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Achtes Kapitel.

Die Reisenden waren ohne Unterbrechung bis nach Donnington gekommen. Hier mußte die Gräfin sich ein wenig ausruhen, während Wieland mit seiner gewohnten Geschicklichkeit und Umsicht die Anstalten traf, die unerläßlich waren, wenn sie ihre Reisen auch fernerhin ohne Gefahren fortsetzen wollten. Er besorgte für sich und die Gräfin Kleider, die ihnen das Aussehen wohlhabender Landleute gaben, und bestimmte seine Gefährtin, daß sie sich, um möglichst alles Aufsehen zu vermeiden, für seine Schwester ausgeben sollte. Auch ein gutes Pferd, das mit dem seinen Schritt halten konnte, hatte er bald besorgt.

Als die Gräfin sich nach einigen Stunden ruhigen Schlafes wieder bei Kräften fühlte, setzten sie die Reise am Nachmittag fort und schlugen den Weg über Coventry und Warwick nach Kenilworth ein. Es war ihnen aber nicht lange beschieden, zu reisen, ohne einer Gefahr zu begegnen.

Der Wirt des Gasthofes in Donnington hatte ihnen mitgeteilt, daß eine lustige Gesellschaft soeben von Donnington aufgebrochen sei, die in Kenilworth Maskenspiele aufzuführen beabsichtige. Wieland kam sofort auf den Gedanken, sich dieser Truppe anzuschließen, sobald sie sie auf der Heerstraße einholen würden, denn er würde auf diese Weise, sagte er sich, weniger Aufsehen erregen, als wenn er mit der Dame allein reiste. Die Gräfin, der nur daran lag, Kenilworth so schnell als möglich zu erreichen, war ganz damit einverstanden.

Sie trieben also ihre Pferde an, um die Schauspielertruppe zu erreichen und in ihrer Gesellschaft weiter zu reisen – und kaum wurden sie die Schar gewahr, die aus Reitern und ein paar Fußgängern bestand und eben auf der Spitze eines kleinen Hügels, eine halbe Meile von ihnen, hinzog – da erblickte Wieland, der unablässig in der Runde spähte, einen Reiter, der, von einem Diener begleitet, auf schnellem Pferde herankam.

Wieland sah genauer hin und erblaßte.

»Das ist Richard Varneys Renner – unter tausend Pferden möchte ich ihn erkennen – jetzt wird die Sache ernst.«

»Zieht Euer Schwert,« antwortete die Lady, »und durchstoßt mir die Brust, ehe Ihr mich ihm in die Hände fallen laßt.«

»Eher wollte ich ihn oder mich selber durchbohren. Aber Fechten ist nicht eben meine Stärke, und ich habe auch bloß ein verrostetes Rapier, und er hat doch sicher eine Klinge von Toledo. Außerdem ist noch ein Diener bei ihm – ich glaube, der Raufbold und Trunkenbold Lambourne – ich fürchte mich vor beiden nicht in meiner guten Sache – Euer Pferd könnte noch ein bißchen schneller laufen, wenn Ihr ihm die Sporen geben wolltet – doch nein, gebt ihm nicht die Sporen, es sieht sonst so aus, als ob wir uns vor ihnen fürchten wollten. Wenn wir nun die Truppe vor ihnen erreichen könnten, dann würden wir uns unter sie mischen und unbeachtet entkommen – es müßte denn sein, daß Varney ausgeritten ist, um uns zu verfolgen – und dann sei Gott mir gnädig!«

Das Glück war ihnen günstig, und sie langten auf dem Gipfel des Hügels an und sahen, daß in einem kleinen Tale am andern Abhange des Hügels die Gesellschaft Halt gemacht hatte. Wieland schöpfte nun Hoffnung, daß sie sie erreichen würden, ehe Varney sie noch eingeholt hätte. Wieland war um so mehr in Sorge, als seine Gefährtin totenbleich geworden war und vor Entkräftung vom Pferde zu fallen drohte. Sie trieb aber trotzdem ihr Pferd so sehr zur Eile an, daß sie die Truppe im Tale erreichten, als Varney und Lambourne eben oben auf dem Hügel erschienen.

In der kleinen Gesellschaft, die sich um einige in dem Tale gelegne Hütten gruppierte, schien große Verwirrung zu herrschen. Die Frauen liefen zu einer der Hütten aus und ein, und die Männer standen mit ratlosen Gesichtern herum.

