Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.

 

Die Zaub'rin waltet mit dem Stabe
      In ihrer bleichen Hand;
Es tönt ihr Wort wie aus dem Grabe;
      Die Gluth des Auges schwand.

Meikle.

 

»Dieß muß die Treppe sein,« sagte der Udallar, indem er im Dunkeln gegen einige holprige Stufen stieß, »dieß muß die Treppe sein, wenn mein Gedächtniß mich nicht ganz trügt. Ja, und da sitzt sie ja,« fügte er hinzu, und stand vor einer halbgeöffneten Thüre still, »mit allen ihren Geräthschaften um sich her, und wahrscheinlich so geschäftig, wie der Teufel beim Sturme.«

Indem er diesen unehrerbietigen Vergleich anstellte, trat er mit seinen Töchtern in das verdunkelte Gemach, wo Norna unter einem Haufen von Büchern in verschiedenen Sprachen, Pergamentrollen, mit den geraden und eckigen Zügen des runischen Alphabets beschriebenen Tafeln und Steinen, und ähnlichen Gegenständen, saß, von welchen der gemeine Mann gewöhnlich glaubt, daß sie mit der Ausübung verbotener Künste in Verbindung stehen.

Daneben lagen in dem Zimmer, oder hingen über dem rohen, schlechtgebauten Kamine ein altes Panzerhemd, mit dazu gehörigem Hauptstücke, Streitaxt und Lanze. Auf einem Brett lagen in großer Ordnung mehrere von den sonderbaren steinernen Aexten, von grünem Granit, die man so oft auf diesen Inseln findet, wo sie das gemeine Volk Donnerkeile zu nennen pflegt, und sie gewöhnlich als Sicherungsmittel gegen den Blitz aufbewahrt; ein steinernes Opfermesser, das man vielleicht zur Abschlachtung von Menschenopfern gebraucht hatte, und eines oder zwei von den metallenen Werkzeugen, Celts genannt, deren Bestimmung schon so manche Alterthumsforscher in Unruhe gesetzt hat. Eine Menge anderer Gegenstände, zum Theil ohne Namen, und die sich nicht beschreiben lassen, lagen in bunter Verwirrung im Zimmer umher, und in einem Winkel, auf einem Haufen verwelkten Seegrases, etwas, das auf den ersten Anblick ein großer unförmlicher Hund zu sein schien, aber bei näherer Betrachtung ein zahmer Seehund war, den Norna zu ihrem Vergnügen abgerichtet hatte.

Dieser wunderliche Liebling verrieth bei dem Eintritte so vieler Fremden eben so viele Unruhe, als ein Landhund bei einer ähnlichen Gelegenheit gethan haben würde. Norna selbst blieb unbeweglich hinter einem Tische von rohem Granit sitzen, der auf ungestalten Füßen von eben dem Stoffe ruhte, und auf welchem, neben dem alten Buche, mit dem sie eifrig beschäftigt zu sein schien, noch einer von den groben ungesäuerten Brodkuchen, welche die armen Bauern in Norwegen essen, lag, und ein Krug mit Wasser stand.

Magnus Troil blieb einen Augenblick schweigend stehen, und betrachtete seine Verwandte, während die Eigenthümlichkeit ihrer Wohnung Brenda Furcht einflößte, und, wenigstens auf einen Augenblick, Minna's Schwermuth und Abgezogenheit in das Gefühl des Antheils und der ehrfurchtsvollen Scheu umwandelte. Das Stillschweigen ward endlich von dem Udallar unterbrochen, der auf der einen Seite seine Verwandte nicht beleidigen, dagegen aber auch zu erkennen geben wollte, daß ihn ein so sonderbarer Empfang nicht aus der Fassung bringen könne, und deßwegen folgendes Gespräch anfing:

»Ich wünsche Euch guten Abend, Base Norna – meine Töchter und ich sind hergekommen, Euch zu besuchen.«

Norna schlug die Augen von dem Buche auf, sah die Gäste starr an, und blickte dann wieder ruhig auf das Blatt hin, welches sie zu lesen schien.

