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Viertes Kapitel.

 

»Bei dieser Hand, du glaubst, daß ich so
tief in des Teufels Büchern stehe, als du und Fallstaff
wegen der Verstocktheit und Halsstarrigkeit. Das Ende
prüfe den Mann. – Dennoch könnte ich dir sagen,
(wie zu Einem, den es mir gefällt, in Ermangelung
eines Bessern, meinen Freund zu nennen) ich könnte
traurig sein, und traurig noch dazu.

Heinrich IV. Zweiter Theil.

 

Wir müssen den Schauplatz jetzt von Shetland nach Orkney verlegen, und unsere Leser ersuchen, uns zu den Trümmern eines zierlichen, wenn gleich sehr alten Gebäudes, der Grafenpalast genannt, zu begleiten. Diese Ueberbleibsel sind, obgleich sehr verfallen, noch in der Nähe des festen und ehrwürdigen Gebäudes vorhanden, welches die fromme Andacht der Norweger dem heiligen Magnus, dem Märtyrer, widmete; und da dieser Palast auch in der Nähe des bischöflichen liegt, der ebenfalls in Trümmer gesunken ist, so macht dieser Ort einen doppelt starken Eindruck, weil er sowohl von den Veränderungen in dem kirchlichen, als in dem Staatszustande zeugt, welche Orkney so gut wie jedes andere Land, das dergleichen Veränderungen mehr ausgesetzt ist, getroffen haben.

Mehrere Theile dieses verfallenen Gebäudes könnten (mit gehöriger Abänderung) sehr wohl zu Mustern für ein Haus im gothischen Style dienen, wenn die Baumeister sich darauf beschränken wollten, das nachzuahmen, was in dieser Bauart wirklich schön ist, statt eine bunte Musterkarte der launenhaften Eigenthümlichkeiten dieser Ordnung zu geben, und dabei den militärischen, geistlichen und häuslichen Styl aller Zeitalter durcheinander zu werfen, und dazu noch Einfälle und Zusammensetzungen von ihrer eigenen Erfindung, »alle aus des Baumeisters Gehirn entsprungen«, zu geben.

Der Grafenpalast nimmt drei Seiten eines länglich-viereckigen Platzes ein, und hat, selbst noch in seinen Trümmern, das Ansehen eines zierlichen, wenn gleich festen Gebäudes, das, wie es bei den Wohnungen der Lehnsfürsten der Fall war, die Eigenschaften eines Palastes und eines Kastells vereinigte. Ein großer Prunksaal, welcher mit mehreren runden oder Thurmzimmern in Verbindung stand, und der an jedem Ende einen ungeheuern Kamin hatte, zeugte von der alten nordischen Gastfreundschaft der Grafen von Orkney, und steht, fast wie nach neuerem Geschmacke, mit einer Gallerie oder Nebenzimmern von ähnlichen Verhältnissen in Verbindung, das Thürmchen hat, wie der große Saal. Dieser wird durch ein großes schönes Fenster mit steinernen Rahmen erleuchtet, und man gelangt zu demselben auf einer großen und zierlichen Treppe, welche aus drei Absätzen von steinernen Stufen besteht. Die äußeren Zierrathen und Verhältnisse des alten Gebäudes sind ebenfalls sehr schön; da aber dieses Ueberbleibsel der Pracht und Größe der Grafen, welche sich die Gewalt so wie die Würde kleiner Fürsten anmaßten, nicht gegen das Wetter geschützt ist, so verfällt es jetzt sehr schnell, und hat seit der Zeit, zu welcher sich unsere Geschichte zutrug, bedeutend gelitten.

Mit verschränkten Armen und niedergeschlagenem Blicke ging der Pirat Cleveland langsamen Schrittes in der verfallenen Halle, die wir so eben beschrieben haben, auf und ab, ein Ort, den er wahrscheinlich deßwegen gewählt hatte, weil er so entfernt von allem Menschengetümmel war. Seine Kleidung war wesentlich verschieden von der, die er gewöhnlich auf Shetland trug, und war eine Art Uniform, mit Tressen besetzt und reich gestickt. Ein Hut mit einer Feder, und ein Galanterie-Degen mit schönem Griff, damals der beständige Begleiter eines Jeden, welcher Anspruch auf den Namen eines Mannes von Ton machte, zeigten, daß er zu dieser Klasse gehöre. Wenn aber sein Aeußeres auch bei weitem mehr in die Augen fallend war, als damals, so schienen doch seine Gesundheit und sein Geist sehr gelitten zu haben. Er war blaß, hatte das Feuer seiner Augen und die Lebhaftigkeit seines Schrittes verloren, und sein ganzes Aeußere deutete entweder auf Schwermuth der Seele oder körperliches Leiden, oder auf einen Verein beider Uebel.

Als Cleveland so in diesen Trümmern auf- und abging, hüpfte ein junger Mann, von schlanker zarter Gestalt, dessen glänzender Anzug, dem Anscheine nach mit großer Sorgfalt gewählt, mehr Uebertreibung als feinen Geschmack verrieth, dessen Benehmen eine flüchtige Nachahmung eines Lebemannes aus jener Zeit zu sein schien, und in dessen Gesicht etwas Freies, ja Unverschämtes lag, die Treppe herauf, trat in die Halle, und begrüßte Cleveland, der ihm nachlässig zunickte, seinen Hut tiefer über die Augen zog, und seinen einsamen, schwermüthigen Spaziergang wieder fortsetzte.

