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Erstes Kapitel.

Während der kurzen Zeit, die zwischen dem Schlusse der Audienz und der Sitzung des Geheimen Rats lag, hatte Leicester Zeit, sich zu überlegen, daß er an diesem Morgen sein eignes Schicksal untersiegelt habe. »Es wäre ihm,« dachte er, »jetzt unmöglich, nachdem er angesichts des ganzen vornehmen Adels von England sich, wenn auch in zweideutiger Rede, für die Wahrheit der Varneyschen Aussage verbürgt hätte, sie zu widerrufen oder zu verleugnen, ohne sich selbst nicht bloß dem Verluste der Gunst des Hofes auszusetzen, sondern auch der höchsten Ungnade der Königin, seiner hintergangnen Gebieterin, und dem Spott und Hohn seines Nebenbuhlers und aller Vornehmen im Lande.« Diese Gewißheit überkam sein Gemüt zugleich mit all den Schwierigkeiten, denen er sich notwendigerweise aussetzen würde, wenn er ein Geheimnis hütete, das jetzt in gleicher Weise ausschlaggebend war für seine Sicherheit, seine Macht und seine Ehre. Er befand sich in einer Situation, wie jemand, der auf Eis Schlittschuh läuft, der alles Eis um sich her brechen sieht und keine andre Sicherheit für sich erblickt als festen, herzhaften Schrittes, ohne Zagen und Zaudern, weiter zu laufen. Die Gunst der Königin sich zu erhalten, der er so vieles zum Opfer gebracht, war jetzt für ihn Hauptsache; dazu mußte er alles aufbieten, durfte kein Mittel, keinen Weg scheuen, denn diese Gunst war die einzige Planke, die er in diesem Sturme betreten, auf der er Halt finden konnte! Er mußte deshalb alles daran setzen, sich die Parteilichkeit der Königin nicht bloß zu erhalten, sondern noch stärker auf seine Seite zu ziehen. Er mußte Elisabeths Günstling werden, oder er wurde schiffbrüchig an Ehre und Vermögen. Alle andern Erwägungen traten für den Augenblick in den Hintergrund, und die wilden Gedanken, die sein Gemüt bestürmten, wenn ihm Amys Bild vor das Auge trat, verjagte er energisch, indem er sich sagte, daß nachher Zeit genug sein werde, sich mit der Frage zu befassen, wie sich ein Ausweg aus dem Labyrinth schaffen lasse; der Lotse, der zu seinen Füßen eine Scylla sieht, sagte er bei sich, darf sich die Zeit nicht nehmen, an die in der Ferne drohenden Gefahren der Charybdis zu denken.

In dieser Stimmung nahm der Earl of Leicester an diesem Tage seinen Sitz in dem Geheimen Rat der Königin ein, und in derselben Stimmung, als die Amtsgeschäfte erledigt waren, auch den Ehrenplatz an ihrer Seite auf der Luftfahrt auf der Themse. Und niemals entfaltete er seine Gaben als Politiker ersten Ranges oder die ihm von der Natur verliehenen Talente eines vollendeten Höflings in höherm Glanze!

Der Zufall fügte es, daß an diesem Tage die Angelegenheiten der unglücklichen Maria Stuart in dem königlichen Geheimrate zur Sprache kamen, die nunmehr sieben Jahre in schmerzvoller Gefangenschaft gehalten wurde. Es waren Meinungen vor Elisabeths Rat gelangt, die zu gunsten dieser Fürstin sprachen und die mit nicht geringem Nachdruck von Sussex und andern Männern vertreten wurden, die das Völkerrecht und den Bruch des Gastrechts höher einschätzten als es, wenn auch in milder Form oder mit entschuldigenden Floskeln vorgebracht, den Ohren Elisabeths genehm zu hören war. Leicester vertrat mit Lebhaftigkeit die entgegengesetzte Ansicht und setzte beredt die Notwendigkeit auseinander, die Königin von Schottland nach wie vor in strenger Haft zu halten, sowohl um der, Sicherheit des Königreichs als um der persönlichen Sicherheit der Königin Elisabeth willen, denn ein Haar von dem geheiligten Haupte derselben müsse den Herren Lords höher stehen und Gegenstand ängstlicherer Fürsorge sein, als die Person ihrer unglücklichen Schwester von Schottland, die vergeblicher- und ungerechterweise zuerst die Hand ausgestreckt habe nach dem Throne von England, und auch jetzt noch, im Schoße ihres Landes wie auch anderwärts, die Hoffnung aller Feinde von Englands rechtmäßiger Königin sei. Leicester schloß seine Rede mit den Worten, daß er die hohen Räte um Verzeihung bitte, wenn er im Eifer der Rede irgendwem zu nahe getreten sei, aber die Sicherheit der Königin sei ein Thema, das ihn die Grenzen der Mäßigung immer vergessen lasse. Elisabeth verwies ihm, wenn auch in gelinden Worten, die ungebührliche Wichtigkeit, die er ihren persönlichen Interessen beimesse; doch ließ sie gelten, daß sie, seitdem es Gott dem Herrn gefallen habe, dieses ihr persönliches Interesse mit dem Wohl ihrer Untertanen zu vereinen, lediglich ihre Pflicht tue, wenn sie solche Maßregel der Selbsterhaltung träfe, wie sie durch die Verhältnisse und Umstände ihr aufgenötigt würden; und wenn der Rat in seiner Weisheit es für angemessen erachte, daß die Person ihrer unglücklichen Schwester von Schottland auch weiterhin in Haft gehalten werden müsse, so halte sie persönlich sich versichert, daß niemand sie um deswillen tadeln werde, daß sie die Gräfin von Shrewsbury ersuche, ihr alle Güte und Milde angedeihen zu lassen, die sich mit der Hut über ihre Person nur irgend vereinen lasse.

Noch nie war mit solcher Hast und solchem Eifer der Weg frei gemacht worden für den »hohen Lord von Leicester« als heute, wie er durch die gedrängt voller Leute stehenden Vorzimmer schritt, um Ihre Majestät zu ihrer Barke zu geleiten. ... Noch nie hatte die Stimme der Herolde lauter geklungen bei dem Rufe: »Platz! Platz für den hohen Lord von Leicester!« ... Noch nie war diesen Rufen und Zeichen schneller und ehrerbietiger Folge geleistet worden als heute.... Noch nie hatten so viel Augen so begierig gehascht nach einem huldvollen Blicke von ihm... noch nie hatten so vieler niedrigen Diener Herzen sehnsüchtig gepocht, ihm ihre Glückwünsche auszusprechen oder ihrer Furcht Ausdruck zu geben, daß es ihm, der so unermeßlich hoch über ihnen stände, lästig sein müsse, sich von ihnen behelligt zu sehen.

Der ganze Hof betrachtete den Ausgang dieser Audienz, der mit so vielen Zweifeln und so großer Besorgnis entgegengesehen worden war, als einen entschiedenen Sieg des Earl of Leicester und empfand es als ausgemacht, daß der Stern seines Nebenbuhlers, wenn auch nicht völlig verdunkelt, so doch stark im Niedergange begriffen sei. Das war die Meinung bei Hofe sowohl als bei den Höflingen, bei hoch und niedrig, und demgemäß richtete sich alles Tun und Lassen.

