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Viertes Kapitel.

Als die Verhältnisse im Lande wieder ruhiger geworden waren, wäre die Witwe Walter Avenels wohl gern wieder in ihr Schloß zurückgekehrt, doch stand solches Tun nicht mehr in ihrer Macht. Unter der damaligen Regierung, die von einem der eigentlichen Königin gesetzten Vormunde geführt wurde, galt das Recht des Stärkern, und wer viel Gewalt und ein weites Gewissen hatte, machte sich diese Wirren zu nutze und riskierte die gröblichsten Eingriffe in die Rechte andrer. Sir Walter von Avenel hatte noch einen jüngern Bruder, Julian mit Namen, der war ein Mann von solchem Schlage und säumte nicht lange, von der Burg und den Ländereien des Bruders Besitz zu ergreifen, sobald die Engländer das Land verlassen hatten. Zuvörderst ergriff er wohl Besitz im Namen seiner Nichte. Als aber seines Bruders Witwe die Absicht äußerte, mit ihrem Töchterchen wieder in das Schloß zurückzukehren, erklärte er kurz und bündig, Schloß und Land Avenel sei ein Mannslehen und falle mithin nach dem Heimgang des ältern an den jüngern Bruder, also an ihn. So wenig wie jener Philosoph sich in einen Streit mit dem Kaiser einließ, der über zwanzig Legionen gebot, so wenig konnte die Witwe Walter Avenels sich in einen Prozeß mit dem Herrn über zwanzig Banditen und Freibeuter einlassen, die alle im Falle der Not bereit und willig waren, ihm Hilfe und Beistand zu leisten.

So rechtlich begründet nun auch der Anspruch von Walters ehelicher Tochter mit seiner Gattin zur rechten Hand und erster Ehe auch war, so sah sich die Witwe, wenn auch nur vorläufig, doch gezwungen, ihrem gewissenlosen Schwager freie Hand zu lassen. Ihre Langmut und friedliche Gesinnung zeitigte zum wenigsten den Entschluß bei demselben, sie der Milde einer Vasallenwitwe nicht völlig anheimgestellt zu lassen, sondern eine Viehherde nach Glendearg in Weidepacht zu geben und Kleidung und Hausgerät, auch einiges Geld, dies jedoch nur in beschränkter Höhe, zu senden.

Mittlerweile fanden die beiden Witwen Gefallen an ihrem Zusammenleben, so daß sie sich nur ungern wieder hätten trennen mögen. Einen stillern und sicherern Aufenthaltsort als ihr der Turm von Glendearg bot, hätte die Witwe von Avenel kaum finden können, und sie war ja jetzt auch in die Lage gesetzt, ihr Teil zu den Kosten des gemeinschaftlichen Haushalts beizutragen. Anderseits gewährte der Frau Elspath der Umgang mit einer so vornehmen Dame nicht minder Freude als Ehre, und sie zeigte ihr immer weit mehr Demut und Hingebung, als von dieser begehrt und gern gesehen wurde.

Das Schäferpaar Martin und Tibbie erwiesen sich als die emsigsten und treuesten Knechte und suchten sich in allerhand Verrichtung nützlich zu machen, und zwar beiden Frauen, wenn sie sich auch in erster Linie abhängig von der Dame Avenel hielten. Hin und wieder kam es infolgedessen wohl zu einem kleinen Zwiste zwischen Frau Elspath und Martins Frau, wenn die eine eifersüchtig auf ihrem Ansehen bestand und die andre Rang und Herkunft ihrer Herrin zu scharf in den Vordergrund schob. Indessen ließen es sich beide immer angelegen sein, solchen Zwist untereinander abzumachen und die Dame Avenel nichts davon merken zu lassen, denn die Frau Elspath hatte vor ihrer Leidensgefährtin wohl kaum einen geringeren Respekt als die Schäfersfrau. Auch gingen diese kleinen Mißhelligkeiten nie so weit, daß der Hausfriede gestört wurde, denn von dem einen der beiden Teile wurde immer rechtzeitig eingelenkt und nachgegeben, wenn der andre, und das war in der Regel die Schäfersfrau, ein wenig zu weit in ihrem Übereifer für ihre eigentliche Herrin gegangen war.

