Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.

Auf den ersten Augenblick erbebte Halbert, obgleich er sich vorgenommen hatte, vor der Erscheinung, die er nun schon zweimal erschaut hatte, nicht zum dritten Male sich zu erschrecken. Aber trotzdem wagte Halbert kaum zu atmen, sein Haar sträubte sich, offnen Mundes sah er die Erscheinung an, das nackte Schwert wider sie gezückt.

Endlich begann die weiße Frau – diese Bezeichnung wollen wir diesem Wesen geben – mit unsagbar süßer Stimme die Verse zu singen:

Dunkeläugiger Jüngling, warum riefst Du mich an?
Warum kamst Du her, wenn Furcht Dich erfassen kann?
Wer umgehn will mit uns, darf Makel und Furcht nicht haben.
Der Böse und der Feige erkennen nicht unsre Gaben.
Die Luft, die her mich trug, muß nach Aegypten ziehen.
Die Wolke unter mir muß nach Arabien fliehen,
Die Wolke muß mit mir im Flug die Luft durcheilen,
Denn eh der Tag erlischt, muß fort ich hundert Meilen!

Halbert überwand allmählich seine Bestürzung, er gewann die Sprache wieder und redete, wenn auch noch mit bebender Stimme, das Wesen an:

»Im Namen Gottes, wer bist Du?«

Die Erscheinung erwiderte:

Ich darf Dich nicht wissen lassen,
Was ich bin – Du kannst es nicht fassen.
Etwas, das nimmer fiel noch stand,
Dem Himmel, der Hölle nicht bekannt.
Ein Wesen, das Dir, jenachdem,
Gefährlich oder angenehm.
Kein Schatten, doch auch keine feste Gestalt,
Hausend in Sumpf und Wiese und Wald,
Ueberm Wasser zaubrisch gleitend,
Auf des Sturmes Flügeln reitend,
Engel nicht noch Sünderinnen
Stehn wir schwankend mitten innen
Zwischen dem, was bös und gut,
Ränkevoll, doch ohne Blut.
Sel'ger wir, als ihr es seid,
Leben zehnmal längre Zeit;
Weit unsel'ger, denn das Grab
Bricht uns jedes Hoffen ab.
Ihr erwacht zu Freud und Sorgen,
Unser Schlaf kennt keinen Morgen.
Dies darf ich Dich wissen lassen,
Mehr vermagst Du nicht zu fassen.

Die weiße Frau hielt inne, als erwarte sie eine Antwort von Halbert; da der Jüngling aber nicht zu wissen schien, was er weiter sagen solle, so begann die Erscheinung allmählich zu verblassen und in Nebel zu verschwimmen. Halbert faßte sich daher ein Herz und rief:

»Dame, als ich Euch im Tale sah und Ihr das schwarze Buch der Mary Avenel wieder brachtet, da sagtet Ihr doch, eines Tages sollte ich in diesem Buche lesen lernen.«

Die weiße Frau entgegnete:

Tät ich Wort und Spruch Dich lehren,
Daß Du hier mich solltest stören?
Hat doch Falk und Reiherbeiz
Sonst für Dich viel größern Reiz,
Schwert und Lanze gilt Dir mehr
Als des Wortes gute Lehr',
Lieber streifst Du durch Wald und Trift
Als Dich zu plagen mit schwarzer Schrift,
Bist ein Schwärmer in Busch und Morast,
Der die geistige Speise haßt.

Bei diesen Worten nahm die Gestalt der weißen Frau – wenigstens kam es Halbert so vor – wieder deutlichere Umrisse.

»Wohl bin ich saumselig gewesen, Dame,« erwiderte Halbert, »aber das will ich hinfort nicht mehr sein. Ich will jetzt lernen und mit doppeltem Eifer vorwärts streben. Seit kurzem bin ich anders Sinnes geworden und mein Herz hat sich gewandelt. Ich will mich, bei Gott, in Zukunft einer andern Tätigkeit widmen. An diesem einen Tage bin ich um Jahre älter geworden, ich bin als ein Knabe hergekommen und gehe als Mann weg. Ich will den Inhalt des geheimnisvollen Buches begreifen lernen, – ich will ergründen, warum die Dame von Avenel es so sehr geliebt hat, – warum die Priester es durchaus an sich bringen wollen – und warum Du es ihnen zweimal schon wieder weggenommen hast. Was für Geheimnisse verbirgt es? Sprich, ich beschwöre Dich!«

Die Dame nahm ein besonders feierliches Wesen an, neigte das Haupt, faltete die Hände über der Brust und entgegnete:

Es liegt in diesem Heiligtum
Der Mysterien Mysterium,
Glücklich sind zu preisen, die
Gott mit dieser Gunst belieh,
Zu lesen, zu fürchten, zu hoffen, zu beten,
Aufzuschließen und einzutreten.
Der Zweifler, der Spötter – wehe dem Toren!
Besser, er wäre nie geboren!

