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Dreizehntes Kapitel.

 

Ein Bösewicht? – Es spricht das Gesetz,
      Daß man ihn halt' und fange!
Knüpft ohn' Erbarmen ihn dann auf,
      Daß er im Winde hange!

Ballade.

 

Mordaunt hatte die Schildwachen, welche seit Mitternacht auf dem Posten gewesen waren, vor Tagesanbruch ablösen lassen, und nachdem er Befehl gegeben, daß die Wache vor Sonnenaufgang abermals gewechselt werden sollte, sich in ein kleines Wohnzimmer zurückgezogen, wo er, seine Waffen neben sich, eben in einem Lehnstuhl eingeschlummert war, als er fühlte, daß ihn Jemand bei dem Mantel zupfte, in den er sich eingehüllt hatte.

»Ist es schon um Sonnenaufgang?« fragte er, und fuhr empor, als er die ersten Strahlen der Sonne über dem Horizont emporsteigen sah.

»Mordaunt!« – sagte eine Stimme, deren Ton tief in seinem Herzen wiederhallte.

Er wandte seinen Blick auf die Sprecherin, und Brenda Troil stand zu seinem freudigen Erstaunen vor ihm. Aber als er im Begriff war, sie anzureden, erschrak er vor ihrem Aussehen, denn auf ihren bleichen Wangen waren Spuren des Kummers und der Besorgniß, ihre Lippen bebten, und ihre Augen standen voll Thränen.

»Mordaunt!« sagte sie, »du mußt mir und Minna einen Gefallen erweisen; du mußt uns erlauben, das Haus in der Stille zu verlassen und ohne Jemand zu beunruhigen, damit wir bis zu den Steinen von Stennis gehen können.«

»Was für ein Einfall ist das, theuerste Brenda?« sagte Mordaunt sehr erstaunt über diese Zumuthung. »Wahrscheinlich ein abergläubischer Gebrauch von den Orkney's, aber die Zeit ist zu gefährlich, und die Verhaltungsbefehle, die ich von deinem Vater erhalten habe, sind zu strenge, als daß ich euch erlauben könnte, ohne seine Zustimmung zu gehen. Bedenke, theuerste Brenda, daß ich ein Soldat bin, der auf dem Posten steht, und die Befehle befolgen muß.«

»Mordaunt!« sagte Brenda, »das ist nichts zum Scherze; Minna's Verstand, ja, Minna's Leben hängt davon ab, daß du uns diese Erlaubniß gibst.«

»Und zu welchem Endzwecke?« sagte Mordaunt; »laß mich wenigstens das wissen.«

»Zu einem sehr gewagten und verzweifelten,« erwiderte Brenda: »um mit Cleveland eine Zusammenkunft zu haben.«

»Mit Cleveland!« sagte Mordaunt. »Sollte der Schändliche an's Land kommen, so soll er mit einem Regen von Kugeln begrüßt werden. Laß mich nur hundert Schritte von ihm entfernt sein,« fügte er hinzu, indem er nach seiner Flinte griff, »und alles Leid, das er mir angethan hat, soll durch eine Kugel von einer Unze aufgewogen werden.«

»Sein Tod würde Minna zum Wahnsinn bringen,« sagte Brenda, »und wer Minna zu nahe tritt, den kann Brenda nie wieder ansehen.«

»Dieß ist Tollheit, rasende Tollheit!« sagte Mordaunt; »bedenke deine Ehre – bedenke deine Pflicht!«

»Ich kann nichts bedenken, als die Gefahr, in der Minna schwebt;« sagte Brenda mit einem Strome von Thränen; »ihre frühere Krankheit war Nichts gegen den Zustand, in dem sie die ganze Nacht über gewesen ist. Sie hielt in ihrer Hand seinen Brief, der mehr mit feurigen Zügen, als mit Tinte geschrieben ist, und worin er sie beschwört, ihm noch einmal zum letzten Lebewohl eine Zusammenkunft zu gestatten, wenn sie einen sterblichen Leib und eine unsterbliche Seele retten wolle, ihr ihre Sicherheit verbürgt und erklärt, daß keine menschliche Gewalt ihn von der Küste hinwegbringen soll, bevor er sie gesehen hat. – Du mußt uns gehen lassen.«

