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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

»Ich wünschte mit Euch unter vier Augen zu sprechen.«

Die Worte waren an sich einfach, aber Lord Leicester war in so fieberhafter Erregung, daß er hinter den alltäglichsten Ereignissen Unheil witterte. Er wandte sich hastig zu dem Manne, der ihn ansprach. Er hatte nichts Absonderliches an sich, trug ein Wams von schwarzer Seide, einen kurzen Mantel und eine schwarze Maske vorm Gesicht.

»Wer seid Ihr, und was wollt Ihr von mir?« fragte Leicester.

»Nichts Böses, Mylord,« antwortete die Maske, »sondern nur etwas, was zum Guten und zur Ehre gedeihen kann, wenn Ihr nur meine Absicht recht versteht. Aber ich muß mit Euch ganz allein sprechen.«

»Ich kann mit keinem namenlosen Fremden sprechen,« antwortete Leicester, von einem geheimen Entsetzen vor dem Verlangen des Fremden erfüllt, »und die mich kennen, müssen sich eine andre gelegnere Zeit zu einer Unterredung aussuchen.«

Er wollte hinwegeilen, aber die Maske hielt ihn zurück.

»Wer mit Eurer Lordschaft von dem spricht, was Eure Ehre erheischt, hat ein Recht über Eure Zeit zu verfügen, was für Beschäftigungen Ihr auch um seinetwillen aufschieben müßt.«

»Wie! Meine Ehre? Wer wagts, sie anzutasten?« sagte Leicester.

»Euer eignes Benehmen könnte Gründe, sie anzuklagen, an die Hand geben, Mylord, und gerade darüber wollte ich mit Euch reden.«

»Ihr seid unverschämt,« sagte Leicester, »und mißbraucht die Freiheit, die die Gastlichkeit allen hier gewährt. Ich will Euern Namen wissen.«

»Edmund Tressilian von Cornwallis,« antwortete die Maske. »Meine Zunge ist vierundzwanzig Stunden lang durch ein Versprechen gebunden gewesen – die Zeit ist um – ich spreche jetzt und erweise Eurer Lordschaft die Gerechtigkeit, mich zuerst an Euch zu wenden.«

Das jähe Erstaunen, das Leicesters innerstes Herz durchdrang, als er diesen Namen von der Stimme des Mannes genannt hörte, den er am meisten haßte und von dem er sich so tief beleidigt wähnte, zwang ihn für einen Augenblick in starre Regungslosigkeit hinein – gleich darauf aber wich es einem so heißen Durst nach Rache, wie der Pilger in der Wüste nach Wasser empfindet. Ihm blieb nur noch so viel Verstand und Geistesgegenwart, dem dreisten Schurken nicht auf der Stelle ins Herz zu stoßen, der ihn ins Verderben gebracht hatte und nun auch noch mit so frecher Stirn sein Spiel mit ihm trieb.... Aber er war entschlossen, für den Augenblick sich seine wilde Erregung nicht merken zu lassen, um Tressilians Vorhaben ganz zu durchschauen und sich seine eigne Rache zu sichern – daher antwortete er mit erzwungner Ruhe:

»Und was begehrt Junker Edmund Tressilian von mir?«

»Gerechtigkeit, Mylord,« antwortete Tressilian, ruhig aber fest.

»Gerechtigkeit,« sagte Leicester, »alle Menschen haben Anspruch darauf, Ihr vor allen, Junker Tressilian, und seid versichert, sie soll Euch werden.«

»Ich erwarte nichts weniger von Eurem Edelsinn,« antwortete Tressilian, »aber die Zeit drängt, und ich muß Euch heute abend sprechen. Darf ich Euch auf Eurem Zimmer aufsuchen?«

»Nein,« versetzte Leicester barsch, »nicht unter einem Dach – und gar unter meinem eignen Dache – wir wollen uns unterm freien Himmelsgewölbe treffen.«

»Ihr seid verstimmt, Mylord, oder schlecht auf mich zu sprechen,« erwiderte Tressilian, »doch liegt kein Anlaß vor, weshalb Ihr mir grollen solltet. Der Ort gilt mir gleich, so Ihr mir nur eine halbe Stunde ungestörter Rücksprache gönnt.«

