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Sechstes Kapitel.

 

O, Elternliebe, Freund, bezwingt die Weisheit,
Ein Zauber, der gleich eines Falkners Ruf,
Vom Himmel selbst den Geist zu steigen zwingt.
Wirft Prospero den Zaubermantel ab,
So war's Miranda, die ihn abgenommen.

Altes Schauspiel.

 

Unsere wandernde Erzählung muß jetzt wieder zu Mordaunt Mertoun zurückkehren. Wir verließen ihn in der gefährlichen Lage eines Menschen, der eine schwere Wunde empfangen hat, und finden ihn als Genesenden wieder, zwar bleich und schwach durch den Blutverlust und das Wundfieber, aber noch insofern glücklich, daß die Waffe, welche von den Rippen abgeglitten war, keine edeln Theile getroffen hatte, und die Wunde nun beinahe geheilt war, so wirksam hatten sich die Kräuter und Salben gezeigt, mit denen die weise Norna von Fitful-Head sie behandelte.

Die Matrone und der Leidende saßen jetzt in einem Hause auf einem entfernten Eilande. Während seiner Krankheit, und ehe er wieder zu vollkommenem Bewußtsein zurückkehrte, war er durch eines der Fischerboote, die bei Burgh-Westra lagen, zunächst nach ihrer sonderbaren Wohnung in der Nähe von Fitful-Head, und von da nach ihrem gegenwärtigen Aufenthaltsorte gebracht worden. So groß war nämlich die Herrschaft, welche Norna durch den Aberglauben ihrer Landsleute ausübte, daß es ihr nie an treuen Vollstreckern ihrer Befehle mangelte, von welcher Art diese auch sein mochten; und da sie gewöhnlich unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit gegeben wurden, so wunderten sich die Leute gegenseitig über Begebenheiten, welche durch ihre und ihrer Nachbarn Hülfe herbeigeführt worden waren, und bei denen, hätten sie sich einander frei mitgetheilt, nicht einmal ein Schatten von Wunderbarem gewesen wäre. Mordaunt saß bei dem Feuer in einem leidlich meublirten Zimmer, und hatte ein Buch in der Hand, auf welches er von Zeit zu Zeit mit sichtlichen Zeichen der Langeweile und der Ungeduld blickte, Gefühle, die sich seiner am Ende so sehr bemeisterten, daß er das Buch auf den Tisch warf, seine Augen auf das Feuer heftete, und die Stellung eines Menschen annahm, der durch sehr unangenehme Betrachtungen heimgesucht wird.

Norna, die ihm gegenüber saß, und mit der Mischung einer Arzney oder Salbe beschäftigt zu sein schien, verließ besorgt ihren Sitz, näherte sich Mordaunt, fühlte ihm an den Puls, und fragte ihn dabei auf das angelegentlichste, ob er irgend einen Schmerz fühle, und wo der Sitz desselben sei. Die Art, wie Mordaunt diese wiederholten Fragen beantwortete, schien der Seherin nicht zu gefallen, da sie zwar eine Anerkennung ihres Wohlwollens gegen ihn ausdrückte, dabei aber das Unbehagen, auf welches Norna hindeutete, geradewegs abläugnete.

»Undankbarer Knabe!« sagte sie, »für den ich so viel gethan habe; du, den ich durch meine Macht und Erfahrung von den Pforten des Todes zurückbrachte – bist du meiner bereits so überdrüssig, daß du dich nicht enthalten kannst, mir zu verstehen zu geben, wie gern du die ersten lichten Tage eines Lebens, das ich dir wiedergegeben, fern von mir zubringen möchtest?«

»Du thust mir Unrecht, meine gütige Retterin,« erwiderte Mordaunt, »wenn du glaubst, daß ich deiner Gesellschaft überdrüssig sei; allein ich habe Pflichten, welche mich zu meiner gewöhnlichen Lebensweise zurückrufen.«

»Pflichten!« widerholte Norna; »und welche Pflichten können der Dankbarkeit, die du mir schuldig bist, vorgehen? – Pflichten! Deine Gedanken richten sich auf weiter nichts, als wie du deine Flinte gebrauchen, oder zwischen den Felsen nach Seevögeln umherklettern kannst. Diesen Anstrengungen ist deine Kraft jetzt noch nicht gewachsen, und doch sind es die Pflichten, zu denen du so gern zurückkehren möchtest?«