Andrerseits hatte Leicester diese Grüße und Komplimente noch niemals mit solcher Huld und Höflichkeit erwidert wie jetzt, noch nie hatte er sich mit größerm Erfolg bemüht, »goldne Meinungen aus aller Leute Munde« zu ernten, wie jemand äußerte, der gerade in nicht zu großer Entfernung von ihm stand... wie an diesem Audienztage. Für alle hatte der von der Gunst seiner Königin getragne Earl einen Gruß, auch wohl eine Verneigung, zum wenigsten ein Lächeln, hin und wieder sogar ein huldvolles Wort. Zumeist galten diese Bevorzugungen solchen Höflingen, die heute lange schon in Vergessenheit geraten sind; aber auch andre befanden sich darunter, deren Namen seltsam in unsern Ohren klingen, wenn sie im Zusammenhang mit den gewöhnlichen Dingen des Lebens genannt werden, über die sie die Dankbarkeit der Nachwelt längst emporgehoben hat. Einige von Leicesters Worten und Reden, die er für seine Umgebung bei diesem Anlasse hatte, mögen hierher gesetzt sein:

»Ei, guten Morgen, Pointings, und was macht die Frau Gemahlin und das holde Fräulein Tochter? Und warum sieht man sie gar nicht bei Hofe?« ... »Adams, Euer Gesuch ist hinfällig – – die Königin will kein Monopol mehr erlassen; aber vielleicht kann ich Euch ein andermal besser dienen.« ... »Mein lieber Herr Alderman Aylford, das Gesuch der City, in betreff Queenhithes, soll, soweit mein bescheidnes Interesse dabei dienen kann, Förderung erhalten.« ... »Mein lieber Herr Edmund Spencer, in Sachen Eurer irländischen Bittschrift möchte ich Euch zu gern behilflich sein, bin ich den Musen doch gar nicht gram, aber Ihr habt Euch erlaubt, den Lord Schatzmeister zu bewitzeln.«

»Mylord, wäre es mir vergönnt, auseinanderzusetzen ...« hub der Poet an.

»Kommt in meine Wohnung, Edmund,« antwortete der Graf, »morgen oder nächster Tage nicht, aber bald, hört Ihr, bald?« ...

»Ei, sieh da, Will Shakespeare – – wilder Will! – – Du hast dem Philipp Sidney, meinem Neffen, Liebespulver eingegeben, und nun kann er nicht schlafen ohne Deine »Venus und Adonis« unter dem Kopfkissen.! Wir werden Dich aufknüpfen lassen als den schlimmsten Zauberkünstler von ganz Europa! Weißt Du, unwirscher Geselle! Deine Patentsache habe ich keineswegs vergessen, auch die Bärenangelegenheit nicht!«

Der Schauspieler verneigte sich und der Earl nickte und schritt weiter – so hätte man zu jener Zeit den Fall erzählt – in unsern Tagen aber vielleicht lieber gesagt, »der Unsterbliche habe dem Sterblichen gehuldigt.«

Der Nächste, dem der Hohe das Wort vergönnte, war einer seiner eifrigsten Parteigänger.

»Sieh da, Sir Francis Denning,« flüsterte er, als Antwort auf dessen schmeichelhaften Gruß, »dieses Lächeln hat Dein Gesicht um ein volles Drittel kürzer gemacht, als es mir heute früh vorgekommen ist. Muß das sein?« ... »Aber, mein lieber Herr Bowyer, bitte, einen Schritt zurück! Meint Ihr wirklich, ich trüge Groll gegen Euch in meinem Busen? ... Ganz im Irrtum! Habt Ihr doch heute morgen bloß Eure Pflicht getan! Und wenn ich mich des Vorgangs zwischen uns erinnre, soll es geschehen zu Euern gunsten.«

Hierauf trat, unter allerhand phantastischen Bücklingen, eine wunderliche Persönlichkeit zu dem Earl heran. Sie war absonderlich gekleidet in ein Wams aus schwarzem Sammet, das kuriose, mit karmesinrotem Atlas verbrämte Schlitzen aufwies. Eine lange Hahnenfeder auf dem Sammetbarett, das er in der Hand hielt, und eine ungeheure Halskrause, nach dem absurden Geschmack damaliger Zeit über die Maßen gestärkt, im Verein mit einem schneidigen, muntern, verschlagnen Gesichtsausdruck schienen einen eitlen, hohlköpfigen Gecken, einen Menschen von geringem Wissen zu verraten, während der Stab, den er in der Hand hielt, und ein gewisses amtliches »Air«, das er sich zu geben wußte, ihn als Menschen erscheinen ließ, der mit irgend einer Behörde im Zusammenhang stehen mochte. Hierauf ließ auch ein eigentümlicher Grad von Redegabe schließen, der dieser Persönlichkeit zu eigen war. Die spitze Nase und die hageren Wangen, die der Mann hatte, waren ständig von Röte bedeckt, eine Eigenschaft, die mehr von »gutem Leben« sprach, wie man sich auszudrücken liebt, als von Zurückhaltung und Mäßigkeit; und die Art und Weise, wie er sich dem Earl näherte, bestätigte solche Ansicht.

»Recht guten Abend, Meister Robert Laneham,« sagte Leicester, schien aber willens, mit diesen Worten an der Persönlichkeit vorüberzugehen.

»Ich habe ein Gesuch an Eure Lordschaft,« sagte die Persönlichkeit und ging dem Grafen keck hinterher.

»Und welcher Art, mein lieber Türsteher im Geheimratssaale?«

»Aufseher im Geheimratssaale, bitte,« versetzte Meister Robert Laneham mit Nachdruck, sowohl als Antwort wie als Verbesserung.

»Nun, leg Dir Deinen Titel zurecht, wie Du willst, Mann,« erwiderte der Earl, »was ist Dein Begehr von mir?«

»Nicht viel,« entgegnete Laneham, »weiter nichts als daß Eure Herrlichkeit wie bislang, mein lieber Herr, bleiben und mir das Recht verleihen möge, die Sommerreise nach dem schönen, von nichts übertroffnen Landsitze Eurer Herrlichkeit, dem Schlosse Kenilworth, mitzumachen.«

»Zu welchem Zwecke, lieber Meister Laneham?« erwiderte der Earl; »erwäge, daß ich mit vielen Gästen werde rechnen müssen.«

»Aber nicht mit ihrer so vielen,« erwiderte der Bittsteller, »daß es Eurer Herrlichkeit nicht möglich sein sollte, für einen so alten Diener wie mich das bißchen Unterschlupf und das bißchen Speise und Trank übrig zu haben. Bedenkt, Mylord, wie notwendig Euch dieser Stab ist, all jene Lauscher hinwegzuscheuchen, die sonst so gern beim Geheimrat sich einnisten und durch die Ritzen und Schlüssellöcher lugen möchten, wenn mein Stab nicht hantierte, wie eine Fliegenklatsche in einem Fleischerladen.«

»Mich bedünkt, Dir beliebe hier ein recht fliegenwedliger Vergleich für den hohen Geheimrat, Meister Laneham,« sagte der Earl; »aber gib Dir nicht erst Mühe, das zu rechtfertigen. Komm nach Kenilworth, wenn es Dich gelüstet; Narren werden dort in Menge zu treffen sein, und so wirst Du auch hinpassen.«

»Nun, sollten dort Narren sein, Mylord,« erwiderte Laneham mit lustigem Lachen, »so will ich, verlaßt Euch darauf, für Spaß unter ihnen sorgen, denn es kann sich kein Jagdhund mehr darauf freuen, einem Hasen hinterherzusetzen, als ich mich gecke, wenn es glückt, einem Narren eins auszuwischen. Aber noch eine weitre Gunst besondrer Art habe ich mir von Eurer Lordschaft zu erbitten.«

»Sag, was Du willst, und laß mich dann in Ruhe,« sprach der Earl; »ich denke, daß die Königin jeden Augenblick kommen wird.«

»Mein gnädigster Lord, ich wollte mir erlauben, einen Bettkameraden mitzubringen.«

»Was faselst Du da, Du unverschämter Wicht?« rief Leicester.