Wieland und seine Begleiterin hielten wie aus Neugierde an und mischten sich dann, ohne gefragt zu werden und selber zu fragen, unter die Gesellschaft, als hätten sie schon immer zu ihr gehört.

Fünf Minuten mochten sie abseits von der Landstraße gestanden haben, als Lord Leicesters Stallmeister und Lambourne den Hügel herabgesprengt kamen, die Flanken der Pferde und die Sporen der Reiter trugen die blutigen Male fliegender Eile. An dem theatralischen Aufputz der Schar, die einen leichten, mit ihren szenischen Requisiten beladnen Karren mit sich führte, erkannten die Reiter sogleich, wen sie vor sich hatten und in welcher Absicht die Leute unterwegs waren.

»Ihr geht nach Kenilworth, um dort Spiele aufzuführen?« fragte Varney.

» Recte quidem, domine spectatissime ,« antwortete einer.

»Und was zum Teufel bummelt Ihr hier?« entgegnete Varney. »Nur bei größter Eile könnt Ihr noch rechtzeitig nach Kenilworth kommen – morgen speist die Königin in Warwick zu Mittag – und Ihr Schelme macht hier Rast?«

»Ei, mein Herr,« sagte ein kleiner Zwerg, der eine Larve mit zwei scharlachroten Hörnern vorm Gesicht trug und ein prallanliegendes, schwarzfarbnes Wams mit roten Strümpfen anhatte, während seine Schuhe die Form von gespaltnen Klauen zeigten, »der Teufel, mein Vater, zwingt uns hier Halt zu machen, denn er hat unsre Gesellschaft um einen Sprößling vermehrt.«

»Du hast den Teufel im Leibe,« sagte Varney mit seinem sarkastischen Grinsen. »Und wie heißt denn die Teufelin, die sich die Zeit so schlecht ausgesucht hat?«

» Gaudet nomine Sybillae ,« sagte der, der zuerst gesprochen hatte, »sie heißt Sybille Laneham und ist die Frau des Herrn Laneham –«

»Des Pförtners vom Sitzungszimmer des Staatsrates,« erwiderte Varney, »das ist unverzeihlich von ihr, zumal sie doch schon darin genug Erfahrung hat, daß sie sich besser hätte vorsehen können. – Aber wer waren denn die Leute, ein Mann und eine Frau, die eben so eilig den Hügel hinaufritten? Gehören sie auch zu Eurer Gesellschaft?«

Wieland wollte selber schon auf diese beängstigende Frage antworten, als der kleine Teufel ihm zuvorkam.

»Mit Verlaub,« sagte er, indem er dicht an Varney herantrat und so leise redete, daß es niemand anders hören konnte, »der Mann ist unser Teufel senior, und er weiß Künste genug, daß er so ein Dämchen wie die Frau Laneham hundertmal ersetzen kann. Und die Weibsperson, das ist die kluge Frau, deren unsre leidende Gefährtin so dringend bedarf.«

»So, so, Ihr habt die Hebamme holen lassen? Na, man sah es ihr an, daß sie es eilig hatte. Und somit, wies im Stück heißt: Gott sei bei Euerm Werke!«

Mit diesen Worten gab er seinem Pferde die Sporen und galoppierte davon. Lambourne hinterdrein.

Der schlaue Zwerg machte jetzt einen Luftsprung und näherte sich dem Pferde Wielands.

»Ich habe nun gesagt, wer Ihr seid – nun sagt mir auch, wer ich bin.«

»Entweder Dickie Flibbertitibitsch, mein Popanz, oder im Ernst ein kleiner Teufel.«

»Du hasts getroffen,« erwiderte Richard Schlamm, »ich bin wahrhaftig Dein Popanz, Dein Flibbertitibitsch, und ich bin mit meinem gelahrten Lehrmeister aufgebrochen, wie ich Dir vorher gesagt habe, ob er wollte oder nicht. – Aber was hast Du da für eine Dame bei Dir? Ich sah, Du warst in der Klemme, als vorhin der Fremde nach Dir fragte – deshalb sprang ich ein und kam Dir zur Hilfe. Aber nun muß ich auch wissen, wer sie ist, lieber Wieland.«

»Du sollst fünfzigerlei viel schönre Sachen wissen, mein liebes Kleinchen,« sagte Wieland, »vorderhand aber laß Dein Gefrage. Ihr wollt nach Kenilworth und dahin will ich auch, aus Liebe zu Deinen Geschichtchen und Deiner spaßhaften Gesellschaft.«

»Als was willst Du denn mit uns reisen?«

»Als Gaukler, Du weißt, das Handwerk versteh ich,« erwiderte Wieland.