»Nein, meine gute und wohlwollende Herrin,« sagte Mordaunt; – »doch, um eine Pflicht zu nennen, welche mir unter mehreren andern gebietet, dich zu verlassen, wirst du mir erlauben, die eines Sohnes gegen seinen Vater zu erwähnen.«

»Gegen deinen Vater?« sagte Norna, mit einem Gelächter, welches beinahe etwas Wahnsinniges an sich hatte. »O! du weißt nicht, wie wir, auf diesen Inseln, Pflichten der Art auf einmal abzustreifen wissen! Und, was deinen Vater betrifft,« fügte sie ruhiger hinzu, »was hat er für dich gethan, die Achtung und Pflichttreue zu verdienen, von der du sprichst? Ist er es nicht, der dich, wie du mir schon seit längerer Zeit erzähltest, so viele Jahre lang ärmlich unter Fremden ließ, ohne sich nur ein einziges Mal zu erkundigen, ob du lebtest oder todt wärest, und nur von Zeit zu Zeit dir Unterstützung sandte, wie man einem Aussätzigen aus der Entfernung Almosen zuwirft. Und als er dich, in späteren Jahren, zum Gefährten seines Elends machte, war er da nicht wechselsweise dein Zuchtmeister oder dein Quälgeist, aber nie, Mordaunt, dein Vater?«

»Was du sagst, ist nicht ganz unwahr,« erwiderte Mordaunt, »mein Vater ist nicht zärtlich, aber er ist und war immer wirklich wohlwollend. Die Menschen haben ihre Neigungen nicht in ihrer Gewalt, und es ist die Pflicht eines Kindes, für die Wohlthaten, welche es empfängt, dankbar zu sein, selbst wenn sie mit Kälte erwiesen werden. Mein Vater hat mich zu bilden gesucht, und ich bin überzeugt, er liebt mich; er ist unglücklich, und selbst wenn er mich nicht liebte ...«

»Er liebt dich auch nicht,« sagte Norna heftig; »er liebte nie Etwas oder Jemand, sich selbst ausgenommen. Er ist unglücklich, aber er verdient sein Unglück. – O Mordaunt, nur Eines deiner Eltern, – nur Eines liebt dich, wie einen Tropfen seines Herzblutes!«

»Ich weiß, daß ich nur Eines habe« – erwiderte Mordaunt – »meine Mutter ist schon längst todt; aber was du da sagst, sind Widersprüche.«

»Sie sind es nicht – sie sind es nicht,« sagte Norna, in einer Aufwallung des tiefsten Gefühls. »Du hast nur Eines – deine unglückliche Mutter ist nicht todt, – wollte Gott, sie wäre es! – aber sie ist nicht todt. Deine Mutter ist von deinen Eltern die einzige, die dich liebt, und ich, ich, Mordaunt,« sagte sie, indem sie die Arme um seinen Hals schlang, »bin diese unglückliche – und doch so glückliche Mutter!« –

Sie umschloß ihn bei diesen Worten fest und krampfhaft, und Thränen, vielleicht die ersten, welche sie seit manchen Jahren vergossen, floßen in Strömen, während sie an seinem Halse schluchzte. Erstaunt über das, was er hörte, fühlte und sah, – von ihrer großen Bewegung nicht erregt, aber ungewiß, ob er diesen Ausbruch der Leidenschaft nicht dem Wahnsinn zuschreiben sollte, suchte Mordaunt vergebens, das Gemüth dieses außerordentlichen Wesens zu beruhigen.

»Undankbarer Knabe!« sagte sie, »wer anders, als eine Mutter hätte so über dich wachen können, wie ich es gethan habe? Von dem Augenblicke an, wo ich deinen Vater sah, ohne daß er wußte, wer ihn beobachtete – was jetzt lange her ist – kannte ich ihn, und sah dich damals, ein zartes Kind, unter seiner Obhut, während die Natur, die laut in meinem Busen sprach, mir es sagte, daß du Blut von meinem Blute, und Fleisch von meinem Fleische seiest. Bedenke, wie oft du mich, zu deinem Erstaunen, wenn du meiner am wenigsten gewärtig warst, an deinen Vergnügungsorten gesehen hast; bedenke, wie oft mein Auge dich auf der schwindelnden Höhe beobachtete, und mein Mund die Zaubersprüche murmelte, welche die bösen Geister bändigen, die sich dem Kletternden an den gefährlichsten Stellen seines Pfades zeigen, und ihn nöthigen, seinen Stützpunkt loszulassen. Hing ich dir nicht zum Pfande der Sicherheit jene goldene Kette um, welche ein Elfenkönig dem Stifter unseres Geschlechtes gab? Würde ich dir dieses theure Geschenk gegeben haben, wenn du nicht der Sohn meines Herzens gewesen wärest? – Mordaunt, meine Macht hat für dich gethan, was bei dem bloßen Gedanken schon eine gewöhnliche sterbliche Mutter zurückschaudern machte, ich habe die Meerjungfer um Mitternacht beschworen, daß dein Boot auf dem Haaf glücklich sein möge; ich habe die Winde besänftigt, und die schlaffen Segel der Flotten haben unthätig gegen die Masten angeschlagen, damit du deinem Vergnügen in Sicherheit auf den Klippen nachgehen könntest.«