»Es wird eine kürzere Zeit genügen, glaub ich,« antwortete Leicester. »Trefft mich im Lustgarten, wenn die Königin sich auf ihr Zimmer begeben hat.«

»Einverstanden,« sagte Tressilian und zog sich zurück, während durch Leicesters Seele eine Art Entzücken ging. »Der Himmel,« sagte er zu sich selber, »ist mir wenigstens günstig und gibt mir den Elenden in die Hand, der mich in diese tiefe Schande gestürzt hat!«

An Elisabeths Seite fuhr Leicester fort, seine Rolle geistreich zu spielen, so schwere Seelenangst auch auf ihm lastete. Elisabeth fühlte sich in seiner Gesellschaft so wohl, daß die Schloßglocke Mitternacht schlug, ehe sie sich zurückzog, ein bei ihrer ruhigen und regelmäßigen Zeiteinteilung ungewöhnlicher Vorfall. Ihr Aufbruch war natürlich das Zeichen zu allgemeinem Abschluß des Festtages, und die Gesellschaft begab sich an die verschieden Ruheplätze, um von der Kurzweil des verwichnen oder von den Freuden des morgenden Tages zu träumen.

Der unglückliche Schloßherr und Gastgeber des rauschenden Festes zog sich in ganz andern Gedanken zurück. Er befahl dem Diener, der ihm aufwartete, auf der Stelle Varney zu ihm zu schicken. Der Diener kam zurück und meldete, Sir Richard Varney hatte das Schloß durch die Hinterpforte mit drei andern Personen, von denen eine in einer von Pferden getragnen Sänfte sich befunden habe, verlassen.

»Ich glaubte, er werde bis Tagesanbruch warten,« sagte Leicester; »ist keiner von den Dienern zurückgeblieben?«

»Michael Lambourne, Mylord,« sagte sein Kammerdiener, »war nicht zu finden, als Ritter Richard Varney aufbrach; sein Herr war sehr erzürnt, daß er nicht zur Stelle war. Eben sah ich, daß er sein Pferd sattelte, um ihm nachzugaloppieren.«

»Heiß ihn sofort hierherkommen,« sagte Leicester, »er soll etwas an seinen Herrn bestellen.«

Der Diener verließ das Zimmer und Leicester schritt ein Weilchen in tiefem Sinnen hin und her.

»Varney ist übereifrig,« sagte er, »er hat es allzu eilig. Er liebt mich – aber er verfolgt auch seine eignen Zwecke dabei – und verfolgt sie unerbittlich. – Wohl! sie soll bestraft werden, aber es soll mit mehr Besonnenheit geschehen. Ich fühle schon die Ahnung, übergroße Eile würde die Flammen der Hölle in meinem Busen entfachen. Nein! – ein Opfer ist genug auf einmal, und dieses Opfer harrt meiner schon.«

Er ergriff das Schreibzeug und warf in Eile die Worte hin:

»Ritter Richard Varney! – Wir haben uns entschlossen, die Eurer Sorgfalt anvertraute Angelegenheit, aufzuschieben und befehlen Euch aufs strengste, in Beziehung auf die Gräfin nichts weiter vorzunehmen, bis unsre nähern Befehle einlaufen werden. Wir befehlen ferner Eure augenblickliche Rückkehr nach Kenilworth, sobald Ihr die Euch Anvertraute sicher untergebracht habt. Sollte Euer derzeitiger Auftrag Euch länger zurückhalten, als wir denken, so gebieten wir, uns Siegelring zurückzuschicken durch einen zuverlässigen Eilboten, denn wir brauchen ihn dringend. Strengen Gehorsam in diesen Dingen von Euch fordernd und Euch Gottes Huld anempfehlend, verbleiben wir

Euer guter Freund und Herr R. Leicester.«

Gegeben auf unserm Schlosse Kenilworth, am 10. Juli im Jahre des Heils 1575.

Als Leicester diese Order geschrieben und gesiegelt hatte, trat Michael Lambourne, vom Diener eingelassen, herein, gestiefelt und gespornt, mit einem Reitmantel, einem breiten Gürtel und einer Filzkappe, ganz wie ein Kurier.«

»Was für Dienst hast Du zu versehen?« fragte der Earl.

»Ich bin Stallmeister beim Stallmeister Eurer Lordschaft,« antwortete Lambourne mit seiner gewohnten Unverschämtheit.

