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Erstes Kapitel.

Das Dorf, das der Benediktiner-Abt in dem von ihm hinterlassenen Manuskript unter dem Namen Kennaqhueir beschreibt, weist dieselbe keltische Endform auf, wie wir sie in Traqhueir, Caahueir und andern Zusammensetzungen treffen. Gelehrte leiten das Wort Ohneir her von gekrümmtem Flußlauf, was eigentümlicherweise mit den schlängelnden Windungen zusammenstimmen würde, die der Tweed unweit von dem Dorfe Kennaqhueir macht. Das Dorf stand lange Zeit in Berühmtheit durch sein Sankt Marien-Kloster, das zusammen mit den andern nicht minder hochangesehenen Abteien derselben Grafschaft: Melrose, Jedburgh und Kelso, von David I., König über Schottland und Shetland, gestiftet wurde. David I. beschenkte diese kirchlichen Stifte mit reichem Gut an Ländereien und Gerechtsamen und wurde aus Dankbarkeit hierfür vom Papste heilig gesprochen, was freilich einen verarmten Nachkommen von ihm nicht gehindert hat, sich dahin zu äußern, besagter König David sei ob dieser und andrer Torheiten besser unter die Kategorie der Unheiligen zu setzen. Nichtsdestoweniger ist es nicht unwahrscheinlich, daß besagtem schottischen König David neben diesen Verdiensten um den katholischen Glauben auch mancherlei weltliche Verdienste beizumessen sein werden, und daß er zu seinen Schenkungen an die Kirche durch weltliche Rücksichten mitbestimmt worden ist. Es stand seit der »Fahnenschlacht«, aus der er nicht als Sitzger hervorging, um die Sicherheit seiner Besitzungen in Northumberland und Cumberland nicht sonderlich günstig. Und da infolge dieser Schlacht zu erwarten stand, daß das fruchtbare Tal des Teviot zur Landesgrenze gemacht werde, griff er diesem in England gehegten Gedanken vor und versuchte sich einen Teil dieser einträglichen Besitzungen dadurch zu sichern, daß er ihn der Kirche als Eigentum überwies, und diese hat sich des ihr auf diese Weise anheimgefallnen Gutes auch lange Zeit, sogar in den wilden Grenzkriegen, in ziemlich ungestörter Ruhe erfreuen dürfen.

Man geht wirklich nicht fehl, wenn man dem König David von Schottland einräumt, daß dies für ihn die einzige Hoffnung war, den Bebauern dieser Landstriche Schutz und Sicherheit zu schaffen, und in der Tat ließen sich auch Generationen hindurch diese Besitzungen der genannten Abteien dem biblischen Lande Gosen vergleichen, denn über ihnen breitete der Engel des Friedens seine segnende Hand, und ihre Felder und Wälder gediehen und brachten reiches Gut, während alle andern Teile des Reichs unter dem Druck der eisernen Faust wilder Clans und raubgieriger Barone seufzten und aus der düstersten Verwirrung, aus blutigem Krieg und gewalttätiger Fehde niemals herauskamen.

Indessen erhielten sich diese kirchlichen Vorrechte in voller Kraft nicht bis zu der Zeit, da die Kronen der beiden Reiche vereinigt wurden, und lange schon vor dem Eintritt dieses Ereignisses hatten die Kriege zwischen England und Schottland den Charakter nationaler Zwietracht eingebüßt und waren auf seiten Englands zum rücksichtslosen Unterjochungskampfe, in Schottland dagegen zum rasenden Ringen um die dem Lande eigentümlichen Rechte und Freiheiten geworden. Dadurch wuchs die Erbitterung auf beiden Seiten zu einer Höhe, wie man sie in der wildesten Zeit der früheren Zwietracht nicht gekannt hatte, und als sich später noch Glaubensstreit und religiöse Zweifel hinzugesellten und den Haß der beiden Völker aus allen Fesseln und Banden lösten, da blieben auch der Kirche die alten Vorrechte trotz aller Verbrieftheit nicht mehr erhalten, und sie gingen des staatlichen Schirmrechts allmählich verlustig.