Mordaunt, welcher sah, daß ihre Rede leidenschaftlicher zu werden anfing, suchte sie durch eine Antwort zu beruhigen, die zugleich nachgebend war, und darauf berechnet, die steigende Hitze ihrer Einbildungskraft zu mildern.

»Theure Norna,« sagte er, »ich habe mehr als eine Ursache, dich Mutter zu nennen, da du mir so manche Wohlthat erwiesen hast, und du sollst von mir dich immer der Liebe und der Pflichtergebenheit eines Kindes zu erfreuen haben. Allein die Kette, deren du erwähntest – sie ist von meinem Halse verschwunden, ich habe sie nicht gesehen, seitdem der Schändliche mich niederstieß.«

»Und kannst du in diesem Augenblicke daran denken?« sagte Norna mit dem Ausdrucke der Betrübniß. »Doch, es mag sein, wisse denn, daß ich sie von deinem Halse nahm, und sie der umhing, welche dir am theuersten ist, zum Zeichen, daß der Bund zwischen Euch – das einzige, was ich noch auf Erden zu wünschen habe – noch, jetzt noch, geschlossen werden solle, ja, und wenn die Hölle sich dagegen auflehnte!«

»Ach,« sagte Mordaunt, mit einem Seufzer, »du erinnerst mich an den Unterschied unserer Verhältnisse – ihr Vater ist reicher und von altem Geschlecht.«

»Nicht reicher als der Erbe Norna's von Fitful-Head sein wird,« antwortete die Seherin; »nicht von besserem oder älterem Blute, als das, welches in deinen Adern fließt, und von deiner Mutter herstammt, die ein Abkömmling derselben Jarls und Seekönige war, von denen Magnus seinen Ursprung herleitet. Oder glaubst du etwa, wie die pedantischen, eingebildeten Fremdlinge, welche sich hier unter uns angesiedelt haben, daß dein Blut dadurch entehrt sei, weil meine Verbindung mit deinem Vater nicht die Weihe eines Priesters empfing? Wisse, daß wir uns nach der alten Weise der Norweger vermählten – unsere Hände legten wir im Kreise Odins zusammen, mit so heiligen Schwüren ewiger Treue, daß selbst die Gesetze jener räuberischen Schotten sie einem Segen vor dem Altare gleichgesetzt haben würden. Gegen den Sprößling einer solchen Verbindung hat Magnus nichts einzuwenden. Ich war schwach – ich beging ein Verbrechen, aber das kann keine Schande über meinen Sohn bringen.«

Die ruhige, gefaßte Weise, mit welcher Norna das Alles auseinandersetzte, fing bei Mordaunt allmählig an, den Glauben an das, was sie sagte, zu erwecken, und in der That fügte sie so manche Umstände hinzu, die genügend und wohlbegründet in Verbindung standen, daß die Ansicht, als sei ihre Erzählung nur eine Vorspiegelung des Wahnsinns, der sich zuweilen in ihren Reden und Handlungen zeigte, allmählig zu schwinden schien. Tausend verworrene Gedanken beschäftigten seinen Geist, wenn er es sich als möglich dachte, daß die Unglückliche, welche jetzt vor ihm stand, wirklich ein Recht hätte, von ihm die Ehrfurcht und Liebe zu fordern, welche einer Mutter von einem Sohne gebührt. Er konnte dieser Gefühle nur dadurch Herr werden, daß er seine Gedanken auf einen zwar verschiedenen, aber für ihn nicht weniger wichtigen Gegenstand richtete, und für jetzt nur beschloß, wo möglich zu weiterer Untersuchung und reiflicherer Ueberlegung, Zeit zu gewinnen, ehe er die Ansprüche verwürfe oder einräumte, welche Norna an seine Liebe und Ergebenheit machte. Auf jeden Fall war sie indeß seine Wohlthäterin, und er konnte keinen Irrthum begehen, wenn er ihr, als einer solchen, die Ehrfurcht und Aufmerksamkeit bewies, welche ein Sohn einer Mutter schuldig ist; so durfte er also Norna's Anforderungen genügen, ohne mit sich selbst in Streit zu gerathen.

