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Eilftes Kapitel.

 

Flieh'! Fleance! Flieh'! Du kannst entkommen.

Macbeth.

 

Es war eines der verschiedenen Mittel, durch welche Norna ihre Ansprüche auf übernatürliche Kräfte gültig zu machen suchte, daß sie sich mit allen den natürlichen und künstlichen geheimen Zugängen genau bekannt machte, von denen sie, durch Tradition oder auf andern Wegen, Kenntniß erlangen konnte, und dann, vermittelst jener Bekanntschaft, Dinge verrichtete, welche ganz unerklärlich erscheinen mußten. Als sie aus dem Zelte in Burgh-Westra verschwand, geschah es durch das Zurückziehen eines Schiebers, welcher einen geheimen Gang in der Mauer verdeckte, der nur ihr und Magnus bekannt war, welcher sie, wie sie wohl wußte, nicht verrathen würde. Das bedeutende Einkommen, das sie hatte, und das ihr sonst zu nichts nützte, setzte sie in den Stand, über Alles, was sie zu wissen wünschte, die frühesten Nachrichten zu erhalten, und sich zugleich alles nöthigen Beistandes zu versichern, um ihre Pläne in Ausführung zu bringen. Cleveland hatte bei dem jetzigen Vorfalle Gelegenheit, sowohl ihre Klugheit als ihre Hülfsquellen zu bewundern.

Durch einen starken Druck öffnete Norna eine Thür, die unter reichem Schnitzwerk in der Wand verborgen war, welche den östlichen Seitengang von dem übrigen Theile der Kathedrale scheidet, und ein dunkler, schmaler, sich schlängelnder Gang wurde sichtbar, welchen sie betrat, indem sie Cleveland zuflüsterte, ihr zu folgen, und ihm befahl, die Thüre sorgfältig zu verschließen. Er gehorchte, und folgte im Dunkel und schweigend, wobei er zuweilen Stufen, deren Zahl sie ihm vorher immer genau angab, hinab-, zuweilen wieder hinaufsteigen mußte, und die sich oft ganz kurz wendeten. Die Luft war weniger beklommen, als man hätte erwarten sollen, indem der Gang an verschiedenen Orten durch unsichtbare und sehr künstlich angebrachte Luftlöcher, welche in das Freie führten, frische Luft erhielt. Endlich war die lange Wanderung zu Ende. Norna schob eine Füllung bei Seite, welche sich hinter einem hölzernen oder, wie man es in Schottland nennt, einem Buchsbaum-Bette befand, und ihnen den Zugang in ein altväterisches, sehr schlecht aussehendes Zimmer eröffnete, das ein vergittertes Fenster und ein Kreuzgewölbe zur Decke hatte. Die Möbel waren in sehr schlechtem Zustande, und die einzigen Zierrathen des Gemaches, auf einer Seite ein an der Wand hängender Kranz von verschossenen Bändern, so wie man ihn zur Ausschmückung von Wallfischfängern braucht, und auf der andern ein Wappenschild, über dem sich eine Grafenkrone befand, und der mit den gewöhnlichen Sinnbildern der Sterblichkeit umgeben war.

Die Hacke und der Spaten, welche in einem Winkel lagen, so wie die Gegenwart eines alten Mannes, der in einem abgeschabten schwarzen Rocke, und mit einem heruntergeklappten Hute am Tische saß und las, deutete darauf hin, daß sie sich in der Wohnung des Kirchendieners oder Küsters, und diesem ehrbaren Beamten selbst gegenüber befänden.

Als seine Aufmerksamkeit durch das Geräusch des Schiebers erregt wurde, stand er auf, nahm mit der größten Ehrerbietung, aber ohne das geringste Staunen zu zeigen, seinen großen Hut von seinem dünnbehaarten Kopfe und stand unbedeckt, mit der Miene tiefer Demuth, vor Norna.

