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Fünfzehntes Kapitel.

Am andern Morgen war Christie von Clinthill nirgendswo zu sehen. Da es aber nicht in der Art dieses schmucken Gesellen lag, auszuposaunen, was er vorhatte, zeigte sich kaum jemand über sein Verschwinden nächtlicherweile überrascht, wenn auch die Frage, ob er mit leeren Händen gegangen sei, einige Unruhe wachrief. Man fand jedoch alles in Ordnung, der Stallschlüssel lag über der Tür, der Schlüssel zum Gatter steckte innen im Schloß, und so fand sich tatsächlich keine Ursache zur Klage über den Mann.

Halbert, der heute darauf verzichtete, zu Büchse und Armbrust zu greifen und, seiner Gewohnheit gemäß, eine Streife ins Freie zu unternehmen, machte sich zufolge der anständigen Art und Weise, wie sich Christie von Clinthill entfernt zu haben schien, an eine Besichtigung des ganzen Turmplatzes, und verfügte sich dann in die Eß- oder Wohnstube, wo früh um sieben das Essen bereit gehalten wurde.

Dort fand er den Schönredner wieder in derselben Versunkenheit, wie abends zuvor, mit den Armen über die Brust verschränkt, unter dem gleichen Winkel wie abends zuvor, mit den Augen auf die gleichen Spinngewebe gerichtet, und die Fersen auf den gleichen Fleck gestemmt wie abends zuvor.

Halbert fühlte sich von diesem ewigen Einerlei in Haltung und Wesen seines Gastes schließlich so angeödet, daß er es für das Geratenste hielt, das Eis kurz entschlossen zu brechen und festzustellen, welchen Umständen die Anwesenheit dieses gebieterischen und schweigsamen Gastes im Turme von Glendearg beizumessen sei.

»Herr Ritter,« hub er an, »ich hab Euch heut morgen ein paarmal guten Morgen gewünscht, aber Ihr seid so geistesabwesend, daß Ihr es nicht gehört zu haben scheint, und daß Euch eine Erwiderung des Grußes nicht möglich gewesen ist. Es steht Euch ja allerdings frei, einer Höflichkeit gegenüber Euch zu verhalten wie Ihr wollt; aber was ich Euch weiter zu sagen habe, betrifft Euch persönlich so ausschließlich, daß ich Euch schlechterdings um ein wenig Aufmerksamkeit bitten muß, denn Worte an ein Bild von Stein zu vergeuden, ist keine Sache nach meinem Geschmacke.«

Infolge dieser unvermuteten Ansprache riß Sir Pircie Shafton die Augen auf und maß den Jüngling mit strengem Blick. Als aber Halbert weder eine verlegne noch eine verwirrte Miene zeigte, da mochte es dem Ritter als geraten erscheinen, eine andre Stellung einzunehmen. Er schlug die Augen empor, zog die Beine an und richtete den Blick auf den jungen Glendinning, wie jemand, der sich anschickt, aufzupassen auf das, was ihm ein andrer sagen will. Ja, er hielt es sogar für geraten, den Entschluß, den er gefaßt hatte, noch schärfer zu markieren, dadurch, daß er sagte:

»Sprich! wir leihen Dir Ohr!«

»Herr Ritter,« nahm nun Halbert das Wort, »es ist im Sprengel des Sankt Marien-Klosters Brauch und Sitte, den Gast, der beherbergt wird, nicht mit Fragen zu belästigen, sobald über seinen Aufenthalt die Sonne nicht öfter als einmal untergeht. Es ist uns recht gut bekannt, daß Verbrecher und Schuldner hier eine Freistatt suchen, und von einem Pilgrim, den uns der Zufall als Gast schickt, etwa gewaltsam in Erfahrung zu bringen, was ihn zu uns führt, liegt uns völlig fern. Wenn hingegen jemand höhern Standes als wir, Herr Ritter, und vornehmlich ein Herr, der auf den Besitz solches Vorrangs hält, die Absicht verrät, länger unser Gast zu sein, dann pflegen wir ihn nach seiner Heimat und nach Grund und Zweck seiner Reise zu fragen.«

Der Ritter gähnte ein paarmal, ehe er Antwort gab. Dann erwiderte er in höhnischem Tone:

»Wahrlich, mein edler Villaggio, Eure Frage hat was an sich, das in Verlegenheit setzt, denn Ihr fragt da nach Dingen, auf die ich noch gar nicht recht Antwort weiß, wenn ich es überhaupt für angemessen halte, darauf zu antworten. Begnüge Dich damit, mein lieber Junge, daß Dir der Lord-Abt aus Herz gelegt hat, mich recht freundlich zu bewirten, was aber im Grunde genommen zuweilen nicht so geschehen ist und geschieht, wie es ein Herr von meinem Stande zu erwarten berechtigt ist.«

»Ich verlange eine bestimmtere Antwort als diese, Herr Ritter,« antwortete der junge Glendinning.