»Und glaubt Ihr denn wirklich, Mutter (weil ich Euch doch so nennen soll),« sagte Mordaunt, »daß der stolze Magnus Troil sich durch irgend Etwas dazu bewegen lassen wird, den Unwillen aufzugeben, den er in der letzten Zeit gegen mich genährt hat, und mir zu verstatten, mich um seine Tochter Brenda zu bewerben?«

»Brenda?« widerholte Norna. »Wer spricht von Brenda? Minna war es, von der ich mit dir sprach.«

»Allein ich dachte an Brenda,« sagte Mordaunt, »an die ich jetzt denke und immer denken werde.«

»Unmöglich, mein Sohn!« erwiderte Norna. »Du kannst doch nicht so herzensleer, so geistesarm sein, die flache Fröhlichkeit und Hausfrauen-Einfalt der jüngern Schwester dem tiefen Gefühl und erhabenen Geiste der hochsinnigen Minna vorzuziehen? Wer würde das niedrige Veilchen pflücken wollen, wenn er nach der Rose nur die Hand auszustrecken braucht?«

»Viele halten die demüthige Blume für die angenehmste,« erwiderte Mordaunt, »und bei dem Glauben will auch ich leben und sterben.«

»Wage nicht, mir das zu sagen,« antwortete Norna gebieterisch, änderte aber sogleich ihren Ton, und fuhr nun, liebevoll seine Hand ergreifend fort: »Du darfst, du wirst mir das nicht sagen, mein Sohn; du wirst einer Mutter Herz nicht in dem ersten Augenblicke brechen wollen, wo sie ihr Kind umarmte! Nein, antworte nicht, sondern höre mich. Du mußt Minna heirathen. Ich habe einen verhängnißvollen Zauber um ihren Hals geschlungen, auf welchem euer Beider Glück beruht. Das Wirken meines Lebens hatte seit Jahren diese Richtung. So muß es sein, und nicht anders: Minna muß die Braut meines Sohnes werden!«

»Aber ist Euch Brenda nicht eben so nah, eben so theuer?« erwiderte Mordaunt.

»Eben so nah verwandt durch das Blut, aber nicht zur Hälfte so nahe, so theuer, durch Neigung. Minna's wilder, doch hoher und gedankenvoller Geist, macht sie zu einer passenden Gefährtin für Jemand, dessen Wege, wie die meinigen, über die gewöhnlichen Pfade dieser Welt hinausgehen. Brenda ist ein Geschöpf aus dem gemeinen, alltäglichen Leben, eine eitle Lacherin und Spötterin, welche gern die Kunst auf gleiche Stufe mit der Unwissenheit setzen, und Macht zu Schwäche herabwürdigen möchte, indem sie Nichts glaubt, und Alles lächerlich macht, was über die Fassungskraft ihres seichten Verstandes hinausgeht.«

»Allerdings,« sagte Mordaunt, »ist sie weder abergläubisch noch schwärmerisch, und ich habe sie deßwegen nur um so lieber; bedenke überdieß, Mutter, daß sie meine Liebe erwidert, und daß Minna, wenn sie überhaupt Jemand liebt, ihre Liebe dem Fremden, Cleveland, geschenkt hat.«

»Sie thut es nicht – sie darf es nicht,« antwortete Norna, »noch darf er deßwegen ihren Vater angehen. Ich erklärte ihm, als er zuerst nach Burgh-Westra kam, daß ich sie dir bestimmte.«

»Und dieser übereilten Erklärung,« sagte Mordaunt, »danke ich dieses Mannes unversöhnliche Feindschaft – meine Wunde und beinahe den Verlust meines Lebens. Seht, Mutter, wohin Eure geheimen Ränke uns schon gebracht haben, und laßt ab davon.«

Es war, als ob dieser Vorwurf Norna mit des Blitzes Schnelle und Kraft getroffen hätte, denn sie schlug sich mit der Hand vor die Stirn, und schien von ihrem Sitze sinken zu wollen. Mordaunt, darüber im höchsten Grade erschrocken, eilte, sie in seine Arme aufzufangen, und stammelte einige unzusammenhängende Worte, obgleich er eigentlich selbst kaum wußte, was er sagen sollte.