»Unmöglich!« erwiderte Mordaunt in großer Unruhe. »Der Schändliche hat allerdings die Betheuerungsformeln am Schnürchen; aber, welche bessere Sicherheit als diese kann er Euch geben? Ich kann Minna nicht erlauben, zu gehen.«

»Ich fange am Ende an zu glauben,« sagte Brenda mit dem Tone des Vorwurfs, indem sie ihre Thränen trocknete, aber immer noch zu schluchzen fortfuhr, »daß Norna nicht ganz unrecht in dem hat, was sie von dem Verhältnisse zwischen dir und Minna sagte, und daß du auf den armen Menschen zu eifersüchtig bist, um ihm zu erlauben, vor seiner Abreise nur einen Augenblick mit ihr zu reden.«

»Du bist ungerecht,« sagte Mordaunt, von ihrem Verdachte gekränkt, wiewohl auch etwas geschmeichelt. »Du bist so ungerecht, wie unvorsichtig. Du weißt – du mußt wissen, daß Minna mir vorzüglich als deine Schwester werth ist. Sage mir, Brenda, sage mir aufrichtig, wenn ich dir wirklich zu dieser Thorheit beistehe, hast du keinen Argwohn gegen des Piraten Rechtlichkeit?«

»Nein, keinen,« sagte Brenda, »denn hätte ich ihn, würde ich dann wohl so in dich dringen? Er ist wild und unglücklich, aber ich denke, in diesem Falle können wir ihm vertrauen.«

»Ist der Ort der Zusammenkunft die Gegend bei den stehenden Steinen, und Tagesanbruch die Zeit?« fragte Mordaunt weiter.

»Ja, und die Zeit ist gekommen,« sagte Brenda, »um des Himmelswillen laß uns gehen!«

»Ich selbst,« sagte Mordaunt, »werde den Posten an der Vorderthür auf einige Minuten ablösen und euch durchgehen lassen. Ihr werdet aber diese gefahrvolle Zusammenkunft doch nicht unnöthig verlängern?«

»Nein,« sagte Brenda, »und du wirst doch den Umstand, daß der unglückliche Mensch es wagt, hierher zu kommen, nicht benutzen, ihm etwas zu Leide zu thun, oder dich seiner zu bemächtigen?«

»Verlaßt euch auf meine Ehre,« sagte Mordaunt; »es soll ihm nichts geschehen, wenn er nicht selbst dazu Anlaß gibt.«

»So werde ich meine Schwester rufen,« sagte Brenda, und trippelte aus dem Zimmer.

Mordaunt überlegte die Sache einen Augenblick, ging dann zu der Schildwache, die an der Vorderthür stand, und befahl ihr, augenblicklich nach der Hauptwache zu gehen, und der ganzen Wache anzudeuten, in's Gewehr zu treten, zu sehen, daß dieser Befehl vollzogen würde, und zurückzukehren, wenn Alle unter den Waffen wären. Unterdessen, sagte er, wolle er selbst auf dem Posten bleiben. Während der Abwesenheit der Schildwache öffnete sich leise die Vorderthüre, und Minna und Brenda traten, in ihre Mäntel gehüllt, heraus. Die Erstere lehnte sich auf ihre Schwester, und bog den Kopf nieder, wie Jemand, der sich eines Schrittes schämt, den er zu thun im Begriffe steht. Auch Brenda ging schweigend bei ihrem Geliebten vorüber, warf ihm aber aus der Ferne einen Blick der Dankbarkeit und des Wohlwollens zu, der seine Besorgniß für ihre Sicherheit wo möglich noch verdoppelte.

Die Schwestern waren jetzt aus dem Gesichtskreise des Hauses. Minna, deren Schritt bis dahin schwach und schwankend gewesen war, fing an, sich emporzurichten, und auf einmal so fest und schnell zu gehen, daß Brenda, welche nur mit Mühe mit ihr Schritt hielt, sie auf die Unvorsichtigkeit aufmerksam machte, wie sie durch diese unnütze Eile ihr Gemüth aufrege und ihre Kräfte erschöpfe.