»Freundchen,« erwiderte der Ritter, »keine solche ehrenrührigen Redensarten! bei Euch im Norden mag es ja Sitte sein, sich frecherweise in die Geheimnisse von Standespersonen einzudrängen, etwa wie eine Laute in ungeschickter Hand bloß Mißtöne weckt...«

In diesem Augenblick ging die Stubentür auf, und Mary Avenel trat herein.

»Aber wer kann da von Misstönen reden,« fuhr der Ritter fort, indem er seinen scherzhaften Ton wieder anschlug, »wenn die Seele der Harmonie, in überschwengliche Schönheit gehüllt, zu uns hernieder sich neigt! Gleichwie Füchse, Wölfe und andre empfindungs- und vernunftslose Tiere die Erscheinung der glänzenden Himmelssonne fliehen, wenn sie emporsteigt in ihrer Herrlichkeit, so entweicht der Zorn, so flüchten alle unedlen Leidenschaften; denn was, die Wärme, die das Auge des Tages spendet, für die materielle und physische Welt ist, das ist das Auge, vor dem ich mich jetzt neige, für die Welt des intellektuellen Mikrokosmus.«

Hier schloß der Ritter mit einer tiefen Verbeugung.

Mary Avenel betrachtete einen nach dem andern. Da sie aber deutlich sah, daß zwischen ihnen etwas vorgefallen sein mußte, brachte sie weiter nichts über die Lippen als:

»Um Gottes willen, was soll das vorstellen?«

Diesmal versagte der Takt, den sich Marys Pflegebruder seit kurzem angeeignet hatte, und er wußte nicht recht, wie er einem Gaste gegenüber sich verhalten solle, der auf der einen Seite solch erhabnen Ton heuchlerischer Ueberlegenheit und Wichtigkeit anschlug, auf der andern hinwiederum in seinen Reden ein so geringes Maß von Ernst zeigte, daß man schlechterdings nicht wußte, ob es ihm Ernst oder Scherz damit sei. Nichtsdestoweniger war er fest entschlossen, Sir Piercie Shafton bei angemessner Veranlassung und wenn er sich an schicklicherem Orte mit ihm zusammenfände, zur Rede zu stellen, vorläufig aber die Sache auf sich beruhen zu lassen, zumal jetzt auch der Müller mit seiner Mutter, die in der Scheune den ungefähren Ernteertrag ermittelt hatten, in die Stube zurück kamen.

Der Müller hatte gerechnet und gerechnet und war schließlich zu der Ueberzeugung gelangt, daß der Witwe Glendinning nach Abzug der Schuld, die sie noch bei der Abtei zu tilgen hatte, und nach Erstattung all dessen, was an ihn selbst noch zu entrichten war, ein ganz erklecklicher Ueberschuß bleibe. Ob nun eine solche Erwägung bei dem Müller ähnliche Pläne wachrief, wie die Witwe sie im Herzen trug, darüber kann ich mir kein Urteil bilden, soviel aber darf ich versichern, daß der Müller eine Einladung der Witwe, sein Töchterchen auf ein paar Wochen in Glendearg zu lassen, mit unverhohlener Freude entgegennahm.

Da sich solcherweise die Hauptpersonen dieser kleinen Komödie in der fidelsten Stimmung untereinander befanden, durfte man sich beim Morgenimbiß ungeteilter Freude hingeben, und Sir Piercie Shafton erwies sich über die Aufmerksamkeiten, mit der ihn die dunkle Mysie bedachte, so entzückt, daß er ihr, ohne seiner hohen Abkunft und seines hohen Standes zu gedenken, ein paar ganz ungewöhnlich schöne Redebilder widmete.