»Zügle Deine kecke Zunge, Bursche,« sagte Leicester; »wie bald kannst Du Deinen Herrn eingeholt haben?«

»In einer Stunde, Mylord, wenn Mann und Pferd stand halten,« sagte Lambourne, indem er an Stelle seiner mißglückten Vertraulichkeit die tiefste Ehrfurcht annahm.

»Bring diesen Brief rasch und zuverlässig in Ritter Richard Varneys Hände!«

»Reicht mein Auftrag nicht weiter?« fragte Lambourne.

»Nein,« antwortete Leicester, »aber es liegt mir sehr viel daran, daß er sorgfältig und rasch vollzogen werde.«

»Ich will es weder an Sorgfalt fehlen lassen, noch Pferdefleisch schonen,« antwortete Lambourne und verabschiedete sich sogleich.

»Das ist also das Ende meiner Privataudienz, von der ich so viel erhofft habe!« brummte er vor sich hin, als er durch den langen Gang ging und die Treppe hinunter stampfte. »Gott verdamm mich! ich hatte darauf gerechnet, daß der Graf sich in irgend einem geheimen Anschlag meiner bedienen wollte – und die ganze Sache ist weiter nichts wie die Bestellung eines Briefes. Na, gemacht werden solls trotzdem, Das Kind muß kriechen, ehe es laufen kann, und der Neuling im Hofdienst auch. Ich will doch aber mal einen Blick in den Brief hineinwerfen, den er so nachlässig gesiegelt hat.«

Als er es getan hatte, schlug er die Hände zusammen und rief entzückt:

»Die Gräfin! die Gräfin! – Nun hab ich das Geheimnis, das mein Glück machen oder mich ruinieren soll!«

Lambourne und der Kammerdiener hatten kaum das Zimmer verlassen, so begann Leicester seine Kleidung gegen ein ganz schlichtes Gewand umzutauschen, warf den Mantel um, ergriff eine Lampe und ging durch den geheimen Verbindungsgang nach einer kleinen Hinterpforte, die in den Hof führte, ganz in der Nähe des Eingangs zum Lustgarten. Der Vollmond warf jetzt sein Licht herab, daß es fast tageshell war. Die weißen Marmorstatuen glänzten in dem blassen Licht, wie weiß verhüllte, den Gräbern entstiegne Geister, und die Springbrunnen sandten ihre Wasserstrahlen empor, als trachteten sie, ihr Wasser von dem Mondlicht bestrahlen zu lassen, ehe sie in Schauern von funkelndem Silber in ihre Becken niedersanken.

An ganz andre Dinge als an Mondlicht und Wasserfall denkend, schritt der erhabne Leicester langsam von einem Ende der Terrasse zum andern, dicht in den Mantel gehüllt, das Schwert unterm Arme.

Endlich erblickte er eine männliche Gestalt, die langsam auf ihn zukam. Als sie sich gegenüber standen, machte Tressilian eine tiefe Verbeugung, die der Earl mit stolzem Kopfnicken erwiderte, wobei er begann:

»Ihr habt mich um eine Unterredung gebeten, Herr, hier bin ich und bin ganz Ohr.«

»Mylord,« sagte Tressilian, »es ist mir so sehr ernst um das, was ich zu sagen habe, und es liegt mir soviel daran, ein geduldiges, nein, günstiges Ohr zu finden, daß ich mich dazu bereit finde, mich gegen all das zu verteidigen, weshalb Euer Lordschaft mir unfreundlich gesonnen sein möchte. Ihr haltet mich für Euern Feind?«

»Habe ich dazu nicht triftigen Grund?« antwortete Leicester, da er sah, daß Tressilian innehielt und auf eine Antwort wartete.