»Sei mir treu,« sagte Norna zu dem alten Manne, »und zeige keinem Sterblichen den geheimen Weg zu dem heiligen Orte.«

Der alte Mann beugte sich, zum Zeichen des Gehorsams und des Dankes; denn sie drückte, während sie sprach, ihm Geld in die Hand. Mit stockender Stimme gab er seinen Wunsch zu erkennen, daß sie seines Sohnes gedenken möge, der auf der Reise nach Grönland begriffen sei, damit er glücklich und wohlbehalten zurückkehre, wie es im letzten Jahre der Fall gewesen, wo er den Kranz zurückgebracht. Bei diesen Worten deutete er auf den an der Wand hängenden.

»Mein Kessel soll sieden und mein Reim soll für ihn gesprochen werden,« antwortete Norna. »Ist Pacolet mit den Pferden draußen?«

Der alte Küster bejahte es, und die Seherin ging, nachdem sie Cleveland befohlen, ihr zu folgen, durch eine Hinterthür des Zimmers in einen kleinen Garten, dessen verödetes Aussehen mit dem der eben beschriebenen Wohnung sehr gut übereinstimmte. Die niedrige, hie und da eingestürzte Mauer gestattete ihnen den Zugang in einen zweiten und größeren Garten, welcher indeß nicht besser gehalten war, und eine nur eingeklinkte Thür führte in eine lange, krumme Gasse, durch welche sie mit schnellen Schritten gingen – nachdem Norna ihrem Gefährten zugeflüstert, daß dieß die einzige gefährliche Stelle auf ihrem Wege sei. Es war jetzt beinahe finster geworden, und die Bewohner der ärmlichen Häuser zu beiden Seiten hatten sich bereits in ihr Inneres zurückgezogen. Sie erblickten nur eine Frau, welche aus der Thür sah, sich aber bekreuzte und schnell in das Haus zurückzog, als sie Norna's hohe Gestalt mit langen Schritten vorübereilen sah. Die Gasse führte in's Freie, wo Norna's stummer Zwerg mit drei Pferden wartete, welche hinter der Mauer einer verlassenen Hütte in Sicherheit standen. Norna bestieg sogleich eines derselben, Cleveland das andere, Pacolet folgte auf dem dritten, und so ritten sie scharf in der Dunkelheit fort, da ihre kräftigen und feurigen Thiere von einer viel größeren Art als die in Shetland gezogenen waren.

Nach einem Ritt von mehr als einer Stunde, bei welchem Norna als Führerin diente, hielten sie vor einer Hütte an, deren Aeußeres so elend war, daß man sie eher für einen Viehstall als für ein Bauerhaus hätte halten mögen.

»Hier müßt Ihr bis Tagesanbruch bleiben, damit man Euer Zeichen von Eurem Schiffe aus sehen kann,« sagte Norna, indem sie Pacolet die Pferde übergab, und voran in die elende Hütte ging, die sie sogleich durch die eiserne Lampe, die sie gewöhnlich bei sich trug, erleuchtete. »Dieß ist ein ärmlicher, aber sicherer Zufluchtsort,« sagte sie, »denn würden wir hier verfolgt, so thäte die Erde sich auf und nähme uns in ihren Schlund auf, ehe Ihr gefangen würdet. Wisset nämlich, daß dieser Boden den Göttern des alten Walhalla heilig ist. Und nun sage, Mann des Unheils und des Blutes, bist du ein Freund oder ein Feind Norna's, der einzigen Priesterin dieser verläugneten Gottheiten?«

»Wie ist es möglich, daß ich Euer Feind sein sollte?« sagte Cleveland; »schon die gewöhnliche Dankbarkeit ...«

»Gewöhnliche Dankbarkeit,« unterbrach ihn Norna, »ist ein gewöhnliches Wort, und Worte sind die gewöhnliche Münze, welche Thoren aus der Hand von Schurken nehmen; Norna verlangt Handlungen, – verlangt Opfer als Dank.«

»Wohl, Mutter, so sagt mir, was Ihr begehrt.«

»Daß Ihr Minna Troil nimmer wieder aufsucht, und diese Küsten binnen vierundzwanzig Stunden verlasset,« antwortete Norna.

