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Vierzehntes Kapitel.

 

Freude, Freude, in London jetzt!

Southey.

 

Die Nachricht von der Gefangennehmung des Piraten kam ungefähr eine Stunde vor Mittag nach Kirkwall, und erfüllte dort Alles mit Verwunderung und Freude. Es wurden an diesem Tage auf dem Markte fast gar keine Geschäfte gemacht; denn Leute jeden Alters und Gewerbes strömten von dem Platze fort, um die Gefangenen zu sehen, wie sie nach Kirkwall marschirten, und sich darüber zu freuen, wie sie jetzt verändert aussahen, im Vergleich zu der Zeit, wo sie noch in den Straßen der Stadt umherstolzirten, pochten und tobten. Bald sah man die Bajonette der Seesoldaten in der Sonne blitzen, und jetzt kam der trübselige Haufen der Gefangenen heran, von denen immer zwei und zwei an einander gefesselt waren. Ihre glänzenden Anzüge waren ihnen theils von den Siegern abgerissen worden, theils hingen sie in Lumpen um sie her; Mehrere von ihnen waren verwundet und mit Blut bedeckt; Mehrere von dem Auffliegen des Pulvers, womit einige der Verwegensten das Schiff hatten in die Luft sprengen wollen, geschwärzt und beschädigt. Die Meisten von ihnen waren finster, und zeigten keine Reue; Manche schienen mehr Gefühl für ihre Lage zu haben, und Einige boten ihrem Schicksale Trotz, und sangen eben die gottlosen Lieder, von denen die Straßen von Kirkwall ertönten, als sie noch lustigen Muthes waren.

Der Bootsmann und Goffe, welche zusammengeschlossen waren, erschöpften sich in Drohungen und Verwünschungen gegen einander. Der Erste beschuldigte Goffen der Unwissenheit in der Steuermannskunst, und der Letztere behauptete, daß der Bootsmann ihn daran verhindert hätte, das Pulver, das im Vordertheile lag, anzuzünden, und sie so Alle zusammen in die andere Welt zu schicken. Zuletzt kamen Cleveland und Bunce, die man ungefesselt gehen ließ. Das anständige, traurige, aber entschlossene Wesen des Erstern stach sehr sonderbar gegen den theatralischen Gang und den pochenden Trotz ab, den der arme Jack anzunehmen, um einige wenige würdevolle Regungen zu verbergen, für gut gefunden hatte. Man betrachtete den Ersteren mit Theilnahme, den Letzteren mit einem Gemisch von Verachtung und Mitleid, während die Meisten der Uebrigen durch ihre Blicke und ihre Sprache Abscheu, und sogar Furcht einflößten.

Es gab jedoch Jemand in Kirkwall, der sich so wenig beeilte, das zu sehen, was Aller Augen auf sich zog, daß er von der Begebenheit, welche die Stadt in Bewegung setzte, nicht einmal etwas wußte. Dieß war Mertoun, der Vater, der sich seit zwei oder drei Tagen in Kirkwall aufhielt, von denen er einen Theil damit zugebracht hatte, bei einer gerichtlichen Verhandlung gegenwärtig zu sein, welche auf Veranlassung des General-Fiscals gegen den ehrenfesten Gläubigen Bryce Snailsfoot eingeleitet worden war. Im Verfolg einer Untersuchung über das, was dieser würdige Handelsmann gethan, war Clevelands Kiste mit seinen Papieren und dem übrigen Inhalte Mertoun, als dem gesetzlichen Verwahrer, zurückgegeben worden, um sie an sich zu nehmen, bis der rechtmäßige Eigenthümer in der Lage sein würde, sein Recht darauf geltend zu machen. Mertoun hatte Anfangs Lust, der Gerechtigkeit das Pfand zu überlassen, das sie ihm anvertrauen wollte; als er aber eines oder zwei von den Papieren gelesen, änderte er schnell seinen Entschluß, bat die obrigkeitlichen Personen in abgebrochenen Worten, ihm die Kiste in seine Wohnung senden zu lassen, eilte nach Hause, verriegelte sich hier in seinem Zimmer, um die sonderbaren Aufschlüsse, welche der Zufall ihm gegeben, und welche seine Ungeduld nach einer Zusammenkunft mit der geheimnißvollen Norna von Fitful-Head steigerten, näher zu überlegen und zu berathen.