»Sei unbesorgt, meine theure Schwester,« sagte Minna, »die Entschlossenheit, welche ich jetzt fühle, wird und muß mich während dieser furchtbaren Zusammenkunft aufrecht halten. – Ich konnte nur mit gesenktem Haupte und wankendem Schritte gehen, während ich mich noch im Gesichte eines Mannes befand, der mich nothwendig für einen Gegenstand seines Mitleids oder seiner Verachtung halten muß. Aber du weißt, meine theuerste Brenda, und auch Cleveland soll es wissen, daß die Liebe, welche ich für diesen unglücklichen Mann hegte, so rein war, wie die Strahlen der Sonne, die sich jetzt in den Wellen spiegeln. Und ich rufe diese glanzvolle Sonne und jenen blauen Himmel zu Zeugen an, daß ich für alle Versuchungen der Erde nicht eingewilligt haben würde, ihn wieder zu sehen, geschähe dieß nicht, um ihn zu bewegen, seine unglückliche Lebensweise zu ändern.«

Während sie so in einem Tone sprach, der Brenda viel Vertrauen einflößte, hatten die Schwestern den Gipfel einer Anhöhe erreicht, von wo aus sie eine weite Aussicht auf das Stonehenge der Orkney-Inseln hatten, das von einem großen Kreise und Halbkreise der sogenannten stehenden Steine gebildet wird, welche bereits in ihrem Grauweiß in der aufgehenden Sonne glänzten, und ihre langen, riesenhaften Schatten weit nach Westen warfen. Zu einer andern Zeit würde dieser Anblick auf die Einbildungskraft Minna's mächtig gewirkt, und wenigstens die Neugierde ihrer weniger reizbaren Schwester erregt haben; in diesem Augenblicke aber gingen für Beide die Eindrücke verloren, welche dieses wunderbare Denkmal auf die Gefühle aller Derer hervorbringen muß, die es betrachten; denn sie sahen auf dem untern See, unterhalb der sogenannten Brücke von Broisgar ein wohlbemanntes und bewaffnetes Boot, welches Einen von seiner Bemannung gelandet hatte, der, allein, und in einen Schiffsmantel gehüllt, sich dem Kreise der Denksteine näherte, auf den sie selbst von der andern Seite zugingen.

»Es sind ihrer Mehrere, und sie sind bewaffnet,« flüsterte die erschreckte Brenda ihrer Schwester zu.

»Dieß geschieht der Vorsicht wegen,« antwortete Minna, »die, leider! ihre Lage so nöthig machte. Fürchte keinen Verrath von Ihm – dieser wenigstens gehört nicht zu seinen Lastern.«

Während sie dieß sprach, oder gleich darauf, erreichten sie die Mitte des Kreises, in welchem zwischen den hohen, aufrechtstehenden Säulen von Stein, ein flacher liegt, von kurzen steinernen Pfeilern getragen, von denen man noch einige Ueberbleibsel bemerkt, die vielleicht einst zu einem Altar dienten.

»Hier,« sagte sie, »brachten (wenn wir den Legenden glauben dürfen, ein Glaube der mir nur zu theuer zu stehen gekommen ist) unsere Vorfahren den heidnischen Gottheiten ihr Opfer dar, – hier will auch ich, von ganzer Seele, den leeren Träumen, welche meine jugendliche Einbildungskraft irre geleitet haben, entsagen, sie beschwören, und sie einem besseren und barmherzigeren Gotte, als der ist, den Jene kannten, zum Opfer darbringen.«

Sie stand neben der liegenden Steinplatte, und sah Cleveland auf sich zukommen, mit furchtsamem Schritte und niedergeschlagenem Blicke, der sich eben so sehr von seinem gewöhnlichen Charakter und Aeußeren unterschied, als Minna's hoher Blick, ihre stolze Haltung, und ruhige, sinnende Stellung, von der des liebesiechen, abgehärmten Mädchens, das, als sie das Haus von Stennis verließen, der Arm ihrer Schwester nur mit Mühe zu stützen vermocht hatte. Wenn die Meinung Derer gegründet ist, welche diese sonderbaren Denkmale ausschließlich den Druiden gewidmet wissen wollen, so hätte man Minna für die Haxa oder Oberpriesterin des Ordens ansehen können, deren Weihe ein Kämpe des Stammes so eben zu empfangen sich nahte. Oder wenn wir diese Kreise gothischen oder scandinavischen Ursprungs halten, so hätte sie als eine herabgestiegene Gestalt der Freya, der Gemahlin des Donnergottes, erscheinen können, vor der sich ein kühner Seekönig oder Kämpe mit einer ehrfurchtsvollen Scheu beugte, welche kein blos irdischer Schrecken ihm eingeflößt haben konnte. Brenda, von unaussprechlicher Furcht und Besorgniß überwältigt, blieb einen oder zwei Schritte zurück, beobachtete jede Bewegung Clevelands, und war für alles Uebrige, ihn und ihre Schwester ausgenommen, verloren. Cleveland näherte sich Minna bis auf einige Schritte, und bog dann sein Haupt zum Boden. Es herrschte eine Todtenstille, bis Minna mit festem, aber klagendem Tone sprach: »Unglücklicher Mann, warum willst du unsere Leiden noch vermehren? Scheide in Frieden, und möge der Himmel dir eine bessere Bahn eröffnen, als die ist, auf welcher du bisher wandeltest.«