»Das ist unmöglich,« erwiderte der Capitain; »ich kann mich so schnell nicht mit den nöthigen Vorräthen versehen.«

»Ihr könnt es. Ich werde dafür sorgen, daß Ihr reichlich versehen werdet. Loithneß und die Hebriden sind nicht weit entfernt – Ihr könnt absegeln, wann Ihr wollt.«

»Und warum sollte ich dieß,« fragte der Capitain, »wenn ich nicht will?«

»Weil Euer längerer Aufenthalt Andern Gefahr bringt und Euch selbst in's Verderben führen muß,« sagte Norna. »Hört mich aufmerksam an. Von dem ersten Augenblicke, wo ich Euch besinnungslos auf dem Sande am Fuße der Klippen von Sumburgh liegen sah, las ich auf Eurem Gesichte, daß Euch mit mir und mit denen, die mir theuer sind, ein Band verbände: ob dieß aber zum Guten oder zum Bösen sei, war meinen Augen verborgen. Ich half Euer Leben retten – Euer Eigenthum Euch erhalten. Ich half dabei eben dem Jünglinge, dem Ihr in seinen theuersten Neigungen in den Weg getreten seid, in den Weg getreten durch Klätscherei und Verleumdung.«

»Ich Mertoun verleumden?« rief der Capitain aus; »beim Himmel, ich habe seinen Namen in Burgh-Westra kaum genannt, wenn Ihr darauf anspielt. Der hausirende Kerl, Bryce, der mir wahrscheinlich einen Freundschaftsdienst leisten wollte, weil er fand, daß etwas bei mir zu verdienen war, hinterbrachte, wie ich nachher gehört habe, dem alten Manne Lügen oder Wahrheit, die durch das Gerücht auf der ganzen Insel bestätigt wurden. Was mich betrifft, so betrachtete ich Mertoun nie als einen Nebenbuhler, da ich sonst einen ehrenvolleren Weg eingeschlagen haben würde, mich seiner zu entledigen.«

»Und sollte die Spitze Eures zweischneidigen Messers, gegen die Brust eines Unbewaffneten gezückt, diesen ehrenvolleren Weg vorzeichnen?« fragte Norna ernst.

Cleveland fühlte sich getroffen; er schwieg einige Augenblicke und antwortete dann: »Darin hatte ich unrecht; aber er ist, dem Himmel sei Dank, genesen, und ich bin zu jeder Zeit zu einer ehrenvollen Genugthuung bereit.«

»Nein, Cleveland,« sagte die Seherin, »der Feind, der Euch als sein Werkzeug verwendet, ist mächtig; aber mit mir soll er nicht kämpfen. Ihr habt den Charakter, welchen die finstern Gewalten bei den Werkzeugen ihrer Macht so gern sehen; Ihr seid kühn, hochfahrend, unbezähmbar, ungebändigt durch Grundsätze, und habt statt dieser nur einen ungezügelten Stolz, welchen Leute Eurer Art Ehre nennen. So seid Ihr, und so ist Eure bisherige Lebensweise gewesen – hinausstrebend und ungebändigt, blutig und stürmisch. Ich aber werde sie zu zügeln wissen,« schloß sie, indem sie ihren Stab ausstreckte, und die Stellung eines Menschen annahm, der eine bestimmte Obergewalt hat, »ja, und wenn selbst der Dämon, der sie Euch eingibt, in diesem Augenblicke unter allen seinen Schrecken emporstiege.«