Mary Avenel, die sich infolgedessen von diesem Schwatzmichel erlöst sah, stellte sich so, als sei es ihr nicht unlieb, ihm zuzuhören, und der wackre Ritter, durch solchen Beifall von zwei Seiten ermutigt, und zwar von jenem zarten Geschlecht, um deswillen er sich als Schönredner ausgebildet hatte, ließ alsbald durchblicken, künftig mehr aus sich heraus zu treten, als es in seinen, auf Glendinnings Fragen erteilten Antworten geschehen war, und gab zu verstehen, daß ihn nur dringende Gefahr bestimmt hätte, sich bei ihnen als Gast wider Willen einzufinden.

Nach dem Frühstück hieß es, auseinander zu gehen. Der Müller machte sich reisefertig, Mysie hatte für den Aufenthalt, der sich so unerwarteterweise ihr bot, mancherlei Vorsorge zu treffen, Edward wurde von Martin um Rat in manchen Wirtschaftsfragen angegangen, um die sich Halbert niemals kümmerte, Frau Glendinning wurde durch häusliche Geschäfte in Anspruch genommen, und Mary wollte ihr nachgehen, als ihr einfiel, daß dann Halbert und der fremde Ritter wieder allein zusammen blieben, also die schönste Gelegenheit bekämen, ihren Zwist von heute früh fortzusetzen. Gleich drehte sie infolgedessen um und nahm auf einem kleinen Fenstersitz Platz, mit dem festen Willen, dem ungestümen Halbert die Zügel straff zu halten.

Dem fremden Ritter entging das Benehmen des Mädchens nicht, aber er meinte, die Wandlung ihres Entschlusses auf Rechnung seiner Schönrednerei und auf das Wohlwollen, das sie in seiner Gesellschaft fände, setzen zu sollen. Aus diesem Grunde, vielleicht auch noch aus dem weitern, daß es ihm ritterliche Artigkeit verbot, eine Name allein sitzen zu lassen, stand er auf und setzte sich neben sie, um die folgende Unterredung mit ihr zu eröffnen:

»Schönes Fräulein, glaubt mir,« sagte er, »es bereitet mir hohe Freude, daß mich mein Schicksal von dem Herde heimischer Freuden verbannt hat, hierher in diese düstre Waldhütte des Nordens, wo es mir vergönnt ist, eine so schöne Gestalt und ein so offnes Herz zu finden, ein Herz, dem ich meine verwandten Gefühle offenbaren kann. Indessen vergönnt mir, mein schönstes, huldvollstes Fräulein, gemäß der an unserm Hofe, dem Garten des feinen Witzes, herrschenden Sitte, die besondre Bitte, einen Beinamen mit mir tauschen zu wollen, der Euch deutlich sagen kann, wie treu ergeben ich Euch bin. Ich möchte ersuchen, hinfort an Euch unter dem Namen »Protektion« mich wenden zu dürfen, mich selbst hingegen als Eure »Affabilität« gelten zu lassen.«

»Die ländlichen Sitten des Nordens, Herr Ritter, erlauben, uns nicht solche Beinamen mit Personen zu tauschen, die uns vollständig fremd sind,« erwiderte Mary.

»Ei, seht doch, wie Euch, das gleich in Rage setzt!« sagte der Ritter, »Ihr kommt mir ganz so vor, wie ein ungebändigtes Roß, das vor einem wehenden Schnupftuch beiseite springt, aber der fliegenden Fahne, sobald die Zeit gekommen ist, doch entgegensprengen muß. Nennt doch Elisabeth von England ihren Philipp Sidney nicht anders als ihre »Courage«, während er seine Fürstin nur als seine »begeisternde Genia« kennt. Deshalb also, meine schöne Protektion – – denn mit diesem Beinamen werde ich Euch hinfüro nennen –«

»Doch wohl nicht ohne des gnädigen Fräuleins Einwilligung, Sir,« bemerkte Halbert; »Eure so überaus galante Verkehrsmanier wird hoffentlich nicht gegen solches Grundgesetz des Umgangs verstoßen!«