»Nun, Mylord, nur etwas, was durchaus im Rahmen des Anstands und der guten Sitte sich bewegt,« entgegnete sein Bittsteller, dessen Röte um deswillen nicht aus dem Gesichte verschwand, »ich habe ein Weib, das an Neugierde ihrer Großmutter nichts nachgibt, die sich die verbotne Frucht gut schmecken ließ, den Apfel des Paradieses. Nun mag ich sie nicht so geradezu mitbringen, da Eure Herrlichkeit doch so strenge Befehle gegen alle Bediensteten erlassen hat, ihre Ehegesponse auf dieser Reise daheim zu lassen und den Hof nicht mit Weibsvolk zu behelligen. Aber was ich von Eurer Herrlichkeit erbitten möchte, ist, mir die Mitnahme meines Weibes unter irgend einer Vermummung zu gestatten, so daß also niemand verspürt, daß es ein Frauenzimmer ist, und also dadurch keinerlei Aergernis entstehen kann.«

»Hol der böse Feind Euch alle beide,« sagte Leicester, durch die Erinnerungen, die hierdurch in ihm geweckt wurden, aufs äußerste erbittert, »weshalb haltet Ihr mich auf mit solchem Tratsch!«

Der erschrockne »Aufseher des Geheimratssaals«, niedergeschmettert durch diesen Zornesausbruch, den er so ahnungslos hervorgerufen hatte, ließ seinen Amtsstab fallen und starrte auf den erzürnten Earl mit einem blitzdummen Gesicht, auf dem sich Schreck und Staunen zugleich malten, die aber durch Leicester sogleich beseitigt wurden.

»Ich wollte bloß sehen, ob Du auch die Kühnheit besitzest, die Dein Amt erfordert,« sprach er hastig. »Komm nach Kenilworth und bring den Satan mit, wenn Du willst.«

»Mein Weib hat den Satan bis jetzt nur in einem Mysterium zur Zeit der Königin Maria gespielt – aber es wird uns wohl noch an manchen Requisiten fehlen.«

»Hier hast Du eine Krone für Dich,« sagte der Earl, »... nun laß mich aber in Frieden ... die große Glocke schlägt.«

Meister Robert Laneham war noch eine Weile ganz perplex über die Erregung, die er hervorgerufen hatte, und dann sprach er bei sich, während er sich bückte, um seinen am Erdboden liegenden Stab aufzuheben:

»Der edle Graf ist heute bei schlimmer Laune, aber wer Kronen austeilt, erwartet von uns klugen Leuten Unterwürfigkeit gegen ihre Launen, und, meiner Treu! wenn sie nicht die Gnade haben wollten zu bezahlen, so würden wir ihnen schon die Daumschrauben ansetzen.«

Leicester ging schnell hinweg, ohne sich der Höflichkeit, die er heute so freigiebig für alle an den Tag gelegt hatte, noch weiter zu befleißigen. Mit eiligen Schritten durchmaß er den Raum, schob beiseite, wer ihm von dem Hofgesinde im Wege stand, bis er ein kleines Nebengemach erreicht hatte. Hier blieb er eine Weile stehen, um unbeobachtet und allein für sich wieder zu Atem zu kommen.

»Was ist geworden aus mir,« sprach er bei sich, »daß mich solcher gemeine, verkommne, hohlköpfige Tropf durch seine Faseleien dermaßen beeinflussen kann! ... Gewissen, Du bist ein Bluthund, dessen Geknurr beim leisen Vorbeihuschen einer Maus ebenso flink laut wird, wie beim Schritt eines Löwen. ... Kann ich mich denn nicht durch einen einzigen kühnen Streich aus solchem qualvollen, solchem ehrlosen Zustande befreien? Wie, wenn ich vor Elisabeth einen Kniefall täte, wenn ich ihr alles bekennte und mich ihrer Gnade überantwortete?«

Während er diesem Gedanken nachhing, ging die Tür des Gemaches auf, und Varney trat ein.

»Gott sei Dank, Mylord, daß ich Euch gefunden habe!« lautete sein Ausruf.

»Dem Teufel sei Dank, dessen Diener Du bist!« lautete die Erwiderung des Grafen.

»Richtet Euren Dank, an wen Ihr wollt, Mylord,« versetzte Varney, »aber eilet, eilet, daß Ihr ans Ufer kommt. Die Königin ist bereits an Bord und fragt nach Euch.«

»Geh, sag, daß mir plötzlich schlecht geworden sei,« erwiderte Leicester, »denn beim Himmel, mein Hirn vermag dies alles nicht mehr zu ertragen.«

»Freilich kann ich das bestellen,« antwortete Varney herb, »sind doch Euer Platz wie auch der meinige bereits ausgefüllt. Was soll ich noch als Stallmeister auf Euch warten, wenn Ihr niemand mehr braucht, Euer Roß zu halten? Euer Platz in der Barke der Königin ist besetzt. Hört Ihrs, Leicester? ... Der neue Schoßhund, Walter Raleigh, und unser alter Bekannter, Tressilian, sind berufen worden, unsre Plätze einzunehmen, gerade als ich wegrannte, Euch zu holen.«

»Du bist ein Teufel, Varney,« rief Leicester hastig, »aber zurzeit führst Du das Regiment ... ich folge Dir.«

Varney gab keine Antwort, sondern schritt voran aus dem Palast und nach dem Flusse hinunter. Sein Herr folgte ihm, gleichsam mechanisch, bis sich Varney umsah und in einem Tone, der, wenn er nicht befehlend klang, doch wenigstens stark ans vertrauliche streifte. ...

»Was soll das heißen, Lord? Euer Mantel hängt auf einer Seite ... Euer Beinkleid ist in Unordnung ... gestattet mir ...«

»Du bist verrückt, Varney! Ein ebensolcher Narr wie Du ein Schurke bist!« sagte Leicester, indem er ihn von sich wegstieß und seine Dienstleistung ihm wehrte, »wir sind gut so, wie wir sind ... und wenn wir Eure Dienste begehren, um unsre Person in Ordnung zu bringen, so wissen wir Euch zu finden, aber für jetzt brauchen wir Euch nicht!«

Bei diesen Worten fand der Graf schnell sein herrisches Wesen wieder und damit auch die Herrschaft über sich selbst; mit einem heftigen Ruck schob er den Mantel in noch krassere Unordnung und schritt an Varney vorbei mit dem Wesen und in der Haltung eines Herrn und Gebieters, und begab sich nun seinerseits zum Themseufer.

Die königliche Barke war gerade im Begriff, abzustoßen. Der dem Earl of Leicester sonst eingeräumte Sitz am Stern und der für seinen Stallmeister vorhandne Platz am Bug waren bereits besetzt. Aber als Leicester sichtbar wurde, trat auf einen Augenblick Stille ein. Die Ruderer hielten inne. Es war, wie wenn sie erwarteten, daß eine Wandlung in der Gruppierung der Gesellschaft sich vollziehen werde. Auf dem Gesicht der Königin zeigte sich jedoch der rote Fleck, der immer auf Aerger deutete, und der Klang ihrer Stimme nahm jene Kälte an, durch die die vornehme Welt innre Aufregung zu verhüllen sich befleißigt, da sie ihrer Würde etwas vergeben würde, wollte sie solcher Stimmung gegen andre Ausdruck leihen. Eisig klangen die Worte aus ihrem Munde:

»Wir haben gewartet, Mylord of Leicester.«

»Madame und huldvollste Fürstin,« sprach Leicester, »die Sie so viele Schwächen verzeihen können, die Ihr Herz nimmer kennt, Sie können am besten jenen Erschütterungen des Busens, die Kopf und Glieder zugleich angreifen, Ihr königliches Mitleid schenken. Ich trat heute vor Ihre Majestät als Mensch, dessen Herz erfüllt ist von Zweifeln, als Untertan, auf den sich Anklagen häuften; Ihre Majestät zerteilten durch Ihre Huld die Wolken der Verleumdung und stellten meine Ehre wieder her, und, was noch teurer ist, erhielten mir Ihre Gunst ... Ist es verwunderlich, daß mich mein Stallmeister, wenn es auch für mich höchst unangenehm war, in einem Zustande traf, der mir kaum gestattete, den Weg hierher zurückzulegen, hierher zu diesem Platze, weil ein einziger, wenn auch, ach! zorniger Blick von Eurer königlichen Hoheit Kraft genug besaß, für mich zu tun, worin Aeskulap sich als ohnmächtig erwiesen hatte!«

»Wie verhält sich das?« sprach Elisabeth hastig, zu dem Stallmeister des Grafen gewandt; »war Eurem Herrn nicht wohl?« »Es war ein Anfall wie von einer Ohnmacht,« erwiderte der redegewandte Varney, »wie Ihre Majestät wohl erkennen wird aus Mylords derzeitigem Aussehen. Hat mir doch Mylords Eile nicht einmal ermöglicht, seine Kleidung in Ordnung zu bringen.«

»Das ist von keinem Belang,« sprach Elisabeth, indem sie den Blick auf dem edlen Angesicht und der eleganten Gestalt des Grafen ruhen ließ, dem sogar der Sturm von Leidenschaft, durch die er in jüngster Zeit erschüttert worden war, nur ein interessanteres Aussehen zu leihen vermochte... »macht, bitte, Platz für meinen edlen Lord, – Euer Platz, Varney, ist besetzt; Ihr müßt zusehen, einen Platz in einer andern Barke zu finden.«

Varney verneigte sich und ging.

