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Achtes Kapitel.

November-Nebel lag in dem kleinen Tale, durch das der Mönch Eustachius gemächlich ritt. Die Schwermut, von der die Landschaft der Jahreszeit entsprechend erfüllt war, ging auch auf ihn über. Es klang, als murmelte der Fluß in tiefen, leidvollen Tönen, um den scheidenden Herbst klagend. Das welke Laub am Boden stob unter den Tritten des Maultieres raschelnd auseinander. Der Mönch sank in tiefes Sinnen, und wenn er ab und zu aufschaute, war es ihm, als wenn eine weißgekleidete Frauengestalt in der Haltung einer Leidtragenden am Wasserrande stehe.

Aber es war, immer nur ein augenblickliches Empfinden; wenn er genauer hinsah, war es immer ein alltäglicher Gegenstand – ein weißlicher Stamm, oder der Stumpf einer Birke mit silberner Rinde – statt der vermeintlichen Erscheinung.

Vater Eustachius war zu lange in Rom gewesen, um die abergläubischen Ansichten der im allgemeinen weit unwissenderen schottischen Geistlichen zu teilen. Aber dennoch murmelte er unwillkürlich seine Gebete, der Vorschrift des Ordens gemäß, bis er sich im Schutze der Feste Glendearg befand.

Frau Glendinning stand am Tore, und als sie den guten Vater erblickte, stieß sie einen Ruf der Freude und des Erstaunens aus.

»Martin! Kaspar!« rief sie. »Wo steckt nur das Volk? Seid doch dem hochwürdigen Herrn Unterprior behilflich beim Absteigen und nehmt Euch seines Maultieres an! Euch hat Gott uns in der Not geschickt! Eben wollte ich einen Reiter nach dem Kloster schicken und Euer Hochwürden bitten lassen, Euch herzubemühen.«

»Keine Rede von Mühe, gute Frau,« sagte Vater Eustachius. »Womit kann ich Euch dienen? Ich bin hergekommen, um die Lady von Avenel zu besuchen.«

»Da trefft Ihrs gut,« antwortete Frau Elspath, »denn gerade ihretwegen habe ich Euch herrufen wollen. Ist es Euch gefällig, in ihr Gemach zu gehen?«

»Hat sie nicht dem Vater Philipp gebeichtet?« fragte der Mönch.

»Das hat sie allerdings,« versetzte die Hausfrau von Glendearg, »aber ich wünschte nur, es wäre auch eine vollständige Beichte gewesen. – Vater Philipp hat freilich ein ganz nachdenkliches Gesicht dazu gemacht – und dann ist hier ein Buch gewesen, das er mitgenommen hat und das –«

Sie hielt inne, als wolle sie es vermeiden, mehr zu sagen.

»Vollendet, Frau Glendinning,« sagte der Mönch, »vor uns dürft Ihr keine Geheimnisse haben.«

»Mit Verlaub, Euer Ehrwürden,« antwortete die Frau, »es ist nicht an dem, daß ich vor Euer Ehrwürden das Geringste geheim halten wollte, aber ich fürchte, ich möchte Euer Ehrwürden eine schlechte Meinung von der Lady beibringen, und sie ist doch eine ausgezeichnete Dame. Monate – ja jahrelang hat sie hier im Turme gewohnt, und niemand kann einen musterhaftern Lebenswandel haben – aber was die bewußte Angelegenheit betrifft, so wird sie ohne Zweifel sich Euer Ehrwürden selber anvertrauen.«

»Zuvörderst möchte ich es aber doch von Euch erfahren,« wiederholte der Mönch, »es ist Eure Pflicht, es mir zu sagen.«

»Mit Verlaub, Euer Ehrwürden,« sagte die Witwe, »das Buch, das Vater Philipp von Glendearg mitgenommen hatte, hat sich heute früh auf wundersame Weise wieder angefunden.«

»Wieder angefunden?« fragte der Mönch. »Was wollt Ihr damit sagen?«

»Ich will sagen,« erwiderte Frau Glendinning, »das Buch ist wieder nach Glendearg zurückgekommen – mögen die Heiligen wissen, auf welche Weise. Und gestern hatte es doch der Vater Philipp mitgenommen. Und heute morgen hat das junge Volk beim Spielen auf der Weide eine weiße Frau am Brunnen sitzen sehen, die die Hände gerungen hat. Die Kinder sind erschrocken, wie sie das fremde Frauenzimmer erblickt haben, aber eins hat sich doch ein Herz gefaßt und ist auf sie zugegangen – und da war sie mit einemmal verschwunden –«