»Redlicher Eigentümer eines gemeinen Lehnguts,« versetzte der Ritter, mit der gleichen Kälte und Höflichkeit, doch mit etwas vornehmerm Tone, als er ihn gegen die Dame angeschlagen hatte, »wir Leute im Süden pflegen uns nur mit Leuten einzulassen, mit denen wir auf ungefähr gleichem Fuße stehen, mit andern Leuten im Grunde nicht, oder nur wenig, und ich muß Dich nach allen Regeln der Kunst bitten, mein Sohn, dem Drange der Umstände Rechnung zu tragen, der uns zu Bewohnern ein und derselben Hütte gemacht hat, ohne uns jedoch gesellschaftlich auf das gleiche Niveau zu setzen.«

»Bei der heiligen Jungfrau,« versetzte der junge Glendinning, »das ist denn doch der Fall, denn dem schlichtesten Verstand muß es wohl einleuchten, daß wenn jemand hier eine Freistätte sucht, er sie nur demjenigen verdankt, der sie ihm gewähren kann und gewährt, und daß wir uns so lange in ganz dem gleichen Range befinden, als uns doch das gleiche Dach bedeckt.«

»Mein Sohn und Freund, Du befindest Dich in einem höchst seltsamen Irrtume,« erwiderte Sir Piercie Shafton; »um Dich aber zur Einsicht in unser beiderseitiges Verhältnis zu bringen, so laß Dir sagen, daß ich mich nicht als Deinen Gast betrachte, sondern als den Gast Deines Grundherrn, des Lord-Abts vom Sankt Marien-Kloster, der aus Gründen, die ihm und mir bekannt sind, Dich, seinen Hörigen und Knecht, dazu anhält, mir gegenüber Gastrecht zu üben. Du bist demnach sehr einfach in diesem Falle nichts weiter als das gemeine Werkzeug eines Höhern, und für mich ganz dieselbe Null, wie dieses Spinnweb an der Wand, oder im Punkte meiner Bequemlichkeit aufgefaßt, wie dieser ungehobelte Stuhl hier, auf dem ich grade sitze, oder der gewöhnliche Holzteller, von dem ich eben ordinäre Speisen gegessen habe. Darum, schönste Dame, oder, wie ich ja hinfüro Sie anreden will, meine allergnädigste und allerliebenswürdigste Protektion ...«

Mary Avenel wollte ihm eben antworten, als Halbert ihr das Wort abschnitt durch den grimmigen Ruf:

»Nicht vom Könige von Schottland ließe ich mir, wenn er am Leben wäre, solches bieten!«

»Ums Himmels willen, Halbert! bedenke, was Du tust!« rief angsterfüllt Mary Avenel und warf sich zwischen ihn und den fremden Ritter.

»Seid ohne Furcht, allerschönste und allerlieblichste Protektion!« erwiderte hierauf Sir Piercie Shafton mit der höchsten Frohlaune, »es wird diesem bäuerischen, ungehobelten Jünglinge nicht gelingen, mich zu irgend einer Handlung in Eurer Gegenwart zu bringen, die sich mit meiner Würde nicht vertrüge. Eher könnte der Zündstock eines Musketiers einen Eiszapfen in Flammen setzen, als daß der Funke der Leidenschaft mein Herz entzündete, das zur höchsten Sanftmut gestimmt wird durch den Respekt vor der Gegenwart meiner allergeneigtesten Protektion ...«

»So könnt Ihr die Dame ja freilich nennen, Herr Ritter,« warf Halbert ein, »denn, beim heiligen Andreas! es ist ja das einzige gescheite Wort, das ich ans Eurem Munde vernommen habe; indessen könnten wir einander wohl anderswo treffen, wo Euch ein solches Protektorat von recht wenig Nutzen sein möchte.«

»Meine allerhuldvollste Protektion,« fuhr der Galanthomme fort, ohne die Drohung Halberts nur eines Zuckens seiner Miene zu würdigen, geschweige einer weitern Erwiderung, »zweifelt nicht, daß Eure getreueste »Affabilität« sich durch die Worte dieses Flegels stärker reizen ließe als der klare, heitre Mund sich durch das Bellen eines Hofhunds irritieren läßt, der aus Stolz über die Höhe seines Misthaufens in dem Wahne sich befindet, er stände der majestätischen Lichtscheibe um einige Stufen näher.«