Nach und nach entschwand den beiden Witwen das Interesse für die jenseits ihrer Berge gelegene Welt, und nur, wenn Alice von Avenel an hohen Festtagen in der Klosterkirche Messe hörte, gedachte sie jener Zeit noch, da sie auf gleicher Höhe mit den stolzen Gemahlinnen der Barone des Landes gestanden hatte, die gleich ihr in der Abteikirche erschienen. Aber solche Erinnerungen schmerzten sie nur wenig. Sie hatte ihren seligen Gemahl nicht um des äußerlichen Ansehens willen geliebt, sondern um seiner persönlichen Tugenden willen, und nachdem sie seinen Verlust hatte ertragen müssen, war alles andre Leid, das sie betraf, nicht mehr im stande, sie zu erschüttern. Zwar kam es ihr bisweilen in den Sinn, für ihre Tochter den Schutz der Königin-Regentin Maria von Guise zu erbitten, aber immer trat hindernd die Bange vor ihrem Schwager Julian zwischen Gedanken und Ausführung, denn sie durfte sich nicht verhehlen, daß ein solcher Mensch wie er, sich nicht besinnen würde, ihr das Kind zu rauben, wenn er nicht gar noch zu schrecklicheren Maßregeln griffe, sobald er sich in seinem Raube irgendwie gefährdet sähe. War er doch ein gewalttätiger und roher Gesell, der in allerhand Fehden verstrickt war und überall sich einmischte, wo Lanzen und Speere gebrochen wurden. Zudem zeigte er keinerlei Neigung, in den Ehestand zu treten. Und bei seiner ewigen Händelsucht konnte ihn leicht das Schicksal heimsuchen, das er unentwegt herausforderte, und ihn aus dem Erbe reißen, das er sich auf so schmähliche Weise angeeignet hatte. Darum meinte Lady Alice, daß sie klüger täte, den Einflüsterungen ihres Ehrgeizes jetzt nicht Gehör zu leihen sondern ihr Leben in der bisherigen Ruhe und Zurückgezogenheit in der dürftigen, aber friedlichen Freistatt weiter zu führen wie bisher.

Es war wiederum zu Allerheiligen, und die beiden Witfrauen hatten nun drei Jahre zusammen gelebt, und sie saßen in der alten engen Halle in der Feste von Glendearg mit der Dienerschaft um das lodernde Herdfeuer versammelt. Damals kannte man den Brauch von heute, daß die Herrschaft für sich und die Dienerschaft für sich haust, noch nicht. Man wohnte zusammen und nahm die Mahlzeiten zusammen ein. Der oberste Platz am Tische und der behaglichste Sitz am Herde, das waren die einzigen Vorrechte, die der Herrschaft innerhalb der Wohnstätte zugehörten, und der Dienerschaft stand nicht minder das Recht zu, an dem von der Herrschaft geführten Gespräch, wenn in ehrsamer, züchtiger Weise, sich zu beteiligen. Was die eigentlichen Knechte anbetraf, so gehörten denselben die außen gelegnen Hütten, und die beiden Dirnen, die Töchter des einen Knechts, versahen die häusliche Arbeit, früh, ehe sie aufs Feld hinaus gingen, oder abends, wenn sie vom Felde heimkehrten.

Wenn sie draußen waren, schloß Martin erst das eiserne Gatter, dann das innere Tor ab, und dann ordnete sich die kleine Hausgemeinschaft wie folgt: Frau Elspath setzte sich an den Spinnrocken, Tibbie kochte die Molken ab, die in einem großen Kessel über dem Feuer hingen, und Martin widmete sich aller Hausarbeit, die sich gerade fand, denn zu jener Zeit war jeder Haushälter sein eigner Maurer, Schmied und Zimmermann, sein eigner Schneider und Schuster, und hatte außerdem noch ein aufmerksames Auge auf die Kinder des Hauses.

Den Kindern stand das freie Recht zu, sich nach Herzenslust in den Räumen des Hauses zu tummeln; aber heute war es ihnen danach nicht zu Mute, heute blieben sie in der Nähe der Mutter.

