgesucht, daß man ihrem Erhalter dafür gerecht werden möge. Ich hatte bereits vor sechs oder sieben Jahren, als ich beauftragt war, auf die Piraten in Westindien Jagd zu machen, einen besonderen Befehl, diesen Clemens Vaughan betreffend, bei mir. Der Name Vaughan war unter ihnen nicht mehr zu finden; dafür hörte ich aber genug von Cleveland. Indessen, mögt Ihr nun Cleveland oder Vaughan sein, Capitain, so glaube ich doch, daß ich Euch, wenn Ihr nach London kommt, einer vollkommenen Begnadigung versichern kann.«

Cleveland verbeugte sich, und das Blut stieg ihm in die Wangen. Mertoun fiel auf die Kniee, und erschöpfte sich in Danksagungen gegen den Himmel. Beide wurden unter dem theilnehmenden Schluchzen der Zuschauer abgeführt.

»Und nun, mein guter Mr. Lieutenant, was habt Ihr zu Eurer Vertheidigung vorzubringen?« sagte Capitain Weatherport zu dem ehemaligen Roscius.

»Hm, wenig oder nichts, Ew. Gestrengen, nur daß ich wünschte, Ew. Gestrengen fänden meinen Namen in dem Begnadigungsbuche, das Ihr da in der Hand habt, denn ich hielt es mit Capitain Clemens Vaughan bei der Quempoa-Angelegenheit.«

»Ihr nennt Euch Frederick Altamont?« fragte der Capitain Weatherport. »Ich sehe keinen Namen der Art hier; die Dame schrieb nur noch einen gewissen John Bonne oder Bunce auf.«

»Nun, das bin ich, – das bin ich selbst, Capitain – das kann ich beweisen, und ich bin entschlossen, obgleich der Name etwas plebejisch klingt, doch lieber als Jack Bunce zu leben, denn als Frederick Altamont gehangen zu werden.«

»In dem Falle,« sagte der Capitain, kann ich Euch, als dem Jack Bunce, einige Hoffnung machen.«

»Ich danke Ew. Edlen Gestrengen,« rief Bunce fröhlich aus, änderte aber plötzlich seinen Ton. »Ach, da ein ›auch genannt‹ solche Kraft hat, so wäre der arme Dick Fletscher am Ende als Timotheus Tugmutton auch davon gekommen, aber, indessen, um mit ihm zu reden ...«

»Fort mit dem Lieutenant,« sagte der Capitain, »und führt Goffe und die andern Kerle vor; ich glaube, es werden für Einige derselben wohl schon Stricke gedreht sein.«

Diese Vermuthung schien ihrer ganzen Ausdehnung nach in Erfüllung gehen zu wollen, da die gegen sie vorgebrachten Beweise sehr stark waren. Der Halcyon erhielt demnach Befehl, einzulaufen, um die sämmtlichen Gefangenen an Bord zu nehmen, und nach London zu bringen, wohin er nach zwei Tagen unter Segel ging.

Während der Zeit, die der unglückliche Cleveland noch in Kirkwall zubrachte, wurde er von dem Capitain des Halcyon mit Artigkeit behandelt, und das Wohlwollen seines alten Bekannten Magnus Troil, der wohl wußte, wie nahe er seinem Blute verwandt war, drang ihm mehr Dienstleistungen aller Art auf, als er annehmen wollte.

Norna, deren Antheil an dem unglücklichen Gefangenen noch tiefer lag, war unfähig, ihn zu äußern. Der Küster hatte sie ohnmächtig auf dem Fußboden liegend gefunden, und als sie zu sich kam, hatte ihr Verstand für den Augenblick so sehr das Gleichgewicht verloren, daß man sie der Aufsicht wachsamer Hüter anvertrauen mußte.