»Ihr tut mir unrecht, Mylord. Ich bin wohl ein Freund des Earls of Sussex, doch mit nichten ein Anhänger seiner Partei, und seit einiger Zeit kümmre ich mich um das Hofleben und seine Intrigen nicht mehr, da sie weder meinem Temperament noch meinem Geiste zusagen.«

»Glaubs gern,« antwortete Leicester; »es gibt andre Beschäftigungen, die eines Gelehrten würdig sind – und für einen solchen hält ja die Welt den Junker Tressilian. Schließlich hat, wie der Ehrgeiz, auch die Liebe ihre Intrigen.«

»Ich bemerke, Mylord,« entgegnete Tressilian, »Ihr legt noch immer großes Gewicht auf mein früheres Verhältnis zu der unglücklichen jungen Dame, von der ich sprechen will, und Ihr denkt vielleicht, ich nähme mich ihrer Sache mehr aus Eifersucht als aus bloßem Gerechtigkeitssinne an.«

»Einerlei, was ich denke,« sagte der Earl, »fahrt fort. Ihr habt bisher nur von Euch selber gesprochen – ohne Zweifel – – ein wichtiges und würdiges Thema, das aber doch am Ende mich nicht so tief interessieren kann, daß ich mir deshalb die Nachtruhe soll entgehen lassen. Erspart mir weitre Vorreden, Herr, und kommt zur Sache, wenn Ihr in der Tat etwas zu sagen, habt, was mich angeht. Wenn Ihr fertig seid, habe ich meinerseits ein Wörtchen zu reden.«

»So will ich denn ohne weitres zur Sache kommen, Mylord,« antwortete Tressilian; »und da es Eurer Lordschaft Ehre betrifft, werdet Ihr Eure Zeit nicht für vergeudet achten, indem Ihr mir zuhört. Ich habe ein Gesuch an Eure Lordschaft wegen der unglücklichen Amy Robsart, deren Geschichte Euch nur zu wohl bekannt ist. Ich bedaure es tief, daß ich nicht von vornherein gleich diesen Weg eingeschlagen und Euch zum Richter zwischen mir und dem Schurken aufgerufen habe, von dem sie beleidigt worden, geschändet worden ist. Mylord, sie hat sich selber aus einer widerrechtlichen und mit Gefahren für sie verbundnen Einkerkerung befreit im Vertrauen auf den Eindruck, den ihr persönlicher Widerspruch auf ihren unwürdigen Ehemann machen würde, und sie hat mir ein Versprechen abgenommen, daß ich nicht zu ihren Gunsten mich einmischen wolle, in dem Bemühen, ihre Rechte geltend zu machen.«

»Ha!« sagte Leicester, »denkt daran, mit wem Ihr sprecht.«

»Ich spreche von ihrem unwürdigen Mann, Mylord,« wiederholte Tressilian, »und bei aller Hochachtung kann ich nicht geringre Worte brauchen. Die unglückliche junge Frau ist jetzt versteckt worden, wohin weiß ich nicht, aber jedenfalls an irgend ein einsames Versteck, wo sich besser schlimme Pläne ausführen lassen. Das muß geändert werden, Mylord, – ich sage das als Bevollmächtigter ihres Vaters – und diese unglückselige Heirat muß vor der Königin anerkannt und nachgewiesen werden, die Dame muß von jedem Zwange befreit und ihr wieder volle Selbständigkeit eingeräumt werden. Und erlaubt mir zu sagen, daß an der Erfüllung dieser höchst gerechten Forderungen die Ehre Eurer Lordschaft in hervorragendem Maße, mehr als die irgend eines andern unter den Beteiligten, interessiert ist.«

Der Graf stand wie versteinert, als er den Mann, von dem er sich so tief beleidigt wähnte, mit so großer Gelassenheit die Sache seiner strafbaren Geliebten verfechten hörte, als wäre sie ein unschuldiges Weib und er der uneigennützige Fürsprecher. Es nahm ihn im höchsten Maße wunder, daß Tressilian mit solcher Wärme den Rang für sie forderte, den sie entehrt hatte, die Vorteile für sie in Anspruch nahm, die sie ohne Zweifel mit dem Liebhaber teilen sollte. Tressilian hatte ein Weilchen schon geschwiegen, ehe der Graf sich von seiner Verblüffung erholte.