Alice von Avenel saß bei einem eisernen Leuchter, in welchem eine ungetüme Fackel brannte, deren Gestell aus der häuslichen Schmiede hervorgegangen war, und beim Schein des Feuers, das in derselben flammte, las sie abgerissene Stellen aus einem mit starken Schlössern versehenen Buche, das sie mit äußerster Sorgfalt aufbewahrte. Die Lady hatte in ihrer Jugend, während ihres Aufenthalts im Kloster, die Kunst des Lesens gelernt, aber sie in den letzten Jahren kaum noch betätigen können, da sich ihr ganzer Bücherschatz auf das kleine Buch, das sie jetzt in der Hand hielt, beschränkte. Die Hausgenossenschaft lauschte ihrem Vortrag, wenn sie auch für den Sinn so gut wie kein Verständnis haben mochte, aufmerksam, und wenn auch Alice oft gewillt war, ihrer Tochter einen tiefern Einblick in ihr Wissen zu verschaffen, so kam sie doch auch hiervon immer wieder ab, weil es damals noch eine gefährliche Sache war, Dinge zu verstehen, die noch nicht als Allgemeingut des Volkes galten, im Gegenteil leicht auf den Verdacht führten, daß sie nur durch Umgang mit bösen Geistern erworben seien.

Von Zeit zu Zeit wurde die Dame von Avenel in ihrer Lektüre durch das Toben der Kinder gestört, denen dann Frau Elspath einen bald mehr, bald minder derben Verweis erteilte. Zuletzt schickte sie ihre beiden Knaben ins Bett, aber kaum hatten sie in der Absicht, sich diesem Befehle zu fügen, den Fuß aus der Halle gesetzt, als sie mit angsterfüllten Gesichtern wieder hereingestürzt kamen, um zu melden, daß in der Speisekammer ein gewappneter Mann sich aufhalte.

»Wer wirds denn anders sein als der Christie von Clinthill?« sagte Martin; »aber warum mag er zu solcher Stunde sich hier einfinden?«

»Und wie mag er hierher gekommen sein?« fragte Elspath.

»Ach, was wird er wollen?« rief die Dame von Avenel, der dieser Mann, den sie als einen Anhänger ihres Schwagers kannte und der als sein Beauftragter schon hin und wieder in Glendearg gewesen war, immer ein geheimes Grauen verursachte. »Gott! o Gott! wo ist mein Kind?« rief sie plötzlich und sprang auf.

Alle rannten nach der Speisekammer, Halbert Glendinning wappnete sich mit dem rostigen Schwert seines Vaters, und sein jüngerer Bruder nahm das Gebetbuch der Dame. Aber ihre Angst schwand, als sie vor der Tür der Speisekammer die kleine Mary stehen sahen, die nicht im geringsten erschrocken oder geängstigt aussah. Schnell traten sie nun in den Raum, wo zur Sommerszeit hin und wieder einmal das Essen eingenommen wurde. Aber es befand sich niemand in dem Raume.

»Wo ist denn Christie von Clinthill?« fragte Martin.

»Ich weiß es nicht,« antwortete die Kleine.

»Was treibt Ihr denn für Unfug, Ihr garstigen Kinder?« fragte Frau Elspath ihre beiden Knaben. »Ihr rast in die Halle herein, schreit, als wenn Ihr am Spieße steckt, und erschreckt unsre liebe Dame um nichts und wider nichts.«

Die Knaben sahen einander stumm und verwirrt an, und die Mutter fuhr in ihrer Strafpredigt fort:

»Konntet Ihr keinen andern Abend als Allerheiligen und keine andre Zeit, als da uns die Dame von den frommen Heiligen vorlas, für Eure Possen finden? ... Aber kommt mir nur unter die Finger! ich wills Euch schon eintränken!«

Der ältere der Knaben schlug die Augen nieder, der jüngere fing an zu weinen, aber beide schwiegen, und wenn sich das kleine Mädchen jetzt nicht eingemischt hätte, würde es ohne Schläge für die beiden Knaben wohl nicht abgegangen sein.

»Frau Elspath, es ist meine Schuld, daß Halbert und Edward gerufen haben. Ich sagte ihnen, es sei ein Mann in der Speisekammer.«

»Und warum erschreckst Du uns alle so?« fragte die Mutter ihre Tochter.

»Weil,« stammelte das Kind, »weil ich nicht anders konnte.«

»Weil Du nicht anders konntest?« sagte die Mutter. »Was ist das für eine Rede, Kind? Du verursachst unnützen Lärm, unnütze Angst, weil Du nicht anders konntest? ... was soll diese Rede, mein Kind?«

»Aber es ist wirklich ein gewappneter Mann in der Speisekammer gewesen,« sagte das Kind, »und weil ich mich darüber gar so gewundert habe, habe ich Halbert und Edward gerufen.«

»Also hat sie es selbst gesagt,« meinte Halbert, »ich hätt' es gewiß nicht erzählt!«

»Ich auch nicht!« ergänzte wetteifernd Edward.