Von den Schwestern von Burgh-Westra hörte Cleveland nur, daß sie in Folge des Schreckens, den sie gehabt, noch krank wären, bis er am Abende vor dem Abgange des Halcyon auf einem besonderen Wege ein Billet folgenden Inhalts erhielt: »Lebe wohl, Cleveland! Wir scheiden auf immer, und es ist gut, daß es geschehen – sei tugendhaft und glücklich. Die Täuschung, welche eine einsame Erziehung und eine beschränkte Kenntniß der jetzigen Welt um mich verbreitet hatten, sind entschwunden, und auf immer zerronnen. In dir, glaube ich, habe ich mich wenigstens insoweit nicht geirrt, daß du Einer von denen bist, für welche das Gute mehr Anziehungskraft hat, als das Böse, und die nur durch Nothwendigkeit, Beispiel und Gewohnheit zu der Lebensweise gebracht worden, welche du führtest. Gedenke meiner wie Jemandes, der nicht mehr lebt, wenn du nicht eben so sehr der Gegenstand des allgemeinen Lobes wirst, wie du bis jetzt der des allgemeinen Tadels warest, und gedenke meiner dann als Jemandes, der deines wiederauflebenden Ruhmes sich freuen wird, wenn er dich auch nie wieder sehen darf!« Der Brief war M. T. unterzeichnet, und Cleveland las ihn mit einer tiefen, selbst durch Thränen verrathenen Rührung wohl hundertmal, und drückte ihn dann an sein Herz.

Mordaunt Mertoun erhielt durch einen Brief, der aber sehr verschiedener Art war, von seinem Vater Nachricht. Basil sagte ihm auf immer Lebewohl, und entband ihn von nun an der Pflichten eines Sohnes, da er, trotz der jahrelangen Kämpfe, nie die Liebe eines Vaters gegen ihn habe fühlen können. In dem Briefe war zugleich einer Nische in dem alten Hause von Jarlshof erwähnt, worin der Schreiber eine bedeutende Summe baaren Geldes und andere Sachen von Werth niedergelegt habe, die er Mordaunt als sein Eigenthum anzusehen bat. »Du brauchst nicht zu fürchten,« hieß es in dem Briefe, »daß du mir dadurch eine Verbindlichkeit schuldig werdest, oder an der Beute eines Seeräubers Antheil habest. Was du hier erhältst, ist beinahe allein das Eigenthum deiner verstorbenen Mutter Luisa Gonzago, und gebührt dir mit vollem Rechte. Wir wollen einander vergeben,« schloß er, »da wir einander nie wieder sehen werden.« Dieß geschah auch wirklich; denn der ältere Mertoun, gegen den nie eine Anklage vorgebracht wurde, verschwand, als Clevelands Schicksal entschieden ward, und man glaubte, daß er sich in ein fremdes Kloster zurückgezogen habe.

Clevelands Schicksal wird ganz kürzlich aus einem Briefe klar werden, den Minna zwei Monate nach dem Abgange des Halcyon von Kirkwall erhielt. Die Familie war eben in Burgh-Westra versammelt, und Mordaunt auf einige Zeit ein Mitglied derselben, da der gute Udallar die Thätigkeit nie genug belohnen zu können glaubte, mit der er sich der Vertheidigung seiner Töchter unterzogen hatte. Norna, welche von ihrer augenblicklichen Geisteszerrüttung wieder zu sich selbst gekommen war, befand sich als Gast in der Familie, und Minna, deren Aufmerksamkeiten für dieses unglückliche Opfer geistiger Täuschung unermüdet waren, saß neben ihr, auf jedes Kennzeichen der zurückkehrenden Vernunft lauschend, als der erwähnte Brief ihr eingehändigt wurde.