Zu welchen Schritten solches Gleichnis Halbert Glendinning noch getrieben hätte, läßt sich schwer sagen, aber in demselben Augenblick kam Edward in die Stube gestürzt mit dem Rufe, die beiden vornehmen Klosterbrüder, der Küchenmeister und der Tafeldecker, seien mit einem wohlbeladnen Maultiere eingetroffen und hätten die Nachricht mitgebracht, daß sich der Lord-Abt, der Unterprior und der Sakristan auf dem Wege nach Glendearg befänden. Von solch merkwürdigem und außerordentlichem Umstande wußten weder Chroniken noch Annalen zu berichten, seit das Sankt Marien-Kloster stand, und auch in keiner Sage von Glendearg erklang davon ein Laut, wenn auch in dem Turme von Glendearg sich ein schwaches Gerücht erhalten hatte, daß in alten Zeiten ein Lord-Abt sich einmal auf einem Jagdzuge verirrt und in dieser Wildnis des Nordens zu Mittag gespeist hätte. Daß aber ein Lord-Abt eine freiwillige Reise nach solch schauerlicher Gegend, dem richtigen Sibirien des Klostersprengels, unternehmen werde, das hätte sich kein Klosterbruder jemals träumen lassen, so wenig wie jeder andre Mensch, und diese Meldung, mit der jetzt Edward in die Stube hineinschneite, war für alle Familienglieder, einzig Halbert ausgenommen, im höchsten Grade überraschend.

Diesen ungestümen Jüngling beschäftigte die erlittne Kränkung seiner Ehre zu stark, als daß er an etwas andres als Rache hätte denken können.

»Das ist mir lieb,« rief er, »daß der Abt nach Glendearc hinauf zu kommen geruht. Von ihm werde ich hören, mit welchem Recht uns der fremde Ritter auf den Hals geschickt worden ist, um unter dem Dache unsrer Väter zu kommandieren, als seien wir seine Knechte und nicht freie Männer. Ich will dem stolzen Priester ins Gesicht hinein sagen ...«

»Aber, lieber Bruder Halbert,« sagte Edward, »bedenke doch, wie teuer Dich solche Worte zu stehen kommen können ...«

»So teuer wohl kaum,« erwiderte Halbert, »daß ich vor einer Begegnung mit dem Abte mein menschliches Gefühl und meinen gerechten Zorn opfern sollte!«

»Bedenke doch unsre Mutter!« rief Edward, »wenn sie ihres Obdachs beraubt würde! wenn sie aus ihrem Eigentum vertrieben würde um Deiner Unbesonnenheit, um Deines Jähzorns willen! Wie könntest Du denken, so schweres Vergehen je sühnen zu können?«

»Beim Himmel!« rief Halbert, sich vor die Stirn schlagend, »Du sprichst nur allzu wahr!«

Im nächsten Augenblick aber stampfte er mit dem Fuß auf den Boden, auf seinem Gesicht stand in grimmer Deutlichkeit der Ausdruck gewaltsam zurückgedrängter Leidenschaft ... mit einem Ruck drehte er sich um und verließ das Zimmer.

Mary Avenel blickte den fremden Ritter an. Es sah aus, wie wenn sie einer Bitte Ausdruck geben wollte, er möge die Heftigkeit ihres Pflegbruders nicht dem Abte mitteilen und dadurch die ganze Familie in Elend und Ungemach bringen. Aber Sir Piercie, diese echte Blume ritterlicher Höflichkeit, deutete sich ihr Anliegen aus ihrer Verlegenheit und wollte sie der Mühe, es in Worte zu kleiden, überheben.

»Allerliebste Protektion,« sagte er, »Eure Affabilität bringt es nicht über das Herz, etwas von unziemlicher Art zu sehen oder zu hören, geschweige auszusprechen oder zu wiederholen, das sich ereignen könnte, während ich mich des Elysiums Eurer Gegenwart zu erfreuen das Glück fand. Es mag sein, daß roher Menschen Busen auf rohe Weise bewegt wird; aber das Herz eines Mannes, der sich bei Hofe bewegt, ist so fein ziseliert, daß ihm dergleichen nichts anhaben kann. Genau wie der gefrorne See den Einfluß des Lüftchens nicht spürt, das über ihn streicht, genau so ...«