Der Fremde rückte ebenfalls seinen Hut, nickte wieder, nahm mit dem Wesen eines Stutzers, aus einer reichbesetzten goldenen Dose Schnupftaback, bot Cleveland, während dieser bei ihm vorbeiging, davon an, erhielt als Antwort eine ziemlich kalte abschlägliche Bewegung, steckte die Dose wieder in die Tasche, schlug ebenfalls die Arme unter, und stellte sich nun hin, und beobachtete mit gespannter Aufmerksamkeit die Bewegung Dessen, den er in seiner Einsamkeit gestört hatte. Endlich blieb Cleveland stehen, als ob er ungeduldig sei, noch länger zum Gegenstande dieser Beobachtung zu dienen, und sagte kurz: »Warum kann ich denn nicht eine halbe Stunde allein sein, und was zum Teufel verlangt Ihr von mir?«

»Ich freue mich, daß Ihr angefangen habt, zu sprechen,« antwortete der Fremde nachlässig; »ich wollte nur wissen, ob Ihr wirklich Clemens Cleveland oder sein Geist wäret. Man sagte, Geister sprechen nie zuerst, und so nehme ich also an, daß Ihr wirklich Fleisch und Blut habt. Nun, da habt Ihr Euch eine schöne alte Rumpelkammer gesucht, Euch wie eine Eule am hellen Mittag darin zu verbergen, oder als Geist bei dem blassen Schimmer des Mondes zu erscheinen, wie der göttliche Shakespeare sagt.«

»Gut, gut,« antwortete Cleveland kurz. »Ihr habt nun Euern Scherz angebracht; sprecht jetzt einmal im Ernst.«

»Im Ernst also, Capitain Cleveland,« erwiderte der Gefährte; »Ihr wißt, daß ich Euer Freund bin.«

»Ich glaube es wenigstens,« antwortete Cleveland.

»Ihr könnt mehr thun, als das,« erwiderte der junge Mann, »ich habe bewiesen, daß ich es bin – hier und anderwärts.«

»Nun, gut,« antwortete Cleveland; »ich gebe zu, daß Ihr Euch immer sehr freundlich gegen mich benommen habt, was nun weiter?«

»Nun, – was weiter?« erwiderte der Andere. »Das ist eine sehr kurze Art, zu danken. Seht einmal, Capitain, da haben nun Berson, Barlow, Dick Fletscher und noch einige Andere, die Euch wohl wollten, Euern alten Kameraden, Capitain Goffe, auf dem Meere hier festgehalten, um nach Euch zu sehen, während er und Hawkins und der größere Theil der Schiffsmannschaft gewiß lieber auf dem spanischen Meere und hinter dem alten Gewerbe her gewesen wären.«

»Ich wünschte, ihr wäret überhaupt Jeder dem eurigen nachgegangen,« sagte Cleveland, »und hättet mich meinem Schicksale überlassen.«

»Das heißt, angegeben und gehangen zu werden, Capitain, sobald einer von den holländischen oder englischen Schurken, denen Ihr ihre Ladung abgenommen, Euch mit Augen gesehen hätte; und nirgends bekömmt man leichter Seefahrer zu sehen, als auf diesen Inseln. Nun haben wir hier, um Euch gegen diese Gefahr zu schützen, unsere köstliche Zeit vergeudet, bis die Leute anfingen, neugierig zu werden; und wenn wir kein Geld oder Gut mehr zu verzehren haben, werden sie Hand an das Schiff legen.«

»Nun denn, warum segelt ihr nicht ohne mich ab?« sagte Cleveland; »wir haben uns christlich getheilt, und Jeder hat seinen Antheil bekommen: laßt nun auch Jeden thun, was er will. Ich habe mein Schiff verloren, und nachdem ich einmal Capitain gewesen, will ich nicht wieder unter dem Oberbefehl Goffe's oder irgend eines Andern in See gehen. Uebrigens wißt ihr eben so gut als ich, daß sowohl er als Hawkins mir nicht wohlwollen, weil ich sie daran gehindert habe, die spanische Brigg mit den armen Teufeln von Negern, die sie am Bord hatten, in den Grund zu bohren.«

»Aber was Teufel ist denn mit dir?« sagte sein Gefährte, »bist du noch Clemens Cleveland, unser alter treuherziger Clemens von der Klippe, und sprichst davon, dich vor Hawkins und Goffe und zwanzig solcher Kerle zu fürchten, wenn du mich und Barlow, und Dick Fletscher noch auf deiner Seite hast? Haben wir dich im Rath oder im Gefecht je verlassen, daß du glauben könntest, wir wären jetzt abtrünnig geworden? Und was das Dienen unter Goffe betrifft, so glaube ich, ist es für Glücksritter, die auf Abenteuer ausgehen, nichts Neues, heute den, morgen jenen Capitain zu haben. Das laß nur gut sein; Capitain sollst du sein und bleiben, denn der Teufel hole mich, wenn ich je unter dem Kerl, dem Goffe, diene, der ein solcher Bluthund ist, wie nur je einer an einer Hündin gesogen hat – nein, dafür bedanke ich mich; mein Capitain muß etwas von einem Manne von Ton an sich haben. Ueberdieß waret Ihr es ja, der mir zuerst die Hände in das Seewasser tauchte, und mich aus einem Landvagabunden zu einem Seeräuber machte.«

»Ach, armer Bunce!« sagte Cleveland, »du bist mir für den Dienst wenig Dank schuldig.«

»Das ist, wie man's nimmt!« erwiderte Bunce; »was mich betrifft, so sehe ich gar nichts Böses darin, den Leuten auf eine oder die andere Art Contributionen aufzulegen. Aber ich wollte, Ihr vergäßt einmal den Namen Bunce auf einige Zeit, und nenntet mich Altamont, warum ich Euch schon so oft gebeten habe. Ich hoffe, Jemand, der zum Seeräuberhandwerk gehört, hat ein eben so gutes Recht auf: ›auch genannt‹, wie ein Landstreicher, und ich betrat nie einen Bord, ohne wenigstens der Altamont zu sein.«