»Gebt mir das Buch, Dame,« sagte der junge Glendinning, »Sie schelten mich faul und blöde – aber ich will fleißig sein, und Gott wird meinem Streben seinen Segen geben. Gebt mir das Buch.«

Die Erscheinung erwiderte sogleich:

»Viel Klafter tief hab ichs zur Ruh
Versenkt, die Erde deckt es zu –
Ueberirdisch Feuer umglüht es,
Ueberirdische Musik umzieht es,
Des Himmels hohes Pfand.
Jedes Ding in seiner Sphäre
Huldigt ihm, erweist ihm Ehre:
Ihr nur habt Euch abgewandt.
Komm, daß ich Dir zeige – sofern Dir nicht graut –
Was noch keines Menschen Auge erschaut!

Halbert Glendinning reichte der weißen Frau furchtlos die Hand. Als sie seine Hand in der ihren leise zittern fühlte, fragte sie:

Bangt es Dir, mit mir zu gehn?
Noch ist an Dir – bleib draußen stehn.
Als Bauerngesell
Magst Du Dich plagen,
Das Wild des Königs jagen,
Doch nimmer Dich wagen
Zum Felsenquell.

»Keine Furcht soll mir den Weg in mein heimatliches Tal versperren,« erwiderte der beherzte Jüngling.

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so versanken beide in die Erde – so schnell, daß Halbert der Atem ausging. Er sah und fühlte nichts, als daß er mit der Schnelligkeit eines Blitzes dahin gerissen wurde. Mit einem jähen Ruck kamen sie zum Stillstand, und der Stoß kam so plötzlich, daß der Sterbliche, der sich in diese unterirdischen Räume gewagt hatte, gewiß zu Boden gestürzt wäre, wenn seine übernatürliche Führerin ihn nicht gehalten hätte.

Als Halbert nach einer Weile wieder zu sich gekommen war, sah er sich um und erkannte eine Grotte oder von der Natur gebildete Höhle, die mit Kristallen bekleidet war. In diesem Gestein brach sich in tausendfachem Glanz der Schein einer Flamme, die auf einem alabasternen Altar brannte. Dieser Altar mit der Flamme nahm den Mittelpunkt der Höhle ein, die von runder Form und hoch war wie eine Kathedrale. Nach den Himmelsrichtungen liefen vier Verzweigungen der Grotte, die aus demselben flimmernden Gestein waren, deren Ende sich aber im Finstern verlor.

Keine irdische Phantasie vermöchte den wunderbaren Glanz sich vorzustellen, den das tausendfach von den Kristallpfeilern widergespiegelte Licht ringsum verbreitete. Das Feuer brannte nicht ruhig und stetig, sondern stieg und fiel, hin und wieder glich es einer Pyramide von Flammen, die bis zur halben Höhe der stolzen Wölbung sich erhob, dann wieder sank es in sich zusammen und verbreitete nur noch einen rosigen Schimmer. Daß es mit irgend einem faßbaren Stoffe gespeist worden wäre, oder daß es Rauch hervorgebracht hätte, war nicht zu erkennen.

Das Allerseltsamste aber war, daß das schwarze Buch mitten im Feuer lag – ganz unversehrt und unberührt. Und doch schien die Flamme stark genug, Diamanten zu schmelzen.

Nachdem die weiße Dame ein Weilchen geschwiegen hatte, um dem jungen Glendinning Zeit zu lassen, sich umzuschauen, begann sie:

Hier liegt das Buch,
zu dem Du kühn gedrungen –
Rührs an und nimms –
nicht leicht wird es errungen.

Halbert glaubte nun an Wunder gewöhnt zu sein, auch erfüllte ihn die tolle Begier, den Mut, dessen er sich gerühmt hatte, nun auch zu zeigen, und er streckte ohne Zaudern die Hand in die Flamme, in der Hoffnung, mit einem raschen Griffe das Buch herauszureißen, aber er hatte sich getäuscht.