Da verlangte ein gellender Aufschrei die Hilfe Mary Avenels. Aus dem Munde der Frau Glendinning war er gekommen. Mary gehorchte auf der Stelle, von Herzen froh, der galanten Reden und Gleichnisse dieses höfischen Stutzers überhoben zu sein. Und für den Ritter war es eine Erleichterung nicht geringerer Art, denn kaum hatte Mary Avenel die Schwelle überschritten, als er die zeremonielle Miene höfischer Artigkeit aus seinem Gesichte förmlich mit einem Strich entfernte und eine Miene äußerster Abspannung und grenzenloser Langweile an ihre Stelle setzte. Dann gähnte er ein paarmal auf die schlimmste Weise, daß man gewissermaßen fühlte, es bärge sich hinter diesem Ausbruch von geistiger Oede irgend ein schweres Unglück, und dann brach er in folgendes Selbstgespräch aus:

»Daß der böse Feind diese Dirne hierher führen mußte, als ob es nicht Plage genug wäre, in einem Loche zu hausen, das in England kaum gut genug wäre als Hundestall, sich anschnauzen zu lassen von einem rohen Bauernlümmel und sich der sogenannten Treue eines feilen Gauners überliefert zu wissen. Kann ich doch nicht einmal in Ruhe über mein Pech nachdenken, sondern muß hier sitzen und einem bleichen, hektischen Gespenst zu Ehren in aller Erhabenheit und lebendigem Redeflusse Vortrag halten, weil adliges Blut in ihren Adern rinnt. Bei meiner Ehre! diese Müllers Mysie ist, alles Vorurteil beiseite gesetzt, der weit bessre Happen. Doch Geduld, Piercie Shafton! Deinen wohlerworbnen Ruf als galanten Diener des schönen Geschlechts darfst Du Dir nicht verkürzen lassen, sondern Du mußt nach wie vor der elegante Witzbold, der vollendete Hofmann bleiben, der Du immer gewesen! Danke lieber dem Himmel, Piercie Shafton, daß er Dir in dieser Avenel, deren Herkunft aus dem Uradel des Landes ja über allen Zweifel erhaben ist, einen Wetzstein gespendet hat. Deine galanten Artigkeiten, Deinen scharfen Witz zu schleifen, ohne Dir in Deinem Range etwas zu vergeben. Denn gleichwie eine Damaszenerklinge um so blanker und schöner wird, je länger man sie reibt ...aber wozu den Schatz meiner Gleichnisse in Selbstunterredungen verschleudern? Dort kommt der Pfaffenzug, einem Dutzend Krähen vergleichbar, die nach ihrem Horste ziehen! Die Kerle werden doch in ihrer Fürsorge um meinen Wanst nicht meinen Koffer vergessen haben? Da wär ich ja fein dran, wenn der Krempel unter dem spitzbübischen Grenzvolk Malheur gelitten hätte!«

Beunruhigt durch diesen Gedanken, rannte er wie im Sturm die Stufen hinunter und ließ sein Pferd satteln, um den Lord-Abt und sein Gefolge im Tale zu erreichen und sich Gewißheit über diesen für ihn wichtigen Punkt zu verschaffen. Kaum etwa eine Stunde war er unterwegs, als er auf den Pfaffenzug, wie er sich ausgedrückt hatte, stieß, der sich mit all der Langsamkeit und all dem Wohlanstand entlang bewegte, wie es seiner Würdigkeit und seinem Stande zukam. Der Ritter ermangelte nicht, den Lord-Abt mit jener zeremoniellen, Höflichkeit zu bekomplimentieren, die zu damaliger Zeit vornehme Herren einander zu erweisen pflegten. Zum Glück fand er auch seine Koffer vor unter dem Gepäck des Zuges, und infolge dieser tröstlichen Zuversicht wandte er sein Pferd und gab dem Lord-Abt das Geleit zum Turme von Glendearg.

Groß war unterdes die Unruhe der braven Frau Glendinning und ihrer Gehilfinnen, um alles zum würdigen Empfange des hohen Besuches herzurichten. Die Mönche hatten kein großes Vertrauen in ihre Küche gesetzt, und doch war sie mit Gerichten beschäftigt, die ihr den Dank und Beifall ihrer Lehnsherren eintragen sollten. So gebot sie Halbert, als er ihr mit zornglühendem Gesicht in den Weg lief, schleunigst in den Wald hinaus zu eilen und nicht ohne Wildbret nach Hause zu kommen. Der Müller, der sich nun schnell zur Heimreise anschickte, versprach, ihr einen Salm herauf zu schicken, und Frau Glendinning, die nun alle Hände voll zu tun hatte, fing es schon an, leid zu tun, daß, sie Müllers Mysie eingeladen hatte, ja sie befaßte sich schon mit dem Gedanken, wie sie sie am Ende, ohne bei dem Vater gar zu scharf anzustoßen, bald heimschicken könne; aber die unvermutete Artigkeit des Vaters machte vorderhand jede Unartigkeit gegen die Tochter zur Unmöglichkeit, und so machte sich denn der Müller allein auf den Heimritt.