»Ja, aber die Dame?« antwortete Flibbertitibitsch, »ich denke doch, sie ist eine Dame – und Du bist in tausend Aengsten um sie in diesem Augenblick, das sehe ich Dir an Deinem fisprigen Benehmen an.«

»Sie, mein Junge? Sie ist eine arme Schwester von mir,« sagte Wieland, »sie kann singen und die Laute spielen.«

»Dann soll sie mir gleich was vorspielen,« sagte der Junge, »ich liebe das Lautenspiel.«

»Meine Schwester ist von der Reise erschöpft und bedarf der Ruhe,« versetzte Wieland, und zwischen die Zähne brummte er: »Hol der Teufel den Kobold mit seiner Neugierde! Ich muß mir ihn bei guter Laune halten, sonst fahren wir nur um so schlechter.«

Dann berichtete er dem Magister Feiertag von seinen Talenten als Gaukler und von der musikalischen Begabung seiner Schwester. Eine Probe seiner Geschicklichkeit wurde verlangt, die er so ausgezeichnet ablegte, daß die Gesellschaft entzückt war, solchen Zuwachs zu erhalten, und gern die Entschuldigung gelten ließ, die er vorgab, als auch eine Probedarbietung von seiner Schwester verlangt wurde. Die neuen Ankömmlinge wurden eingeladen, an der Mahlzeit teilzunehmen, die jetzt zubereitet wurde, und es bereitete Wieland nicht geringe Schwierigkeiten, sich mit seiner angeblichen Schwester während des Mahles ein wenig abseits zu halten. Er benutzte die Gelegenheit, sie zu ersuchen, daß sie auf kurze Zeit ihren Rang und ihren Schmerz vergessen und sich in die Gesellschaft der Leute mischen möge, mit denen sie reisen müßten, – denn nur so könnten sie hoffen, unentdeckt zu bleiben.

Die Gräfin sah die Notwendigkeit ein, aber im weitern Verlauf ihrer Reise kam Wieland selber auf den Gedanken, sich insgeheim von der Gesellschaft zu trennen, weil ihm Dickie Schlamm in seiner zudringlichen Neugierde zu viel zu schaffen machte.

»Deine Schwester, Wieland,« sagte er, »hat für eine Schmiedstochter einen hübschen Hals, und wenn man bedenkt, daß sie die Spindel gedreht hat, hat sie noch recht zierliche Finger, – ei, meiner Treu, ich will dran glauben, daß Ihr miteinander verwandt seid, wenn aus dem Krähenei mal ein Schwan auskriecht.«

»Geh zu,« sagte Wieland, »Du bist ein fürwitziger Bengel und verdienst die Knute für Deine Frechheit.«

»Schön,« sagte die Range und ging, »ich sage Dir weiter nichts, – denke dran, daß Du ein Geheimnis vor mir verbirgst, und wenn ich Dir das nicht gründlich versalze, so will ich nicht Richard Schlamm heißen.«

Diese Drohung und der Umstand, daß Popanz während der weitern Reise sich fern von ihm hielt, beunruhigten Wieland sehr, und er veranlaßte seine angebliche Schwester, daß sie unter dem Vorwande der Erschöpfung den Wunsch aussprechen solle, ein paar Meilen vor der Stadt Warwick Rast zu machen mit dem Versprechen, am andern Morgen die Truppe wieder einzuholen. Eine kleine Dorfherberge gab ihnen Obdach, und mit geheimer Freude sah Wieland die ganze Gesellschaft, Dickie Schlamm eingeschlossen, nach einem höflichen Abschiedsgruß weiterwandern.

»Morgen, gnädige Frau,« sagte er zu seiner Schutzbefohlenen, »wollen wir in aller Frühe aufbrechen, damit wir vor der großen Menge in Kenilworth eintreffen.«