»Minna,« lautete er, »theuerste Minna! Lebe wohl, und auf immer. Glaube mir, ich meinte es nie schlecht mit dir, nie. Von dem Augenblicke, wo ich dich kennen lernte, faßte ich den Entschluß, mich von meinen verhaßten Gefährten loszureißen, und entwarf tausend Pläne, welche alle so in den Wind zerstoben sind, wie sie es verdienten. – Denn warum, oder wie sollte das Schicksal eines so lieblichen, reinen und unschuldigen Wesens, mit dem eines so schuldbedeckten verkettet werden? – Ich will nicht mehr von diesen Träumen reden. Die starre Wirklichkeit meiner Lage ist bei weitem milder, als ich erwartete oder verdiente, und das wenige Gute, was ich that, hat in den Augen ehrliebender und barmherziger Richter das viele Böse und Verbrecherische aufgewogen. Ich bin nicht allein dem schimpflichen Tode entgangen, zu dem mehrere meiner Genossen verurtheilt worden sind, sondern Capitain Weatherport, der abermals im Begriffe ist, nach dem spanischen Meere abzugehen, da ein unmittelbarer Krieg mit jenem Lande droht, hat großmüthig um die Erlaubniß angehalten, mich und zwei oder drei meiner weniger schuldigen Gefährten in demselben Dienste anzustellen, und sie erhalten – eine Maßregel, welche ihm seine eigene großmüthige Theilnahme und unsere Bekanntschaft mit der Küste und anderen Oertlichkeiten an die Hand gegeben hat, die wir, auf welchen Wegen wir sie auch erlangt haben mögen, jetzt zum Besten unseres Vaterlandes anwenden zu können hoffen. Minna, du wirst entweder meinen Namen ehrenvoll, oder nie wieder nennen hören. Wenn die Tugend Glückseligkeit geben kann, so brauche ich sie dir nicht zu wünschen, denn du besitzest sie schon. Lebe wohl, Minna!«

Minna weinte bei diesem Briefe so bitterlich, daß ihre Thränen die Aufmerksamkeit der genesenden Norna erregten. Sie riß ihn ihrer Verwandten aus der Hand, überlas ihn, Anfangs mit der verstörten Miene eines Menschen, der sich nicht darin finden kann – dann mit einem Schimmer der Erinnerung – zuletzt mit einem gemischten Ausbruche von Freude und Schmerz, bei welchem er ihrer Hand entfiel. Minna raffte ihn auf, und zog sich mit ihrem Schatze in ihr Zimmer zurück.

Von dieser Zeit an schien Norna einen durchaus veränderten Charakter anzunehmen. Ihre Kleidung wurde einfacher und weniger auffallend; der Zwerg wurde mit reichlicher Ausstattung zu einem behaglichen Leben entlassen. Sie zeigte kein Verlangen mehr, ihre frühere irrende Lebensweise fortzusetzen, gab Befehl, ihre Sternwarte auf Fitful-Head, wie man sie nennen könnte, niederzureißen, legte den Namen Norna ab, und wollte von nun an nur Ulla Troil genannt sein. Die wichtigste Veränderung ereignete sich zuletzt. Bisher schien sie – den furchtbaren Eingebungen einer geistigen Verzweiflung folgend, welche aus dem, was bei ihres Vaters Tode vorgegangen war, entsprang – sich als ein von der göttlichen Gnade ausgeschlossenes Wesen angesehen zu haben, daher sie, in die eiteln, dunkeln Wissenschaften, die sie zu treiben behauptete, vertieft, wie Chaucers Arzt, »nur wenig in der Bibel« studirte. Jetzt legte sie dagegen das heilige Buch nur selten aus der Hand, und erwiderte den Armen, welche zu ihr kamen, um, wie früher, ihre Macht über die Elemente in Anspruch zu nehmen: » Er fasset den Wind in Seine Hände.« Ihre Bekehrung war vielleicht nicht die Folge ruhiger Ueberlegung, denn dieß verhinderte wahrscheinlich der Zustand eines Gemüths, das durch eine Verkettung furchtbarer Ereignisse aus seinen Fugen gebracht worden war; allein sie schien aufrichtig zu sein, und war auf jeden Fall nützlich. Sie schien ihre früheren anmaßenden Versuche, in dem Laufe der menschlichen Schicksale, die von höheren Mächten gelenkt werden, eingreifen zu wollen, von Herzen zu bereuen, und zeigte innige Zerknirschung, wenn diese früheren Ansprüche durch irgend Etwas in ihr Gedächtniß zurückgerufen wurden. Sie verrieth noch immer eine große Vorliebe für Mordaunt, welche vorzüglich aus Gewohnheit herrührte. Auch konnte man nicht leicht entdecken, wie viel oder wie wenig sie sich von den verwickelten Ereignissen erinnerte, in die sie verflochten gewesen war. Als sie starb, was ungefähr vier Jahre nach den Begebenheiten geschah, die wir erzählt haben, fand es sich, daß sie auf das besondere und dringende Verlangen Minna Troils, ihr sehr bedeutendes Eigenthum auf Brenda übertragen hatte. Eine Klausel in ihrem Testamente enthielt die Weisung, daß alle ihre Bücher, die Geräthschaften ihres Laboratoriums, und andere mit ihren früheren Studien in Verbindung stehende Dinge, den Flammen übergeben werden sollten.

