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Vierzehntes Kapitel.

»Was ist denn das für ein hübsches Kind?« sagte der Müller Hob, als Mary von Avenel in die Stube trat, um Frau Elspath Glendinning zu vertreten.

»Das ist die junge Dame von Avenel, Vater,« sagte die kleine Müllerstochter mit einem tiefen Knicks.

Der Müller zog die Mütze und machte einen tiefen Diener, vielleicht nicht so tief, als wenn das junge Mädchen im Glanze ihres Ranges und Reichtums aufgetreten wäre, doch tief genug, daß die Reverenz als gebührende Huldigung vor der hohen Geburt der schottischen Edeldame gelten konnte.

In der Tat hatte Mary Avenel teils von ihrer Mutter, deren Beispiel sie so lange Zeit vor Augen gehabt hatte, teils aus eingebornem Sinn für Anstand und Würde sich ein Benehmen angeeignet, in welchem ein berechtigter Anspruch auf Hochachtung sich äußerte, und das jeden Versuch einer vertraulichen Annäherung von seiten derer, die in ihrer gegenwärtigen Lage wohl ihre Gefährten sein mochten, aber unter keinen Umständen sich für ihresgleichen halten durften, von vornherein ausschloß.

Sie war von Charakter sanft, sinnig und nachdenklich, sie liebte die Einsamkeit und saß gern in sich gekehrt, den üblichen Zerstreuungen war sie abhold.

Es war bekannt geworden, daß sie zu Allerheiligen geboren worden war, und ihr infolgedessen Gewalt über die unsichtbare Welt verliehen sei. Sie war unter ihren Altersgenossen deswegen der Geist von Avenel genannt worden, ganz, als wenn die liebliche, aber allzu gebrechliche Gestalt, die zarte, doch etwas zu bleiche Wange und das dunkelblaue Auge mehr der geistigen als der körperlichen Welt angehörten. Die allgemein verbreitete Sage von der weißen Frau, die über dem Glück des Hauses Avenel walten sollte, verlieh diesem ländlichen Gerede eine gewisse Bedeutung.

Dieser geheimnisvolle Nimbus, die Vorliebe des Unterpriors für die Familie, der furchtbare Name Julian von Avenel, den jedes neue Ereignis in diesen bewegten Zeiten nur berüchtigter machte, – dies alles verlieh dem jungen Mädchen eine gewisse Bedeutung, und manche trachteten aus Stolz nach ihrer Bekanntschaft, während andre, namentlich die furchtsameren unter den Vasallen, ihren Kindern empfahlen, der edeln Waise mit Achtung zu begegnen.

So wurde das Fräulein, das wenig beliebt war, weil es fast gar keine persönlichen Bekannten hatte, mit abergläubischer Scheu betrachtet, teils aus Furcht vor den Kriegern ihres Oheims, teils auf grund ihres eignen zurückhaltenden Wesens.

Von dieser Scheu mochte sich auch wohl Mysie befallen fühlen, als sie sich mit einem solchen, dem Stand und der Lebensart von ihr so verschiednen Mädchen allein sah; denn ihr biedrer Vater hatte den ersten besten Anlaß benutzt, zu verschwinden, um sich zu erkundigen, wie es mit der Scheune stände und ob seine Mühle gutes Korn erwarten könne.

Die beiden Mädchen kamen indessen recht gut miteinander aus. Sie befaßten sich mit Dingen, wie sie ihrem Alter zukamen: sie sahen sich Marys Tauben an, die diese mit der Sorgsamkeit einer Mutter pflegte, dann wühlten sie in ihrem Schmuckkästchen herum, in welchem sich, so unbedeutend sonst auch die Kleinodien des Mädchens sein mochten, doch einige Sachen befanden, die ihre Gespielin bewunderte. Ein goldner Rosenkranz und ein paar Stücklein von Frauenzierat waren im Augenblicke des größten Unglücks durch Tibbs Geistesgegenwart gerettet worden, während die Herrin selber in ihrem tiefen Kummer an derlei Dinge nicht im geringsten gedacht hatte.

Das Wesen der beiden Mädchen bildete einen auffallenden Gegensatz: die Müllerstochter in ihrer Gutmütigkeit, die immer mit dem Lachen bei der Hand war, und alles, was sie schön fand, ungezwungen angaffte, und die ruhige, gesetzte Würde der Mary, die ein Stück nach dem andern vorzeigte, und bei all ihrer Gelassenheit doch nicht ganz über die Freude am Erstaunen ihrer Gespielin erhaben war.

Der Hufschlag von Pferden unter der Pforte des Turmes unterbrach die beiden Mädchen in ihrer Beschäftigung.

Mysie eilte in zwangloser Neugier ans Fenster.