»Ich habe Euch angehört, Junker Tressilian,« sagte dieser jetzt, »ohne Euch zu unterbrechen, und ich danke Gott, daß meine Ohren noch nie zuvor von den Worten eines so dreisten, abgefeimten Schurken geklungen haben. Freilich kommt es eher der Geißel eines Henkers zu, Euch zu züchtigen, als dem Schwerte eines Edelmannes, doch trotzdem – Schurke, zieh und wehr Dich Deines Lebens!«

Mit diesen Worten ließ er den Mantel fallen, versetzte Tressilian mit dem noch in der Scheide steckenden Degen einen heftigen Stoß, zog blank und ging sofort in Fechterstellung. Die wilde Wut seiner Rede erfüllte zuerst Tressilian seinerseits mit ebenso großem Erstaunen, wie es Leicester über seine Worte empfunden hatte. Aber das Erstaunen wich auf der Stelle dem Zorn, als den unverdienten Beleidigungen ein Schlag folgte, der sofort jeden andern Gedanken, als den an augenblicklichen Zweikampf verjagte. Tressilians Schwert war im Nu aus der Scheide, und wenn er vielleicht auch im Gebrauch der Waffe Leicester nicht gewachsen war, so verstand er doch sie so gut zu führen, daß der Kampf mit hohem Mute begann, um so mehr, als er vorderhand der ruhigere von beiden war, – denn er konnte nicht umhin, Leicesters Verhalten aus tatsächlichem Wahnsinn oder einer schweren Täuschung zu erklären.

Ein paar Minuten kämpften sie mit gleicher Gewandtheit und gleichem Glück, bis bei einem heftigen Ausfall, den Leicester erfolgreich parierte, Tressilian sich eine Blöße gab. Der Graf schlug ihm den Degen aus der Hand und streckte ihn zu Boden. Mit einem grimmigen Lächeln hielt er die Spitze seines Rapiers seinem gefallnen Gegner an die Kehle, stellte ihm den Fuß auf die Brust und hieß ihn die an ihm verübten bübischen Schandtaten bekennen und sich zum Tode bereiten.

»Ich habe keine Schandtaten, nicht einmal ein Unrecht zu bekennen, das ich an Euch verübt hätte,« antwortete Tressilian, »und bin besser zum Tode bereitet als Ihr. Braucht Euern Vorteil, wie Ihr wollt, und möge Gott Euch vergeben! Ich habe Euch hierzu keine Veranlassung gegeben.«

»Keine Veranlassung!« rief der Graf aus, »keine Veranlassung! – doch warum rede ich erst noch mit solch einem Sklaven? – Stirb als Lügner, der Du Dein Leben lang gewesen bist!«

Er hatte den Arm zurückgezogen, um den Todesstoß zu tun – da wurde er plötzlich von hinten festgehalten.

Voller Wut drehte der Earl sich um, das unerwartete Hindernis abzuschütteln, und sah zu seiner Verwunderung, daß ein seltsamer Knabe ihm in den Arm gefallen war und ihn mit solcher Hartnäckigkeit festhielt, daß er ihn nur mit großer Anstrengung von sich abwehren konnte. Inzwischen hatte Tressilian sich erhoben und seine Waffe wieder ergriffen. Leicester wandte sich mit einem Ausdruck ungeschwächter Wildheit gegen ihn, und der Kampf hätte mit größrer Verzweiflung auf beiden Seiten wieder begonnen, hatte nicht der Junge sich an Leicesters Knie geklammert und ihn in schrillem Tone beschworen, ihn nur einen Augenblick anzuhören, ehe er weiter föchte.

»Steh auf und laß mich los!« sagte Leicester, »sonst beim Himmel durchstoß ich Dich mit diesem Rapier! Wie kommst Du dazu, meiner Rache in den Weg zu treten!«

»Ich muß! ich muß!« rief der unerschrockne Knabe. »Meine Torheit hat ja den Anlaß zu diesem blutigen Streite zwischen Euch herbeigeführt. Und vielleicht gar noch schlimmeres Unheil. O, wenn Ihr je wieder den Frieden eines unschuldigen Gemüts zu genießen hofft, wenn Ihr je wieder in Ruhe und ohne die Qual der Gewissensbisse zu schlummern hofft, dann nehmt Euch nur soviel Zeit, diesen Brief zu lesen, und dann handelt, wie Ihr es für gut haltet.«

Mit diesen Worten, die er in ernstem, dringendem Tone vorbrachte, und die durch das Mienenspiel seines absonderlichen Gesichtes einen gespenstischen Nachdruck erhielten, hielt er Leicester ein Päckchen hin, das mit einer langen Flechte von schönem, hellbraunem Frauenhaar zugebunden war. Außer sich vor Ingrimm, ja fast blind vor Wut, seine geplante Rache so seltsam vereitelt zu sehen, konnte doch der Earl of Leicester diesem absonderlichen Bittsteller nicht widerstehen. Er riß ihm den Brief aus der Hand, sah die Aufschrift und erblaßte – löste mit zitternder Hand den Knoten, der das Schreiben zusammenhielt, – überflog den Inhalt und taumelte zurück und wäre hingestürzt, hätte nicht ein Baumstamm ihm Halt gegeben. Hier lehnte er ein Weilchen, das Auge auf den Brief geheftet, die Schwertspitze gegen den Boden gekehrt, als habe er ganz die Gegenwart eines Gegners vergessen.