Ungefähr zwei Jahre vor Norna's Tode wurden Brenda und Mordaunt Mertoun mit einander verheirathet. Es verging einige Zeit, ehe sich der alte Magnus Troil, trotz aller Liebe für seine Tochter und aller Zuneigung zu Mordaunt, mit dem Gedanken an diese Heirath versöhnen konnte. Aber Mordaunts Gaben entsprachen dem Geschmacke des Udallars ganz besonders, und der alte Mann fühlte so sehr die Unmöglichkeit, seinen Platz in der Familie gänzlich auszufüllen, daß am Ende sein norwegisches Blut den natürlichen Gefühlen des Herzens weichen mußte, und er seinen Stolz beschwichtigte. Denn während er umherblickte, und das sah, was er die Eingriffe der Leute aus Schottland in das Land hieß (wie Shetland vorzugsweise von seinen Einwohnern genannt wird), schien ihm seine Tochter eben so gut versorgt, wenn sie den Sohn eines englischen Seeräubers, als wenn sie den eines schottischen Diebes heirathete: eine verächtliche Anspielung auf die hochländischen und Grenz-Familien, denen Shetland mehrere achtbare Grundbesitzer dankt, deren Vorfahren jedoch mehr wegen ihrer alten Familie und ihres hohen Muthes, als wegen genauer Berücksichtigung der unbedeutenden Unterschiede zwischen Mein und Dein berühmt waren. Der fröhliche alte Mann brachte sein Leben bis an das äußerste Ziel, bei einer glücklichen Aussicht auf eine zahlreiche Nachkommenschaft in der Familie seiner jüngeren Tochter, wobei sein Tisch abwechselnd durch Claudius Halcro's Dichtertalent erheitert, und durch Mr. Triptolemus Yellowley's Erörterungen aufgeklärt wurde, der, nachdem er seine hohen Ansprüche aufgegeben, sich mit den Sitten der Inselbewohner besser bekannt gemacht, und dabei die verschiedenen Unfälle, welche seine voreiligen Versuche zur Umgestaltung begleitet, zu Herzen genommen hatte, ein rechtlicher und nützlicher Stellvertreter seines Gebieters wurde, und nie glücklicher ward, als wenn er von dem spärlichen Mahle seiner Schwester Baby zu dem fröhlichen Tische des Udallars entschlüpfen konnte. Auch Baby's Gemüth wurde dadurch um Vieles sanfter, daß das Horn mit den Silbermünzen ganz unerwartet wieder zum Vorscheine kam, Norna's Eigenthum, welches diese zur Ausführung irgend eines ihrer geheimnißvollen Pläne in dem alten Hause von Stourburgh verborgen hatte, jetzt aber Denen zurückgab, von denen es zufällig entdeckt worden war, jedoch mit dem Zusatze, daß es sogleich wieder verschwinden würde, wenn man nicht einen gehörigen Theil davon zur Erhaltung des Hausstandes anwende, eine Vorschrift, welcher Tronda Dronsdaughter (wahrscheinlich ein Werkzeug Norna's) ihre Errettung von einem langsam zehrenden Entkräftungstode dankte.

Mordaunt und Brenda waren so glücklich, als unser sterbliches Loos es erlaubt. Sie liebten sich, sie beteten einander sogar an – befanden sich in einer gemächlichen Lage – hatten Pflichten zu erfüllen, welche sie nicht vernachlässigten – hatten eben so freie Gewissen, als leichte Herzen, lachten, sangen, tanzten, schoben die Welt bei Seite, und ließen sie vorübergehen.