Cleveland lachte höhnisch. »Gute Mutter,« sagte er, »spart eine solche Sprache für den rohen Matrosen auf, der Euch anfleht, ihm günstigen Wind zu verleihen, oder für den armen Fischer, der um Glück für seine Netze und Angelschnüre bittet. Ich bin schon seit längerer Zeit für Furcht und Aberglauben unzugänglich. Ruft Euren Dämon, wenn Ihr einem gebieten könnt, und stellt ihn mir gegenüber. Der, welcher Jahre lang in Gesellschaft mit eingefleischten Teufeln lebte, kann die Gegenwart eines unkörperlichen Feindes wohl nicht fürchten.«

Er sagte dieß mit einer unbekümmerten und verzweifelten Bitterkeit, welche selbst für Norna's wahnsinnige Selbsttäuschung eine zu große Kraft und Nachdruck besaß, so daß sie mit zitternder und hohler Stimme Cleveland fragte, »wofür haltet Ihr mich denn, wenn Ihr mir die Macht, die ich so theuer erkauft habe, streitig machen wollt?«

»Ihr seid klug, Mutter,« sagte Cleveland, »wenigstens besitzt Ihr Kunstgriffe, und Kunstgriffe sind Macht. Ich denke, daß Ihr es versteht, auf dem Zeitenstrome einherzufahren, allein ich bestreite Eure Macht, dessen Lauf zu lenken. Verschwendet also Eure Worte nicht, um mir Schrecknisse vorzuspiegeln, für welche ich nicht empfänglich bin, sondern sagt mir gerade heraus, warum Ihr wollt, daß ich weggehen soll?«

»Weil ich nicht will, daß Ihr Minna wiedersehen sollt,« antwortete Norna, »weil Minna die bestimmte Braut Dessen ist, den die Menschen Mordaunt Mertoun nennen – weil, wenn Ihr nicht binnen vierundzwanzig Stunden absegelt, Verderben Eurer wartet. In diesen einfachen Worten liegt keine metaphysische Täuschung – antwortet mir eben so, gerade heraus.«

»Eben so gerade heraus also,« sagte Cleveland, »ich werde diese Inseln nicht verlassen, wenigstens nicht eher, als bis ich Minna Troil wieder gesehen habe, und Euer Mordaunt soll sie nicht besitzen, so lange ich lebe.«

»Man höre!« sagte Norna, »man höre, wie ein Sterblicher die Mittel, sein Leben zu verlängern, gewaltsam von sich stößt! Man höre, wie ein Sünder – ein arger Sünder, die Frist, welche ihm das Schicksal zur Reue und zur Rettung seiner unsterblichen Seele gestattet, schnöde zurückweist! Seht, wie er aufrecht dasteht, kühn und voll Vertrauen auf seine jugendliche Stärke und seinen Muth! Meine Augen, welche keine Thränen kennen – ja, selbst meine Augen, welche keine Ursache haben, um ihn zu weinen, wollen vor Schmerz erblinden, wenn sie daran denken, was aus einer so schönen Form geworden sein wird, ehe die zweite Sonne sinkt!«

»Mutter,« sagte Cleveland fest, obgleich mit einem Anklange des Kummers in der Stimme, »ich verstehe einen Theil Eurer Drohungen. Ihr wißt mehr als wir von der Fahrt des Halcyon, Ihr habt vielleicht die Mittel (denn ich muß gestehen, daß Ihr eine wunderbare Einsicht in die Verbindung solcher Begebenheit an den Tag legtet) seinem Kreuzzuge eine Richtung hierher zu geben. Dem sei, wie ihm wolle, ich werde deßwegen von meinem Vorhaben nicht abstehen. Kommt die Fregatte hierher, so können wir uns immer noch auf das untiefe Wasser verlassen, und ich glaube nicht, daß sie uns mit Booten, wie eine spanische Schebecke, werden wegschnappen können. Ich bin deßwegen entschlossen, noch einmal die Flagge aufzuziehen, unter der ich gekreuzt habe, einen der tausend glücklichen Zufälle, die uns in größeren Verlegenheiten beigestanden haben, zu benutzen, und, im ärgsten Falle, mich gegen das feindliche Schiff bis auf's Aeußerste zu wehren; und wenn ein Sterblicher zuletzt nichts mehr thun kann, so brauchen wir nur ein Pistol in die Pulverkammer abzudrücken, um zu sterben, wie wir gelebt haben.«