»Fräulein Mary,« hob Frau Elspath an, »Ihr habt uns doch nie was gesagt, das nicht wahr gewesen wäre; nun sagt uns doch aufrichtig, wozu war solche Komödie notwendig zu Allerheiligen?«

Es schien, als wenn die Dame von Avenel willens sei, sich einzumischen, aber sie wußte nicht recht, wie, und Elspath war zu neugierig, in Erfahrung zu bringen, wie es sich um die Sache verhielt, als daß sie einen Wink von ihr hätte beachten sollen, und fuhr deshalb fort:

»War es denn Christie von Clinthill? Wie soll er denn aber ins Haus hineingekommen sein, ohne daß man es gehört hätte?«

»Christie wars nicht,« antwortete Mary, »es war ..., war ... ein Herr, ein hübscher Mann mit glitzerndem Harnisch, wie ich ihn damals gesehen habe, als wir noch oben auf dem Schlosse waren.«

»Und wie hat er denn ausgesehen?« fragte Tibbie, die Schäfersfrau, die auch an dem Verhör, in das die Kleine genommen wurde, teilnahm.

»Er hat schwarze Augen gehabt, schwarzes Haar und einen schwarzen Spitzbart,« antwortete das Kind, »und lauter Perlenschnüre um den Hals, die ihm bis auf den Harnisch hinunter reichten, und auf seiner linken Hand hat ein wunderschöner Falke gesessen, mit silbernen Glöckchen und rotseidner Haube auf dem Kopfe.«

»Um Gottes willen!« rief die erschrockne Dienerin, »fragen wir nicht weiter! Seht doch nur, wie bleich meine Herrin wird!«

Aber die Dame von Avenel nahm ihr Kind bei der Hand und drehte sich eilig um, um in die Halle zurückzugehen, so daß man nicht sehen konnte, welchen Eindruck die Erzählung des Kindes, die sie so rasch abgebrochen hatte, auf sie weiter gemacht hatte. Was jedoch Frau Tibbie darüber dachte, ließ sich an den vielen Kreuzen erkennen, die sie schlug. Und nach einer Weile flüsterte sie der Frau Elspath ins Ohr:

»Gott steh uns bei! die Kleine hat ihren Vater gesehen.«

Als sie nachher wieder in die Halle traten, fanden sie die Dame von Avenel mit ihrem Töchterchen auf dem Schoße, in Tränen gebadet. Sie küßte das Kind mit leidenschaftlichem Schluchzen, stand aber auf, als die andern Hausbewohner wieder hereintraten, wie wenn sie nicht wollte, daß man sie beobachtete, und ging in das kleine Stübchen, wo sie mit dem Kinde zu schlafen pflegte.

Daß sich die Bewohner, als sie sich allein sahen, sogleich mit der übernatürlichen Erscheinung, für die sie den Vorfall ansahen, weiter beschäftigten, war bei dem abergläubischen Charakter, der den Schotten überhaupt eigentümlich ist, nicht zu verwundern.

»Mir wärs lieber gewesen, ich hätte den Gottseibeiuns – die heilige Jungfrau möge uns schützen – leibhaftig gesehen, als daß ich diesen Christie von Clinthill in meinen vier Pfählen vermuten sollte. Wie die Rede im Lande geht, ist der Kerl ein ganz vermaledeiter Spitzbube, wie kaum je einer im Sattel gesessen hat.«

»Na, na, Frau Elspath, der Christie tut Euch nichts zu leide. Ihr wißt doch, jede Kröte hält ihr Loch sauber. Ihr Kirchenleute erhebt auch gar zu viel Lärm, wenn sich einer um sein bißchen Brot drehen und wenden muß. Wenn unsre Grundherren die flinken Jungen aus dem Hause jagten, dann ritten sie gar bald mit kleinem Gefolge.«

»Besser wärs schon, sie ritten allein, als daß sie bloß Not und Elend damit übers Land bringen!«

»Wer soll denn aber die aus dem Süden vom Lande fernhalten?« fragte Tibbie, »wenn Ihr Lanzen und Schwerter aus dem Lande bringt? .... Wir alten Weiber mit Rocken und Spindel könnens doch, weiß der Himmel, nicht machen, und die Mönche mit dem Weihrauchwedel und dem Gebetbuch doch auch nicht!«