Aber die Untertanen und Lehnsmannen genannter großer Abteien besaßen noch immer allerhand Vorteile vor denen der weltlichen Grundherren, denen infolge des ununterbrochnen Kriegsdienstes, der ihnen oblag, aller Sinn für die Künste des Friedens abhanden kam. Dem Kirchenvasallen lag hingegen die Verpflichtung des Waffendienstes nur dann ob, wenn das eigentliche Reichsinteresse in Gefahr stand; in aller Privatfehde der Barone blieb ihnen die völlige Ruhe und Unantastbarkeit gewahrt, und keines ihrer Lehen, wie die Abteien ihre an Pächter gegen mäßige Abgabe verliehenen kleinen Landgüter zu nennen liebten, durfte anderm als kirchlichem Aufgebot folgen. Auf diese Weise blieb ihnen der ruhige Besitz vergönnt, und selbst heute noch trifft man in Schottland in der Gegend, wo diese großen Klöster lagen, auf Nachkommen solcher einstigen Kirchenvasallen, die sich das Besitztum ihrer Väter von Kind auf Kindeskind zu erhalten verstanden haben. Kein Wunder, daß infolge dieses Zusammenwirkens so günstiger Umstände die Abteiländer Schottlands sich besserer Bewirtschaftung rühmen durften, als aller in weltlicher Hand befindliche Besitz, und daß in ihrem Bereiche die Bewohner nicht allein in materieller Hinsicht sich besser befanden, als alle übrigen Landbewohner von Schottland, sondern ihnen auch in Eigenschaften des Geistes bedeutend überlegen waren.

Die Wohnstätten solcher Kirchenvasallen bildeten in der Regel eine kleine Dorfschaft, in der sich dreißig bis vierzig Familien zu gegenseitigem Schutz und Trutz zusammen zu siedeln pflegten. Indessen verschwand hierfür bald der Name Dorf und machte dem Namen Stadt Platz, wie man auch die Ländereien, die zu solcher Niederlassung gehörten, Stadtgebiet oder »Stadtfreiheit« bezeichnete. In der Regel waren diese Ländereien gemeinsamer Pachtbesitz der Bewohner solcher »Stadt«, dessen Aufteilung jedoch nach Maßgabe der Verhältnisse jedes einzelnen »Bürgers« erfolgte, derjenige Teil des Landes, der den Ackerboden enthielt und also gepflügt werden mußte, führte den Namen »Infeld«; gebaut wurden Hafer und Gerste, zumeist in Wechselfurchen-Weise, und die Arbeit fiel bei der Aussaat und Ernte allen gleichmäßig zu, während die Ansprüche an der Jahresfrucht je nach den »Bürgerrechten« sich regelten.

Anders verhielt es sich um das sogenannte »Ausfeld«, dessen Bebauung in gewissem Grade der Willkür seiner Anwohner überlassen blieb. Jeder Lehnsmann wählte sich von den zum »Ausfeld« gehörigen Triften und Höhen, was ihm beliebte, und die Unsicherheit des Ertrages aus diesen zu Gemeindeweiden benützten Strecken lieh jedem Lehnsmann, der sich der Mühe, den Anbau zu versuchen, unterzog, ein ausschließliches Anrecht auf die Frucht, die ihm solches Stück »Ausfeld« brachte.

Die Wohnstätten der Kirchenvasallen behielten ihren ursprünglichen, einfachen Charakter, ebenso wie die Weise, ihr Feld zu bauen, ursprünglich und einfach blieb, ganz wie man es heutzutage noch finden kann überall auf den shetländischen Inseln. Jedes Dorf oder Städtchen hatte mehrere kleine Türme, deren Zinnen über die Mauern aufragten, und die in der Regel ein paar vorspringende Winkel bildeten, die mit Schießscharten versehen waren, während das starke, mit eisernen Nägeln beschlagene eichene Tor zumeist noch durch ein eisernes Gitter außen verrammelt war. In den kleinen Häusern wohnten zumeist bloß die bessern Lehnsleute mit ihrer »Sippe«, aber sobald die geringste Gefahr im Verzuge war, kamen die andern Dörfler aus ihren ringsherum gelegenen ärmlichen Hütten herbeigeeilt und besetzten alle Verteidigungspunkte. Infolgedessen war es für Feinde nicht leicht, in solches Dorf einzubrechen, denn die Männer waren geübt in Armbrust und Muskete, und die »Wehrtürme« waren gemeinhin so angelegt, daß ihr Feuer kreuzweise strich, so daß es eine Unmöglichkeit war, den Angriff auf einen einzelnen Turm zu richten.