»Nun wohl, Jack Altamont,« erwiderte Cleveland, »da es doch einmal Altamont heißen soll.«

»Ja, aber, Capitain, Jack heißt es nicht, obgleich Altamont dabei ist. Jack Altamont? Das ist ein Kleid von Sammet, mit Fransen von Papier – sagen wir Friedrich, Capitain; das kommt auf eins heraus, Friedrich Altamont.«

»Nun gut, Friedrich, recht gern,« sagte Cleveland: »aber sage mir nur, welcher Name wird denn am besten klingen, wenn es einmal heißen wird: das Bekenntniß und die letzten Worte von Jack Bunce, auch Friedrich Altamont genannt, der diesen Morgen auf dem Hinrichtungs-Werft wegen Seeräuberei auf offenem Meere gehangen wurde?«

»Nun, Capitain, diese Frage werde ich nicht eher beantworten können, als bis ich noch eine Kanne Grog zu mir genommen habe; wollt Ihr mich also zu Bet Haldome auf dem Quai begleiten, so will ich die Sache bei einer Pfeife ächten Trinidad reiflicher überlegen. Wir wollen die Quart-Terrine mit dem Besten füllen lassen, das Ihr je gekostet habt, und ich kenne einige hübsche Mädchen, die uns gern helfen werden, sie auszuleeren. Aber Ihr schüttelt den Kopf? Ihr habt keine Lust dazu? – Nun denn, so werde ich bei Euch bleiben, denn bei dieser Hand, Clemens, Ihr werdet mich so nicht los. – Nur will ich Euch aus diesem Bau von alten Steinen herausbeizen, und Euch in den Sonnenschein und in die freie Luft bringen. Wohin wollen wir gehen?«

»Wohin Ihr wollt,« sagte Cleveland, »und wo wir nur nicht unseren eigenen Schuften und allen andern in den Weg kommen.«

»Nun denn,« erwiderte Bunce, »so wollen wir nach dem Hügel von Whiteford gehen, von wo man die Stadt übersehen kann, und dort so ernst und ehrlich miteinander auf und ab wandeln, wie zwei redliche, wohlbeschäftigte Advocaten.«

Als sie das Schloß verließen, drehte sich Bunce noch einmal um, es anzusehen, und sagte dann zu seinem Gefährten:

»Hör' einmal, Capitain, weißt du, wer zuletzt diesen alten Hahnenbalken bewohnt hat?«

»Ein Graf der Orkney's, wie man sagt,« erwiderte Cleveland.

»Und wißt Ihr, welches Todes er starb?« sagte Bunce; »ich habe gehört an einem engen Halsbande – am Hanffieber oder dergleichen.«

»Die Leute hier sagen,« erwiderte Cleveland, »daß Seine Herrlichkeit vor einigen hundert Jahren das Unglück gehabt hätten, mit einer Schlinge und einem Luftsprunge genauer bekannt zu werden.«

»Nun, da seht Ihr's!« sagte Bunce, »damals war es noch eine Ehre, gehangen zu werden, und zumal in so guter Gesellschaft. Was mochte aber Se. Herrlichkeit wohl gethan haben, um eine solche Erhöhung zu verdienen?«

»Er soll die getreuen Unterthanen geplündert haben,« erwiderte Cleveland; »verwundete und tödtete sie, feuerte auf Sr. Majestät Flagge, und so weiter.«

»Also ein naher Verwandter eines anständigen Seeräubers,« sagte Bunce, »und« – indem er eine theatralische Verbeugung gegen das alte Gebäude machte – »deßwegen bitte ich, mein gebietender, ehrenfester und verehrungswerther Herr Graf, um die Erlaubniß, Euch meinen lieben Vetter nennen, und Euch von Herzen Lebewohl sagen zu dürfen. Ich lasse Euch in der guten Gesellschaft von Ratten und Mäusen und so weiter, und nehme einen wackern Mann mit, der, nachdem er kürzlich nicht mehr Herz als eine Maus gehabt hat, jetzt seinem Gewerbe und seinen Freunden wie ein Ratte davon laufen will, und deßwegen sich vortrefflich zu einem Bewohner des Palastes Eurer gräflichen Gnaden schickt.«

»Ich möchte dir doch nicht rathen, so laut zu reden, mein guter Freund, Frederick Altamont, oder John Bunce,« sagte Cleveland. »Als du auf dem Theater warst, hättest du meinetwegen so laut declamiren mögen, als du wolltest; aber bei unserem gegenwärtigen Gewerbe, das du so liebst, hat Jedermann bei seinem Sprechen die Raa-Nocke und eine laufende Schlinge zu berücksichtigen.«

Die beiden Kameraden verließen das kleine Kirkwall schweigend, und stiegen den Hügel von Whiteford hinan, dessen Gipfel, der mit dunklem Haidekraut bewachsen ist, von keinen Befriedigungen oder Spuren sonstigen Anbaues unterbrochen, sich nördlich von dem alten Flecken St. Magnus erhebt. In der Ebene, an dem Fuße des Hügels, sah man schon eine Menge von Leuten beschäftigt, Zurüstungen zu dem St. Ola's Markte zu machen, der am folgenden Tage gehalten werden sollte, und der ein allgemeiner Zusammenkunftsort für die Bewohner aller benachbarten Orkney-Inseln ist, auch wohl von Mehreren aus dem entfernteren Inselmeere Shetlands besucht wird. Es ist, nach den Worten der Bekanntmachung: ein freier Handels- und Krammarkt, der da in dem guten Flecken Kirkwall am dritten August, dem heil. Ola's-Tage, gehalten wird, und der über diesen Tag hinaus noch eine unbestimmte Zeit von drei Tagen bis zu einer Woche fortdauert.