Man wird sich erinnern, daß sie ihm, als Beide auf dem Kirchhofe der Sanct Ninians-Kirche von einander schieden, angedeutet hatte, sich um die Mittagsstunde am fünften Tage des Sanct Olla's-Marktes in dem äußern Seitengange der Sanct Magnus-Kirche einzufinden, wo er Jemand antreffen würde, der ihm über Mordaunt's Schicksal Auskunft ertheilen könnte. »Dieß muß sie selbst sein,« sagte er, »und daß ich sie jetzt sehen muß, ist klar. Wie ich sie früher auffinden soll, weiß ich nicht, und es wird besser sein, ein paar Stunden selbst in dieser dringenden Angelegenheit zu verlieren, als sie durch einen voreiligen Versuch, mich ihr aufzudrängen, zu beleidigen.«

Lange vor Mittag – lange, ehe die Bewohner von Kirkwall durch die Nachricht von den Ereignissen an dem anderen Ende der Insel in Bewegung gesetzt worden waren, ging also Mertoun schon in dem verlassenen Seitengange der Kathedrale auf und ab, und erwartete mit krampfhafter Begierde die verheißene Mittheilung Norna's. Die Glocke schlug zwölf; keine Thür öffnete sich, Niemand trat in die Kathedrale; kaum aber war der letzte Ton in dem Gewölbe verhallt, als Norna vor ihm stand, aus einem der innern Seitengänge hervorgleitend. Ohne auf das scheinbar Geheimnißvolle ihrer plötzlichen Annäherung zu achten (mit deren Bewandniß der Leser schon bekannt ist), ging Mertoun sogleich mit dem ängstlichen Aufrufe auf sie zu, »Ulla – Ulla Troil – hilf mir unsern unglücklichen Knaben retten!«

»Auf Ulla Troil,« sagte Norna, »antworte ich nicht; ich gab diesen Namen in der Nacht, die mich einen Vater kostete, den Winden hin.«

»Sprich nicht von jener Nacht des Schreckens,« sagte Mertoun; »wir haben unsere Vernunft nöthig – laß uns nicht Erinnerungen auffrischen, welche diese in Gefahr bringen könnten, sondern hilf mir, wenn du kannst, unser unglückliches Kind retten.«

» Vaughan,« antwortete Norna, »es ist schon gerettet – schon lange gerettet; glaubt Ihr, daß die Hand einer Mutter, wie ich, Euere schleichende, zögernde, unwirksame Hilfe abwarten würde? Nein, Vaughan, ich enthülle mich Euch nur, um meines Triumphes über Euch zu genießen. Dieß ist die einzige Rache, welche die mächtige Norna sich für das Ulla Troil angethane Unrecht erlauben will.«

»Hast du ihn wirklich gerettet – ihn aus den Händen des mörderischen Schiffsvolkes gerettet? Sprich, und rede die Wahrheit! Ich will Alles glauben – Alles glauben, was du mir sagst! Beweise mir nur, daß er fort und in Sicherheit ist!«

»Er ist fort und in Sicherheit,« sagte Norna, »durch mich in Sicherheit, und sieht einer ehrenvollen und glücklichen Verbindung entgegen. Ja, Ungläubiger, ja, kluger und dünkelvoller Ungläubiger, dieß war Norna's Werk! Ich hatte dich schon seit mehreren Jahren erkannt, würde mich aber dir nie zu erkennen gegeben haben, wäre es nicht in dem triumphirenden Bewußtsein geschehen, das Geschick, welches meinem Sohne drohte, in meiner Gewalt zu haben. Alles vereinigte sich gegen ihn, die Sterne, welche ihm den Tod in den Wellen droheten – Verbindungen, welche auf Blut deuteten – aber meine Einsicht überwand Alles. Ich ordnete an, ich stellte zusammen – ich fand Mittel – ich erdachte sie – jedes Ungemach ward abgewandt, und welcher Ungläubige auf Erden, oder welcher störrige Dämon außer den Grenzen dieser Erde kann nun noch meine Macht läugnen?«

Die wilde Begeisterung, mit der sie sprach, glich so sehr dem triumphirenden Wahnsinne, daß Mertoun antwortete: »Wären Eure Ansprüche weniger hoch, und Eure Sprache gemäßigter, so wurde ich über die Sicherheit meines Sohnes ruhiger sein.«

»So zweifle denn immerhin, eitler Zweifler!« sagte Norna, »und wisse dennoch, daß nicht allein unser Sohn in Sicherheit ist, sondern daß ich auch gerächt bin, obgleich ich keine Rache suchte – gerächt an dem mächtigen Werkzeuge der finstern Mächte, welche meine Pläne so oft vereitelten, und selbst das Leben meines Sohnes bedroheten – ja, nimm es als Gewährleistung für die Wahrheit meiner Rede an, daß Cleveland, der Pirat Cleveland in diesem Augenblicke als Gefangener nach Kirkwall gebracht, und bald mit seinem Leben es büßen wird, Blut vergossen zu haben, welches dem Blute Norna's verwandt ist.«