Die innere Einrichtung dieser Wohnstätten war zumeist äußerst dürftig und einfach, denn es wäre Torheit gewesen, durch irgend welchen Ueberfluß oder gar Zierat die lüsterne Gier kriegerischer Nachbarn zu wecken. Immerhin fand sich in diesen Familien von Kirchenvasallen ein höherer Grad von Wohlstand, Unabhängigkeitssinn und Verständnis vor, wie sich eigentlich hätte vermuten lassen. Ihr Acker versorgte sie mit Brot, ihre Herden mit Fleisch, und in allen Familien wurde im Monat November ein fetter Ochse geschlachtet und für den Winter in Salzwasser gelegt, und bei besonders festlichen Gelegenheiten griff die kluge Hausfrau wohl nach einem Hahn oder einer Henne oder auch wohl ein paar Tauben in den Geflügelstall, und der Garten brachte Kohl und andres Gemüse, die Flüsse aber, deren Wasser noch durch keinerlei Industrie verdorben wurde, lieferten Fische für die Fastenzeit im Ueberflusse.

Auch an Feuerungsmaterial litten sie nie Mangel, denn die Moore lieferten Torf über Torf und die Wälder Bau- und Brennholz. Dazu kam nun für die Besserung der Lebensverhältnisse noch der nicht unbedeutende Vorteil, daß diesen Kirchenlehen Jagdrecht zustand, und kein guter Hausvater unterließ es, im Herbst einen Rehbock abzuschießen.

Mit dem Unterricht lag es freilich noch sehr im argen, und man durfte wirklich sagen, daß die Bewohner »besser ernährt als belehrt« würden, indessen boten auch ihnen sich zur Erweiterung des Wissens bessere Gelegenheiten als andern Landleuten im Reiche. Die Mönche unterhielten im allgemeinen freundlichen Verkehr und Umgang mit ihren Vasallen und Hörigen, und es traf sich oft, wenn ein Knabe besonders gute Veranlagung zeigte, daß sich ein Bruder der besondern Mühe unterzog, ihm Unterricht in den Wissenschaften zu geben, die sich freilich zumeist nur auf die Mysterien des Schreibens und Lesens erstreckten, denn nur in Ausnahmefällen reichten die Kenntnisse der Klosterbrüder selbst in andre Wissenssphären hinüber. Da aber, wie schon bemerkt, den Häuptern dieser Familien mehr Ruhe zu geistiger Arbeit blieb, so konnten sie begreiflicherweise all ihr Tun und Lassen besser überlegen und erwägen als die in ewigen Fehden liegenden Nachbarn, und hierdurch waren sie mit den Jahren in der ganzen Umgegend solcher Abtei in den Ruf von Schlauheit und Pfiffigkeit gekommen, während sie anderseits zufolge des verhältnismäßig größern Wohlstandes, in welchem sie sich befanden, und der geringeren Gelegenheit, sich kriegerisch zu betätigen, keinen günstigen Ruf als mutige, unternehmungslustige Männer genossen. Sie hielten sich auch möglichst untereinander, heirateten gemeinhin nur aus einem Abteidorf ins andre und hatten vor nichts anderm in der Welt größere Bange, als in die verderblichen Fehden und die unaufhörlichen Aergernisse und Zwistigkeiten der weltlichen Lehnsleute verwickelt zu werden.

So beschaffen war im großen und ganzen der Zustand dieser Abteigemeinden, die aber in den verhängnisvollen Unruhen, die in die Regierungsjahre der Königin Maria fielen, infolge von feindlichen Einfällen furchtbar gelitten hatten. Die protestantischen Engländer waren so wenig geneigt, katholisches Klerisei-Gut zu schonen, daß sie darin noch weit schlimmer hausten als in jedem weltlichen Besitztum. Der im Jahre 1550 zwischen den beiden Nachbarreichen geschlossene Frieden hatte den unglücklichen Landstrichen wieder einige Ruhe verschafft, und es hatte sich allmählich alles wieder ins alte Gleis zurückgefunden. Die Mönche hatten ihre zerstörten Kapellen wieder angefangen aufzubauen, und die kleinen Vasallenfesten, die von den englischen Söldnern in Schutt und Asche gelegt worden waren, erstanden nacheinander wieder zu neuer Blüte. Der Ackersmann schlug seine Hütte wieder auf, und aus den Einöden, wohin die Leute ihr Vieh getrieben hatten, kehrte langsam, was noch am Leben war, in die Dorfschaften zurück, die Felder wurden wieder bebaut, aus den Mooren wurde wieder Torf gefördert, die Wälder wurden wieder aufgeholzt, für neuen Wildstand wurde gesorgt, und so zog wieder, wie für die andern Abteien im schottischen Reiche, auch für das Sankt Marien-Kloster zu Kennaqhueir und für die zu ihm gehörige und von ihm abhängige Gemeinschaft voll Lehnsleuten und Hörigen Ruhe und Frieden ein und währte manches glückliche Jahr, so lange es der Geist der Zeit und die Lage des Volkes vergönnten.


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