Dieser Markt ist sehr alt, und hat seinen Namen von Olaus, Olave oder Olaw, dem berühmten Könige von Norwegen, welcher mehr mit der Schärfe des Schwertes, als durch sanftere Beweggründe, das Christenthum auf diesen Inseln einführte, und als der Schutzheilige von Kirkwall angesehen wurde, bis er diese Ehre mit St. Magnus, dem Märtyrer, theilen mußte.

Es war nicht Clevelands Vorsatz, sich in das bunte Gewühl zu mischen, das hier stattfand; sie wandten sich daher zur Linken, und stiegen den Hügel hinan, dessen Stille nur dann unterbrochen wurde, wenn ein Volk Haselhühner, deren es vielleicht auf Orkney mehr als in irgend einem Theile des Königreichs gibt, vor ihnen aufging und davonflog. Als sie den Gipfel des kegelförmigen Hügels beinahe erreicht hatten, wandten sie sich, wie verabredet, um, die Aussicht zu genießen, die sich hier vor ihnen ausbreitete.

Das lebendige Gewimmel zwischen dem Fuße des Hügels und der Stadt, gab diesem Theile der Aussicht Bewegung und Mannigfaltigkeit; weiterhin sah man die Stadt selbst, aus der sich, wie eine große Masse, welche den ganzen übrigen Flecken zu verdunkeln schien, die alte Kathedrale des heil. Magnus erhob, in dem schwersten Style der gothischen Architektur erbaut, aber großartig, ehrwürdig und stattlich, das Werk einer grauen Zeit und einer kühnen Hand. Der Quai mit den Schiffen verlieh dem Anblicke doppeltes Leben, und nicht allein die ganze schöne Bay zwischen den Vorgebirgen Inganeß und Quanterneß, an deren Fuße Kirkwall liegt, sondern die ganze Meerenge zwischen der Insel Shavinsha und der Insel Pomona, oder dem Festlande, war mit einer Menge von Booten und kleineren Fahrzeugen bedeckt, welche von den entfernten Inseln herkamen, um Leute oder Waaren auf den St. Ola's Markt zu bringen.

Nachdem die Fremden den Punkt erreicht hatten, von wo aus man diese schöne, lebendige Aussicht am besten überschauen konnte, zog Jeder von ihnen, nach Seemannsweise, sein Fernglas hervor, um dem bloßen Auge zu Hülfe zu kommen, und die Bucht von Kirkwall mit den zahlreichen Fahrzeugen, welche in derselben umherkreuzten, zu mustern. Allein die Aufmerksamkeit der beiden Gefährten schien auf ganz verschiedene Gegenstände gerichtet zu sein. Bunce, oder Altamont, wie er sich zu nennen beliebte, blickte unverwandt nach der bewaffneten Schaluppe hin, die durch ihre Raaen oder lange Balken, so wie durch die englische Flagge und Wimpel, die sie klüglich wehen ließ, vor allen kenntlich war, mitten unter den Kauffahrteischiffen lag, und sich durch die Nettigkeit ihres Aeußeren eben so sehr von ihnen unterschied, wie ein exercirter Soldat unter einem Haufen von Bauern.

»Da liegt sie,« sagte Bunce; »wollte Gott, sie wäre erst in der Bucht von Honduras – Ihr als Capitain auf die Schanze, ich, Euer Lieutenant, Fletscher, Quartiermeister, und fünfzig tüchtige Kerle zu unserem Befehl – da wollt' ich diese verwünschten Haiden und Felsen lange nicht wiedersehen! Und Capitain sollt Ihr bald sein. Das alte Vieh, der Goffe, betrinkt sich alle Tage, lärmt, schießt und sticht unter der Mannschaft umher, und hat außerdem mit den Leuten hier solche Händel angefangen, daß sie uns nur mit Mühe noch Wasser und Lebensmittel geben, und wir jeden Tag erwarten, daß es zum offenen Bruche kömmt.«

Da Bunce keine Antwort erhielt, wendete er sich schnell zu seinem Kameraden um, und da er dessen Aufmerksamkeit auf eine ganz andere Art beschäftigt fand, rief er: »Was Teufel ist denn das mit Euch? Was könnt Ihr nur an allen den kleinen Dingern sehen, die mit Stockfisch und Leng und geräucherten Gänsen, und mit Fässern Butter, die schlechter ist als Talg, beladen sind – wahrhaftig alle ihre Ladungen zusammen sind nicht einen Schuß Pulver werth. Nein, nein, gebt mir solche Yacht, wie ich sie vom Mastkorb auf der Höhe von Trinidad sehen kann. Da kommt ein Don, der tief im Wasser geht, wie ein Nordkaper voll geladen mit Rum, Zucker und Ballen Taback, und das Uebrige, nichts als Barren, Moidores und Goldstaub: man setzt alle Segel bei, das Verdeck wird leer gemacht, ein Jeder stellt sich an seinen Posten, der lustige Roger wird aufgehißt Die Piraten gaben diesen Namen der schwarzen Flagge, welche mehrere schreckliche Zeichen trug, um ihre Furchtbarkeit noch zu erhöhen, und ihre Lieblingsflagge war. – wir kommen näher – und sehen, daß das Schiff gut bemannt und bewaffnet ist.«

»Zwanzig Kanonen auf dem Unterdeck,« sagte Cleveland.