»Habe Erbarmen, Himmel, hab' Erbarmen!« waren die ersten Worte, die sie sagte. »Laß ihn nicht zum Rächer meiner Verbrechen werden! Ja, junger Mann,« sagte sie, nach einer Pause: »Du hast mir ausgesprochen, was ich selbst nicht zu sagen wagte. Du hast mir das aufgedrungen, was, wenn es wahr ist, ich nicht glauben und doch noch länger leben kann!«

Vergebens suchte Mordaunt durch die Versicherung, daß er nicht wisse, wodurch er sie beleidigt oder gekränkt habe, und wie leid es ihm sei, ohne Absicht eines oder das andere gethan zu haben, ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben. Sie fuhr mit zitternder Stimme heftig fort:

»Ja! Du hast den dunkeln Verdacht aufgeregt, der das Bewußtsein meiner Macht vergiftet – das Einzige, was mir zum Ersatz für Unschuld und Seelenfrieden wird! Deine Stimme vereint sich mit der des Dämons, welcher selbst in dem Augenblicke, wo mich die Elemente als ihre Gebieterin anerkennen, mir zuflüsterte: Norna, dieß ist nur Täuschung – deine Macht beruht nur auf dem Wahnglauben der Unwissenden, der durch tausend kleine Künste von dir genährt wird. Das ist es, was Brenda sagt, das ist es, was du sagen wolltest, und wie falsch, wie schändlich falsch es auch ist, so gibt es doch aufrührerische Gedanken in diesem meinem aufgeregten Gehirn (hier berührte sie ihre Stirn mit dem Zeigefinger), welche, wie die Empörung in einem mit Krieg überzogenen Lande, aufstehen, gegen ihren bedrängten Beherrscher die Waffen mit ergreifen. Habe Erbarmen, mein Sohn!« fuhr sie mit flehendem Tone fort, »habe Erbarmen! Die Herrschaft, deren deine Worte mich berauben wollen, ist kein beneidenswerthes Loos. Wenige würden danach streben, wie ich, über murrende Geister, heulende Winde und wüthende Gewässer zu gebieten. Mein Thron ist eine Wolke, mein Scepter eine Lufterscheinung, mein Reich nur mit Geschöpfen der Einbildungskraft bevölkert, aber ich muß entweder aufhören zu leben, oder noch länger das mächtigste, wie das elendeste der Geschöpfe bleiben!«

»Sprich nicht diese traurigen Worte, meine theure und unglückliche Wohlthäterin,« sagte Mordaunt tief ergriffen. »Ich will von deiner Macht glauben, was du begehrst. Aber sieh, wegen deiner selbst, die Sache aus einem andern Gesichtspunkte an. Wende deine Gedanken von solchen aufregenden und geheimnißvollen Studien – von so wilden Gegenständen der Betrachtung, auf einen andern, bessern Weg. Das Leben wird seinen Reiz wieder für dich erhalten, und die Religion dir ihren Trost gewähren.«

Sie hörte ihm mit ziemlicher Fassung zu, als ob sie seinen Rath erwäge, und sich danach richten wollte, schüttelte aber, als er geendet hatte, den Kopf, und rief aus:

»Das ist nicht möglich. Ich muß die Gefürchtete – die Geheimnißvolle, die Reimkennar, die Beherrscherin der Elemente bleiben, oder aufhören zu sein. Ich habe keine Wahl, keinen Mittelweg. Meine Stelle muß dort oben auf jenem hohen Vorgebirge sein; wo außer dem meinigen, nie der Fuß eines Lebenden stand, oder ich muß auf dem Grunde des unermeßlichen Meeres ruhen, und seine weißen Wellen über einen nutzlosen Leib dahinbrausen. Die Vatermörderin soll nimmer auch als Betrügerin kund werden!«

»Die Vatermörderin!« wiederholte Mordaunt, und trat vor Schrecken zurück.