»Ei, schämt Euch, gute Frau,« sagte Eustachius, »Ihr seid doch sonst eine so vernünftige Frau und achtet auf solche Märchen? Was junge Volk hat Euch einen Bären aufgebunden, das ist das Ganze.«

»Nein, Herr, das ist es nicht,« erwiderte die alte Frau, »die Kinder haben mich erstens noch nie belogen, und zweitens haben sie auf demselben Fleck, wo die weiße Frau gesessen hat, das Buch gefunden und mit in den Turm gebracht.«

»Das ist allerdings sonderbar,« sagte der Mönch. »Wißt Ihr nichts davon, daß etwa in diesem Bezirk noch ein zweites Exemplar dieses Drucks existiert?«

»Nein, Euer Ehrwürden,« erwiderte, Elspath, »und was sollten wir denn damit? drin lesen könnte ja doch niemand, und wenn wir zwanzig hätten.«

»Ihr seid also der Ueberzeugung, daß es dasselbe Buch ist, das Ihr dem Vater Philipp übergeben habt?« fragte der Mönch.

»So gewiß ist es dasselbe, wie ich jetzt mit Euer Ehrwürden rede,« war die Antwort.

»Sehr sonderbar,« sagte der Mönch und schritt nachdenklich in dem Gemache auf und ab.

»Wie auf Brennnesseln hab ich gesessen, so sehr hat michs danach verlangt zu hören, wie Euer Ehrwürden über den Vorfall denken,« fuhr Frau Glendinning fort. »Ich täte wohl alles für die Dame von Avenel – und das hab ich ja auch bewiesen – aber ich meine, wenn eine Dame sich im Hause einer andern Frau aufhält, dann schickt es sich nicht, daß Engel, Feen, Geister oder so was Aehnliches mit ihr umgehen. Das bringt einen nicht in guten Ruf. Aber ich habe den Kindern rote Fäden um den Hals gebunden und ihnen einen Eschenzweig in die Jacken genäht, – mehr kann doch eine verlassene Frau nicht tun, um die Geister von sich abzuhalten, nicht wahr, Euer Ehrwürden?«

»Frau Glendinning,« antwortete der Mönch, »kennt Ihr die Tochter des Müllers?«

»Ob ich Käthe Happer kenne?« erwiderte die Witwe. »Ei, so genau, wie der Bettler seinen Sack kennt. Käthe war ein schmutziges Frauenzimmer, und besonders vor zwanzig Jahren ist sie näher mit mir bekannt gewesen.«

»Das kann nicht das Mädchen sein, von dem ich spreche,« entgegnete Vater Eustachius. »Die Dirne, nach der ich hier frage, kann kaum fünfzehn Jahre alt sein. Ein Mädel mit schwarzen Augen – gewiß habt Ihr sie schon in der Kirche gesehen.«

»Das ist die Nichte von der Käthe, da haben Euer Ehrwürden recht. Aber, Gott sei Dank, ich bin immer zu andächtig im Gottesdienst, als daß ich merken sollte, ob die Mädchen blaue oder schwarze Augen haben.«

Der gute Vater lächelte, als Frau Glendinning so feierlich ihren Widerstand gegen eine Versuchung beteuerte, die für sie freilich weniger gefährlich war, als für die männlichen Kirchenbesucher.

»Aber Ihr wißt vielleicht wie das Mädchen sich kleidet?« fragte er.

»Ei gewiß, guter Vater,« versetzte die Frau, »sie hat wohl immer ein weißes Röcklein an, wahrscheinlich damit man den Mehlstaub nicht so soll sehen können – und sie trägt eine blaue Haube, aber wohl bloß aus Koketterie, denn die ließe sich wohl entbehren.«

»Nun, sollte nicht dieses Mädchen das Buch wiedergebracht haben und weggelaufen sein, als die Kinder sich ihr näherten?« fragte der Mönch.

Die Frau schwieg – sie wollte dem Mönch nicht widersprechen – aber es war ihr nicht verständlich, aus welchem Grunde sich das Müllermädchen so weit von der Heimat entfernen und in einen abgelegenen Winkel wagen sollte, bloß um drei Kindern, vor denen sie doch verborgen bleiben wollte, ein altes Buch wiederzugeben. Es war ihr auch nicht erklärlich, warum das Mädchen nicht, da Frau Glendinning doch mit der Familie bekannt war, sich bei ihr aufgehalten, ausgeruht und etwas zu sich genommen hätte.