»Vierzig, wenn Ihr wollt,« entgegnete Bunce, »und wenn wir auch nur zehn führen – das hat nichts zu sagen. Der Don brennt los – hat nichts zu sagen, Bursche – Seite an Seite und dann an Bord – an das Werk mit Euren Granaten, Euren Hammern, Enterbeilen und Pistolen – der Don ruft um Erbarmen, und wir theilen uns in die Ladung ohne das co licencio Seignior

»Wahrhaftig,« sagte Cleveland, »du hängst so fest am Gewerbe, daß die ganze Welt es gleich sehen kann, daß an dir kein ehrlicher Mann verdorben war, als du Seeräuber wurdest. Aber du sollst mich nicht dazu bewegen, noch weiter des Teufels Wege mit euch zu verfolgen, denn ihr wißt wohl, was mit seiner Hülfe gewonnen, ist auch wieder so zerronnen. In einer Woche, spätestens in einem Monat, ist der Rum und der Zucker all, die Ballen Taback sind in Rauch aufgegangen, die Moidores, Dukaten und Barren sind aus unseren Händen in die der ruhigen, ehrlichen, gewissenhaften Leute übergegangen, die in Port-Royal und wo anders wohnen, und unserm Gewerbe durch die Finger sehen, so lange wir einen Heller Geld haben, aber nicht länger. Dann sieht man uns mit kalten Blicken an, und gibt vielleicht dem Obermarschall einen Wink; denn wenn wir kein Geld mehr in der Tasche haben, so machen unsere ehrlichen Freunde, ehe sie Mangel leiden, unsere Köpfe zu Gelde. Dann kommt ein hoher Galgen und ein kurzer Strick, und so stirbt der vornehme Seeräuber. Ich sage dir, ich bin entschlossen, dieß Gewerbe aufzugeben, und wenn ich mein Fernglas von einer dieser Barken und Boote auf das andere richte, so möchte ich auf dem schlechtesten darunter lieber als Ruderknecht um mein Brod dienen, als noch länger das bleiben, was ich gewesen bin. Diese armen Leute machen die See zum Mittel eines ehrlichen Erwerbes und einer freundlichen Gemeinschaft zwischen einem Ufer und dem andern, zum gegenseitigen Nutzen der Einwohner; wir aber machen sie zur Bahn des Unterganges und unseres eigenen Verderbens, hier und in Ewigkeit. – Ich bin entschlossen, ein ehrlicher Mann zu werden, und nicht länger ein solches Leben zu führen!«

»Und wo würden Ew. Ehrlichkeit ihren Wohnsitz aufschlagen, wenn ich fragen darf?« sagte Bunce. »Ihr habt die Gesetze eines jeden Volkes verletzt, und die Hand des Gesetzes wird Euch ereilen und zermalmen, wohin Ihr auch Eure Zuflucht nehmen mögt. – Cleveland, ich spreche jetzt ernster zu Euch, als ich sonst wohl zu thun gewohnt bin. Ich habe ebenfalls meine Betrachtungen angestellt, und sie waren traurig und bitter genug, um mir Wochen der Freude zu verderben, wenn sie auch nur einige Minuten dauerten. Aber so stehen einmal die Sachen – was bleibt uns übrig, als so fortzufahren, wie wir angefangen haben, wenn wir nicht geradezu entschieden sind, die Raa-Nocke zu zieren?«

»Wir können ja die Versprechungen in der Bekanntmachung an Alle unseres Gleichen, welche sich stellen und sich freiwillig ergeben, für uns geltend machen.«

»Hm!« antwortete sein Gefährte trocken, »die bestimmte Zeit der Gnade ist schon längst vorüber, und sie können uns jetzt bestrafen oder begnadigen, wie sie wollen. Wäre ich an Eurer Stelle, ich würde meinen Hals nicht so daran wagen.«

»Nun, Andere sind doch erst vor ganz kurzem wieder zu Gnaden angenommen worden; warum sollte mir das nicht auch geschehen?« sagte Cleveland.

»Ja,« erwiderte sein Gefährte, »Harry Glasby und Andere sind begnadigt worden, aber Glasby leistete auch einen sogenannten guten Dienst, verrieth seine Kameraden, und war zur Wiedereroberunq des Schiffs, »das gute Glück«, behülflich, und das, denk' ich doch, würdet Ihr nicht thun, selbst wenn Ihr Euch dadurch an dem Vieh, dem Goffe, rächen könntet.«

»Lieber tausendmal sterben!« sagte Cleveland.

»Darauf wollte ich auch wohl schwören,« erwiderte Bunce. »Nun, und die Andern waren Vorderdeck-Kerls, kaum des Hanfes werth, der zu den Stricken für sie nöthig gewesen wäre. Euer Name steht dagegen auf der Liste der Glücksritter zu hoch, als daß Ihr so leichten Kaufs davon kommen solltet. Ihr seid der Leithammel in der Heerde, und man wird Euch danach anstreichen.«

»Und warum das?« sagte Cleveland: »du kennst ja meine Absichten, Jack.«

»Frederick, wenn es Euch gefällig ist,« sagte Bunce.