Aber diesmal sollte die Gastlichkeit der Frau Glendinning einen schnelleren Lohn finden, als sie sich hatte träumen lassen, denn Jungfer Mysie erwies sich als eine recht geschickte Köchin, die allerhand seine Leckereien und Zuspeisen, wie blancmanger und dergleichen, von denen die wackre Witwe bisher keine Ahnung gehabt hatte, zu bereiten verstand, und so pries denn die Witwe den Himmel und alle Heiligen, daß ihr der Gedanke, das Mädchen in Glendearg zu behalten, gekommen war. Als sie eine so tüchtige Stellvertreterin am Kochherde wußte, verließ, sie die Küche und putzte sich nun aufs beste als Frau vom Hause heraus, um sich dann mit klopfendem Herzen an der Tür ihres kleinen Turmes zu postieren, in der Absicht, dem Lord-Abt, sobald er ihrem Hause nahte, die tiefste Reverenz zu machen. Neben, ihr stand Edward mit nicht minder klopfendem Herzen. Er mußte jetzt lernen, wieviel Zeit Vernunft braucht, um über die Macht äußrer Verhältnisse obzusiegen, und in welchem starken Maße unser Gefühl durch Neuheit animiert, durch Brauch und Gewohnheit abgestumpft wird.

Jetzt sah er zu seinem Staunen den Lord-Abt herannahen, der aus etwa einem halben Dutzend Reiter in langen, schwarzen Tataren bestand, die durch die weißen Skapuliere nur wenig aufgehellt wurden. Das Ganze glich mehr einem Leichenzuge, als irgend etwas anderm, bloß Sir Piercie Shafton brachte durch seine Gegenwart eine wohltuende Abwechslung in das düstre Einerlei, denn er trug eifrig Sorge dafür, daß seine ziemlich bedeutende Reitkunst ebenso zur Wirkung gelangte, wie er all seine andern Künste und Fertigkeiten während seines kurzen Aufenthalts zu zeigen bemüht gewesen war, freilich oft genug zum starken Verdrusse des Lord-Abts, dessen Zelter durch die Lebhaftigkeit des andern Rosses auch lebhaft zu werden drohte.

»Ich bitt Euch, Herr Ritter,« rief der Lord-Abt einmal über das andre, »laßts nun gut sein. ... Aber, Sir Piercie, das hat doch gar keine Art so! ... Benedikt, ruhig! es ist doch ein gutes und ruhiges Tier. Sachte, sachte!« und was der begütigenden Worte sonst noch zu sein pflegen, mit denen ein schlechter Reiter sich aus der Verlegenheit zu ziehen liebt. Mit einem innigen Deo gratias! beschloß er endlich sein Bitten und Beten als er mit einem blauen Auge glücklich den Turmhof erreicht hatte.

Wie auf ein Kommando knieten sämtliche Hausbewohner nieder, dem Lord-Abt die Hand zu küssen, eine Zeremonie, die sich hin und wieder auch die Mönche gefallen lassen mußten. Dem frommen Abt Bonifazius hatten die letzten Ereignisse dermaßen zugesetzt, daß er sich dieser Zeremonie nicht mit der Feierlichkeit unterzog, wie er es zu andern Malen gewöhnt gewesen war. Mit einem schneeweißen Taschentuch trocknete er sich mit der einen Hand die Stirn, während er die andre der handkußdurstigen Schar von getreuen Gliedern seiner Gemeinde überließ. Dann machte er mit weit ausgestrecktem Arme das Zeichen des Kreuzes und rief:

»Gottes Segen über Euch, meine liehen Kinder, Gottes Segen!«

Und dann begab er sich, gar häufig brummend, über die finstre, steile Wendeltreppe in das ihm angewiesene Zimmer und warf sich im Zustande äußerster Erschöpfung und Abspannung auf einen, ich will nicht sagen, bequemen, aber doch auf den bequemsten Stuhl, der sich in dem dürftigen Räume befand.


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