»Der Himmel wird mir nicht beistehen,« sagte Cleveland, »ausgenommen auf Eure Stimme. Ich kam hierher, rauh und wild, nicht wissend, daß mein Gewerbe, mein verzweifeltes Gewerbe, in den Augen der Menschen oder des Himmels verbrecherischer sei, als das der Kaper, welche eure Gesetze anerkennen. Ich ward in demselben auferzogen, und würde – hättet Ihr mir nicht den Muth eingeflößt, Wünsche zu hegen – in demselben verzweifelt und ohne Buße gestorben sein. O, stoßt mich nicht von Euch – laßt mich Etwas thun, um meine Sünden wieder gut zu machen, und laßt Euer eigenes Werk nicht halb vollendet!«

»Cleveland,« sagte Minna, »ich will Euch nicht vorwerfen, meine Unerfahrenheit gemißbraucht, oder die Täuschung benutzt zu haben, mit welchen mich die Leichtgläubigkeit meiner frühen Jugend umwoben hatte, und welche mich zu dem Irrthum verführten, Eure Lebensweise mit den Thaten unserer alten Helden für gleich zu halten. – Ach, als ich Eure Gefährten sah, war dieser Wahn zerronnen! – Allein, ich lege es Euch nicht zur Last, daß er je vorhanden war. Geht, Cleveland, reißt Euch von jenen Elenden los, zu denen Ihr Euch gesellt habt, und glaubt mir: Wenn der Himmel Euch noch das Mittel verleiht, Euren Namen durch eine gute und ruhmwürdige Handlung auszuzeichnen, so gibt es auf diesen einsamen Inseln Augen, welche eben so viel Freudenthränen vergießen werden – als jetzt Thränen des Kummers.«

»Und ist dieß Alles?« sagte Cleveland. »Darf ich nicht hoffen, wenn ich mich von meinen gegenwärtigen Gefährten losreiße – wenn ich dadurch meine Begnadigung erlangen kann, daß ich eben so kühn für die gerechte Sache streite, als ich nur zu oft für die ungerechte gefochten habe – nach einem, wenn auch nach so langem – doch immer nicht endlosem Zeitraume, sagen kann, daß ich meinen Ruf reingewaschen – darf ich nicht – darf ich dann nicht hoffen, daß Minna mir vergebe, was mein Gott und mein Vaterland mir vergeben haben werden?«

»Nie, Cleveland, nie!« sagte Minna mit der entschiedensten Festigkeit. »An dieser Stelle scheiden wir, scheiden auf immer, und scheiden ohne längeres Verweilen. Gedenkt meiner als einer Todten, wenn Ihr das bleibt, was Ihr jetzt seid; wenn Ihr aber, was Gott geben mag, Eure verderbliche Lebensweise ändert, so gedenkt meiner als Einer, deren Morgen- und Abendgebete Eurem Glücke geweiht sein werden, wenn sie das ihrige auch verloren hat. – Lebt wohl, Cleveland!«

Er kniete, von seinen eigenen schmerzlichen Gefühlen übermannt, um ihre Hand zu ergreifen, die sie ihm reichte; in diesem Augenblick trat Bunce, sein Vertrauter, hinter einem der hohen aufrechtstehenden Pfeiler hervor, die Augen von Thränen naß, und rief aus:

»Auf keinem Theater habe ich je eine solche Abschiedsscene gesehen! der T–l soll mich holen, wenn Ihr so abgeht, wie Ihr denkt.«