»Wer, sagst du, sei ein Gefangener?« antwortete Mertoun mit donnernder Stimme; »wer, sagtest du, Weib, sollte seine Verbrechen mit seinem Leben büßen?«

»Cleveland – der Pirat Cleveland,« antwortete Norna, »und mir, deren Rath er verachtete, ist es vergönnt worden, ihm sein Schicksal zu bereiten.«

»Unglücklichste aller Frauen!« sagte Mertoun mit zusammengebissenen Zähnen; »du hast, wie deinen Vater, auch deinen Sohn gemordet!«

»Meinen Sohn! Welchen Sohn? Was meint Ihr? Mordaunt ist Euer Sohn – Euer einziger Sohn!« rief Norna aus. »Ist er es nicht – sagt mir schnell – ist er es nicht?«

»Mordaunt ist allerdings mein Sohn,« sagte Mertoun, »wenigstens sprechen ihn die Gesetze mir zu – aber, ach unglückliche Ulla, – Cleveland ist dein Sohn so gut, als der meinige – Blut von unserem Blut, Bein von unserem Bein, und wenn du ihn dem Tode geweihet hast, so will ich mein elendes Leben mit ihm enden!«

»Halt', bleib' – beruhige dich, Vaughan!« sagte Norna, »ich bin noch nicht überwältigt – beweise mir nur, daß das, was du sagst, wahr ist, und ich will Hilfe schaffen, und wenn ich die Hölle emporrufen sollte! – Aber beweise die Wahrheit deiner Worte, sonst kann ich ihnen keinen Glauben schenken.«

»Du helfen, elendes, dünkelvolles Weib? Wozu haben dir deine Zusammenstellungen – deine Listen – die Taschenspielerei des Wahnsinnes – der bloße Betrug der Geistesverwirrung – wozu hat dir das Alles genützt? Und doch will ich mit dir, wie mit einer Vernünftigen reden; ja, ich will deine Macht zugeben – höre denn, Ulla, die Beweise, welche du verlangst, und finde ein Mittel aus, wenn du kannst.«

»Als ich von Orkney entfloh,« fuhr er nach einer Pause fort, »es ist jetzt fünfundzwanzig Jahre her – nahm ich das unglückliche Wesen mit, dem du das Leben gegeben hattest. Einer deiner Verwandten sandte es mir zu, mit der Nachricht von deiner Krankheit, welcher bald die allgemein geglaubte Sage von deinem Tode folgte. Ich brauche nicht zu erzählen, in welchem Jammer ich Europa verließ. – Ich fand einen Zufluchtsort auf Hispaniola, wo eine schöne junge Spanierin das Amt übernahm, mich zu trösten. Ich heirathete sie – sie wurde Mutter des Jünglings, der den Namen Mordaunt Mertoun führt.«

»Du heirathetest sie!« – sagte Norna mit dem Tone des tiefsten Vorwurfs.

»Ja, Ulla,« antwortete Mertoun, »aber du wurdest gerächt. Sie ward mir untreu, und ihre Untreue erregte mir den Zweifel, ob das Kind, welches sie geboren hatte, ein Recht habe, mich Vater zu nennen – doch auch ich ward gerächt.«

»Du ermordetest sie!« – sagte Norna mit einem furchtbare Schrei.

»Ich that etwas,« sagte Mertoun, ohne geradezu auf ihre Frage zu antworten, »was eine schnelle Flucht von Hispaniola nothwendig machte. Deinen Sohn nahm ich mit mir nach Portugal, wo wir eine kleine Niederlassung hatten. Mordaunt Vaughan, der Sohn aus meiner Ehe, ungefähr drei oder vier Jahre jünger, als der andere, war in Port-Royal, um eine Erziehung nach englischer Weise erhalten zu können. Ich beschloß, ihn nie wieder zu sehen, fuhr aber fort, für seinen Unterhalt zu sorgen. Unsere Niederlassung ward von den Spaniern geplündert, als Clemens erst fünfzehn Jahre alt war – der Mangel steigerte die Verzweiflung, und vermehrte die Spannungen eines beunruhigten Gewissens. Ich wurde Corsar, und zog Clemens mit in dieß verzweifelte Gewerbe hinein. Seine Gewandtheit und sein Muth erwarben ihm, obgleich er damals nur noch ein Knabe war, ein eigenes Commando. Nach Verlauf von zwei oder drei Jahren, während welcher wir auf verschiedenen Streifereien waren, empörte sich mein Schiffsvolk gegen mich, und ließ mich für todt am Ufer einer der Bermuda's zurück. Ich genas indeß wieder, und meine erste Frage nach einer langwierigen Krankheit war die nach Clemens. Auch er war, wie ich hörte, von einer empörerischen Schiffsmannschaft maronirt, und auf einer einsamen Insel ausgesetzt worden, dort Hungers zu sterben. – Ich glaubte, er sei auf diese Art umgekommen.«