»Ja, Base,« sagte Magnus, »nehmt Euch nur Zeit; – was wir Euch zu sagen haben, hat keine Eile. Sieh, Minna, welche schöne Aussicht man hier auf das Vorgebirge hat, das kaum eine Viertelmeile weit von hier liegt. Du kannst die Wellen mastenhoch sich daran brechen sehen. Und unsere Freundin hat so einen artigen Seehund hier, – he, Seehund, holla, holla!«

Der Seehund nahm jedoch von des Udallars Annäherung zu einer vertrauteren Bekanntschaft keine weitere Notiz, als daß er ein dumpfes Geheul ausstieß.

»Er ist bei weitem nicht so gut gezogen,« fuhr der Udallar fort, indem er die Miene der Ruhe und der Unbefangenheit annahm, »als der von Peter Mac Rom, dem alten Dudelsackpfeifer von Stornaway; dieser hatte einen Seehund, der, wenn man die Weise von Caberfae spielte, mit dem Schwanze den Takt dazu schlug, und auf keine andere hören wollte. Nun, Base,« so schloß er seine Rede, als er sah, daß Norna ihr Buch zuschlug, »werdet Ihr uns endlich bewillkommnen, oder müssen wir das Haus unserer Blutsverwandten wieder verlassen, – um wo anders ein Unterkommen zu suchen, und das noch dazu, da der Abend hereinbricht?«

»Ihr stumpfsinniges, hartherziges Geschlecht, taub, wie die Otter gegen die Stimme des Zauberers,« antwortete Norna, indem sie sich zu ihnen wandte, »warum kommt ihr zu mir? – Ihr habt meine Warnungen vor dem hereinbrechenden Unglücke verachtet, und nun es wirklich hereinbricht, wollt ihr euch bei mir Raths erholen, wo er euch nichts mehr helfen kann.«

»Seht einmal, Base,« sagte der Udallar, mit seiner gewöhnlichen Freimüthigkeit und Derbheit in Art und Ton, »ich muß Euch gerade heraussagen, daß Eure Höflichkeit nicht roher und kälter sein kann, als sie ist. Ich habe zwar nie eine Otter gesehen, da es hier zu Lande keine gibt, aber was meine eigenen Gedanken betrifft, was so ein Ding wohl sein möchte, so kann ich das als keinen schicklichen Vergleich für mich oder meine Töchter annehmen, und das ist es, was ich Euch sagen wollte. Aus alter Bekanntschaft und aus gewissen andern Ursachen verlasse ich Euer Haus nicht auf der Stelle; da ich aber in aller Güte und Höflichkeit hergekommen bin, so bitte ich Euch, mich auch auf gleiche Weise aufzunehmen, denn sonst wollen wir gehen, und Eurer ungastlichen Schwelle die Schande lassen.«

»Wie?« sagte Norna, »wagt Ihr es, eine so kühne Sprache in dem Hause Jemandes zu führen, den Alle, den Ihr selbst um Rath zu fragen kommt? Wer zu der Reimkennar spricht, muß seine Stimme vor der mäßigen, vor welcher Wind und Wellen sich legen.«

»Wind und Wellen mögen sich legen, wenn sie wollen,« erwiderte der entschiedene Udallar, »aber ich nimmermehr. Ich spreche in dem Hause meiner Freunde wie in meinem eigenen, und streiche vor Niemand die Segel.«

»Und hofft Ihr, mich durch die Rohheit zu zwingen, Eure Fragen zu beantworten?«

»Base,« erwiderte Magnus Troil, »ich bin zwar in den alten norwegischen Sagas nicht so bewandert, wie Ihr, aber das weiß ich, daß, als die Kämpen vor geraumer Zeit noch die Wohnungen der Beschwörerinnen und Seherinnen besuchten, sie, mit der Streitaxt auf der Schulter und das gute Schwert gezogen in der Hand, hereinkamen, und die Macht, die sie anriefen, zwangen, ihnen Rede und Antwort zu geben, und wäre es Odin selbst gewesen.«

»Vetter,« sagte Norna, indem sie von ihrem Sitze aufstand und sich näherte, »du hast wohl, und zu guter Stunde, für dich und deine Töchter geredet, denn wärest du von meiner Schwelle gegangen, ohne mir eine Antwort abzupressen, so hätte die Morgensonne dich nicht mehr beschienen. Die Geister, welche mir dienen, sind neidisch, und wollen zu nichts, das der Menschheit von Nutzen sein kann, hülfreiche Hand leisten, wenn ihre Dienste nicht von der unverzagten Keckheit der Braven und Freimüthigen mit Gewalt erzwungen werden. Und nun sprecht, was begehrt Ihr von mir?«