»Heilige Jungfrau, gnädiges Fräulein!« rief sie, »da kommen zwei feine Herren auf stattlichen Rossen. Kommt doch her und seht sie Euch an!«

»Nicht doch,« entgegnete Mary Avenel, »Ihr könnt mir ja sagen, wer es ist!«

»Wenn ichs nur wüßte!« erwiderte Mysie. »Aber ich kenne sie ja nicht. Doch halt! Ja! den einen kenne ich, und Ihr kennt ihn auch, Fräulein. Das ist gar ein fideler Kauz, er hat ein bißchen lange Finger, aber das schadet bei den Herren heutzutage nicht viel. Er ist ein Dienstmann bei Euerm Herrn Oheim und heißt Christie von Clinthill. Er trägt heute nicht sein altes grünes Wams, sondern hat einen scharlachroten Rock mit Silberbesatz an und einen Brustharnisch, der ist so blank, daß man sich darin spiegeln könnte. Kommt doch bloß ans Fenster und seht ihn Euch an.«

»Sofern es wirklich der Mann ist, Mysie,« antwortete die Waise von Avenel, »denn Ihr mir nanntet, so werde ich ihn immer noch allzu früh zu sehen bekommen.«

»Nun, wenn Ihr Euch den schmucken Christie nicht anschauen wollt,« sagte die Müllerin, deren Angesicht von Neugierde glühte, »so sagt mir doch wenigstens, wer der hübsche Herr ist, der mit ihm gekommen ist so einen schneidigen, liebenswürdigen Burschen, habe ich ja noch nie gesehen.«

»Das ist mein Pflegebruder Halbert Glendinning,« entgegnete Mary mit scheinbarer Gleichgültigkeit – es war ihre Gewohnheit, die Kinder Elspaths ihre Pflegegeschwister zu nennen.

»Nein, der ist das nicht,« antwortete Mysie. »Die beiden Glendinnings kenne ich doch sehr gut, dieser Reiter aber ist gewiß nicht aus unserm Lande. Er hat ein karmoisinrotes Barett auf, unter dem das Haar lang und braun hervorfällt, er trägt auch einen Stutzbart. Das Kinn aber ist rein und glatt rasiert. Er hat ein himmelblaues Wams an, das mit weißem Atlas besetzt und gefüttert ist. Er hat ein Paar Pumphosen und seine einzigen Waffen sind Dolch und Degen. Wer mag das nur sein?«

»Ich kann mirs nicht denken,« antwortete Mary, »aber nach seinem Kameraden zu schließen, dürfte nichts weiter dran liegen, ob man es weiß oder nicht.«

»Er ist doch gar zu schmuck!« sagte Mysie. »Wenn er bloß hier vom Pferde steigen wollte! Aber, so kommt doch bloß mit ans Fenster und seht ihn Euch einmal an!«

Mary von Avenel mochte wohl meinen, daß sie Gleichgültigkeit zur Genüge gezeigt hatte und sich nun wohl die Männer ansehen dürfe. Sie sah nun in der Gesellschaft Christies einen Ritter, der sehr stattlich und schmuck herausgeputzt war und, nach seinem vornehmen Wesen, wie nach der prächtigen Tracht und dem schönen Sattelzeug auf dem wundervollen Rosse zu schließen, in der Tat ein Mann von edler Herkunft sein mußte. Auch Christie schien nicht wenig stolz darauf, daß er mit einem solchen Manne hergekommen war, denn er schrie noch lauter als gewöhnlich nach der Dienerschaft.

Als die Pferde abgeführt worden waren, stellte Christie der Frau Glendinning den fremden Herrn als Sir Pircie Shafton vor, einen Freund von ihm selbst und seinem Herrn. Der Herr wolle, ohne der Familie große Umstände zu machen, drei bis vier Tage im Turme Quartier nehmen.

Die gute Frau könnte zwar nicht verstehen, was ihr eine so große Ehre verschaffte, sie hätte sich wohl gern damit entschuldigt, daß sie nicht auf die Bewirtung eines so vornehmen Gastes eingerichtet sei, und der Fremde, der die kahlen Wände betrachtete und das ärmliche Gerät des Zimmers beaugenscheinigte, schien selber einzusehen, daß er der Hausfrau Ungelegenheiten machen und so ein Aufenthalt in diesem alten Gemäuer auch ihm zur Last fallen würde, allein sie hatten es beide mit einem unerbittlichen Gesellen zu tun, der alle Einwände mit den Worten zurückwies: »Mein Herr will es so!«