Aber gerade diese Einwürfe überzeugten den Mönch nur noch mehr, daß er mit seiner Vermutung recht habe.

»Nun will ich die Dame sprechen,« sagte er, »doch geht erst hinein und bereitet sie auf meinen Besuch vor.«

Nach einer Weile, während der Mönch in tiefem Sinnen hin und her gegangen war und sich überlegt hatte, wie er sich wohl der schweren Pflicht, die ihm auferlegt war, mit Erfolg entledigen könne – kehrte Frau Glendinning mit Tränen in den Augen zurück und winkte ihm, daß er ihr folgen solle.

»Wie?« fragte der Mönch. »Steht ihr Ende so nahe bevor? – Nun, die Kirche darf nicht wüten und verwunden, sobald sie noch trösten kann.«

Und er vergaß seinen Eifer und eilte in das kleine Gemach, wo auf dem kargen Lager, das ihr im Turme von Glendearg hergerichtet war, die Witwe Walters von Avenel eben ihre Seele ausgehaucht hatte.

»Vater im Himmel!« rief der Unterprior. »So ist sie infolge meines unglückseligen Zögerns ohne den Trost der Kirche dahingegangen? Seht doch zu, Frau,« setzte er in großer Unruhe hinzu, ob kein Funke von Leben mehr in ihr ist! Kann sie nicht mehr zum Bewußtsein gebracht werden? – und sei es auf wenige Minuten? Ist kein Odem mehr in ihr?«

»Nie wieder wird sie Odem haben,« sagte die Frau des Hauses. »Ach, des armen vaterlosen Mädchens! sie ist nun ganz verwaist! und die gütige Gefährtin, die ich so viele Jahre um mich hatte, soll ich nun nie wiedersehen! Aber wenn eine Sterbliche in den Himmel kommt, so wird sie in den Himmel kommen, das ist gewiß – denn eine Frau, die einen bessern Lebenswandel –«

»Wehe mir!« rief der Mönch, »wenn sie nicht in froher Zuversicht von hinnen gegangen ist! Wehe dem pflichtvergessnen Schäfer, der es geschehen ließ, daß der Wolf ein Schaf aus der Hürde wegtrug, während er seine Zeit damit vergeudete, die Schleuder und den Stab zu säubern, womit er das Ungeheuer bekämpfen wollte! Ach, wenn im unendlichen Jenseits diese arme Seele das Heil nicht findet, was habe dann ich verschuldet, indem ich gezögert habe? Den schweren Verlust einer unsterblichen Seele!«

Er trat, erfüllt von Gewissensbissen, an den Leichnam, der mit einem friedlichen Lächeln auf den dünnen Lippen dalag. Dann forderte er Frau Elspath auf, alles, was sie über den Lebenswandel der Toten wisse, ihm zu erzählen. Da hörte er denn nichts als Lobenswertes, und er lauschte begierig auf alles, was ihm die Gewißheit geben konnte, daß die Dame wenigstens in den Hauptgrundsätzen rechtgläubig geblieben sei. Eine Stunde etwa verweilte der Mönch noch allein bei der Leiche und betete, dann kehrte er in die Halle zurück, wo er die Freundin der Verstorbenen noch immer in Tränen fand. Sie hatte ein Mahl für ihn bereitet, das er aber mit den Worten ablehnte:

»Ich darf heute bis Sonnenuntergang keine Speise zu mir nehmen, denn ich muß sühnen, was ich durch Nachlässigkeit verschuldet habe. Aber, liebe Frau,« setzte er hinzu, »ich darf in meiner Sorge um den Leichnam nicht vergessen, das Buch mitzunehmen, welches für die Unwissenden dasselbe ist, was für die Stammeltern des Menschen der Baum der Erkenntnis war – das heißt, an sich vortrefflich, aber schädlich und verderblich, wenn es diejenigen gebrauchen, denen es verboten ist.«

»Mit Freuden, ehrwürdiger Vater,« erwiderte die Witwe Simon Glendinnings. »Ich will Euch das Buch geben, wenn ich es nur den Kindern wegnehmen kann, aber freilich, sie schwimmen jetzt in Tränen, und man könnte ihnen wohl das Herz aus dem Leibe nehmen, ohne daß sie es gewahrten.«

Der Mönch rief nach seinem Maultiere und wollte Abschied nehmen, als eben ein Ritter in voller Rüstung und Bewaffnung in den kleinen Hof, der den Turm umgab, hereingeritten kam.


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