»Meiner Tochter Gesundheit,« erwiderte Magnus, »die keine Heilmittel herzustellen vermocht haben.«

»Deiner Tochter Gesundheit?« erwiderte Norna, »und was ist des Mädchens Uebel?«

»Der Arzt,« sagte Troil, »muß den Namen der Krankheit wissen. Alles, was ich dir sagen kann, ist, daß ...«

»Schweig!« sagte Norna, ihn unterbrechend. »Ich weiß Alles, was du mir sagen kannst, und mehr, als du selbst weißt. Setzt euch insgesammt, und du, Mädchen« – sagte sie, indem sie sich zu Minna wandte, und auf den Ort zeigte, von dem sie soeben aufgestanden war – »setze dich in jenen Sessel, einst der Sitz der Gierwada, bei deren Stimme die Sterne ihre Strahlen verbargen, und selbst der Mond erblich.«

Minna näherte sich mit langsamen, schwankenden Schritten dem rohen Sitze, welchen Norna ihr andeutete, und der aus einem Steine bestand, welcher von der rohen und plumpen Hand irgend eines alten gothischen Künstlers zu einem Sessel bearbeitet worden war.

Brenda, die sich so dicht, als möglich, an ihren Vater anschmiegte, setzte sich neben ihn auf eine Bank, welche in einiger Entfernung von Minna stand, und hielt ihre Augen, mit einer Mischung von Furcht, Mitleid und Besorgniß, fest auf sie geheftet. Es würde schwer sein, die Empfindungen, welche in diesem Augenblicke das liebenswürdige und zärtliche Mädchen bewegten, genau zu entziffern. Obgleich nicht mit der hohen Einbildungskraft ihrer Schwester begabt, und deßwegen natürlich mit geringerem Glauben an das Wunderbare, mußte sie dennoch einigen unbestimmten Gefühlen der Furcht Raum geben, wenn sie an das dachte, was jetzt vielleicht vorgehen könnte. Diese Gefühle verloren sich indeß zum Theil in ihren Besorgnissen für ihre Schwester, die bei so angegriffener Gesundheit, bei so erschöpfter Geisteskraft, und bei einer so großen Empfänglichkeit für alle Eindrücke, welche durch die Umgebung so leicht hervorgebracht werden konnten, ganz leidend den Händen derjenigen preisgegeben da saß, deren Behandlungsart die verderblichsten Wirkungen auf ein so empfindliches Gemüth hervorbringen konnte.

Brenda blickte Minna an, die in ihrem rohen Sessel von dunklem Gestein saß, und deren zart geformte Gestalt und Glieder den stärksten Gegensatz gegen die rohen, unregelmäßigen Winkel desselben bildeten. Ihr Gesicht und ihre Lippen waren weiß, wie Kreide, ihre Augen nach oben gerichtet, und aus ihnen sprach ein Gemisch von Ergebung und aufgeregter Schwärmerei, welche in ihrer Krankheit und ihrem Charakter lagen. Der nächste Blick der jüngeren Schwester fiel auf Norna, die mit gedämpfter und eintöniger Stimme vor sich hinmurmelte, von einem Orte zum andern ging, und bald Dieß, bald Jenes nahm, was sie dann, Eines nach dem Andern, auf den Tisch legte. Zuletzt betrachtete Brenda noch ängstlich ihren Vater, um in seinen Mienen, wo möglich, zu lesen, ob er ihre Furcht vor den Folgen, die der Auftritt, der jetzt zu erwarten stand, auf Minna's Gesundheit und Geisteszustand haben könnte, theile. Magnus Troil schien indessen durchaus keine Besorgnisse der Art zu hegen, sondern sah mit ernster Fassung Norna's Vorbereitung zu, und schien den Ausgang mit der Ruhe eines Menschen zu erwarten, der volles Vertrauen in die Geschicklichkeit eines Arztes setzt, und ihn die Vorkehrungen zu einer wichtigen und schmerzhaften Operation treffen sieht, an deren Ausgang er aus Freundschaft oder Liebe einen lebhaften Antheil nimmt.