»Hol' der Teufel deine Narrheit! Behalt' deinen Witz für dich, und laß uns einen Augenblick lang ernsthaft sein.«

»Auf einen Augenblick – wohl,« sagte Bunce, »aber ich fühle, Altamonts Geist ist schon ganz in mich gefahren – bin schon zehn Minuten ernsthaft gewesen.«

»So sei es auch noch etwas länger,« sagte Cleveland. »Ich weiß, Jack, du liebst mich wirklich, und da wir uns einmal so ausgesprochen haben, will ich mich dir ganz anvertrauen. Sage mir, warum die Versprechungen jenes Begnadigungs-Ausrufs nicht auch auf mich ausgedehnt werden können. Ich habe freilich immer eine rauhe Außenseite angenommen, wie du weißt; allein ich kann, wenn es darauf ankommt, auch die Lebenden aufzählen, die ich gerettet habe, das Eigenthum, das ich denen wiedergegeben, denen es rechtmäßig gehörte, und das, wäre ich nicht gewesen, muthwillig vernichtet worden sein würde. Kurz, Bunce, ich kann beweisen« –

»Daß Ihr ein eben so anständiger Dieb waret, als Robin Hood selbst,« sagte Bunce; »und deßwegen lieben wir Euch auch, ich, Fletscher, und die Besseren unter uns, weil Ihr unsere Namen als Seeräuber von der gänzlichen Verworfenheit gerettet habt. – Nun gut, wir wollen einmal annehmen, daß Ihr wirklich Begnadigung erhieltet, was wollt Ihr dann anfangen? Welche Klasse der Gesellschaft wird Euch unter sich aufnehmen? Zu wem wollt Ihr Euch halten? Der alte Drake konnte zu Königin Elisabeths Zeiten ganz Peru und Mexico plündern, ohne nur eine Zeile Auftrag dazu vorweisen zu können, und ward – gesegnet sei ihr Andenken – bei seiner Rückkehr dafür zum Ritter geschlagen. In neuerer Zeit, in den lustigen Tagen König Karls, brachte Hal Morgan, aus Wales, seine ganze Beute ruhig heim, und kaufte sich Haus und Landgut davon. Aber das ist jetzt Alles vorbei – einmal ein Seeräuber, und ausgestoßen ist man aus der menschlichen Gesellschaft. Der arme Teufel mag gehen, und, gemieden und verachtet von Jedermann, in irgend einem unbekannten Seehafen von dem leben, was ihm von seinem Sündengelde übrig geblieben ist, nachdem Hofleute und Schreiber das Ihrige davon bekommen haben – denn Begnadigungen werden nicht so um nichts und wieder nichts ertheilt; – und wenn er nun am Hafendamm entlang geht, und ein Fremder fragt, wer denn der zur Erde blickende, schwarzbraune, schwermüthige Mann ist, dem Alle aus dem Wege gehen, als ob er die Pest hätte, so wird man antworten: ›Das ist der und der, der begnadigte Pirat! – kein ehrlicher Mensch spricht mit ihm, – kein rechtliches Mädchen gibt ihm ihre Hand.‹«

»Du trägst deine Farben etwas stark auf,« rief Cleveland, seinen Freund plötzlich unterbrechend; »es gibt Mädchen – es gibt wenigstens Eine, die ihrem Geliebten treu bleibt, selbst wenn er wäre, was du eben geschildert hast.«

Bunce schwieg einen Augenblick und sah seinen Freund scharf an. »Bei meiner Seele!« rief er am Ende aus, »ich fange an, mich für einen Zauberer zu halten. So unwahrscheinlich es auch war, so konnte ich doch von Anfang an die Vermuthung nicht unterdrücken, daß ein Mädchen mit im Spiele wäre. Wahrhaftig, das ist noch ärger, als der verliebte Prinz Volscius! ha, ha, ha!«

»Lache, wie du willst,« sagte Cleveland, »es ist doch wahr; – es gibt ein Mädchen, das mich lieben will, obgleich ich ein Pirat bin, und ich muß dir frei gestehen, Jack, wenn ich gleich zu Zeiten unser Herumstreicherleben, und mich selbst, weil ich es treibe, verabscheut habe, so zweifele ich doch, ob ich mich dazu entschlossen haben würde, mich davon loszureißen, wie ich es jetzt thun will, wäre es nicht ihretwegen gewesen.«

»Nun denn, Gott erbarme sich!« erwiderte Bunce; »es wäre unnütz, einem Verrückten vernünftig zureden zu wollen, und Liebe ist bei Einem von unserem Gewerbe, Capitain, nicht viel besser, als reine Verrücktheit. Das Mädchen muß ein seltenes Geschöpf sein, daß ein kluger Mann sich ihretwegen der Gefahr des Gehangenwerdens aussetzt. Aber hört einmal, ist sie nicht auch ein wenig verliebt, so gut wie Ihr? Und hat das nicht am Ende die Sympathie gemacht, sie muß keine unserer gewöhnlichen Dirnen sein, sondern ein Mädchen von Geist und Charakter.«

»Beides ist eben so wenig zu bezweifeln, als daß sie das schönste und bezauberndste Geschöpf ist, das Menschenaugen je erblickt haben,« antwortete Cleveland.

»Und sie liebt dich, da sie doch weiß, edelster Capitain, daß du ein Befehlshaber von Glücksrittern bist, die man im gewöhnlichen Leben Piraten nennt?«

»Allerdings – ich bin fest überzeugt davon,« sagte Cleveland.

