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Siebentes Kapitel

Der Sommerabend war zur Neige gegangen, und Jeanette kehrte rechtzeitig zurück, ehe sie durch zu langes Ausbleiben Verdacht in dem argwöhnischen Hause erregt hätte, und eilte in das Gemach, wo sie ihre Herrin verlassen hatte. Sie fand sie an einem Tische, beide Arme hatte sie darauf gelegt, und das Haupt lag auf ihren Armen. Als Jeanette hereinkam, sah sie weder auf, noch rührte sie sich.

Mit Blitzeseile stürzte die treue Dienerin zu ihrer Herrin, rüttelte sie sanft und beschwor sie aufs eindringlichste, aufzusehen und ihr zu sagen, was ihr so nahe gegangen sei. Die unglückliche Frau hob den Kopf und sah ihre Dienerin mit geisterhaftem Auge und kreidebleicher Wange an:

»Jeanette,« murmelte sie, »ich habe es getrunken.«

»Gott sei gelobt!« sagte Jeanette hastig, »ich meine, Gott sei getobt, daß es nicht schlechter ist, der Trank wird Euch nicht schaden. Steht auf, werft diese Lethargie von Euern Gliedern und diese Verzweiflung von Euerm Gemüt!«

»Jeanette,« wiederholte die Gräfin, »störe mich nicht – laß mich in Frieden – laß das Leben in Ruhe dahin gehen – ich bin vergiftet.«

»Ihr seid es nicht, meine teuerste Frau,« antwortete das Mädchen eifrig, »was Ihr geschluckt habt, kann Euch nichts schaden – Ihr hattet ja vorher das Gegengift zu Euch genommen. Ich bin hierher geeilt, um Euch zu sagen, daß der Weg zur Flucht offen steht.«

»Flucht!« rief die Dame und erhob sich rasch von ihrem Stuhle, während Licht in ihr Auge und Leben in ihre Wange zurückkehrte. »Noch ach! Jeanette, das kommt zu spät.«

»Nicht doch, teuerste Frau – steht auf, nehmt meinen Arm und geht im Zimmer auf und ab. Laßt nicht die Einbildung das Werk der Vergiftung tun – so, fühlt Ihr nicht jetzt, daß Ihr noch den vollen Gebrauch all Eurer Glieder habt?«

»Der Starrkrampf scheint nachzulassen,« sagte die Gräfin, während sie, von Jeanette gestützt, im Zimmer auf und nieder schritt. »Aber ist es denn so und habe ich nicht einen tödlichen Trank genossen? Varney ist hier gewesen, wie Du weg warst, und hat mir mit Augen, in denen ich mein Schicksal las, den furchtbaren Trank zu schlucken gegeben. O, Jeanette, es muß Gift sein, nie ward durch einen solchen Mundschenk ein harmloser Trank gereicht.«

»Er hat ihn vielleicht nicht in harmloser Absicht gereicht,« erwiderte das Mädchen, »aber Gott macht die Ränke der Bösen zu nichte, Euer Leben ist vor seinen Anschlägen sicher. Habt Ihr Euch ihm nicht zur Wehr gesetzt?«

»Alles im Hause war still,« antwortete die Lady, »Du warst fort, und er war allein im Zimmer, fähig zu jedem Verbrechen. Ich machte mir nur zur Bedingung, daß er mich von seiner abscheulichen Gegenwart befreien möge, und trank, was er mir anbot. – Aber Du sprachest von Flucht, Jeanette, – kann ich so glücklich sein?«

»Seid Ihr stark genug, die Nachricht zu hören und den Versuch zu machen?« fragte das Mädchen.

Stark!« versetzte die Gräfin. »Frage die Hindin, wenn der Hund den Fang aufreißt, sie zu packen, ob sie stark genug ist, über einen Abgrund zu springen! Ich bin zu jedem Versuche bereit, der mich von hier wegbringen kann.«

»Dann hört mich,« sagte Jeanette. »Einer, den ich für einen ergebnen Freund von Euch halte, hat sich mir in verschiednen Verkleidungen gezeigt und hat mich zu sprechen gesucht, und ich habe es ihm immer abgeschlagen, da ich erst heute abend den wahren Sachverhalt durchschaut habe. Es war der Hausierer, der Euch Waren brachte, – der reisende Krämer, der mir die Bücher verkaufte – und sobald ich hinauskam, konnte ich auch darauf rechnen, ihn zu treffen. Der Vorfall von heute abend hat mich bewogen, mit ihm zu sprechen. Er wartet eben jetzt am Hintertor des Parkes und hält alles zur Flucht bereit. Aber fühlt Ihr Euch auch bei Kräften? – Habt Ihr Mut und Fassung? – Könnt Ihr das Unternehmen wagen?«