Aber Minna – die hochsinnige, phantasiereiche Minna – sie, die mit einer solchen Tiefe des Gefühls und der Schwärmerei begabt, und doch vom Schicksale dazu bestimmt war, beide schon in früher Jugend schmerzlich verwundet zu sehen, weil sie bei der Unerfahrenheit einer eben so romantischen, als unwissenden Gemüthsstimmung, das Gebäude ihrer Glückseligkeit auf Triebsand, statt auf einen Fels gebaut hatte – war sie, konnte sie glücklich sein? – Leser, sie war glücklich; denn was auch der Zweifler und der Spötter dagegen sagen mag, so liegt doch in der Erfüllung einer jeden Pflicht ein Grad geistigen Friedens und hohen Bewußtseins einer ehrenvollen Anstrengung, welcher mit der Schwierigkeit der gelösten Aufgabe im Verhältniß steht. Die Ruhe des Körpers, welche auf harte und angestrengte Arbeit folgt, ist nicht mit der zu vergleichen, deren der Geist unter ähnlichen Umständen genießt. Minna's Entsagung und die fortwährende Aufmerksamkeit, welche sie ihrem Vater, ihrer Schwester, der betrübten Norna und allen Denen, welche Ansprüche auf sie hatten, erwies, waren nicht ihre einzige und reichste Quelle des Trostes. Wie Norna, aber mit geregelterer Urtheilskraft, lernte sie die Gesichte der wilden Schwärmerei, welche ihre Einbildungskraft angespornt und irregeleitet hatte, gegen eine gediegenere und wahrere Verbindung mit der überirdischen Welt, als die war, vertauschen, die sie aus den Sagas heidnischer Barden, oder den Gesichten späterer Reimer kennen lernen konnte. Dieser Gesinnungsänderung dankte sie die Stärke, welche sie nachmals bewährte, als sie nach mehreren Nachrichten von Clevelands ehrenvollen und tapferen Thaten, mit Ergebung, ja selbst mit dem Gefühle einer mit Trauer gemischten Beruhigung die las, daß er bei einer kühnen und ehrenvollen Unternehmung, wo er an der Spitze stand, und die von eben den Begleitern, denen seine entschiedene Tapferkeit die Bahn gebrochen hatte, glücklich ausgeführt wurde, gefallen sei. Bunce, sein schwärmerischer Begleiter im Guten, wie früher im Bösen, übersandte Minna die Nachricht von diesem traurigen Ereigniß. Die Abfassung derselben bewies, wenn sein Kopf auch schwach war, daß sein Herz doch nicht durch das schrankenlose Leben, das er eine Zeitlang geführt hatte, gänzlich verdorben worden sei, oder daß es wenigstens bei der Umwandelung sich gebessert habe. Daß ihm selbst bei demselben Gefecht Ehre und Beförderung zu Theil geworden, schien für ihn, im Vergleich mit dem Verluste seines alten Capitains und Kameraden, wenig Gewicht zu haben. Minna las die Nachricht, und dankte, während ihre emporgerichteten Augen von Thränen überströmten, dem Himmel, daß Cleveland auf dem Bette der Ehre gestorben sei; ja, sie hatte sogar den Muth, es mit Dank anzuerkennen, daß er aus einer Lage der Versuchung gerissen worden, ehe die Umstände seine neugeborene Tugend überwältigen konnten, und dieser Gedanke wirkte so stark, daß ihr Leben, nachdem der unmittelbare Schmerz, welchen diese Begebenheit ihr verursachte, vorübergegangen war, nicht allein so ergeben wie zuvor, sondern sogar noch heiterer dahin zu fließen schien. Ihre Gedanken waren indeß von dieser Welt abgezogen, und verweilten nur mit einem Antheile, wie ihn Schutzengel für ihre Schützlinge fühlen, von Zeit zu Zeit bei den Freunden, denen sie in Liebe zugethan war, oder bei den Armen, denen sie helfen und die sie trösten konnte. So floß ihr Leben dahin, während dessen sie von Allen, welche ihr naheten, eine an Verehrung grenzende Liebe genoß, so daß ihre Freunde, als sie um ihren Tod trauerten, der erst spät erfolgte, sich mit der Betrachtung trösteten, daß die menschliche Hülle, welche sie jetzt abgelegt, das Einzige gewesen, das sie, um mit den Worten der Schrift zu reden, »etwas unter die Engel stellte!«


 

Druck von C. Hoffmann in Stuttgart.

 


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