Tressilian indessen erkannte in dem Knaben seinen alten Bekannten Nickie, dessen Gesicht niemand so bald vergaß, der es einmal gesehen hatte; aber wie er hierher kam in einem so kritischen Moment, warum er in so energischer Weise eingegriffen hatte, und vor allem, wie es kam, daß seine Einmischung einen so mächtigen Eindruck auf Leicester machte, das waren Fragen, die er nicht enträtseln konnte.

Aber der Brief war an sich mächtig genug, noch wunderbarere Wirkung zu tun. Es war derselbe, den die unglückliche Amy an ihren Gatten geschrieben hätte, in welchem sie ihm erklärte, aus welchem Grunde und in welcher Weise sie aus Cumnorplace geflüchtet war, ihm mitteilte, daß sie nach Kenilworth gekommen sei, um sich seines Schutzes zu erfreuen, und ferner die Umstände anführte, die sie gezwungen hätten, in Tressilians Zimmer Zuflucht zu suchen, ihn gleichzeitig ernstlich bittend, ihr unverzüglich ein passenderes Obdach anzuweisen. Der Brief schloß mit den ernsthaftesten Versicherungen innigster Liebe und gänzlicher Unterwerfung unter seinen Willen in allen Dingen und mit der flehentlichen Bitte, nicht wieder unter die Obhut oder in die Gewalt Varneys gegeben zu werden.

Der Brief entfiel Leicester, als er ihn gelesen hatte.

»Nehmt meinen Degen,« sagte er, »Tressilian, und durchbohrt mir das Herz, wie ich eben jetzt das Eure habe durchbohren wollen.«

»Mylord,« sagte Tressilian, »Ihr habt mir schweres Unrecht getan, aber etwas in meiner Brust hat mir stets zugeflüstert, daß es aus grundsätzlichem Irrtum geschah.«

»Ja, aus Irrtum in der Tat!« rief Leicester und reichte ihm den Brief. »Man hat mich dahin gebracht, daß ich einen Ehrenmann für einen Schurken hielt und das reinste, beste Geschöpf für eine falsche, verworfne Metze! – Unglücksknabe, woher kommt dieser Brief jetzt erst, und wo hat der Ueberbringer sich herumgetrieben?«

»Ich getrau mich nicht, es Euch zu sagen, Mylord,« sagte der Junge und zog sich zurück, wie um sich seinem Bereich zu entziehen. – »Aber hier kommt der Bote selber.«

In diesem Augenblick kam Wieland herbei, und von Leicester befragt, berichtete er in Eile über die Flucht mit Amy, – die bübischen Taten, die sie zur Flucht getrieben hatten, – ihr dringendes Verlangen, sich unter den Schutz ihres Mannes selber zu begeben.

»Die Schurken!« rief Leicester. »Doch o! der schlimmste von allen, Varney! – und eben jetzt ist sie in seiner Gewalt!«

»Doch nicht – ich hoffe es zu Gott,« fiel Tressilian ein, »mit irgendwelchen Befehlen gefährlicher Art?«

»Nein, nein, nein!« rief der Earl rasch. »Ich sagte wohl etwas im Wahnsinn, aber ich habe es widerrufen, voll widerrufen durch einen Eilboten – und sie ist jetzt – sie muß jetzt in Sicherheit sein.«

»Ja,« sagte Tressilian, »sie muß in Sicherheit sein, und ich muß davon überzeugt sein, daß sie es ist. Mein Streit mit Euch ist beendet, Mylord; aber es hat ein andrer zu beginnen mit dem Verführer Amy Robsarts, der sein Verbrechen unter dem Mantel des schändlichen Varney versteckt hat.«