Als Cleveland geendet hatte, entstand eine Todesstille, welche endlich dadurch unterbrochen wurde, daß er in sanfterem Tone fortfuhr: »Ihr habt meine Antwort gehört, Mutter, laßt uns nicht weiter streiten, sondern im Frieden von einander scheiden. Ich möchte Euch gern ein Andenken zurücklassen, damit Ihr Euch eines armen Kerls erinnert, dem Ihr einen Dienst geleistet habt, und der mit keinem Unwillen von Euch scheidet, so sehr Ihr Euch auch seinen theuersten Wünschen widersetzt. Weigert Euch nicht, diese Kleinigkeit anzunehmen« – sagte er, indem er Norna dieselbe kleine, silberne, mit erhabener Arbeit verzierte Dose aufdrang, welche einst zu der Streitigkeit zwischen ihm und Mordaunt Anlaß gegeben hatte; »es ist nicht des Metalles wegen, auf das Ihr, wie ich weiß, keinen Werth legt; aber sie soll Euch nur zum Andenken dienen, daß Ihr den gekannt habt, von dem man noch lange Zeit auf den Meeren, die er durchstrichen hat, sonderbare Geschichten erzählen wird.«

»Ich nehme Eure Gabe an,« sagte Norna, »zum Zeichen, daß, wenn ich durch irgend Etwas zur Erfüllung Eures Schicksals beigetragen habe, ich es als das unfreiwillige und schmerzlich duldende Werkzeug anderer Mächte that. Wohl hattet Ihr recht, zu sagen, daß wir den Lauf der Begebenheiten nicht regieren können, welche uns vorwärts treiben und alle unsere äußersten Bestrebungen vereiteln, so wie die Quellen von Tuftiloe das stärkste Fahrzeug, allen Segeln und Steuern zum Trotz, rund herum drehen können. – Pacolet!« rief sie mit lauter Stimme: »Heda, Pacolet!«

Ein großer Stein, welcher gegen die Mauer der Hütte lag, fiel in diesem Augenblicke nieder, und zu Clevelands Staunen, wo nicht zu seinem Erschrecken, erschien die Mißgestalt des Zwerges, welcher wie ein großer Wurm sich aus einem unterirdischen Gange herauswand, dessen Oeffnung der Stein verborgen hatte.

Norna war – als ob das, was Cleveland über ihre Ansprüche auf übernatürliche Kräfte gesagt, einen tiefen Eindruck auf sie gemacht hätte, – so weit entfernt, diese Gelegenheit zu benutzen, jene geltend zu machen, daß sie sogar keinen Augenblick verlor, diese Erscheinung zu erklären.

»Gänge der Art, deren Oeffnungen sorgsam verborgen werden, finden sich häufig auf diesen Inseln. Sie waren die Zufluchtsorte der alten Bewohner, worin diese vor der Wuth der Normänner, der Piraten jener Zeit, Schutz suchten. Ich führte Euch hierher, damit Ihr Euch dieses Ganges im Nothfalle bedienen könntet. Sobald Ihr merkt, daß man Euch auf der Spur sei, dürft Ihr Euch entweder nur in den Eingeweiden der Erde verbergen, bis die Gefahr vorüber ist, oder, wenn Ihr wollt, durch den Ausgang am See, zu welchem Pacolet jetzt eben herein kam, entschlüpfen. – Und nun lebt wohl! Denkt an das, was ich Euch gesagt habe: denn so gewiß wie Ihr jetzt noch lebt und athmet, so gewiß ist Euer Untergang entschieden, wenn Ihr binnen vierundzwanzig Stunden Burgh-Head noch nicht umsegelt habt.«

»Lebt wohl, Mutter!« sagte Cleveland, als sie sich entfernte und dabei noch einen Blick auf ihn warf, in welchem sich, so viel er bei der Lampe bemerken konnte, Schmerzen und Mißvergnügen paarten.