Norna fuhr indessen mit ihren Vorbereitungen fort, bis sie auf den steinernen Tisch eine Menge Gegenstände aller Art, und unter andern auch ein kleines Kohlenbecken voll Holzkohlen, einen Schmelztiegel und ein Stück dünnes Tafelblei gelegt hatte. Jetzt sagte sie laut: »Es ist gut, daß ich wußte, ihr würdet kommen, – ja, lange vorher, ehe ihr selbst euch dazu entschlossen habt – denn nie würde ich sonst auf das vorbereitet gewesen sein, was jetzt geschehen soll. – Mädchen,« fuhr sie fort, indem sie sich an Minna wandte, »wo ist der Sitz deines Uebels?«

Die Leidende beantwortete diese Frage, indem sie die Hand auf die linke Seite ihres Busens legte.

»Ganz recht,« erwiderte Norna, »ganz recht, – das ist der Sitz des Wohles und des Wehes. Und ihr, ihr Vater und ihre Schwester, glaubt nicht, daß dieß die eitle Rede einer Person sei, die nur auf das Gerathewohl schwatzte; wenn ich euch das Uebel nenne, so werde ich es vielleicht auch weniger schmerzlich machen können; ganz geheilt kann es aber durch keine Hülfe werden. Das Herz, ja das Herz – berührt es nur, und das Auge verdunkelt sich, der Pulsschlag bleibt aus, der gesunde Strom des Blutes fließt matt und trübe, unsere Glieder sterben ab, wie saftloses Seegras in heißer Sonne, unsere besseren Lebenstage sind dahin, und was übrig bleibt, ist nur der Traum verlorenen Glückes, oder die Furcht vor unvermeidlichem Uebel. Aber die Reimkennar muß an ihr Werk gehen – es ist gut, daß ich die Mittel dazu vorbereitet habe.«

Mit diesen Worten warf sie ihren langen, dunkelfarbigen Mantel ab, und stand nun in ihrem kurzen Mieder von blauem Wadmaal da, mit einem Hemde von demselben Stoffe, das phantastisch mit schwarzem Sammet besetzt und um die Hüfte mit einer Kette, oder einem Gürtel von Silber, in sonderbare Zeichen geformt, gegürtet. Norna löste zunächst das Band, welches ihr graues Haar zusammenhielt, und schüttelte es wild um sich her, so daß es in reicher Fülle über ihr Gesicht und auf ihre Schultern wallte, und ihre Züge beinahe ganz verdeckte. Dann setzte sie einen kleinen Schmelztiegel auf das Kohlenbecken, goß einige Tropfen aus einer Phiole auf die Kohlen, deutete mit ihrem welken Zeigefinger, den sie vorher mit einer Flüssigkeit aus einer andern Flasche befeuchtet hatte, darauf hin, und sagte: »Feuer, thu' deine Pflicht!« Und kaum waren diese Worte ausgesprochen, als, wahrscheinlich durch eine den Zuschauern unbekannte chemische Zusammensetzung, die Kohlen unter dem Schmelztiegel langsam zu glimmen anfingen, während Norna, wie über den Verzug ungeduldig, ihr aufgelöstes Haar hastig zurückwarf, und indem die Funken und der rothe Schein des Feuers ihr Gesicht erhellten, und ihre Augen zwischen ihren Locken, wie die eines wilden Thieres aus seinem Bau hervorblitzten, heftig blies, bis das Ganze in einer gewaltigen Gluth loderte. Jetzt hielt sie einen Augenblick an, murmelte vor sich hin, daß dem Elementargeist Dank gebühre, und sprach in ihrer gewöhnlichen eintönigen, aber wilden Gesangsweise, folgende Verse:

Gewaltiger, der furchtbar herrscht, voll Grau'n,
Mit deinem Purpurflügel stolz zu schau'n,
Der du den Stürmen selbst aus Norden auch
Zu steh'n gebietest nur mit leisem Hauch;
Der du der kleinen Hütte Schutz verleihst,
Wenn den Palast voll Zorn dein Flug umkreist;
Der Erde Geister hören deine Worte:
Dir dankt auch Norna jetzt an diesem Orte!

Dann nahm sie einen Theil von dem kleinern Stücke Blei, welches auf dem Tische lag, ließ es in dem Schmelztiegel, mit Hülfe der glühenden Kohlen schmelzen, und sang wahrend dessen:

Du, Erde, sollst von Norna Dank empfahn,
Für Alles, was sie hat durch dich gethan!
Dein Busen nährt, was lebt und athmet hier,
Und was wir haben, haben wir von dir,
Dieß zaubermächt'ge Blei gab mir dein Schooß,
Das aus dem Grab' ich nahm, nicht schreckenlos.
In deinen Schooß, o Erde, sei's auf's Neu' gebracht,
Daß, Mutter, sich bewähre deine Macht!