»Ja! mein Sohn,« antwortete Norna mit ernster Fassung, welche noch furchtbarer als ihre vorige Heftigkeit war; »in diesen verhängnißvollen Mauern fand mein Vater durch mich seinen Tod. In jenem Gemach fand man ihn, einen bleifarbigen, entseelten Leichnam. Hüte dich vor kindlichem Ungehorsam, denn dieß sind seine Früchte.«

Mit diesen Worten stand sie auf, und verließ das Zimmer, in welchem Mordaunt allein zurückblieb, so daß er mit Muße über die ungewöhnliche Mittheilung nachdenken konnte, die ihm so eben gemacht worden war. Er selbst war von seinem Vater in dem Unglauben an die gewöhnlichen shetländischen Volks-Vorurtheile erzogen worden, und sah jetzt, daß Norna, so geschickt sie auch Andere täuschte, doch sich selbst nicht ganz hintergehen konnte. Das war ein starker Beweis für die Gesundheit ihres Verstandes; auf der andern Seite schien indeß der Umstand, daß sie sich der Schuld des Vatermordes anklagte, so überspannt und unwahrscheinlich, daß, nach Mordaunts Meinung, dadurch ein großer Zweifel an der Wahrheit ihrer übrigen Behauptungen entstehen mußte.

Er hatte Muße genug, über diese Einzelnheiten mit sich in's Klare zu kommen, denn Niemand näherte sich dem einsamen Gebäude, dessen Bewohner nur aus Norna, ihrem Zwerge und ihm selbst bestanden. Die Insel Hoy, auf welcher es lag, ist rauh, schroff und hoch, oder besteht vielmehr ganz aus drei Hügeln, nämlich einem großen Berge, welcher drei Spitzen hat, mit einer Menge von Kluften, Spalten und Thälern, die von seinem Gipfel in die See hinabgehen. Dieses Berges Kamm, der sich sehr hoch erhebt und in beinahe unersteigliche Felsen zersplittert ist, sammelt die Nebel um sich her, wenn sie von dem atlantischen Meere herkommen, und gewährt, dem menschlichen Auge oft unsichtbar, einen dunkeln und ruhigen Zufluchtsort für die Falken, Adler und andere Raubvögel.

Der Boden der Insel ist feucht, moosig, kalt und unfruchtbar, und hat überhaupt ein dürres, ödes Ansehen, ausgenommen da, wo die Ufer der kleinen Gießbäche, oder die Bergschluchten, mit Zwerggebüsch von Birken, Haselnuß und wilden Johannisbeeren besetzt sind, von denen einige eine solche Höhe erreichen, daß sie in diesem kalten nackten Lande den Namen Bäume verdienen könnten.

Die Aussichten vom Meeresufer, welches Mordaunts Lieblingsspaziergang geworden war, als seine wiederhergestellte Gesundheit ihm körperliche Bewegung verstattete, hatte Reize, welche für das wilde Aussehen des Innern entschädigten. Ein breiter und schöner Meerbusen, oder eine Meerenge, trennte diese einsame, gebirgige Insel von Pomona, und in der Mitte dieses Sundes liegt, wie eine von Smaragden zusammengesetzte Tafel, das schöne grüne Eiland Gramsay. Auf dem fernen Festlande erblickt man die Stadt oder das Dorf Stromneß, mit einem Hafen, für dessen Vortrefflichkeit die bedeutende Anzahl von Schiffen zeugt, welche dort beständig auf der Rhede liegen. Die Bucht wird weiterhin enger, und zieht sich endlich, sich immer mehr verengend, in das Innere von Pomona hinein, wo ihr Wasser die schöne Fläche bildet, welche man den Loch Stennis nennt.

An jenem Ufer pflegte Mordaunt Stunden lang zu wandeln, und zwar nicht ohne Empfänglichkeit für die Schönheit der Aussicht, wenn auch seine Gedanken mit den quälendsten Betrachtungen über seine gegenwärtige Lage beschäftigt waren. Er war entschlossen, die Insel sobald zu verlassen, als seine Gesundheit ihm zu reisen verstatten würde. Seine Dankbarkeit gegen Norna, als deren, wenn auch nicht wirklichen, doch angenommenen, Sohn er sich betrachtete, gestattete ihm indeß nicht, dieß ohne ihre Erlaubniß zu thun, selbst wenn er die Mittel zum Fortkommen gehabt hätte, wozu er jedoch nicht viel Wahrscheinlichkeit sah. – Nur durch unablässiges Dringen konnte er endlich von seiner Wirthin das Versprechen erhalten, wenn er sich bequemen wolle, seine Schritte nach ihrer Weisung zu richten, würde sie ihn selbst nach der Hauptstadt der Orkney-Inseln hinüberbringen, sobald der herannahende St. Olaus-Markt dort gehalten würde.


 


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