So endigte eine Zusammenkunft, welche eine große Wirkung auf Clevelands Gemüth hervorbrachte, so sehr er auch an drohende Gefahren und Rettungen des Augenblicks gewöhnt war. Vergebens bemühte er sich, des Eindruckes Herr zu werden, welchen Norna's Worte in ihm zurückgelassen hatten, und deren Gewicht er um so mehr fühlte, da sie größtentheils von dem gewohnten geheimnißvollen Tone entkleidet waren, den er tief verachtete. Tausendmal bereuete er es jetzt, daß er so lange den längst genährten Entschluß aufgeschoben, sein furchtbares und gefährliches Gewerbe aufzugeben; und eben so oft nahm er sich fest vor, wenn er Minna Troil nur noch einmal sehen könnte, – wäre es auch nur, um ihr das letzte Lebewohl zu sagen, – die Schaluppe zu verlassen, sobald er seine Kameraden aus ihrer gefährlichen Lage befreit, die Begnadigung des Königs nachzusuchen, und sich wo möglich eine ehrenvollere kriegerische Laufbahn zu eröffnen.

Dieser Entschluß, dessen Ausführung er sich fest versprach, beruhigte endlich seine aufgeregten Lebensgeister so weit, daß er, in seinen Mantel gehüllt, der unvollkommenen Ruhe genoß, welche die erschöpfte Natur selbst von denen heischt als ihren Zoll, welche an dem Rande der drohendsten Gefahr stehen. Wie aber auch der Schuldige durch eine so bedingte Reue sich selbst zu beruhigen, und die Gefühle des Gewissens zu übertäuben suchen mag, so ist es doch die Frage, ob dieß nicht in den Augen des Himmels eher eine anmaßende Vergrößerung, als eine Buße seiner Sünden ist.

Als Cleveland erwachte, hatte sich die graue Tagesdämmerung bereits mit dem Zwielicht einer Orkney-Nacht vermählt. Er fand sich am Ufer eines schönen Wasserspiegels, welcher dicht bei dem Orte, wo er ausgeruht, durch zwei Landzungen, welche sich einander von den entgegengesetzten Seiten des See's nähern, in zwei gleiche Hälften getheilt wird. Diese Landzungen sind zum Theil durch die Brücke von Broisgar verbunden, einen langen Damm, welcher Oeffnungen hat, um der Ebbe und Fluth freien Raum zu lassen. Hinter ihm, und der Brücke gegenüber, befand sich der merkwürdige Halbkreis von großen aufrechtstehenden Steinen, der in Großbritannien, das unnachahmliche Denkmal von Stonehenge ausgenommen, seines Gleichen nicht hat. Diese ungeheuren Steinblöcke, von denen jeder zwölf Fuß hoch ist, ja manche eine Höhe von vierzehn bis fünfzehn Fuß haben, standen um den Piraten in dem grauen Scheine der Dämmerung, wie Nebelbilder vorsündfluthlicher Riesen, welche, mit den Gewändern der Todten bekleidet, in diesem bleichen Lichte die Erde wieder besuchten, die sie durch ihre Bedrückungen geängstigt und durch ihre Sünden befleckt, bis sie die Rache des langmüthigen Himmels auf sich herabzogen.

Cleveland wurde von diesem sonderbaren Denkmale weit weniger angezogen, als von der entfernten Ansicht von Stromneß, das er jetzt nur noch dunkel unterscheiden konnte. Er säumte keinen Augenblick, mit Hülfe einer seiner Pistolen Feuer anzuzünden, und etwas trockenes Farrnkraut war hinreichend, das verabredete Zeichen zu geben. Dieß war am Bord der Schaluppe sehr ängstlich erwartet worden, denn Goffe's Unfähigkeit fiel täglich mehr in die Augen, und selbst seine eifrigsten Anhänger kamen darin überein, daß es besser sein würde, sich Clevelands Oberbefehl zu unterwerfen, bis sie nach Westindien zurückgekehrt wären.