»Und woher glaubst du, daß dieß nicht der Fall war?« sagte Ulla; »oder woraus geht es hervor, daß dieser Cleveland mit Vaughan ein und dieselbe Person sei?«

»Es ist bei Abenteurern der Art etwas ganz Gewöhnliches, ihre Namen zu verändern,« antwortete Mertoun, »und Clemens hatte wahrscheinlich gefunden, daß der Name Vaughan zu berüchtigt geworden war. Diese Veränderung verhinderte aber auch zugleich, daß ich irgend eine Nachricht von ihm erhielt. Jetzt fing ich an, Gewissensbisse zu fühlen, und von Abscheu gegen die ganze Natur, besonders aber gegen das Geschlecht erfüllt, dem Luisa angehörte, beschloß ich, auf den wilden shetländischen Inseln den übrigen Theil meines Lebens hindurch Buße zu thun. Mich strengen Fasten und der Geißel zu unterwerfen, war der Rath der heiligen katholischen Priester, die ich befragte. Ich erdachte jedoch eine edlere Buße – ich beschloß, den unglücklichen Knaben Mordaunt mitzunehmen, um das lebende Denkzeichen meines Elends und meiner Schuld immer vor Augen zu behalten. Dieß habe ich gethan, und so oft über Beide nachgedacht, daß die Vernunft öfter auf ihrem Throne zitterte. Und jetzt ersteht, um mich zum reinen Wahnsinn zu bringen, mein Clemens – mein eigener, unbezweifelter Sohn, von den Todten, und wird durch die Anschläge seiner eigenen Mutter einem schmachvollen Tode zugeführt.«

»Hinweg! hinweg!« rief Norna lachend, als sie die Geschichte zu Ende gehört hatte; »dieß ist ein Mährchen, das der alte Corsar erdacht hat, um meine Hilfe für einen schuldbedeckten Kameraden in Anspruch zu nehmen. Wie sollte Clemens, und nicht Mordaunt, mein Sohn sein, da sie an Alter so verschieden sind?«

»Die dunkele Gesichtsfarbe und die männliche Gestalt Mordaunts können viel dazu beigetragen haben,« sagte Basil Mertoun; »die Einbildungskraft that das Uebrige.«

»Nun wohl, gib mir Beweise, – gib mir Beweise, daß dieser Cleveland mein Sohn ist – und die Sonne soll eher im Osten untergehen, als daß sie im Stande sein sollen, ein Haar auf seinem Haupte zu krümmen.«

»Diese Papiere, diese Tagebücher!« sagte Mertoun, indem er ihr die Brieftasche hinreichte.

»Ich kann sie nicht lesen,« – sagte sie, nach einem Versuche, dieß zu thun – »mein Gehirn ist verwirrt.«

»Clemens hatte auch Zeichen bei sich, deren du dich erinnern würdest, allein sie müssen die Beute Derer geworden sein, die ihn gefangen genommen haben. Er hatte eine silberne Dose, mit einer Runen-Inschrift, welche du mir in jenen Tagen gabst – einen goldenen Rosenkranz –«

»Eine Dose!« sagte Norna schnell. »Cleveland gab mir erst gestern eine – ich habe sie noch nicht genauer betrachtet.«

Sie zog sie hastig heraus – sah die Schrift auf dem Deckel an, und rief eben so hastig aus: »Wohl mag man mich die Reimkennar nennen, denn an diesen Reimen erkenne ich – daß ich meinen Vater und meinen Sohn gemordet habe!«

Die Ueberzeugung, daß sie bis jetzt von einer furchtbaren Täuschung verblendet gewesen sei, wirkte so gewaltig auf sie, daß sie am Fuße eines der Pfeiler zusammensank. Mertoun rief nach Hilfe, obgleich mit wenig Hoffnung, sie zu finden; aber der Küster trat herein, und ohne alle Aussicht, jetzt von Norna Beistand zu erhalten, stürzte der verzweiflungsvolle Vater hinaus, um wo möglich etwas über das Schicksal seines Sohnes zu erfahren.


 


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