»Und auch Ihr, junger Ritter vom Mantel,« setzte sie hinzu mit einem Blick auf Raleigh, »müßt für diesmal Euch in die Barke unsrer Ehrenjungfrauen begeben. Was Tressilian betrifft, so hat er bereits zu viel von Weiberlaunen gelitten, als daß ich ihm noch wehe tun möchte durch diese Wandlung meines Planes, insoweit er davon berührt wird.«

Leicester nahm seinen Sitz in der Barke, dicht neben der Königin ein; Raleigh stand auf, um sich zurückzuziehen, und Tressilian hätte sich, unbewandert in höfischer Sitte, beinahe der Taktlosigkeit schuldig gemacht, seinem Freunde seinen eignen Platz zu räumen, hätte nicht der schnelle und scharfe Blick Raleighs selbst, der jetzt in seinem Element zu sein schien, ihn eines Bessern belehrt, dahin, daß solche Ablehnung königlicher Gnade als schwere Kränkung und Taktlosigkeit aufgefaßt werden könne. So saß er schweigend da, während Raleigh mit tiefer Verbeugung und einem Blick demütigster Ergebenheit sich anschickte, seinen Platz zu verlassen.

Ein edler Höfling, der ritterliche Lord Willoughby, meinte in dem Antlitz der Königin etwas zu lesen, das mit Raleighs echtem oder gemachtem Anschein von Kränkung Mitleid auszudrücken schien.

»Es schickt sich nicht für uns ältre Höflinge,« sagte er, »den jüngern Herren den Sonnenschein zu entziehen. Mit ihrer Majestät Erlaubnis werde ich auf die Zeit von einer Stunde auf dasjenige Verzicht leisten, was Ihrer Majestät Untertanen das Köstlichste ist, nämlich auf die Wonne der Gegenwart von Ihrer Majestät, und mich selbst in den Nachteil setzen, im Sternenlicht zu wandeln, dieweil ich auf kurze Zeit dem Glanze von Dianens Strahlen entsage. Ich werde mich in das Boot begeben, das die Damen trägt, und diesem jugendlichen Kavalier, seine Stunde verheißnen Glücks lassen.«

Die Königin erwiderte mit einem Ausdruck, halb Schmerz, halb Ernst:

»Falls Ihr so willig seid, Uns zu verlassen, Mylord, so trifft Uns keine Schuld an Eurem Kummer; indessen erlaubt Uns, daß Wir, für so alt und erfahren Ihr Euch auch halten möget, den Vorbehalt, daß Wir Euch Unsern jungen Ehrendamen doch nicht anvertrauen mögen. Euer ehrwürdiges Alter, Mylord,« fuhr sie fort und lächelte, »dürfte sich doch besser eignen für das Alter Unsers Lord Schatzmeisters, der Uns im dritten Boote folgt, und dessen Erfahrung ja auch durch die Unsers Lords Willoughby geläutert werden kann.«

Lord Willoughby verbarg seine Enttäuschung unter einem Lächeln; er wurde verlegen, lachte, dann verneigte er sich und verließ die königliche Barke, um sich an Bord Lord Burleys zu begeben. Leicester, der sich bemühte, seine Gedanken von aller seelischen Tätigkeit abzulenken, dadurch, daß er sie auf das, was um ihn her vorging, lenkte, nahm unter andern auch diesen Umstand wahr. Als aber die Barke vom Ufer abstieß unter den Klängen der Musik von einer sie begleitenden Barke, und als vom Ufer herüber die Jubelrufe des Volkes schallten und ihm dies alles die Lage in das Gedächtnis rief, in die er geraten war, da lenkte er durch eine energische Anstrengung sein Sinnen und Empfinden ab von allem andern und richtete seine ganze Aufmerksamkeit, einzig und allein auf die Notwendigkeit, sich die Gunst seiner Königin zu erhalten. Er bot all sein Talent auf, durch die ihm von der Natur verliehenen Gaben zu gefallen und zu fesseln, mit solchem Erfolge, daß die Königin, einerseits entzückt durch seine Unterhaltung, andrerseits besorgt um seine Gesundheit, ihm endlich zeitweilig gebot, sich still zu verhalten, mit scherzhaften, doch von ängstlicher Fürsorge um seine Gesundheit diktierten Worten.

»Mylords,« sprach sie, »nachdem wir Unserm lieben Lord Leicester zeitweilig Stille auferlegt haben, wollen Wir Eure Gedanken mit einer lustigen Sache befassen, für deren Beratung sich die jetzige Zeit, da uns Musik und Fröhlichkeit beherrschen, besser schickt, als die ernsten Stunden, die wir dem Staat und seinem Wohl zu widmen haben. ... Wer von den Herren Lords weiß etwas zu erzählen,« fragte sie mit Lächeln, »von einer Bittschrift eines gewissen Orson Pinnit, seines Zeichens Aufseher, wie er sich selbst zu titulieren liebt, über unsre königlichen Bären? Wer steht zu seinem Gesuch Gevatter?«

»Das ist mein Fall, Majestät, mit Ihrer gnädigen Erlaubnis,« sprach der Graf von Sussex. »Orson Pinnit war ein wackrer Kriegsmann, ehe er durch die Skenes des irischen Mac Donaugh zu solchem Krüppel wurde, und wie Ihrer Majestät Huld und Gnade Ihren getreuen Untertanen immer zugewandt ist, so wird sie wohl auch diesem, der nicht zu den schlechtesten gehörte, nicht fehlen.«

»Sicherlich ist es,« sprach die Königin, »Unsre Absicht, Unsern Untertanen, vor allem Unsern armen Soldaten und Seeleuten, die für geringen Sold ihr Leben wagen, Unsre Huld zuzuwenden. Wir möchten eher,« fügte sie mit blitzenden Augen hinzu, »jenen königlichen Palast dort drüben zum Spital für sie einrichten lassen, als im Lichte der Undankbarkeit bei ihnen stehen wollen. ... Aber,« sprach sie weiter, und ihre Stimme, die zufolge der patriotischen Regung einen gewissen Schwung angenommen hatte, verfiel in den leichtern Klang fröhlicher Unterhaltung, »darum dreht sich die Angelegenheit nicht, denn das Gesuch dieses Orson Pinnit geht um einiges weiter. Er beschwert sich darüber, daß infolge des großen Interesses, das beim Volke jetzt für die schauspielerischen Aufführungen eines gewissen Will Shakespeare eingekehrt sei, ... von dem wir, meine Herren Lords, wohl sämtlich auch bereits gehört haben ... das männliche Vergnügen der Bärenhetzen langsam ganz in Verfall gerate; denn den Menschen sei es jetzt bequemer und angenehmer, zuzusehen, wie sich Komödianten im Spaß umbringen, als daß sie sich noch selbst in Lebensgefahr setzen – – was sagt Ihr hierzu, Earl of Sussex?«