»Und wann habt Ihrs erlebt, daß Schwerter und Lanzen sie vom Lande fern gehalten hätten?« fragte Elspath, »wenn ich dazu was sagen soll, dann stritte wohl niemand mir ab, daß mich einer aus dem Süden besser behütet hat als all die Grenzreiter mit all ihren Andreaskreuzen! und der Mann aus dem Süden war Stawarth Bolton! ... An der ganzen Feindschaft mit England ist nach meinem Dafürhalten weiter nichts schuld, als die ewigen Ausfälle und Einfälle an der Grenze; weiter nichts als das hat meinem guten Manne und so vielen andern noch das Leben gekostet! ... Da wird immer geschwatzt von einer Heirat zwischen unsrer Königin und dem Prinzen drüben; aber das ist doch immer bloß der Deckmantel, um die Leute drüben in Cumberland auszuplündern, die dann wieder über uns herfallen.«

Frau Tibbie wäre unter andern Umständen die Antwort auf solch verächtliche Bemerkungen ihrer Landsleute nicht schuldig geblieben, aber sie zog in Betracht, daß die Frau, die es ihr sagte, die Hausherrin sei, und deshalb schluckte sie die Bemerkungen, so heftig sie sie auch wurmten, hinunter und wechselte, ihre Vaterlandsliebe unterdrückend, eilends den Gesprächsgegenstand.

»Ist es nicht seltsam, daß die Erbtochter von Avenel in dieser heiligen Nacht ihren Vater gesehen hat?« fragte sie.

»Meint Ihr denn wirklich, daß es ihr Vater gewesen sei?« fragte Frau Glendinning.

»Was soll man sonst glauben?« fragte Frau Tibbie.

»Vielleicht hat irgend ein Unhold sich in seine Gestalt gesteckt?« meinte Frau Elspath.

»Das ist für mich nicht leicht zu sagen,« erwiderte die Tibbie, »aber daß es eine Gestalt war, das steht fest, darauf möcht ich jeden Eid tun! grade so hat er ausgesehen, wenn er auf die Jagd ritt, und wenn Feinde in der Nähe waren, legte er selten den Brustharnisch ab. Ich meinesteils bin immer der Meinung gewesen,« setzte die Tibbie hinzu, »ein Mann, der keinen Brustharnisch trägt, ist kein ganzer Mann.«

»Ich habe an Eurem Brustharnisch durchaus keinen Gefallen,« erwiderte Frau Glendinning, »aber ich weiß, daß auch solchen Gesichtern an solch heiligen Tagen kein großer Segen kommt.«

»Meint Ihr?« fragte die Tibbie.

»Das ist meine Meinung ganz entschieden,« – erklärte die Glendinning ... »mir ist übrigens auch solch Gesicht gekommen.« »Wirklich? was Ihr sagt!« und mit diesen Worten rückte die Tibbie ihren Schemel näher an die Hausherrin heran; »ach, erzählt doch bitte, von so was hör ich gar zu gern.«

»Na, Tibbie, Ihr müßt nämlich wissen,« hub Frau Glendinning an, »daß ich in meinem neunzehnten und zwanzigsten Jahr auf keinem Tanzfest, bei keiner Lustbarkeit gefehlt habe, wenn ich nur irgend von daheim hab abkommen können.«

»Das ist doch weiter nicht verwunderlich,« sagte die Tibbie, »aber seitdem seid Ihr um vieles gesetzter geworden, sonst hätten sich doch auch unsre jungen Burschen nicht so arg um Euch gerissen.«

»Mir sind Dinge passiert, die wohl jedem die Lust ausgetrieben hätten!« meinte die Glendinning, »aber recht habt Ihr, Tibbie, an Freiersleuten hats mir nicht gefehlt, denn so ungestalt war ich eben nun nicht grade, daß alle Kälber hinter mir hergeblökt hätten.«

»Das muß wohl gewesen sein,« pflichtete die Tibbie bei, »seid Ihr doch heut noch eine stattliche Frau!«

»Ach, redet doch nicht!« verwies sie die Herrin über Glendearg, indem nun auch sie ihren Ehrenschemel ein Stückchen näher an den der Gevatterin rückte ... »mit meiner Schönheit ists längst vorbei, aber es mag ja früher anders damit ausgesehen haben; ich hab mich ja auch immer ganz manierlich herausstaffiert und hatte ja doch auch ein ganz hübsches Eckchen Land mit als Zugabe unterm Mieder. War doch mein Vater Eigentümer von Littledearg ...«