Mit diesen Worten, und ehe Cleveland Einwendungen machen oder Widerstand leisten, ja, in der That, ehe er aufstehen konnte, riß er ihn rückwärts über, zwei oder drei von den Bootsleuten ergriffen ihn bei den Armen und Beinen, und so ward er zum See geschleppt. Minna und Brenda stießen einen Schrei aus, und suchten zu entfliehen; allein Derrick ergriff die Erstere mit eben so großer Leichtigkeit wie der Falke auf eine Taube stößt, während Bunce mit einem oder zwei Flüchen, welche als Beruhigung dienen sollten, sich Brenda's bemächtigte; und nun begann der ganze Haufe mit zwei oder drei von den andern Piraten, welche, von dem Ufer herschleichend, sie in ihren Hinterhalt begleitet hatten, rasch nach dem Boote zu laufen, welches zweien von ihnen zur Aufsicht anvertraut worden war. Plötzlich aber wurden sie auf ihrem Wege aufgehalten, und die verbrecherische Unternehmung vereitelt.

Mordaunt hatte seine Leute, aus dem natürlichen Grunde, um über die Sicherheit der beiden Schwestern wachen zu können, unter Waffen treten lassen. Sie hatten daher alle Piraten sehr genau beobachtet, und als sie so viele derselben aus dem Boote kommen, und nach dem für Cleveland bestimmten Zusammenkunftsorte schleichen sahen, sogleich Verrätherei geahnet, und sich unter dem Schutze eines Hohlweges oder Grabens, welcher vielleicht in früheren Zeiten mit einem Kreise oder Denksteine in Verbindung stand, unvermerkt zwischen die Piraten und ihre Boote gezogen. Auf das Geschrei der Schwestern sprangen sie hervor, stellten sich den Räubern entgegen, und schlugen ihre Flinten an, die sie jedoch nicht abzufeuern wagten, da sie fürchten mußten, die Mädchen, welche diese Bösewichter festhielten, zu verwunden. Mordaunt eilte indeß mit der Schnelle eines wilden Hirsches auf Bunce zu, der seine Beute ungern fahren ließ, und sich, da er sich nicht anders zu vertheidigen wußte, bald auf diese, bald auf jene Seite wandte, und so Brenda den Streichen aussetzte, welche Mordaunt auf ihn führte. Diese Vertheidigungsart half ihm aber nicht lange gegen einen Jüngling, welcher auf Shetland die größte Behendigkeit und die größte Kraft besaß, so daß Mordaunt den Piraten nach einigen Finten durch einen Streich mit dem Kolben des Karabiners fällte, den er nicht anders zu gebrauchen wagen durfte. Zu gleicher Zeit schossen die, welche sich nicht so in Acht zu nehmen brauchten, auf einander, und die Piraten, welche Cleveland festgehalten hatten, ließen diesen natürlich sinken, um an ihre eigene Vertheidigung oder ihren Rückzug zu denken. Sie vermehrten indeß nur dadurch die Anzahl ihrer Feinde, denn als Cleveland Minna in Derricks Armen sah, riß er sie dem Räuber mit einer Hand weg, und schoß ihn mit der andern auf der Stelle nieder. Noch zwei oder drei von den Piraten fielen, oder wurden gefangen genommen, die Uebrigen flüchteten sich nach dem Boote, stießen ab, und feuerten wiederholt auf die Orkney-Insulaner, die das Feuer erwiderten, wiewohl mit wenigem Erfolge von beiden Seiten. Nachdem Mordaunt gesehen, daß die Schwestern in Freiheit und in voller Flucht nach dem Hause begriffen waren, ging er mit gezogenem Schwerte auf Cleveland los, der Pirat hielt ihm eine Pistole entgegen, und rief: »Mordaunt, ich habe mein Ziel nie verfehlt!« schoß es in die Luft ab und warf es in den See, zog dann seinen Säbel, schwang ihn um den Kopf, und schleuderte ihn, so weit er konnte, in derselben Richtung von sich. So groß war indeß der allgemeine Glaube an seine persönliche Stärke und seine Hülfsmittel, daß Mordaunt sehr vorsichtig zu Werke ging, als er sich Cleveland näherte, und ihn fragte, ob er sich ergäbe.