»Wer vor dem Tode flieht,« sagte die Lady, »findet Kraft, und wer der Schande entrinnen will, dem mangelt es nicht an Mut.«

»Dann in Gottes Namen, Lady,« sagte Jeanette, »muß ich Euch Lebewohl sagen und Euch Gottes Hut anvertrauen.«

»So willst Du nicht mit mir fliehen, Jeanette?« fragte die Gräfin. »Soll ich Dich verlieren? Ist das Dein treuer Dienst?«

»Lady, ich würde gern mit Euch fliehen, aber wenn ich es täte, so würde unsre Flucht auf der Stelle entdeckt und wir sogleich verfolgt werden. Ich muß zurückbleiben, um eine Zeitlang die Wahrheit zu verschleiern.«

»So soll ich allein mit diesem Fremdling reisen?« fragte die Lady. »Bedenke, Jeanette, kann dahinter nicht ein finstrer Plan stecken, Dich von mir zu trennen, die Du meine einzige Freundin bist?«

»Nein, Gnädige, glaubt das nicht,« antwortete Jeanette rasch, »der Jüngling meint es ehrlich mit Euch, und er ist ein Freund von Junker Tressilian, in dessen Auftrag er hergekommen ist.«

»Wenn er ein Freund Tressilians ist,« sagte die Gräfin, »so will ich mich ihm anvertrauen, denn nie hat ein Mensch gelebt, der mehr von allem Niedrigen, Schlechten und Selbstsüchtigen frei gewesen wäre als Tressilian. Er hat immer sich selber vergessen, wenn er andern von Nutzen sein konnte. Ach! Und wie ist es ihm vergolten worden!«

Mit Hast und Eifer suchten sie die paar Sachen zusammen, die die Gräfin mitnehmen mußte und die Jeanette geschickt und rasch zu einem kleinen Bündel zusammenschnürte. Sie vergaß dabei nicht die wertvollen Schmucksachen, die ihr gerade unter die Finger kamen, und vor allem ein kleines Kästchen voll Juwelen, die in künftiger Zeit ihr, wie sie klug bedachte, leicht gute Dienste erweisen könnten.

Dann zog die Gräfin Leicester sich um und zog ein Kleid ihrer Zofe an, denn sie hielten es erforderlich, jedes äußre Merkmal zu vermeiden, das Aufmerksamkeit erregen könnte. Ehe diese Vorbereitungen beendet waren, war am sommerlichen Himmel der Mond aufgegangen, und im Hause war alles zur Ruhe – zum mindesten war es still in allen Gemächern.

Der Flucht von Haus und Garten stand kein Hindernis entgegen, sofern es ihnen gelang, ungesehen fortzukommen. Die flüchtige Gräfin eilte mit ihrer Führerin auf dem verwilderten Pfade dahin, der einst eine Allee gewesen war. Zweige breitästiger Bäume griffen über ihm ineinander, und ein zweifelhaftes Licht warf die Strahlen des Mondes herein, wo die Axt Lichtungen im Walde geschlagen hatte. Wiederholt sperrten gefällte Bäume ihnen den Weg, und die Unannehmlichkeit solcher Hindernisse, die atemlose Hast, in der sie den ersten Teil ihres Weges zurückgelegt hatten, der aufreibende Wechsel von Furcht und Hoffnung erschöpften so völlig die Kraft der Gräfin, daß Jeanette den Vorschlag machen mußte, ein paar Minuten zu rasten, um erst wieder zu Atem und Fassung zu gelangen.

Sie standen daher beide still unter dem Schatten einer mächtigen, alten, knorrigen Eiche und sahen unwillkürlich beide zurück zu dem Herrenhaus, dessen lange, dunkle Front in der finstern Ferne auftauchte und sich mit seinen Schornsteinen und Türmchen in scharfen Umrissen gegen den sommerlich blauen Nachthimmel abhob.

Den zweiten Teil ihres Weges legten sie mit mehr Bedacht und auch leichter zurück. So fanden sie Muße zu Erwägungen, und Jeanette fragte nun ihre Herrin, wohin sie sich zu wenden gedenke.