Hierauf goß sie aus dem Kruge etwas Wasser in einen großen Becher oder Trinkgefäß, und sang, indem sie das Ganze langsam mit dem Ende ihres Stabes umrührte:

Beschirmer uns'rer Inseln, Geist
Der Fluth, der du Gehör mir leihst,
An fremden Küsten hast du Macht,
Wenn deine Wog' an ihnen kracht;
Doch unsre Felswand widersteht,
Wo deine Macht zu Ende geht.
Begünst'ge nun, was Norna schafft,
Stärk' ihres Zaubersanges Kraft.

Endlich nahm sie mit einer Zange den Tiegel vom Kohlenfeuer, goß das jetzt geschmolzene Blei in die Schale mit Wasser, und sang dabei:

So unterstützt euch, Elemente, jetzt!
Daß eure Kraft und Macht gedeih' zuletzt!

Das geschmolzene Blei, welches umher sprühte, so wie es das Wasser berührte, bildete natürlich die gewöhnlichen unregelmäßigen Formen, welche allen Denen wohlbekannt sind, die in ihrer Jugend den Versuch machten, und aus denen wir in unserer kindlichen Einbildung damals alle die Stücke heraussuchten, welche mit Hausgeräth, dem Werkzeug der Handwerker und dergleichen, Ähnlichkeit hatten. Norna schien sich ebenfalls in Untersuchungen der Art zu vertiefen, denn sie betrachtete die Bleimasse mit gespannter Aufmerksamkeit, und zerlegte sie in mehrere kleine Theile, dem Anscheine nach, ohne ein Bruchstück von solcher Gestalt zu finden, wie sie es wünschte.

Endlich murmelte sie wieder vor sich hin, indem sie mehr zu sich selbst, als zu ihren Gästen sprach: »Auch er, der Unsichtbare, will nicht vergessen sein, will seinen Antheil an dem Werke haben, zu dem er nichts beiträgt. Finsterer Wolkensammler, auch du sollst die Stimme der Reimkennar vernehmen.«

Mit diesen Worten warf Norna abermals das Blei in den Schmelztiegel, wo es zischte und sprühte, sobald das feuchte Metall die Wände des rothglühenden Gefäßes berührte, und bald wieder in Fluß gerieth. Die Sybille wandte sich nun nach der Seite des Zimmers, öffnete plötzlich ein Fenster, das gegen Nordwesten ging, und ließ die Strahlen der Sonne ein, welche beinahe dicht über einer großen Masse rother Wolken ruhte, die künftigen Sturm andeuteten, den Saum des Horizontes einfaßten, und über den Wellen des unermeßlichen Oceans zu lagern schienen. Indem sie sich gegen diese Gegend wendete, aus der eben ein dumpfheulender Wind wehte, redete Norna den Geist der Winde in Tönen an, welche den seinigen zu gleichen schienen:

Durch dunkeln Ocean
Steuert der Schiffer heran;
Draußen auf Meeresfluth
Zeigst du den Pfad ihm gut!
Mögen die grimmigen Wogen ihm droh'n
Du führst über die Klippen ihn schon.
Glaubst du, ich huld'ge nicht dir?
Deine Brüder – gestatte du mir,
Daß ich mich wende zu diesen!
Sieh' bang' meine Thränen fließen!
Blick' auf dieses graue Haar,
Das oft deine Beute war,
Magst du es von hinnen heben,
Mag es in den Wolken schweben,
Mag der Möve Spiel es sein –
Willst du jetzt nur Gnade leih'n!
Nimm das Opfer freundlich hier,
Jetzt, da Norna spricht mit dir!