»Ich ergebe mich Niemandem,« sagte der Piraten-Capitain, »aber Ihr seht, daß ich meine Waffen weggeworfen habe.«

Er wurde sogleich von einem der Orkadier ergriffen, ohne den geringsten Widerstand zu leisten; aber Mordaunts augenblickliches Dazwischentreten verhinderte, daß man ihn hart behandelte oder band. Die Sieger führten ihn in ein wohlverwahrtes oberes Gemach des Hauses von Stennis, und stellten eine Schildwache an die Thüre. Bunce und Fletscher, welche Beide während des Gefechts niedergestreckt worden waren, wurden in dasselbe Zimmer gebracht, und zwei Gefangene, die von geringerem Range zu sein schienen, in ein zu dem Hause gehöriges Gewölbe gesperrt.

Ohne die Freude Magnus Troils beschreiben zu wollen, als er, von dem Lärmen und dem Schießen erweckt, seine Töchter wohlbehalten und seinen Feind gefangen fand, wollen wir nur so viel sagen, daß er, wenigstens im Augenblicke, ganz vergaß, auf welche Weise jene so in Gefahr gerathen waren, daß er Mordaunt, als ihren Retter, tausendmal an seine Brust drückte, und eben so oft bei den Gebeinen seines Namensverwandten schwur, wenn er tausend Töchter hätte, sollte ein so wackerer Junge und ein so treuer Freund unter ihnen wählen können, was auch Lady Glowrowrum sagen möchte.

Ganz anders sah es in dem Gemache aus, welches Cleveland und seinen Gefährten zum Gefängniß diente. Der Capitain saß an dem Fenster, die Augen auf das Meer gerichtet, das man aus dem Zimmer sehen konnte, und, dem Anscheine nach so in den Anblick versunken, daß er die Gegenwart der Andern gar nicht bemerkte. Jack Bunce suchte einige Verse zusammen, um eine Einleitung zu seiner Versöhnung mit Cleveland zu machen; denn nach den Folgen fing er jetzt wohl an, einzusehen, daß sein Plan wegen des Capitains, so gut gemeint er auch war, doch weder einen glücklichen Ausgang gehabt hatte, noch sehr gut aufgenommen werden dürfte. Sein Bewunderer und Anhänger Fletscher lag, wie es schien, halb eingeschlafen, auf einem Feldbette, ohne an dem sich jetzt entspinnenden Gespräche den geringsten Antheil zu nehmen.

»Aber sprich doch nur ein Wort mit mir, Clemens,« sagte der reuige Lieutenant; »wäre es auch nur eine Verwünschung gegen meine Dummheit. –

›Wie? nicht ein Fluch? Dann ist es schlecht bestellt.
Wenn Clifford nicht einmal mehr fluchen kann!‹«

»Ich bitte dich, sei still, und laß mich in Ruhe,« sagte Cleveland; »ich habe noch einen Busenfreund, und du wirst machen, daß ich ihn entweder gegen dich, oder gegen mich selbst kehre.«

»Ich hab' es! Ich hab' es!« sagte Bunce, und fuhr mit Jaffiers Worten fort:

»Nein, bei der Hölle, die mich nun belohnt,
Dich laß ich nicht, bis wir auf's Reine sind.
Was du empfindest, theile mir nur mit.«

»Ich bitte dich noch einmal, sei ruhig!« sagte Cleveland; »ist es nicht genug, daß du mich durch deine Verrätherei zu Grunde gerichtet hast? Mußt du mich auch noch mit deiner einfältigen Possenreißerei plagen? – Wahrhaftig, ich hätte nicht geglaubt, Jack, daß von allen Menschen oder Teufeln in jenem unglücklichen Schiffe gerade du einen Finger gegen mich aufheben würdest!«

»Wer, ich?« rief Bunce aus; »ich einen Finger gegen Euch aufheben! Und wenn ich es that, so geschah es aus reiner Liebe, und um Euch zu dem glücklichsten Menschen zu machen, der nur je ein Verdeck betrat, mit Eurer Geliebten bei Euch, und fünfzig tüchtigen Kerlen unter Befehl. Hier Dick Fletscher kann mir bezeugen, daß Alles, was ich that, zu Eurem Besten war, wenn er nur sprechen wollte, statt sich hinzustrecken, wie ein holländischer Dogger, der kalfatert werden soll! – Komm; steh' auf, Dick, und sprich für mich!«

»Ja, Jack Bunce,« antwortete Fletscher, indem er sich mit Mühe erhob, und mit schwacher Stimme sprach, »ich will, wenn ich kann – ich weiß, du sprachst und thatest Alles immer zum Besten – indessen siehst du, ist es dießmal für mich das Schlechteste geworden, und ich glaube, ich verblute mich hier.«

»Du wirst doch nicht ein solcher Esel sein!« sagte Jack Bunce, indem er und Cleveland herbeisprangen, ihm beizustehen. Allein die menschliche Hülfe kam zu spät – er sank zurück auf das Bett, legte sich auf das Gesicht, und verschied ohne einen Laut.