»Je nun, huldvolle Madame,« nahm Sussex das Wort, »Sie dürfen wahrlich von einem alten Kriegsmann gleich mir nicht erwarten, daß er sich begeistre für Schlachten auf Theaterboden, sofern sie in Parallele gestellt werden mit Schlachten im Ernstfalle; nichtsdestoweniger, meiner Treu! will ich nicht Will Shakespeares Schaden. Er ist ein Kerl, der seinen Mann steht im Stoß mit dem Stab und im Kampf mit dem kurzen Schwert wie selten einer, wenngleich er, wie mir zu Ohren gekommen, hinkt. Es heißt, er habe noch vor kurzem erst einen strammen Strauß bestanden mit ein paar Förstern oder Treibern Sir Thomas Lucys of Charlecot, weil er in den Wildpark desselben eingebrochen ist und der Tochter des einen der Förster oder Treiber einen Kuß geraubt hat.«

»Mit Verlaub, Mylord of Sussex,« sprach die Königin, »diese Angelegenheit ist zum Vortrag gelangt in Unserm Rate, und Wir wünschen nicht, daß diesem Burschen größres Unrecht nachgeredet werde, als er begangen hat. Von einem Kusse ist keine Rede gewesen und der Verteidiger hat die Abrede im Protokoll vermerkt. Aber was sagt Ihr zu seinem dermaligen Gewerbe, Mylord, zu seinem Komödiantentum? Denn hiervon sprechen Wir jetzt, nicht aber von seinem Vorleben und den Torheiten, die in dessen Zeit fallen.«

»Je nun, Madame,« entgegnete Sussex, »wie ich vordem bemerkt habe, so will ich nicht, daß der Mann in Schaden komme, Verschiednes von der lüderlichen ... ich bitte Ihre Majestät ob dieses Beiworts um Verzeihung ... Dichterei des Menschen ist mir durch Mark und Bein gedrungen, das bekenne ich; aber im großen und ganzen ist es doch eitler Tand, was er macht. Es ist weder Fisch noch Fleisch, wie ja Ihre Majestät auch selbst empfinden werden. Was ist solch ein halbes Dutzend Wichte mit verrosteten Schwertern und zerfetzten Schilden, die bloß so tun, als wenn sie sich schlügen, im Vergleich zu dem königlichen Treiben von Bärenhatzen, die durch die Anwesenheit sowohl Ihrer Majestät wie Hochdero Vorfahren in diesem Ihrem Königreiche so oft ausgezeichnet worden und in der ganzen Christenheit berühmt sind durch die unvergleichlichen Bulldoggen und verwegnen Bärenkämpfer?«

»Fürwahr, Mylord,« sagte die Königin mit Lachen, »Ihr nehmt Euch dieser Angelegenheit mit großem Feuer an, und was Ihr sagt, soll nicht auf toten Boden fallen. Wir denken, in Unserm Leben noch nicht der letzten Bärenhatz beigewohnt zu haben. ... Jedoch, wer will nun zur Sache sprechen?«

»Darf ich mich für befreit ansehen von dem mir auferlegten Zwang zu schweigen, königliche Gebieterin?« nahm der Earl of Leicester nun das Wort.

»Sicherlich, Mylord,« antwortete huldvoll die Königin, »das heißt mit dem Vorbehalt, daß Ihr Euch kräftig genug fühlt, an Unserm Scherze teilzunehmen und in dem Wortgefecht Euren Mann zu stehend ... Und doch,« fügte sie bei, »wenn ich an Euer Wappen denke, den Bären mit dem Knüppel, so meine ich, es hatte sich ein Redner lieber melden sollen, der in geringerm Maße Parteimann hierbei ist.«

»Huldvolle Fürstin, nein!« hub der Graf von Leicester an, »wenngleich mein Bruder Ambrosius von Warwick und ich das alte Bild im Wappen führen, dessen sich Ihre Majestät zu erinnern geruhen, so ist es nichtsdestoweniger mein Wunsch, daß ehrlich Spiel walte oder, wie es bei solcher Hatz als Motto gilt, »dem Hunde, was dem Hunde, dem Bären, was dem Bären zukommt!« Was nun die Komödianten anbetrifft, so muß ich sagen, es sind gar kecke Gesellen, durch deren Witz und Späße aber die große Menge des Volkes abgelenkt wird von der Aufmerksamkeit für die politischen Fragen, desgleichen der Zeit beraubt wird, schlimme, dem Staate schädliche Reden, hohle Gerüchte und illoyales Gefasel mit anzuhören. Befaßt sich die Menschheit mit Leuten wie Marlowe, Shakespeare und andern solchen Bühnenfexen, verfolgt sie den »Knoten«, wie sie sich in ihrer Fachsprache auszudrücken belieben, ihrer Bühnenstücke, dann wird ihr Geist davon abgelenkt, sich mit dem Leben und der Aufführung derer zu beschäftigen, in deren Händen das Regiment über sie ruht.«

»Wir fühlen jedoch nicht den Wunsch, die Aufmerksamkeit Unsrer Untertanen von Unserm Tun und Lassen abzulenken, Mylord,« erwiderte Elisabeth, »weil ihnen die wahren Beweggründe für Unsre Handlungen um so klarer ersichtlich sein dürften, je schärfer sie dieselben beobachten und verfolgen können.«

»Mir ist indessen zu Ohren gekommen,« nahm der Dekan von St. Asaph das Wort, ein hervorragender Puritaner, »daß diese Komödianten in ihren Aufführungen nicht bloß profane, häßliche Ausdrücke gebrauchen, die danach angetan sind, Sünde und Lotterei zu verbreiten, sondern auch Reden über die Regierungen, über Ursprung und Zweck derselben im Munde führen, die wohl im stande sein können, Unzufriedenheit zu wecken, und die festen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft zu erschüttern. Mit Ihrer Majestät Verlaub, es will mir demnach nicht am Platze zu sein scheinen, daß solchen windigen, sich übler Rede befleißigenden Patronen gestattet werde, Menschen, die sich eines gottgefälligen Wandels befleißigen, um ihrer Zucht und ihrer Sitte halber zu bewitzeln und durch gotteslästerliche Reden und Schmähungen der Diener Gottes alles göttliche und irdische Gesetz in den Staub zu ziehen.«

»Könnten Wir glauben, Mylord, daß es in Wahrheit sich also verhielte,« nahm Elisabeth des Wort, »so würden Wir solches Beginnen ohne Zaudern streng ahnden. Aber es ist eine üble Sache, sich eine Meinung gegen einen Brauch aus seinem Mißbrauch zu bilden. Was den besagten Shakespeare angeht, so sind Wir der Ansicht, daß sich in seinen Komödien mancherlei findet, was ein paar Dutzend Bärengärten aufwiegt, und daß die neue Schöpfung seiner, wie er es nennt, »Chroniken«, den lebenden Untertanen Unsrer Regierung nicht allein, sondern auch künftigen Geschlechtern zu gute kommen dürfte.«

»Eurer Majestät Regierung wird solcher schwachen Mittel nicht bedürfen, um in der Erinnerung der Nachwelt bestehen zu bleiben,« ergriff Leicester das Wort; »und doch hat gerade dieser Shakespeare in dieser Hinsicht mancherlei Ereignisse aus Ihrer Majestät glorreicher Regierung in so trefflicher Weise zur Darstellung gebracht, daß alle Beschwerden, die Seine Hochwürden der Dekan von St. Asaph hier vorgebracht hat, reichlich aufgewogen werden. Mir fallen da einige Strophen ein ... schade, daß mein Neffe Philipp Sidney nicht zur Stelle ist, denn er führt sie fast immer im Munde, sie kommen in einem Feenstücke vor, das, soviel ich weiß, »Liebeszauber« oder ähnlich heißt; aber diese Strophen sind wunderschön, so kurz sie sind und so wenig sie den Gegenstand erschöpfen, auf den sie mit nicht zu verkennender Kühnheit anspielen. ... Mein Neffe zitiert sie, glaube ich, sogar in seinen Träumen.«