Norna begleitete diese Worte mit der Handlung, welche sie andeuteten, riß mit Heftigkeit eine Locke aus ihrem Haar, und streute sie in den Wind, während sie in ihrer Beschwörung fortfuhr. Sie schloß dann das Fenster, und das Gemach war wieder in das ungewisse Dämmerlicht gehüllt, das zu ihrem Wesen und zu ihrer Beschäftigung am besten paßte. Das geschmolzene Blei wurde abermals in das Wasser geschüttet, die Sybille untersuchte mit großer Aufmerksamkeit die verschiedenen sonderbaren Gestaltungen desselben, und schien endlich durch Stimme und Geberde anzudeuten, daß ihr Zauberspruch den gewünschten Erfolg gehabt habe. Sie wählte aus dem geschmolzenen Metall ein Stück, welches ungefähr die Größe einer Wallnuß hatte, dessen Gestalt der des menschlichen Herzens täuschend glich, näherte sich Minna, und sprach abermals in Reimen:

Sie kennt der Nixen Macht, die draußen
Am Zauberquelle mächtig hausen;
Ist unterthan den Meeresfrau'n,
Die einsam an der See zu schau'n;
Ihr droht der Zauberstab der Fee'n,
Die sie in Einsamkeit geseh'n;
Schläft in der Zwerge Höhlen sie,
Dann fehlt es ihr an Leiden nie.

Muthvoll hat Minna nicht Gefahr gescheut,
Die Quelle, Meer und Fee und Zwerg ihr beut:
Doch ach, die Qual, die ihr das Herz durchflammt,
Ist nicht von dort, ist ander'm Quell entflammt!

Minna, deren Aufmerksamkeit in den letzten Augenblicken durch Betrachtungen über ihren eigenen geheimen Kummer etwas abgezogen war, nahm sich jetzt wieder zusammen, und blickte Norna forschend an, als ob sie aus ihren Reimen etwas von großer Bedeutung zu erfahren erwartete. Die nordische Sybille durchstach unterdessen das herzförmige Stück Blei, und zog einen Golddraht hindurch, um es damit an einer Kette oder an einem Halsbande befestigen zu können. Dann fuhr sie abermals in ihren Reimen fort:

Du bist in eines Geistes Macht,
Wie im weisen Heims, im mächt'gen Trolld sie nie gewacht;
Singt schöner, denn die Meeresfrau'n,
Die Feen sind minder flink zu schau'n!
Die Nixen haben nicht die Kraft,
Zu rüsten, was er oft geschafft.
Starr macht das heiße Blut er gleich,
Die rothe Wange macht er bleich –
Doch Mädchen, eh' wir weiter geh'n,
Kannst du, was ich gesagt, versteh'n?

Minna antwortete auf dieselbe rhythmische Weise, deren die alten Scandinavier sich zum Scherz und im Ernst sehr oft bedienten:

Wohl, Mutter, Zeichen, Wort und Blick ist klar,
Drum mache Weiteres mir offenbar!

»Nun, der Himmel und alle Heiligen seien gepriesen,« sagte Magnus, »das sind die ersten vernünftigen Worte, die sie seit mehreren Tagen gesprochen hat.«

»Und sollen für viele Monate die letzten bleiben,« sagte Norna, über diese Unterbrechung aufgebracht, »wenn Ihr mich in meinem Zauberwerke abermals unterbrecht. Wendet euch mit dem Gesicht gegen die Mauer, und blickt, bei meinem ganzen Mißfallen, nicht wieder hierher. Du, Magnus Troil, weil du ein hartherziges, hochfahrendes Gemüth hast, und du, Brenda, wegen deines muthwilligen und eitlen Unglaubens an das, was über deine begränzte Fassungskraft geht, ihr seid Beide unwürdig, dieß geheimnißvolle Werk zu schauen; der Blick eurer Augen mischt sich in den Zauberspruch und schwächt ihn, denn die überirdischen Mächte dulden kein Mißtrauen.«

Magnus war an einen so entschiedenen Ton gegen sich nicht gewohnt, und hätte gern einige zornige Worte erwidert, aber die Ueberlegung, daß Minna's Gesundheit auf dem Spiele stände, und daß die, welche so eben sprach, von manchem Kummer heimgesucht worden war, machte, daß er seinen Unwillen unterdrückte, mit dem Kopfe nickte, die Achseln zuckte, und die vorgeschriebene Stellung annahm, indem er sein Haupt von dem Tische ab- und gegen die Mauer wandte. Brenda that, auf einen von ihrem Vater gegebenen Wink, dasselbe, und Beide beobachteten nun ein tiefes Stillschweigen.