»Richtig, das habt Ihr mir schon ein paarmal gesagt,« erwiderte die Tibbie, »jetzt erzählt aber lieber, wies am heiligen Abend sich verhalten hat!«

»Na, gut, gut!« lenkte Frau Glendinning ein, »ich hatte mehr als einen Freiersmann, aber besonders gewogen war ich keinem. Nun saß da am heiligen Abend der Pater Niklas, der Kellermeister – er wars vorm Pater Klement, ders jetzt ist – mit bei uns, knackte Nüsse und trank seinen Krug Braunbier, und wir waren gar lustig miteinander. Da haben sie mich geneckt, ich sollt doch einen Spaß mitmachen und sollt mal sagen, wen ich wohl mal freien möcht! und der Pater, der sagte, es wäre doch dabei gar nichts Sündhaftes, und wenn ers am Ende gar selber wäre, dann wollt er mir gleich vorher den Ablaß erteilen. ... So bin ich denn in die Scheune hineingegangen, um dreimal die Fruchtkelle zu schwingen, dabei ist mir aber gar bange geworden, daß ich was Schlimmes anstellen oder was Schlimmes erleiden könnt ... und ich hatte kaum die dritte Kelle geschwungen, der Mond schien blitzhell auf die Tenne, da stand mein lieber Simon Glendinning vor mir, der nun auch eingekehrt ist zu seinem Herrgott. Leibhaftiger hatt ich ihn mein Lebtage nicht gesehen als damals. Er hielt einen Pfeil in die Höhe, während er vor mir einherging, und da fiel ich in Ohnmacht. Es hat viel Mühe gekostet, bis sie mich wieder zur Besinnung gebracht hatten, und sie wollten mir nun durchaus einreden, daß es ein schlechter Streich vom Pater Niklas gewesen sei, den er mit dem Simon verabredet gehabt hatte, und daß der Pfeil nichts weiter zu bedeuten hätt, als der von dem Schelm Cupido ... und auch nach der Heirat hat mir der Simon das noch immer einreden wollen ... du mein liebe Zeit, erklärlich ists doch, daß er sich nicht gern nachreden lassen mocht, er sei schon bei Lebzeiten mal als Geist umgegangen! ... Na, Tibbie, wie die Sach ausgegangen ist, das wißt Ihr ja, wir haben uns geheiratet, der Simon und ich, und aus dem Liebespfeil, mit dem er mir damals erschienen ist, ist gar schnell sein Todespfeil geworden.«

»Wie für gar viele andre auch!« seufzte die Tibbie, »ach, wenns bloß diese verwünschten Pfeile in der Welt gar nicht geben möcht!«

»Aber, Tibbie, sagt doch bloß, warum liest denn Eure Herrin immer in dem schwarzen Buch mit den eisernen Schließen? es kommen zwar manche recht schönen Worte drin vor, aber die schicken sich doch für niemand als für einen Priester. Ja, wenn vom roten Robin drin stünd oder ein paar Balladen vom David Lindsay, dann könnt man eher wissen, was man sich drunter zu denken hätt. Ich bin ja durchaus nicht mißtrauisch gegen Eure Frau, aber gefallen wills mir durchaus nicht, daß in meinem rechtschaffnen Hause Gespenster und Kobolde ihr Wesen zu treiben anfangen!«

»Ihr habt gar keine Ursache, meiner lieben Frau mit Mißtrauen zu begegnen,« sagte die treue Tibbie, fast entrüstet; »und wenn sie spricht oder tut, was sie will. Was aber das kleine Ding von Mädchen anbetrifft, so wißt Ihr ja, daß sie zu Allerheiligen vor neun Jahren das Licht der Welt erblickt hat, und daß solche Sonn- und Festtagskinder mehr sehen als andre Kinder.«

»Drum hat auch das Kind gar nicht gestört getan, als sie erzählt, was sie gesehen hatte. Wäre es mein Halbert oder gar mein Edward gewesen, der ja von Natur viel weicher und zarter ist, die hätten doch die ganze Nacht hindurch geschrien ohne Aufhören. Solche Gesichter sind dem Kinde aber jedenfalls was alltägliches.«

»Das kann schon sein,« antwortete die Tibbie, »wie ich Euch ja gesagt hab, sie ist am Allerheiligen geboren, und unser alter Pfarrer war immer froh, wenn er um die Nacht herum war und der Tag nach Allerheiligen dämmerte. Außerdem ist ja das liebe Kind beschaffen, wie jedes andre, das könnt Ihr doch selbst sehen; auch weiß ich mich nicht zu besinnen, daß es, ausgenommen diese Nacht, und dann den Tag, als wir den Weg durch das Moor gemacht haben, mehr Gesichter gesehen hätt als andre Kinder und Menschen.«

»Was hat sie denn im Sumpfe damals gesehen?« fragte Frau Glendinning neugierig.