»Und ganz abgesehen davon, daß der Wille meines Herrn auf zehn Meilen in der Runde als unumstößliches Gesetz zu gelten hat,« setzte er hinzu, »so habe ich außerdem hier ein Schreiben von Eurem Baron im Weiberrock, dem Lord-Priester, der Euch befiehlt, ihm den Gefallen zu tun und den wackern Mann hier so gut zu bewirten, wie es in Euren Kräften steht. Und Ihr selber, Sir Piercie Shafton, wandte er sich an diesen, »müßt ja am besten wissen, ob es für Euch mehr auf weiße Betten und gute Kost als auf Zurückgezogenheit an einem entlegnen, versteckten Fleck ankommt. Ueberdies dürft Ihr nicht nach dem Aussehen hier ungünstige Schlüsse auf das Vermögen der guten Frau ziehen, sie wird uns gleich ein Essen auftragen, an dem Ihr erkennen werdet, daß die Speicher von Vasallen der Kirche ganz hübsch gefüllt sind.«

Frau Glendinning erkundigte sich bei ihrem Sohn Edward, was es mit den Befehlen des Abtes für eine Bewandtnis habe, und sah ein, daß ihr in der Tat nichts weiter übrig bliebe, als es dem fremden Manne so bequem wie möglich zu machen. Er selber schien zu begreifen, daß auch ihm nichts weiter übrig bleibe, als die Gastfreundschaft anzunehmen, die die Frau ihm ziemlich gleichgültig antrug.

Das Mittagsmahl, das bald darauf vor den versammelten Gästen dampfte, war wirklich vorzüglich und machte der Kochkunst der Frau Glendinning alle Ehre.

Während des Mahles bot Sir Pircie Shafton alle Galanterie auf, um Mary von Avenel zu unterhalten, die er allein seiner Ansprache würdigte.

Edward Glendinning fühlte sich zuerst beschämt, daß er so langsam und schwerfällig redete, während der junge Höfling mit einer Leichtigkeit und Gewandtheit, von der er zuvor noch keine Ahnung gehabt hatte, die hochtrabendsten Artigkeiten in seinen glatten, wenn auch nichtssagenden Reden herausschwatzte. Bei seinem gesunden Verstande begriff Edward allerdings bald, daß es alles Unsinn sei, was der jugendliche Geck plapperte, aber wenn er das Geschwätz nun auch verachtete, so beneidete er doch den jungen Menschen um den gewandten Vortrag, die einschmeichelnde Anmut seines Ausdrucks und um die elegante Ungezwungenheit seines Benehmens.

Diese Eigenschaften erweckten Edwards Verdruß, um so mehr, als der junge Mann damit sich bei Mary beliebt zu machen trachtete, und obwohl Mary nur darauf einging, weil sie seine Aufmerksamkeiten sich nicht gut verbitten konnte, so gab der junge Mensch doch auf diese Weise zu erkennen, daß ihm daran gelegen sei, Marys Gunst zu gewinnen, weil sie in seinen Augen die einzige Person war, die einer solchen Bewerbung würdig war. Sein Titel, sein Stand, seine wirklich ausgezeichnete Bildung und einige Funken von Geist und Witz, die aus dem großen Wust von Unsinn, den er vorbrachte, hindurchblitzten, verliehen ihm in der Tat einen gewissen Nimbus und mochten ihm wohl für Damenaugen einen großen Reiz zu geben, so daß der arme Edward in all seiner selbst erworbnen Wissenschaft und bei all seinen tüchtigen Eigenschaften in seinem Hausrock, seiner blauen Mütze, seinen ledernen Hosen sich wie ein Bauernjunge neben dem Hofmann ausnahm und im Herzen bittern Groll wider den Ritter häufte, der ihn so tief in Schatten stellte.

Gegen Christie, der ab und zu dem Edelmann gegenüber in plumpe Vertraulichkeit fallen solle, zeigte Sir Pircie Shafton eine stolze Verachtung, indem er ihm stets durch völlige Vernachlässigung oder durch lakonische Antworten zu verstehen gab, daß er sich nicht erdreisten solle, sich auf gleichen Fuß mit ihm zu stellen.

Der Müller verhielt sich ganz still, denn da er im allgemeinen nur von seiner Mühle und seinen Einnahmen zu reden wußte, so verspürte er hier keine Lust, in Gegenwart von Christie von Clinthill seinen Reichtum auszukramen, oder dem Ritter zur Last zu fallen.

Erst als Halbert hinzugekommen war und eine Weile dem inhaltlosen Geschwätz zugehört hatte, fand der junge Höfling einen Gegner, der sich von seiner überlieferten Art nicht verblüffen ließ.