Norna redete nun Minna abermals an:

Beachte klüglich du mein Wort,
So flieht des Herzens Qual bald fort.
Dieß Herz aus Blei, ob werthlos zwar,
Bringt dennoch Kräfte, wunderbar.
In stillem Hoffen trag' es nun,
Bis Gram und Sorgen endlich ruh'n,
Bis ein rother Fuß trifft die rothe Hand
In Kirkwalls Kirch' an Orkney's Strand.

Bei den letzten Zeilen erröthete Minna dunkel, da sie – wie sie die Verse auslegte – nicht länger zweifelte, daß Norna mit der geheimen Ursache ihres Kummers bekannt sei. Eben diese Ueberzeugung gab aber auch dem Mädchen die freudige Hoffnung auf den glücklichen Ausgang, welchen die Sybille vorauszusetzen schien, und da sie es nicht wagte, ihre Gefühle auf eine verständliche Art auszusprechen, drückte sie Norna's eingeschrumpfte Hand mit aller Wärme der Zuneigung erst an ihr Herz, dann an ihren Busen, und benetzte sie mit Thränen.

Mit mehr menschlichem Gefühle, als man gewöhnlich an ihr bemerken konnte, zog Norna ihre Hand aus denen des armen Mädchens, dessen Thränen jetzt reichlicher floßen, knüpfte mit größerer Zärtlichkeit, als sie bis jetzt verrathen hatte, das bleierne Herz an eine goldene Kette, und hing diese um Minna's Hals, indem sie bei dieser letzten Zauberverrichtung folgende Worte sang:

Geduld! Geduld kann Hülfe bringen,
Wenn Wetterstürme dich umschlingen.
Sieh, freundlich übergeb' ich dir
Von Zaubergold die Kette hier,
Die sei als Zeichen dir vertraut,
Daß Alles Norna wohl durchschaut.
Nicht Vater und nicht Schwester soll sie seh'n,
Bis Alles in Erfüllung mußte geh'n.

Nachdem Norna diese Verse gesprochen hatte, hing sie der Leidenden sorgfältig die Kette so um den Hals, daß sie in ihrem Busen verborgen war, und der Zauber war vollbracht, ein Zauber, der in dem Augenblicke, wo ich diese Begebenheiten erzähle, in Shetland jetzt geübt wird, wenn man, was besonders bei den niedern Klassen geschieht, die plötzliche Abnahme der Gesundheit ohne sichtbare Ursache einem Dämon zuschreibt, der das Herz aus dem Körper des Leidenden entwendet hat. In einem solchen Falle hat man noch vor wenigen Jahren Beispiele gehabt, daß man die Stelle des entwendeten durch ein bleiernes Herz, das auf die beschriebene Art zubereitet worden war, zu ersetzen suchte. – In einem bildlichen Sinne kann man diese Krankheit wohl als über die ganze Erde verbreitet betrachten. Da aber dieß einfache und eigenthümliche Mittel ganz besonders auf den Inseln von Thule im Gebrauch ist, würde es unverzeihlich gewesen sein, in einer Erzählung, die mit schottischen Alterthümern in Verbindung steht, nicht eine genaue Beschreibung davon zu geben.

Noch einmal erinnerte Norna die Leidende daran, daß die Zaubergabe, wenn sie dieselbe zeigte oder davon spräche, ihre Kraft verlieren würde – ein Glaube, der so allgemein ist, daß er sich bei dem Aberglauben aller Völker findet. Zuletzt zeigte sie ihr, indem sie den Kragen wieder aufknöpfte, den sie so eben befestigt hatte, noch ein Glied einer goldenen Kette, welches Minna augenblicklich als zu der gehörig erkannte, die Norna früher an Mordaunt Mertoun gegeben hatte. Dieß schien eine Andeutung zu sein, daß er noch lebe und unter Norna's Schutz stehe, und sie blickte diese nun mit der forschendsten Neugierde an. Allein die Sybille legte zum Zeichen des Stillschweigens den Finger auf ihre Lippe, und verhüllte abermals die Kette in den Falten, welche züchtig und dicht einen der schönsten Busen, so wie eines der besten Herzen in der Welt bedeckten.

Norna löschte nun die angezündeten Kohlen aus, und als die glühende Asche von dem darauf gegossenen Wasser zischte, befahl sie Magnus und Brenda, umzublicken, und den Zauber vollbracht zu sehen.


 


 << zurück weiter >>