»Ihr legt Uns Tantalusqualen auf, Mylord,« sagte die Königin, »Junker Philipp Sidney ist, wie Wir recht wohl wissen, ein Günstling der Musen, und Wir freuen Uns, daß es an dem ist. Ritterlicher Sinn erglänzt nie heller und schöner, als wenn er sich paart mit edlem Geist und Liebe zu den Wissenschaften. Sicherlich sind aber manch andre unter Unsern jungen Höflingen, die sich auf Dinge nicht besinnen können, die Eurer Lordschaft aus dem Gedächtnis entschwunden sind unter weit wichtigern Geschäften. – Junker Tressilian, Ihr werdet Mir beschrieben als ein Verehrer Minervens ... besinnet vielleicht Ihr Euch auf diese Strophen?«

Tressilian war das Herz zu schwer, die Aussichten, die ihm das Leben eröffnet hatte, waren zu grausam vernichtet worden, als daß er hätte den Ehrgeiz fühlen sollen, solche Gelegenheit wahrzunehmen, wie sie sich ihm bot, die Aufmerksamkeit seiner Königin zu fesseln, aber er fand Kraft zu dem Entschlusse, seinem jungen und ehrgeizigern Freunde diesen Vorteil zuzuweisen, entschuldigte sich mit Gedächtnisschwäche und bemerkte, daß seines Wissens Walter Raleigh die schönen Verse, deren Lord Leicester Erwähnung getan, im Gedächtnis haben dürfe.

Auf den Befehl der Königin zitierte dieser Kavalier mit einer Betonung und einem Anstand, die ihrem ausgesucht köstlichen Zartsinn und ihrer lieblichen Schönheit noch einen wunderbareren Reiz verliehen, die berühmte Vision Oberons:

Ich sah zur selben Zeit (Du sahst es nicht),
Kupido schwebend zwischen Mond und Erde,
Er war bewaffnet, und sein hehres Ziel –
Jetzt eine schöne Priesterin der Vesta
Auf einem Thron im Abendland – es flog
Der Pfeil vom Bogen rasch, als sollt er dringen
Durch hunderttausend Herzen, doch die Glut
Des Pfeils erlosch in Dianens feuchten Strahlen,
Und weiter schritt die keusche Herrscherin,
Jungfräulich sinnend, stolz und leicht und frei.«

Walter Raleighs Stimme zitterte leicht, als er zu den letzten Strophen gelangte, gleich als ob er unsicher sei, wie die Königin, an die sich die zarte Huldigung richtete, sich dazu stellen werde. War dieses Zagen erkünstelt, so ließ sich nichts andres sagen, als daß es seine Politik sei; war es hingegen echt, dann war geringer Grund dazu vorhanden. Die Verse waren der Königin wahrscheinlich nichts Neues, denn wie hätte solche vornehme Schmeichelei nicht alsbald den Weg zu dem Ohre finden sollen, auf das sie gemünzt war? Indessen waren sie dort nicht minder willkommen aus eines solchen Deklamators Munde, wie Walter Raleigh war. Gleich entzückt durch den Inhalt, den Vortrag und die anmutige Gestalt, wie das lebhafte Mienenspiel des ritterlichen Jünglings und Rezitators, bezeichnete Elisabeth den Rhythmus durch Blick und Finger. Als der Deklamator geendet hätte, flüsterte sie, fast ohne zu wissen, daß sie belauscht werde, die letzten Strophen, und als sie, die letzte derselben sprach:

Jungfräulich sinnend,
stolz und leicht und frei,

da warf sie die Bittschrift des Aufsehers des königlichen Bärengartens, Orson Pinnit, in die Themse, mit dem Gedanken, sie möge zusehen, ob sie freundlichere Aufnahme fände in Sheerneß oder wo es ihr sonst belieben solle vorzusprechen.

Leicester wurde durch den glücklichen Erfolg, den der jüngere Höfling geerntet hatte, zum Wetteifer gespornt, wie der Veteran von Renner aufgescheucht wird, wenn ein kräftiges Füllen ihm auf der Bahn voransaust. Er lenkte die Rede auf Schaustellungen, Banketts, Aufzüge, Gepränge und auf die Rollen derjenigen, die bei solchen Szenen zumeist vertreten sind. Er vereinte scharfe Beobachtung mit leichter Satire in jenem richtigen Verhältnis, das frei war wie von hämischer Verleumdung so auch von fader Lobhudelei. Er ahmte höchst geschickt Redeweise und Gebärdenspiel der affektierten und possenhaften Leute nach, und die ihm persönlich eigne Anmut in Rede und Wesen schien sich, wenn er sich ihrer befliß, zu verdoppeln. Fremde Länder, ihre Bräuche und Sitten, das Zeremoniell an ihren Höfen, die Moden, ja auch der Anzug der Damen, dies alles war ihm gleich geläufig; und selten schloß er seine Rede, ohne der jungfräulichen Königin sowohl über ihre eigne Person als über ihre Hofhaltung und Regierung ein zartes und zutreffendes Kompliment zu sagen.

In dieser Weise wurde während dieser Lustfahrt die Unterhaltung geführt, an welcher sich auch die andern dem Hofe attachierten Herren durch muntre, mit Zitaten aus ältern und neuern Schriftstellern gewürzte Reden jeder an seinem Teile eifrig beteiligten, während die mitanwesenden Staatsmänner und Weisen gediegne Aussprüche über Staats- und Wirtschaftspolitik und Worte und Gedanken einer gesunden Moral hinzugaben, und also Weisheit mit dem leichtern Geplauder an einem Damenhofe einten.

Als man nach dem Palaste zurückkehrte, nahm oder vielmehr wählte Elisabeth Leicesters Arm als Stütze für den Weg von den Landungsstufen bis zum Haupttore. Es kam ihm sogar vor – eine Empfindung, die ihren Ursprung auch vielleicht nur in den schmeichlerischen Einflüsterungen seiner Phantasie hatte, als ob sich die Königin auf dieser kurzen Wegstrecke fester als sonst auf seinen Arm stütze, – fester, als es der nicht übermäßig schlüpfrige Boden notwendig mache. Ganz sicher wirkte bei der Königin Tun und Reden zusammen, einen Grad von Gunst zum Ausdruck zu bringen, den der Graf, selbst in seinen stolzesten Tagen, bisher noch nicht erlangt hatte. Sein Rival erfreute sich allerdings wiederholter Auszeichnung durch die königliche Huld; das geschah aber in einer Weise, die weniger aus spontaner Neigung zu entströmen, als durch Rücksicht auf seine mannigfachen Verdienste bedingt zu sein schien. Und in der Meinung vieler erfahrnen Höflinge wurde all die Huld, die sie ihm bezeigte, mehr denn aufgewogen durch die Aeußerung, die sie Lady Derby ins Ohr flüsterte, »daß sie nun merke, daß Krankheit eine weit bösere Älchimistin sei, als sie sich je gedacht habe, denn man sehe doch, daß sie das Kupfer auf der Nase des Lord Sussex in eitel Gold verwandelt habe.«

Der Scherz kursierte alsbald unter den Höflingen, und der Earl of Leicester weidete sich an seinem Triumph so recht, wie jemand, der Hofgunst als das Alpha und Omega seines Lebens ansieht, dieweil er im Rausch des Augenblicks die Wirrnisse und Fährlichkeiten seiner persönlichen Lage vergißt. Tatsächlich dachte er in diesem Augenblick, so seltsam es auch scheinen mag, weniger an die aus seiner geheimen Ehe erwachsenden Gefahren, als an die Beweise von Huld, die Elisabeth von Zeit zu Zeit dem jungen Raleigh spendete.

Im Laufe des Abends trug sich ein weitrer Umstand zu, der Leicesters Aufmerksamkeit noch stärker auf diesen Gegenstand richtete.