»Nun, denn,« antwortete Bunce, »so ist sie wirklich toll, wie ich vorher sagte, oder sie weiß nicht, was ein Pirat ist.«

»Darin hast du recht,« erwiderte Cleveland; »sie ist in so entfernter Einsamkeit und so gänzlicher Unwissenheit von Allem, was schlecht ist, auferzogen worden, daß sie unsere Beschäftigung mit der der alten nordischen Helden vergleicht, welche See und Hafen mit ihren siegreichen Galeeren durchstrichen, Länder eroberten, und den Namen Seekönige führten.«

»Der besser ist, als ›Pirat‹, aber wahrscheinlich so ziemlich auf dasselbe herauskömmt,« sagte Bunce. »Aber das muß ein wackeres Mädchen sein! warum brachtet Ihr sie nicht mit an Bord? Es war Schade, daß Ihr sie so enttäuschtet.«

»Und glaubst du denn wirklich,« sagte Cleveland, »daß ich den gefallenen Engel so ganz zu spielen im Stande sein konnte, um ihren schwärmerischen Irrthum dahin zu benutzen, einen Engel von Schönheit und Unschuld eine solche Hölle sehen zu lassen, wie sie an Bord eures verruchten Schiffes ist? – Ich sage dir, mein Freund, daß, wären alle meine früheren Sünden doppelt so schwer und so schwarz, hätte ein solches Bubenstück sie doch alle überwunden.«

»Nun denn, Capitain Cleveland,« sagte sein Vertrauter, »so halte ich es für sehr thöricht von Euch, daß Ihr überhaupt hierher gekommen seid. Die Nachricht mußte sich am Ende doch verbreitet haben, daß der berüchtigte Pirat, Capitain Cleveland, mit seinem guten Schiffe, die Rache, an der Küste von Shetland gescheitert und mit Mann und Maus untergegangen sei, und so würde Freund und Feind von Euch nichts gewußt haben. Ihr hättet Eure artige Shetländerin heirathen, aus Eurem Gürtel und Schürze Fischnetze, aus Eurem Säbel eine Harpune machen, und die See statt nach Gulden, nach Fischen durchstreifen können.«

»Dazu war ich auch entschlossen,« sagte der Capitain; »aber ein Jagger, wie man diese Leute hier nennt, brachte nach seiner spionirenden Hausirer-Art die Nachricht nach Shetland, daß Ihr hier läget, und ich mußte doch aufbrechen, um zu sehen, ob Euer Schiff das zweite sei, von dem ich erzählt hatte, lange vorher, ehe ich das Seeräuberhandwerk aufzugeben gedachte.«

»Ja,« sagte Bunce, »das berechnet Ihr ganz richtig. Denn so wie Ihr gehört hattet, daß wir in Kirkwall wären, so würden wir auch bald erfahren haben, daß Ihr in Shetland wäret, und da würden gewiß Einige von uns, entweder aus Freundschaft, oder aus Haß, – oder aus Furcht, daß Ihr es auch so mit uns machen würdet, wie Harry Glasby, dorthin gekommen sein, um Euch zu überreden, wieder bei uns einzutreten.«

»Das sah ich voraus,« sagte der Capitain, »und deßwegen mußte ich das höfliche Anerbieten eines Freundes ablehnen, der mir vorschlug, mich hierher zu bringen. Außerdem, Jack, erinnerte ich mich, daß sich meine Begnadigung nicht gut ohne Geld würde auswirken lassen, und da mein eigenes schon abzunehmen anfing, – kein Wunder, denn du weißt, ich war nie ein Knauser – so ...«

»So kamt Ihr zu uns, um Euren Antheil an den Piastern zu erhalten?« erwiderte sein Freund. »Das war ganz klug gehandelt, auch theilten wir ehrlich – darin hat Goffe sich streng an unsere Artikel gehalten, das muß man ihm lassen. Aber haltet Euren Vorsatz, ihn zu verlassen, streng in Eurer Brust verschlossen, denn ich fürchte, er spielt Euch sonst irgend einen schlechten Streich; er glaubte Euren Antheil schon für sich zu erhalten, und wird es Euch nie vergeben, daß Ihr lebendig wieder da seid, ihm denselben streitig zu machen.«

»Ich fürchte ihn nicht,« sagte Cleveland, »und er weiß das sehr gut. Ich wollte, ich hätte so wenig von den Folgen zu befürchten, sein Kamerad gewesen zu sein, als von allen denen, die mir aus seinem Groll erwachsen können. – Aber ein zweites unglückliches Begegniß kann mir auch noch viele Ungelegenheit verursachen. Ich verwundete an dem Morgen, als ich Shetland verließ, einen jungen Menschen, der mich schon einige Zeit geärgert hat, in einem unglücklichen Zwiste.«

»Ist er todt?« fragte Bunce. »Das ist hier eine ernsthaftere Frage, als auf den großen Kaimans oder Bahama-Inseln, wo man ein oder zwei Paar Leute in einem Morgen niederschießen kann, ohne daß man mehr davon hört oder darum befragt wird, als wenn es Holztauben wären. Hier mag es indeß anders sein, und so hoffe ich, ihr habt Euern Freund nicht unsterblich gemacht.«

»Ich hoffe nicht,« sagte der Capitain, »obgleich mein Zorn schon Manchem, der mir weniger Veranlassung gegeben hat, verderblich geworden ist. Die Wahrheit zu sagen, that es mir leid um den Burschen, um so mehr, da ich ihn in den Händen des Wahnsinns zurücklassen mußte.«

»In den Händen des Wahnsinns?« sagte Bunce; »was soll denn das heißen?«

»Das sollst du hören,« sagte sein Freund. »Zuerst mußt du wissen, daß dieser junge Mann mir plötzlich in den Weg trat, als ich Minna zu überreden suchte, mir eine geheime Unterredung zu gewähren, ehe ich unter Segel ging, und worin ich ihr meinen Vorsatz mittheilen wollte. Gerade in einem solchen Augenblicke durch die verwünschte Zudringlichkeit dieses jungen Menschen gestört zu werden ...«