»Wahrscheinlich in Eures Vaters Haus,« setzte sie gleich hinzu, »dort könnt Ihr bestimmt auf Sicherheit und Schutz rechnen.«

»Nein, Jeanette,« sagte die Lady traurig, »ich habe Lidcotehall verlassen, als mein Herz noch leicht und mein Name noch ehrlich war, und ich will nicht eher dorthin zurückkehren, bis Mylord es mir erlaubt und unsre Ehe öffentlich anerkannt hat und ich mit all dem Rang und all den Ehren, die er mir beschert hat, dort einziehen kann.«

»Und wohin wollt Ihr denn, Mylady?« fragte Jeanette.

»Nach Kenilworth, Mädchen,« sagte die Gräfin kühn und frei, – »ich will die Festlichkeiten sehen – die fürstlichen Feste – deren Zurüstungen das Land von einer Seite zur andern in Aufruhr bringen. Mich dünkt, wenn die Königin von England in den Hallen meines Gemahls den Festjubel genießt, wird die Gräfin von Leicester keine unziemliche Gästin sein.«

»Ich bitte zu Gott, daß Ihr eine willkommne sein möget!« sagte Jeanette schnell.

»Ich habe weiter keinen Wunsch,« sagte die Gräfin, »als mich in den Schutz meines Gemahls zu begeben. Die Niederträchtigkeit der Männer, mit denen er mich umgeben hat, hat mich aus dem Hause, das er mir angewiesen hat, vertrieben – aber in nichts sonst will ich seinen Befehlen zuwider handeln. Ich will mich an ihn allein wenden, ich will mich von ihm beschützen lassen, und ich will aus seinem Munde Weisungen entgegennehmen, wie ich mich in Zukunft zu verhalten habe. Und ich bin entschlossen, mein Schicksal mit einem Schlage zu erfahren, und zwar von meinem Manne selber; und ihn in Kenilworth aufzusuchen, ist das beste Mittel zu meinem Zweck.«

Nach einer Weile fragte sie: »Bist Du auch vorsichtig gewesen, Jeanette, und hast diesem Führer, dem ich mich anvertrauen muß, nicht das Geheimnis meiner Lage verraten?«

»Von mir hat er nichts weiter erfahren,« sagte Jeanette, »und ich glaube, er selber weiß auch nichts weiter, als was die Welt im allgemeinen von Eurer Lage vermutet.«

»Und was ist das?«

»Ihr hättet Euers Vaters Haus verlassen – aber ich kränke Euch, wenn ich weiter spreche ...«

»Nein, sprich weiter,« sagte die Gräfin, »ich muß das Uebel ertragen lernen, das ich selber verschuldet habe. Denken also die Leute, ich sei die Maitresse Leicesters?«

»Varneys, denken die meisten wohl gar,« erwiderte Jeanette, »und doch nennen einige ihn nur den Strohmann Seiner Lordschaft, aber sie wagen es nicht, diese Meinung allzu laut zu äußern, damit sie nicht wegen Beleidigung des Adels bestraft werden.«

»Sie tun gut daran, leise zu sprechen,« sagte die Gräfin. »Denn wehe dem, der den edlen Dudley den Spießgesellen eines solchen elenden Schuftes wie Varney nennt! – Wir sind am Hintertor. – Ach, Jeanette, ich muß Dir Ade sagen. Weine nicht, mein gutes Mädchen, wir sehen uns wieder!«

»Gott geb es, teure Lady!« sagte Jeanette.

Nach harter Mühe hatte endlich der Schlüssel das Schloß der Hintertür bezwungen, und nicht ohne Schaudern sah die Gräfin sich jenseits der Mauern, die das strenge Geheiß ihres Gemahls ihr als die Grenze ihrer Spaziergänge bezeichnet hatte.

Voller Angst auf ihr Erscheinen wartend, stand Wieland der Schmied, ein paar Schritte entfernt hinter einer Hecke am Wegesrande.

»Ist alles sicher?« fragte Jeanette ihn ängstlich, während sie behutsam näher traten.

»Alles,« erwiderte er, »ich habe nur kein Pferd für die Lady besorgen können, aber das macht nichts, sie muß auf meiner Mähre reiten und ich werde neben ihr her laufen, bis wir ein andres Pferd bekommen.«

Die Gräfin wurde von Wieland aufs Pferd gehoben.

»Ade! Und möge Gott mit Euch sein!« sagte Jeanette, wieder ihrer Herrin die Hand küssend, die ihren Segenswunsch mit stummer Liebkosung erwiderte. Dann rissen sie sich auseinander, und Jeanette rief Wieland noch zu:

»Möge der Himmel mit Dir verfahren, wie Du treu oder falsch sein wirst gegen diese hilflose, unglückliche Dame!«

»Amen, teuerste Jeanette!« erwiderte Wieland.


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