Die Edelleute und Höflinge, die die Königin auf ihrer Lustfahrt begleitet hatten, wurden mit königlicher Gastfreundschaft zu einem splendiden Mahl im Festsaale des Palastes geladen. Die Tafel wurde freilich nicht durch die Anwesenheit Ihrer Majestät ausgezeichnet, denn gemäß ihrer Vorstellung von Sittsamkeit und Würde war die jungfräuliche Königin gewohnt, bei solchen Gelegenheiten allein oder mit einigen Lieblingsdamen ihr einfaches und bescheidnes Mahl zu sich zu nehmen. Nach kurzer Frist traf der Hof in dem prächtigen Garten des Palastes wieder zusammen, und als man dort lustwandelte, richtete die Königin an eine ihr nahestehende Hofdame die Frage, was aus dem jugendlichen »Ritter Schmutzmantel« geworden sei.

Lady Paget antwortete, »sie habe Junker Raleigh erst vor drei bis vier Minuten gesehen, und zwar am Fenster eines kleinen Pavillons oder Lusthäuschens, das nach der Themse hinaus läge, und daß er mit einem Diamantringe die Fensterscheibe geritzt habe.« »Der Ring,« versetzte die Königin, »war ein Geschenk von mir, ein geringer Ersatz für den Mantel, den er sich verdorben hat. Komm, Paget, sehen wir zu, was er gemacht hat. Ich durchschaue ihn nun schon. Er ist ein merkwürdig kluger Kopf.«

Die Damen begaben sich zu der Stelle, von wo aus sie, wenn auch nur von weitem, das Fenster sehen konnten, an dem der junge Kavalier noch immer lehnte, gleich dem Vogelsteller, der seinen Sprenkel gestellt hat und nun auf das Vögelchen wartet, das sich fangen soll.

Die Königin näherte sich dem Fenster, an dem Junker Raleigh ihr Geschenk versucht hatte, um die folgende Strophe einzukritzeln:

»Gern stiege ich, wär bloß das Fallen nicht!«

Die Königin lächelte, las die Strophe aber- und abermals, las sie Lady Pagei vor und dann nochmals allein für sich.

»Ein hübscher Anfang,« meinte sie nach kurzer Erwägung, »aber mich bedünkt, die Musen haben den guten Weisen im Stich gelassen nach seiner ersten Lösung einer gestellten Aufgabe. Es wäre doch ganz nett, meinst Du nicht, Paget? wenn man den Vers an seiner Statt ergänzte: Versuche doch mal, was Du zu reimen vermagst!«

Lady Paget ... von Kindesbeinen an eine echt prosaische Natur, wie nur je eine Kammerfrau bei Hofe vor ihr oder nach ihr ... lehnte jede Möglichkeit, dem jungen Dichter beizuspringen, unbedingt ab.

»Nun, dann müssen Wir Uns selbst den Musen weihen!« sprach Elisabeth.

»Niemand kann süßern Weihrauchs sich gewärtigen,« sagte Lady Paget, »und Eure Hoheit wird den Damen vom Parnaß sehr schwere Verlegenheit bereiten ...«

»Pst, Pst!« sagte die Königin, »Ihr begeht ja Hochverrat an den unsterblichen neun Schwestern ... doch da auch sie jungfräulich sind geblieben, läßt sich vielleicht annehmen, daß sie sich einer jungfräulichen Königin hold erweisen werden ... und darum ... nun, versuchen wirs! ... Wie lautet seine Strophe?

Gern stiege ich, wär bloß das Fallen nicht! könnte die Antwort nicht ganz gut lauten:

Steig gar nicht erst, wenn Dirs an Mut gebricht!«

Die Ehrendame klatschte freudig überrascht Beifall über die so glückliche Lösung der gestellten Aufgabe. Die Königin, hierdurch ermutigt, zog einen Diamant vom Finger und sprach:

»Wir wollen diesem jungen Herrn ein wenig Ursache geben zur Verwunderung; wenn er zurückkommt, soll er seinen Vers also ergänzt finden, ohne daß es ihm Mühe gemacht hat.«

Nach diesen Worten setzte sie die selbstgefundne Zeile unter die andre. Darauf verließ sie den Pavillon, zog sich aber sehr langsam zurück und nicht, ohne sich öfters umzusehen; und da konnte sie wahrnehmen, daß der Junker auf Windesflügeln zu der Stelle hin eilte, wo sie eine kurze Weile gestanden.

»Bloß um zu sehen,« wie sie sagte, »ob das Manöver ihr geglückt wäre,« blieb sie ein Weilchen stehen und dann schlug sie, herzlich über den Vorfall lachend, mit ihrer Dame den Rückweg zum Palaste ein.

Unterwegs verbot Elisabeth ihrer Dame, über die Hilfe, die sie dem jungen Poeten geleistet, zu irgendwem etwas verlauten zu lassen, und Lady Paget gelobte unverbrüchliches Schweigen. Indessen möge nicht unbemerkt bleiben, daß sie zu gunsten Leicesters eine »resevatio mentalis«, einen Gedankenvorbehalt, machte und dem edlen Lord unverzüglich Kenntnis gab von dem Vorfall, so wenig er auch geeignet erschien, demselben zur Freude zu gereichen.

Raleigh hatte sich inzwischen an das Fenster geschlichen und las mit Entzücken die verblümte Ermutigung, die die Königin seinem Ehrgeize gegeben. Dann begab er sich zu Sussex, und dessen Gefolge zurück, das sich eben einschiffen wollte. Hoch schlug ihm das Herz vor Stolz über die Auszeichnung, die ihm winkte.

Die Ehrfurcht, die man vor dem Grafen im Herzen trug, wehrte jede Aeußerung, ja jede Betrachtung über die Annahme, die demselben bei Hofe geworden, bis man ans Land stieg und bis sich der gesamte Hofhalt des Grafen in der großen Halle von Says-Hof versammelte, wo der Lord, durch seine letzte Krankheit und durch die Anstrengungen erschöpft, sich in sein Zimmer zurückzog, um nach dem Beistande des Schmieds, seines unglücklichen Arztes, zu verlangen.

Aber Wieland der Schmied war nirgends zu finden, und während einige der gräflichen Mannen ungeduldig nach ihm suchten, scharten sich die andern um Raleigh, um ihm Glück zu den Aussichten, die er bei Hofe hatte, zu wünschen.

Walter Raleigh besaß Urteilskraft und Taktgefühl genug, um den Umstand mit dem Verse zu verschweigen, zu dem die Königin einen Reim zu suchen sich herabgelassen hatte. Indessen war manches andre bekannt geworden, das jeden Zweifel hob, daß er in der Gunst der Königin Fortschritte gemacht habe. Raleigh dankte jedem dieser Gratulanten auf das verbindlichste, machte indessen hierbei die Bemerkung, daß es noch lange nicht auf Gunst bei Hofe deute, wenn er einmal einen glücklichen Tag gehabt habe, so wie auch eine Schwalbe noch nicht den Sommer mache. Blount stimmte, wie er wahrnahm, nicht in die allgemeinen Glückwünsche ein, und einigermaßen empfindlich über diese anscheinende Teilnahmlosigkeit, fragte Raleigh nach dem Grunde.

Blount antwortete mit der an ihm gewohnten Höflichkeit:

»Mein lieber Walter, ich wünsche Dir alles Gute, wie sonst einer von all den Kumpanen, die sich um Dich scharen und Dir ihre Glückwünsche ins Ohr flüstern, wie wenn Du gut Wetter haben würdest; aber, Freund, ich habe Sorge um Dich!« bei diesen Worten trocknete er sich das redliche Auge; »recht große Sorge! Dergleichen Leben bei Hofe mit den ewigen Intrigen und Tänzen und Witzen aus Weiberaugen, dieses Haschen nach Weibergunst und so weiter, das sind die Kniffe und Pfiffe, durch die sich gutes Gold in schlechtes Kupfer verwandelt, die schönen Fratzen und witzigen Schädeln zur Bekanntschaft mit unheimlichen Blöcken und scharfen Beilen verhelfen.«

Mit diesen Worten stand Blount auf und verließ die Halle, während Raleigh ihm nachblickte mit einem Ausdruck, der auf einen Augenblick sein keckes, lebendiges Gesicht verdüsterte.