»Ein Gesicht von einer weißen, schönen Dame, die uns, als wir in Gefahr waren, im Morast zu versinken, das Tor gezeigt hat. Na, so viel steht fest, unser Gaul stutzte, und ich weiß es ganz gewiß, daß mein Martin gedacht hat, das Tier säh allerhand Zeug.«

»Aber wer war denn die weiße Dame?« fragte Frau Elspath. »Wißt Ihr davon nichts?«

»O freilich weiß ich davon,« erwiderte Tibbie, »und hättet Ihr mehr unter vornehmen Herrschaften gelebt, so wüßtet Ihr auch von solchen Dingen.«

»Dafür hab ich auch immer meine eigne Haushaltung geführt,« antwortete Frau Elspath, und zwar nicht ohne Nachdruck, »und wenn ich nicht zu vornehmen Leuten gekommen bin, so sind doch vornehme Leute zu mir gekommen.«

»Gut, gut, liebe Frau Glendinning,« sagte Frau Tibbie beschwichtigend, »übel wars ja nicht gemeint, und nehmts nur nicht für ungut! ... aber Ihr müßt doch wissen, daß die alten edlen Geschlechter nicht bedient werden von den gewöhnlichen Heiligen, wie etwa dem heiligen Antonius oder dem heiligen Cuthbert – übrigens Lob und Preis ihnen, wie allen andern! – nein! die haben ihre besondern Heiligen oder Schutzengel ... und die weiße Maid von Avenel ist doch bekannt in der ganzen Umgegend. Soll jemand sterben aus dem alten Geschlecht, so sieht man sie wandeln und hört sie jammern und klagen tagelang, wie an die zwei Dutzend Leut bezeugen können, daß sie gesehen worden ist, ehe der hochgeborne Ritter Walter von Avenel – Gott segne seine Asche! – erschlagen wurde.«

»Kann sie nichts bessers,« rief Frau Glendinning fast grimmig, »so werden wohl nur wenig Gebete zu ihr dringen.«

»O die weiße Maid von Avenel kann noch weit Herrlicheres verrichten, wie in den alten Geschichten zu lesen steht,« erwiderte Tibbie, »ich hab aber selbst nichts weiter drüber erfahren, als wie das Kind sie drüben im Moorbruch gesehen hat.«

»Nun gut, gut, Tibbie,« antwortete Frau Glendinning, stand auf und brannte die eiserne Lampe an, »da haben Eure vornehmen Herrschaften freilich gar große Vorrechte. Aber für mich reichen die Jungfrau Maria und der heilige Paul hinreichend aus. Es sind große Heilige, die mich sicherlich auch nicht im Sumpfe stecken lassen werden, sobald sie mir helfen können, denn ich unterlaß es nie, zu Lichtmeß vier Wachskerzen in ihre Kapelle zu schicken; und wenn sie über meinen Tod auch nicht jammern werden, so werden sie sich doch freuen bei meiner fröhlichen Auferstehung, wozu uns Gott allen verhelfen möge. Amen!«

»Amen,« erwiderte die Tibbie andachtsvoll. »Und nun wirds wohl Zeit sein, ein Stück Torf nachzulegen, damit das Feuer nicht ganz und gar ausgeht.«

Sie verrichtete ohne Verzug diese Arbeit. Die Witwe Glendinning indessen sah sich noch einmal um, ob in der Halle alles am richtigen Platze stünde, dann sagte sie Frau Tibbie gute Nacht und begab sich zur Ruhe.

»Weiß der liebe Himmel,« sagte die Tibbie, »weil ihr Mann hier in dem Loche sein eigner Herr war, dünkt sie sich auch gleich für besser gebacken, als eine, die wie ich einmal Kammerfrau gewesen ist bei einer vornehmen Herrschaft.«

Als die Frau ihrem Unmut in diesen kurzen Worten Luft gemacht hatte, begab sie sich gleichfalls zur Ruhe.


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