Die Flamme ergriff sofort den Rockärmel und versengte ihm, obwohl er die Hand schleunigst zurückzog, doch den Arm so furchtbar, daß er vor Schmerz laut aufgeschrien hätte. Aber er bezwang sich und zuckte mit dumpfem Aechzen zusammen.

Die weiße Dame strich mit ihrer kalten Hand über seinen Arm, und ehe sie noch ihre folgenden Worte gesungen hatte, war der Schmerz gestillt, und keine Spur mehr von einer Brandwunde vorhanden.

Kecke Tat,
Wenn man naht
Ewiger Glut
mit irdischem Kleid.
Weg mit dieser Hülle Tand,
Prüfe nochmals Deine Hand.

Soweit Halbert den Wink seiner Führerin zu verstehen glaubte, entblößte er den Arm bis zur Schulter, indem er die Fetzen des versengten Aermels herabriß. Als die Stücke zu Boden fielen, schrumpften sie zusammen, ohne daß man hätte sehen können, daß Feuer sie verzehrte, verwandelten sich in flatternden Zunder und zerstäubten in einem plötzlichen Luftzug, der durch die Grotte zog.

Als die weiße Dame das Erstaunen des Jünglings bemerkte, fuhr sie fort:

Was Ihr Menschen webt und schafft,
Hält nicht stand der Zauberkraft,
Was des Menschen Kunst erdacht,
Wird bei uns zu nichts gemacht.
Das Gold wird Staub, ists noch so rein,
Es schmilzt der blanke Edelstein,
Alles verwandelt sich, alles verweht,
Nur die Wahrheit allein besteht.
Wag noch einmal den Versuch,
Und vielleicht wird Dir das Buch.

Diese Worte machten Halbert Mut zu einem zweiten Versuch, er griff mit nacktem Arm ins Feuer und zog das heilige Buch heraus. Das Feuer hatte ihm nichts angetan, er verspürte nicht einmal die Hitze.

Er erstaunte, daß es ihm gelungen war, ja fast erschrak er darüber. Nun sah er die Flamme in sich zusammensinken, dann in einer jähen Lohe bis an die Decke emporschlagen, wieder zurückfallen und förmlich verlöschen. Undurchdringliche Finsternis war nun um ihn her, er hatte indes nicht Muße, sich zu bedenken, was er beginnen sollte, denn er fühlte sich von der weißen Dame bei der Hand erfaßt, und mit derselben Schnelligkeit, wie sie niedergefahren waren, stiegen sie wieder zur Erdoberfläche empor.

Sie standen beide an der Quelle von Corrinan Shian, und als der Jüngling sich bestürzt umschaute, bemerkte er, daß der Tag sich schon seinem Ende zuneigte. Er sah auf seine Führerin, als erwarte er eine Erklärung von ihr. Aber ihre Gestalt begann zu erblassen, ihre Züge verloren ihre Bestimmtheit, und sie verschwamm mit dem Nebel, der aus der Schlucht emporstieg.

»Bleibe doch!« rief der Jüngling. »Du mußt mich noch unterweisen in der Kunst, dieses Buch zu lesen. Was nützt es sonst, daß ich es habe?«

Aber die Gestalt zerfloß völlig und war nur noch wie ein blasser Fleck Mondlicht am Wintermorgen. Ehe sie ganz verschwand, sang sie noch die Worte:

Weh! nicht zu teil
Ward uns das Heil,
Zu verstehn die heilgen Zeichen.
Leer in Luft gemalte Wesen,
Sind wir nicht zu Glück erlesen,
Das die Menschen hier erreichen.
Sei stets bereit.
Der Herr verleiht
Den rechten Führer
Dir zur rechten Zeit.

Selbst die Stimme der Erscheinung verklang allmählich, ganz als ob das Wesen allmählich von der Stelle sich entfernte, wo es begonnen hatte.

Nun befiel das Entsetzen, das er so lange standhaft bezwungen, plötzlich mit aller Gewalt den jungen Mann, und er stand, von Schauer ergriffen, mit gesträubten Haaren und klopfendem Herzen da. Aber bald gewann er seine Fassung wieder und trat seinen einsamen Heimweg an, nicht mit der wilden Hast, in der er hergestürmt war, sondern ruhig und gelassen, wie ein Pilger, der unterwegs tiefen Gedanken nachhängt.


 << zurück weiter >>