Ein Diener trat gerade ein in die Halle und sagte zu Tressilian:

»Mylord wünscht Euren Burschen Wieland zu sehen, und eben ist Euer Bursche Wieland in einem Kahne hergekommen und wünscht Euch zu sehen und will erst zu Mylord gehen, wenn er mit Euch gesprochen hat. Der Bursche sieht aus, als wenn er nicht recht gescheit wäre, so sieht es mir wenigstens aus . . . ich rate, sprecht gleich mit ihm!«

Tressilian verließ auf der Stelle die Halle, ließ den Schmied in ein angrenzendes Gemach führen und Lichter hinein tragen. Dann begab er sich selbst dorthin. Mit Erstaunen nahm er die Erregung wahr, die sich auf dem Gesicht des Mannes zeigte.

»Was ist denn los mit Euch, Wieland?« fragte er. »Habt Ihr etwa den Satan vor Augen gehabt?«

»Schlimmer, schlimmer,«, versetzte Wieland, »einen Basilisken habe ich gesehen! ... Gott sei gedankt, daß ich ihn zuerst gesehen habe, denn auf diese Weise und da er mich nicht gesehen, wird er weniger Unheil stiften.«

»Im Namen Gottes, redet, Schmied!« sagte Tressilian, »redet vernünftig und sagt, was Eure Worte bedeuten.«

»Ich habe meinen alten Prinzipal gesehen,« sagte der Schmied, »gestern nacht bin ich mit einem Freunde, den ich hier gefunden, weggegangen; er wollte mir die Uhr im Paläste zeigen, weil er meinte, ich sehe solches Kunstwerk gern ... und am Fenster eines Türmchens, unfern von der Uhr ... da habe ich ihn gesehen ... da habe ich meinen alten Meister gesehen!« »Du mußt Dich ganz gewiß getäuscht haben, Schmied,« entgegnete Tressilian.

»Ich habe mich nicht verguckt,« erwiderte Wieland der Schmied, »wer diese Züge nur einmal in seinem Leben gesehen hat, der kennte ihn heraus aus Millionen! Er hatte sich in eine uralte Tracht gesteckt, aber vor mir kann er sich nicht verkleiden, Gott seis gedankt, wie ich mich vor ihm. Indessen will, ich die Vorsehung nicht herausfordern dadurch, daß ich in seiner Höhle bleibe. Schauspieler Tarleton könnte sich so nicht verkleiden und verstellen, daß ihn Doboobie nicht früher oder später herausspintisierte. Ich muß morgen weg von hier, denn so wie ich mit ihm stehe, wäre es mein Tod, wenn ich im Bereich seiner Augen und Hände bliebe.«

»Aber der Graf von Sussex?« fragte Tressilian.

»Was er bisher genossen hat, wird ihm wenig mehr schaden, vorausgesetzt, daß er allmorgentlich so viel wie eine Bohne von dem Orvietan schluckt auf nüchternen Magen ... doch muß er sich hüten vor jedem Rückfall.«

»Und wie kann man ihn davor bewahren?« fragte Tressilian.

»Einzig und allein durch solche Vorsicht, wie man sie dem Teufel gegenüber anwenden müßte,« entgegnete Wieland. »Mylords Mundkoch muß jede Speise, die er für Mylord bereitet, selbst anrichten, muß jedes Tier, von dem er nimmt, selbst schlachten, darf kein anders Gewürz dazu verwenden als solches aus ganz sichern, verläßlichen Händen. ... Der Vorschneider muß die Speisen selbst auftragen, und der Haushofmeister muß darauf achten, daß beide, Koch und Vorschneider, von den Speisen, die der eine kocht, der andre austrägt, selbst zuvor kosten, ehe Mylord die Lippen daran rührt. Dann darf Mylord an nichts riechen, das nicht von ganz verläßlichen Leuten herrührt, darf keine Salbe, keine Pomade gebrauchen außer von durchaus bekannter Quelle. Mylord darf in keinem Falle mit Fremden trinken oder Obst bei Fremden genießen, gleichviel wann. Vor allen Dingen soll er die äußerste Vorsicht üben, wenn er sich nach Kenilworth begibt ... seine Krankheit, sowie der Umstand, daß er noch immer strenge Diät beobachten muß, wird und muß die Sonderbarkeit solches Verhaltens in den Augen der Welt entschuldigen.«

»Und Du, Wieland,« fragte Tressilian, »was soll aus Dir hinfort werden?« »Frankreich, Spanien oder Indien, gleichwohl ob Ost- oder Westindien, sollen mein Zufluchtsort werden,« erwiderte Wieland, »ehe ich mein Leben in Gefahr setze dadurch, daß ich in der Höhle dieses Doboobie oder Demetrius oder wie er sich gerade nennt, verbleibe.«

»Gut,« versetzte Tressilian, »es kommt mir nicht ungelegen ... ich hatte für Euch in Berkshire was zu besorgen; aber in dem entgegengesetzten Zipfel von dem, den Du kennst, und schon ehe Du diesen neuen Grund, Dich in Verborgenheit zurückzuziehen, gefaßt hast, war es meine Absicht, Dich mit einem geheimen Auftrag dorthin zu schicken.«

Der Schmied sprach seine Bereitwilligkeit hierzu aus, und Tressilian, der recht gut wußte, daß der Schmied mit der Natur der Geschäfte, die er bei Hofe hatte, nicht unbekannt war, setzte ihn nun vollständig in Kenntnis davon und ließ auch nicht unerwähnt, welche Abmachung er mit Giles Gosling getroffen hatte, wie er ihm auch erzählte, was Varney an jenem Tage in dem Audienzgemach erzählt und wofür sich Leicester verbürgt habe.

»Du siehst,« setzte er nach einer Weile hinzu, »daß es mir unter den Umständen, in die ich geraten bin, wohl geziemt, auf das Tun und Lassen solcher grundsatzlosen Menschen wie Varney und seiner Komplizen, Foster und Lambourne, ein ebensolch scharfes Auge zu halten wie auf Lord Leicester selbst, der, wie ich argwöhne, teilweise Betrüger und keineswegs Betrogner in dieser Sache ist. Hier ist mein Ring als Pfand und Ausweis für Dich bei Giles Gosling, hier auch Gold, das dreifach vermehrt werden soll, wenn Du mir treu und redlich dienst. Und nun auf nach Cumnor! Und sieh zu, was dort geschieht.«

»Ich gehe mit zwiefach gutem Willen,« erwiderte der Schmied, »erstlich, weil ich Euer Ehren diene, der so gütig gegen mich gewesen ist, und dann, um meinem alten Meister zu entgehen, der, sofern er nicht der Satan in Fleisch und Blut ist, doch wenigstens unheimlich viel vom Satan an sich hat, in seinem Willen sowohl wie in seinem Wort und seinem Handeln, wie nur je in einem Menschen zur Schande der Menschheit vorhanden gewesen sein mag.... Und doch soll er sich hüten vor mir! Ich fliehe vor ihm wie ehedem, aber gleich dem Wildochsen Schottlands reizt mich die häufige Hetze zur Wildheit, bis ich Haß und Verfolgung gegen ihn kehre. ... Will Euer Ehren Befehl geben zum Satteln meines Kleppers? Ich will nur Mylord die Medizin noch reichen, die ich in die verschiednen Portionen zerlegt habe, und einige Weisungen dazu hinterlegen. Sein Wohlbefinden und seine Rettung wird dann abhängen von seiner Dienerschaft und seinen Freunden. ... Vor dem, was geschehen, ist er außer Gefahr, aber, vor der Zukunft bewahrt und hütet ihn wie ein rohes Ei!«

Wieland der Schmied empfahl sich nun bei dem Grafen, gab ihm einige Winke für seine Diät und über seine sonstige Lebens- und Verhaltungsweise, Dann verließ er, ohne den Anbruch des Morgens abzuwarten, Says-Hof.


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