»Herr Ritter,« sagte Halbert bei passender Gelegenheit, »wir haben hier in Schottland ein altes Sprichwort: Den Busch, der Dich verbirgt, sollst Du nicht verachten. Wenn das Gesinde mir richtigen Bescheid gegeben hat, so seid Ihr hierher gekommen, um im Hause meines Vaters Schutz zu suchen; macht Euch also nicht lustig über die Einfachheit derer, die darin wohnen. Ihr hättet lange am Hofe von England bleiben können, ehe wir uns um Eure Gunst beworben oder Euch mit unsrer Gesellschaft behelligt hätten. Nun aber hat das Schicksal Euch in unsre Mitte versetzt, daher nehmt nun Vorliebe mit der Kost und der Unterhaltung, wie wir sie Euch zu bieten vermögen, und dankt uns nicht für unsre Güte mit Euerm Hohne, denn die Schotten haben kurze Geduld, aber lange Schwerter.«

Aller Augen waren auf Halbert gerichtet, der in Haltung und Sprache eine Würde an den Tag gelegt hatte, wie man sie zuvor nicht an ihm gemerkt hatte. Ob diese würdevolle Festigkeit in seinem Benehmen auf sein Zusammentreffen mit der wunderbaren Erscheinung oder auf das Bewußtsein, mit übernatürlichen Dingen vertraut zu sein, zurückzuführen ist, möge dahingestellt sein. Fest steht, daß von diesem Tage ab eine Veränderung im Wesen Halberts allen auffiel, in seinem Handeln lag jetzt eine so rasche Entschlossenheit, eine solche Umsicht und Energie, wie sie sonst nur dem reiferen Alter zu eigen ist.

Der Ritter ließ sich die Zurechtweisung gefallen.

»Bei meiner Ehre, Du hast recht, junger Mann!« erwiderte er. »Doch wenn ich ein wenig gespottet habe über das Dach, das mir Schutz gewährt, so gereicht es ja bloß Dir zum Lobe, da Du ja unter diesem Dache geboren bist und Dich doch aus seiner Niedrigkeit emporschwingen kannst, gleichwie die Lerche, die in niedrigen Furchen nistet, und sich, trotz des Adlers, der aus Felsen seinen Horst baut, zur Sonne erhebt.«

Nach beendeter Mahlzeit zerstreute sich die Gesellschaft, die jungen Leute gingen auf ihre Stuben, die ältern Leute machten sich an ihre Hausarbeiten, und während Christie sich um sein Pferd kümmerte, machte sich Edward über sein Buch her, und Halbert, in Kopfarbeit bisher kein Held, dafür aber um so geschickter in aller Handarbeit, machte sich dabei, in seinem Stübchen eine Diele aufzureißen, um in dem dadurch gewonnenen Versteck das Exemplar der Heiligen Schrift zu verbergen, das er auf so merkwürdige Weise aus den Händen von Menschen und Geistern gewonnen hatte.

Inzwischen saß Sir Piercie Shafton starr wie ein Steinblock auf seinem Stuhl, hielt die Hände über der Brust gefaltet, die Beine gradaus vor sich gestreckt und auf die Fersen gestemmt, und die Augen nach der Decke hin gerichtet, wie wenn er dort jede Spinnweb zählen wollte, die an den Schwibbogen hing, aber mit einer Miene so feierlicher, unerschütterlicher Ernsthaftigkeit, als hinge von der Genauigkeit seines Exempels sein Leben ab.

Es war kaum möglich, ihn aus diesem Zustande von Versunkenheit so weit aufzurütteln, daß er sich mit an den Tisch setzen konnte, auf dem das Abendbrot hergerichtet war, das übrigens die jüngern Damen nicht mit einnahmen. Sir Piercie sah sich wohl ein paarmal um, wie wenn ihm was fehle; aber er stellte keine Fragen, sondern meinte nur, die rechten Zuhörer seien wohl darum nicht da, weil es ihm an dem rechten Geiste fehle, nahm das Wort fast immer nur, wenn man ihn ein paarmal drum angegangen hatte, und gab dann nüchterne Antwort, in schlichtem, allgemein verständlichem Englisch, das niemand besser reden konnte als er, wenn er nur wollte.

Als sich Christie infolgedessen im ungeteilten Besitze der Aufgabe sah, die Unterhaltung zu führen, gab er allerhand Episoden aus seinem rohen, unrühmlichen Kriegsleben zum besten, daß, sich Frau Elspath die Haare sträubten, während Frau Tibb Tacket, froh, wieder einmal mit einem »Stahlwams« zusammen zu sein, den Worten desselben lauschte, wie Desdemona den Heldentaten ihres Othello.

Die Brüder Glendinning saßen inzwischen jeder vertieft in die Betrachtungen, die sie beschäftigten, und nur die Aufforderung, zu Bett zu gehen, konnte sie darin stören.


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