»Ich hielt ihn immer für einen verwünschten Narren,« sagte Bunce, indem er sich eine Thräne aus dem Auge wischte, »aber doch nie für einen so vollkommenen Dummkopf, daß er so einfältig von der Stange fallen würde – ich habe an ihm den besten Gefährten verloren.« Hier wischte er sich noch einmal die Augen.

Cleveland blickte auf den Todten, dessen schroffe Züge selbst im Todeskampfe unverändert geblieben waren. – »Ein Bullenbeißer von ächt englischer Zucht,« sagte er, »der bei einer besseren Leitung auch ein besserer Mensch geworden sein würde.«

»Das könnt Ihr von andern Leuten auch sagen, Capitain, wenn Ihr ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen wollt,« sagte Bunce.

»Allerdings, und vorzüglich von dir,« entgegnete Cleveland.

»Nun denn, so sprecht: Jack ich vergebe dir,« sagte Bunce. »Es sind nur wenige Worte, und bald ausgesprochen.«

»Ich vergebe dir von ganzem Herzen, Jack,« sagte Cleveland, der seinen Sitz am Fenster wieder eingenommen hatte, »und um so mehr, da deine Thorheit ohnehin nichts mehr verderben kann. Der Morgen ist gekommen, der über uns Alle Verderben bringen muß.«

»Ihr denkt doch nicht an die Prophezeihung der alten Frau, von der Ihr sprecht?«

»Sie wird bald in Erfüllung gehen,« antwortete Cleveland. – »Komm hierher; wofür hältst du das große Schiff mit den Raasegeln, welches du dort um das Vorgebirge gegen Osten kommen und auf die Bucht von Stromneß zusegeln siehst?«

»Hm, ich kann es noch nicht recht erkennen,« sagte Bunce, »aber der alte Goffe dort hält es, glaub' ich, für einen Westindienfahrer, mit Rum und Zucker beladen; denn mich soll der Teufel holen, wenn er nicht die Ankertaue kappt und auf das Schiff zusegelt!«

»Statt in das Untiefe zu gehen, was ihn noch allein retten könnte,« sagte Cleveland. »Der Thor! Der Träumer! Der verrückte betrunkene Tropf! Nun, er wird sein Getränk heiß genug zu trinken bekommen, denn das ist der Halcyon – sieh, da zieht er die Flagge auf und gibt eine volle Lage! Und nun wird es mit dem Liebling des Glückes bald zu Ende sein! Ich hoffe nur, sie werden sich bis auf das letzte Brett schlagen. Der Bootsmann pflegte sonst wohl brav genug zu sein, und das ist Goffe auch, wenn gleich ein eingefleischter Teufel. Jetzt segelt die Schaluppe ab, mit allen Segeln, die sie beisetzen kann; das zeigt doch einigen Verstand!«

»Da geht der lustige Roger, die alte schwarze Flagge mit dem Todtenkopfe und dem Stundenglase, herauf,« sagte Bunce, »und das zeigt doch etwas Muth.«

»Das Stundenglas ist für uns dießmal umgekehrt – unser Sand läuft schnell. Feuert zu, ihr Räuberjungen! Besser auf dem Meeresgrunde oder im blauen Himmel, als einen Strick um den Hals, und an der Raa-Nocke.«

Es entstand jetzt ein Augenblick einer ängstlichen Todtenstille; die Schaluppe hielt, wenn sie auch hart bedrängt wurde, während des Segelns ein Gefecht aus, und die Fregatte blieb in voller Jagd, ohne das Feuer sehr zu erwidern. Endlich näherten sich die Schiffe einander, so daß man deutlich sah, das Kriegsschiff wolle, statt die Schaluppe in den Grund zu bohren, sie entern, wahrscheinlich, um sich der Beute zu versichern, welche auf dem Piratenschiffe befindlich sein konnte.