Bunce, welcher mit dem Boote herankam, um seinen geliebten Befehlshaber zu holen, tanzte, fluchte, schrie und sprang vor Freuden, als er ihn wieder in Freiheit sah. Sie hätten bereits, sagte er, einige Lebensmittel am Bord, und würden vielleicht schon weiter sein, wäre nicht der betrunkene alte Kehrwisch, der Goffe, gewesen, der an nichts weiter dächte, als die große Brasse zu zerreißen.

Die Bootsmannschaft war mit derselben Begeisterung erfüllt, und Alle ruderten mit so großer Anstrengung, daß Cleveland, obgleich die Fluth gegen sie war, und kein Wind ging, sich doch bald wieder auf der Schanze des Schiffes befand, das er zu seinem Unglücke befehligen mußte.

Der erste Gebrauch, welchen der Capitain von seiner Gewalt machte, war, Magnus Troil ankündigen zu lassen, daß er vollkommene Freiheit habe, das Schiff zu verlassen, – daß er ihm jede Schadloshaltung für die Unterbrechung seiner Reise nach Kirkwall zu geben erbötig sei, und daß Capitain Cleveland, wenn es Mr. Troil erlaube, ihm am Bord seiner Brigg seine Aufwartung zu machen wünsche, um ihm für die ihm früher erwiesenen Höflichkeiten seinen Dank abzustatten, und sich über das bei seiner Gefangenhaltung Vorgefallene zu entschuldigen.

Cleveland hatte Bunce, als dem gebildetsten aus der Schiffsmannschaft, diesen Auftrag ertheilt. Der alte, geradsinnige Udallar gab ihm folgende Antwort: »Sagt Eurem Capitain, ich wünschte überzeugt zu sein, daß er nie Jemand, den er auf offener See angehalten, übler behandelt hätte, als mich. Sagt ihm auch, wenn wir Freunde bleiben sollten, müßten wir auch in gehöriger Entfernung von einander bleiben; denn ich liebe das Sausen seiner Kanonenkugeln zur See eben so wenig, als er das Pfeifen einer Kugel aus meiner Büchse zu Lande lieben möchte. Sagt ihm, mit einem Worte, daß es mir Leid thut, mich in ihm geirrt zu haben, und daß er besser gethan haben würde, das an den Spaniern zu versuchen, was er seinen eigenen Landsleuten angethan hat.«

»Das ist also Eure Botschaft, alter Griesgram?« sagte Bunce; »nun, hol' mich Dieser und Jener, wenn ich nicht die größte Lust habe, Euer Geschäft über die linke Schulter auszurichten, um Euch mehr Achtung vor Glücksrittern beizubringen. Aber das will ich doch nicht thun, vorzüglich Eurer beiden netten Dirnen wegen, meines alten Freundes, Claudius Halcro, nicht zu gedenken, dessen Gesicht mich an alle die alten Tage erinnert hat, wo ich noch Coulissen schob und Lichter putzte. Also, guten Morgen, alter Gevatter Seehundsmütze, und damit holla!«

Kaum war das Boot mit den Piraten, die jetzt die Brigg verließen und zu ihrem eigenen Schiffe zurückkehrten, abgestoßen, als Magnus, der kein zu großes Vertrauen auf die Ehre dieser sogenannten Glücksritter setzte, seine Brigg anlaufen, und, da der Wind jetzt günstig wurde und sich mit Sonnenaufgang immer mehr verstärkte, alle Segel beisetzen ließ, um nach Scalpa-Flow zu kommen, wo er landen und von dort nach Kirkwall zu gehen beschloß, wo er seine Töchter und seinen Freund Claudius Halcro zu finden hoffte.


 


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