»Mit dem Verführer Amys?« wiederholte Leicester mit Donnerstimme. »Sagt, mit ihrem Gatten! – mit ihrem mißleiteten, blind gemachten, unwürdigen Gatten! Sie ist so gewiß Gräfin von Leicester, wie ich Graf bin. Gerechtigkeit soll ihr werden in jeder Weise.«

»Mylord,« entgegnete Tressilian ruhig, »ich will Euch nicht beleidigen und bin weit entfernt, Streit mit Euch zu suchen. Aber meine Pflicht gegen Sir Hugh Robsart zwingt mich, diese Sache unverzüglich vor die Königin zu bringen, damit der Rang der Gräfin in ihrer Gegenwart anerkannt werde,«

»Das werdet Ihr nicht nötig haben, Herr,« versetzte der Graf hochmütig. »Erdreistet Euchs ja nicht, Euch da hineinzumischen. Nur Dudleys Stimme soll Dudleys Schmach verkünden. – Elisabeth selber will ich es sagen, und dann nach Cumnorplace – es geht um Leben und Tod!« Mit diesen Worten eilte er davon.

»Nehmt mich mit, Herr Tressilian,« sagte der Knabe, als auch dieser sich zum Gehen anschickte, »meine Geschichte ist noch nicht zu Ende, und ich bedarf Eures Schutzes.«

Unterwegs gestand der Junge mit tiefer Zerknirschung, daß er, um sich an Wieland zu rächen, weil ihm dieser das Geheimnis der Lady nicht offenbart hatte, diesem den Brief entwendet hatte, den er in Amys Auftrag an den Grafen von Leicester hatte abgeben sollen. Er hatte ihn eigentlich bloß bis zum Abend behalten wollen, da er darauf rechnete, dann Wieland wiederzusehen, der ja bei dem Festspiele den Arion hatte spielen sollen. Wieland aber war nicht gekommen, da er ja inzwischen von Lambourne zum Schlosse hinausgejagt worden war. Er hatte weder Wieland noch Tressilian finden können, und da er einen Brief bei sich trug, der an keine geringre Person als den Grafen von Leicester gerichtet war, so begann er ernstlich zu befürchten, sein Streich möchte böse Folgen haben. Ein paarmal hatte er versucht, bei Leicester vorgelassen zu werden, allein sein schnurriges Gesicht und seine unscheinbare Erscheinung bewirkten stets, daß die unverschämten Diener ihn wieder abwiesen. Einmal aber hätte er doch bald das Glück, gehabt, als er beim Umherirren in der Grotte das Kästchen gefunden hatte, das, wie er wußte, der unglücklichen Gräfin gehörte – denn er hatte es auf der Reise in ihren Händen gesehen. Vergebens hatte er es versucht, es Tressilian oder der Gräfin zurückzugeben, und schließlich hatte er es Leicester selber in die Hand gegeben, den er in der Verkleidung unglücklicherweise nicht erkannt hatte.«

Endlich hatte der Knabe gehofft, sein Ziel zu erreichen, als er den Grafen nach dem Ausgang der Halle hatte gehen sehen. Er hatte ihn eben anreden wollen, als Tressilian ihm zuvorkam, und der Knabe hatte nun gehört, daß sie sich verabredet hatten, sich im Lustgarten zu treffen. So hatte er sich entschlossen, auch dorthin zu gehen, weil er darauf rechnete, dem Grafen beim Hin- oder Rückweg den Brief in die Hand drücken zu können.

Zu seiner großen Verwunderung hatte er während des Festspiels auch Wieland unter der Menge erblickt, zwar tief verkleidet, aber doch nicht geschickt genug, daß das scharfe Auge Dickies ihn nicht hätte erkennen sollen. Sie gingen miteinander und schütteten ihr Herz gegeneinander aus. Wer Junge gestand Wieland den ganzen Sachverhalt ein, und der Schmied erzählte ihm, wie sehr er um die unglückliche Dame besorgt sei und daß er in seiner Angst zurückgekehrt sei, weil er erfahren habe, daß Varney und Lambourne Kenilworth in der Nacht verlassen hätten.

So waren nun beide in den Lustgarten geeilt, und der schnellfüßige Dickie war vorweg gelaufen und kam gerade zur rechten Zeit, um Tressilian das Leben zu retten. Er war mit seinem Bericht gerade fertig, als sie am Galerieturm anlangten.


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