»Nun, Goffe – nun Bootsmann!« rief Cleveland in der äußersten Ungeduld, und fuhr fort, als ob sie sein Commando hören könnten, »auf Halsen und Schoten! Gebt ihr eine volle Lage, wenn ihr unter ihrem Buge seid; dreht das Schiff, und geht dann mit der andern Halse davon wie eine wilde Gans! Die Segel stehen in den Wind – das Ruder ist in Lee – ach! mag die See die Schurken verschlingen! – Das Schiff will nicht wenden, und die Fregatte ankert!« –

Die verschiedenen Bewegungen der Jagd hatten die beiden Schiffe einander so nahe gebracht, daß Cleveland mit seinem Fernglase deutlich bemerken konnte, wie die Mannschaft des Kriegsschiffes in unwiderstehlicher Menge durch die Raaen und den Bugspriet enterte, und ihre gezogenen Hauer in der Sonne blitzten, als in diesem entscheidenden Augenblicke beide Schiffe in eine dicke Rauchwolke eingehüllt wurden, welche plötzlich an Bord des genommenen Piraten aufstieg.

» Exeunt omnes,« sagte Bunce mit gefalteten Händen.

»Da geht der Liebling des Glücks hin, Schiff und Mannschaft!« sagte Cleveland im selben Augenblicke.

Der Rauch verzog sich indeß sogleich wieder, und man sah, daß der Schade nur theilweis gewesen, und daß der verzweifelte Versuch der Piraten, ihr Schiff mit dem Halcyon in die Luft zu sprengen, aus Mangel an Pulver mißlungen war.

Kurz nachdem das Treffen vorüber war, schickte Capitain Weatherport vom Halcyon einen Offizier und eine Abtheilung Seesoldaten nach dem Hause von Stennis, um die Auslieferung der gefangenen Piraten, und namentlich Clevelands und Bunce's, zu fordern, welche als Capitain und Lieutenant der Bande angesehen wurden.

Dieß war ein Begehren, dessen Erfüllung man nicht verweigern konnte, obgleich Magnus Troil es gern gesehen haben würde, wenn man das Dach, unter welchem er wohnte, wenigstens als eine Freistätte für Cleveland betrachtet hätte. Allein die Befehle, welche der Offizier empfangen hatte, waren unbedingt, und er fügte hinzu, daß es Capitain Weatherports Plan sei, die übrigen Gefangenen an das Land bringen, und sie sämmtlich mit einer hinlänglichen Bedeckung quer über die Insel nach Kirkwall zu schicken, damit sie dort von der bürgerlichen Obrigkeit vernommen würden, ehe man sie nach London absendete, um von dem Admiralitäts-Gerichtshofe ihr Urtheil zu empfangen. Es blieb also Magnus nichts weiter übrig, als sich dafür zu verwenden, daß man Cleveland gut behandeln und ihn seiner Kleider und dieser Sachen nicht berauben möge, was auch der Offizier, auf den sein Aeußeres Eindruck machte, und der seine Lage bemitleidete, willig versprach. Der ehrliche Udallar hätte gern Cleveland selbst etwas zum Troste gesagt, allein er konnte dazu keine Worte finden, und schüttelte nur schweigend den Kopf.

»Alter Freund,« sagte Cleveland, »Ihr habt so gegründete Ursache zur Klage über mich – und doch bedauert Ihr mich – statt Euch über meinen Fall zu freuen. – Euer und der Eurigen willen werde ich nie wieder einem menschlichen Wesen ein Leid zufügen. Nehmt dieß hin – meine letzte Hoffnung, aber auch meine letzte Versuchung.« – Mit diesen Worten zog er ein Taschenpistol aus dem Busen, und gab es Magnus Troil. »Gedenkt meiner bei – doch nein – es soll Niemand mehr meiner gedenken. – Ich bin Ihr Gefangener,« sagte er zum Offizier.

»Ich ebenfalls,« sagte der arme Bunce, und deklamirte mit einer theatralischen Geberde, und mit nicht sehr bemerkbarer Erschütterung der Stimme, Pierre's Worte:

Herr Capitain, Ihr seid ein Ehrenmann.
So scheucht den Pöbel, daß ich Raum behalte,
Was kommt, zu tragen und getrost zu sterben!


 


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