»Dieses Dazwischenkommen verdiente den Tod,« sagte Bunce, »bei allen Gesetzen der Liebe und Ehre!«

»So sei doch endlich einmal mit deinen Schauspielerthaten ruhig, und höre mich einen Augenblick an. Der kecke Jüngling ließ es sich einfallen, mir eine schnöde Antwort zu geben, als ich ihm befahl, sich zu entfernen. Du weißt, ich bin nicht sehr geduldig, und gab daher meinen Worten den gehörigen Nachdruck durch einen Schlag, den ich eben so derb zurückerhielt. Es kam nun zum Handgemenge zwischen uns, bis ich der Sache auf irgend eine Weise ein Ende zu machen wünschte, und dieß durch einen Stoß mit dem Dolche that, den ich nach altem Gebrauche, wie du weißt, immer bei mir führe. Kaum war dieß geschehen, als mich die That reute; allein es war keine Zeit mehr, an irgend etwas zu denken, als an Flucht und Verbergen; denn wenn das Haus erwachte, so war ich verloren, da der hitzige, alte Mann, welcher an der Spitze der Familie steht, mich streng gerichtet haben würde, und wäre ich sein Bruder gewesen. Ich nahm also den Körper schnell auf meine Schultern, ihn hinunter an das Meeresufer zu tragen, mit dem Vorsatze, ihn in eine sogenannte Riva oder Spalte von großer Tiefe zu werfen, wo er gewiß lange unentdeckt liegen geblieben sein würde, – nachdem ich dieß gethan, in das Boot zu springen, das schon segelfertig lag, und nach Kirkwall hinüber zu fahren. Während ich jedoch schnellen Schrittes mit meiner Bürde dem Ufer zueilte, stöhnte der arme Junge tief auf, ein Zeichen, daß ihn die Wunde nicht gleich getödtet hatte. Ich war jetzt schon zwischen den Felsen und ziemlich verborgen. Weit entfernt, mein Verbrechen noch vergrößern zu wollen, legte ich den jungen Mann auf den Boden, und war eben damit beschäftigt, das Blut zu stillen, als plötzlich eine alte Frau vor mir stand. Dieß war eine Person, welche ich häufig bei meinem Aufenthalte in Shetland gesehen hatte, und die man dort für eine Zauberin, oder, wie die Neger sagen, eine Obi hält. Sie begehrte den Verwundeten von mir, und ich war zu sehr von der Zeit gedrängt, um mich nur einen Augenblick zu weigern, ihr Verlangen zu erfüllen. Sie war im Begriff, mir noch mehr zu sagen, als wir die Stimme eines einfältigen alten Mannes vernahmen, der zu den Freunden der Familie gehört, und in einiger Entfernung sang. In diesem Augenblicke legte sie zum Zeichen der Verschwiegenheit den Finger auf die Lippen und pfiff leise, worauf eine unförmliche Zwerggestalt erschien, mit deren Hülfe sie den Verwundeten in eine der Höhlen trug, deren es in der Gegend so viele gibt, während ich mit der größten Schnelligkeit in mein Boot flüchtete und in See stach. Wenn die alte Hexe, wie man sagt, wirklich mit dem Könige der Winde verwandt ist, so gab sie mir an diesem Morgen eines von ihren Kunststücken zum Besten; denn kein westindischer Tornado, wie wir deren zusammen überstanden haben, konnte ein furchtbareres Getöse hervorbringen, als der Windstoß, der mich so weit von dem Course wegtrieb, daß ich ohne den Taschencompaß, den ich zufällig bei mir hatte, Fair-Isle, worauf wir zusteuerten, und wo ich eine Brigg fand, die mich hierher brachte, gewiß nie erreicht haben würde. Was nun aber die alte Frau mir zugedacht haben mochte, Wohl oder Weh', so kamen wir doch endlich glücklich hier an, und hier bin ich nun am Lande in Zweifel und Schwierigkeiten von mehr als einer Art befangen.«

»Der Henker hole Sumburgh-Head,« sagte Bunce, »oder wie sonst der Felsen heißt, an dem Ihr Eure nette kleine ›Rache‹ scheitern ließet!«

»Sage nicht, daß ich sie scheitern ließ,« sagte Cleveland; »habe ich dir nicht fünfzigmal wiederholt, daß, wenn die Memmen sich nicht in das Boot geworfen hätten – obgleich ich Ihnen voraussagte, daß es umschlagen und sie Alle ertrinken würden, was auch in dem Augenblicke geschah, wo sie die Fangleine abzogen – das Schiff noch in diesem Augenblicke auf dem Wasser sein würde? Wären sie bei mir und auf dem Schiffe geblieben, so wären sie mit dem Leben davon gekommen; hätte ich sie begleitet, so hätte ich das meinige eingebüßt; wer weiß, was besser gewesen wäre?«

»Nun,« antwortete sein Freund, »ich kenne jetzt Eure Lage, und werde um so besser helfen und rathen können. Ich will Euch treu bleiben, Clemens, wie die Klinge dem Heft; aber ich kann mir nicht denken, daß Ihr uns verlassen wollt. Es heißt ja in einem alten schottischen Liede; »'s bricht mir's Herz, daß wir soll'n scheiden.« – Aber Ihr kommt doch auf jeden Fall heute zu uns an Bord?«

»Ich habe keinen andern Zufluchtsort,« sagte Cleveland mit einem Seufzer. Noch einmal warf er sein Auge über die Bucht, richtete sein Fernglas auf mehrere der Schiffe, welche darüber hinflogen, in der Hoffnung, Magnus Troils Fahrzeug darunter zu entdecken, und folgte dann seinem Gefährten schweigend den Hügel hinab.


 


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