Die unglückliche Gräfin von Leicester war von ihrer Kindheit an von ihrer Umgebung mit ebenso grenzenloser wie unvernünftiger Nachsicht behandelt worden. Durch die natürliche Milde ihres Charakters blieb sie davor bewahrt, in anmaßendes und übellaunisches Wesen zu verfallen. Aber die Grille, aus der heraus sie den hübschen, schmeichlerischen Leicester dem ehrlichen Tressilian vorzog, von dessen hoher Ehrenhaftigkeit und Zuneigung sie selber so felsenfest überzeugt war – dieser verhängnisvolle Irrtum, der das Glück ihres Lebens zerrüttet hatte, hatte seinen Ursprung in der schlecht angebrachten Güte, mit der ihr in ihrer Kindheit die schmerzliche, doch höchst notwendige Lehre der Unterordnung und Selbstzucht erspart worden war. Dieselbe Duldsamkeit hatte zur Folge, daß sie nur gewöhnt gewesen war, Wünsche zu hegen und auszusprechen, während es andern überlassen blieb, sie zu erfüllen; und so fehlte es ihr am gefährlichsten Punkte ihres Lebens nicht nur an Geistesgegenwart, sondern sie war auch völlig unfähig, für sich selbst einen vernünftigen und klugen Plan ihres Verhaltens zu entwerfen.

Mit zermalmender Wucht bedrückten diese Schwierigkeiten die unglückliche Dame an dem Morgen, der der Wendepunkt ihres Schicksals zu sein schien. Von jeder weitern Ueberlegung absehend, hatte sie nur gewünscht, in Kenilworth zu sein und mit ihrem Manne zusammenzukommen; und jetzt, da sie in beider Nähe war, drängten sich ihr tausend Bedenken zugleich auf, und sie sah sich von neuen großen Gefahren, teils wirklich, teils eingebildet, alle aber überspannt und gesteigert durch die völlig hilf- und ratlose Lage, umgeben.

Es traf sich gut, daß Wieland, der von seinen frühern Wanderschaften und seinem unsteten Leben her fast ganz England kannte, genau mit den Nebenwegen wie den Hauptstraßen in der schönen Grafschaft Warwick vertraut war. Denn so groß war die Menge, die von allen Richtungen her nach Kenilworth drängte, um den Einzug Elisabeths in das Schloß ihres Lieblings zu sehen, daß auf den Hauptstraßen ein Fortkommen nicht möglich war und sie die auf Umwegen zum Ziele führenden Nebenwege benutzen mußten, wenn sie ohne Aufenthalt vorwärts kommen wollten.

Die Zahlmeister der Königin hatten im ganzen Lande in Meiereien und Dörfern all die Dinge aufgekauft, die bei einer Reise der Königin in der Regel gebraucht wurden. Die Hausverwalter des Grafen Leicester hatten zu demselben Zwecke das Land durchstöbert, und viele seiner Freunde und Bundesgenossen von nah und fern benutzten die Gelegenheit, sich bei ihm in Gunst zu setzen, und schickten ihm große Massen an Proviant und Delikatessen aller Art, dazu Wild in großen Stücken und ganze Tonnen von den besten fremden und heimischen Weinen und Schnäpsen. So waren die Heerstraßen versperrt von großen Zügen von Ochsen, Schafen, Kälbern und Schweinen und von schwerbeladnen Karren, deren Achsen unter der Last von Weintonnen und Bierfässern und Kolonialwaren und geschossenem Wild und gesalznem Fleisch und Säcken voll Mehl, ächzten. Ununterbrochen fanden in dieser Folge von Wagenzügen Stockungen statt, wobei es zwischen den fluchenden Fuhrknechten oft gar zu Schlägereien kam.

Hier waren ferner Schauspieler und Masken, Gaukler und Spezialitäten aller Art. In lustigen Banden zogen sie die Pfade, die nach dem »Palast zur fürstlichen Lust« führten. So hatten die fahrenden Sänger Kenilworth in den Liedern genannt, die schon als ein Vorgeschmack der dort erwarteten Festlichkeiten herausgebracht worden waren. Inmitten dieser buntscheckigen Prozession stellten Bettler ihre wirklichen oder vorgegebnen Gebrechen zur Schau – ein seltsamer, doch alltäglicher Kontrast zwischen den Eitelkeiten und dem Elend des Menschenlebens. Alle diese trieben dahin mit der Hochflut von Volk, das aus purer Neugierde zusammengeströmt war.

Das Gedränge und der Wirrwarr war jedoch von frohlauniger und heitrer Art. Alle kamen herbei, um etwas zu sehen und sich zu vergnügen, und alle lachten über die kleinen Unannehmlichkeiten, die zu einer andern Zeit leicht böses Blut hätten machen können. Abgesehen von dem gelegentlichen Schimpfen jener leicht erregbaren Klasse, der Fuhrleute, waren die gemischten Töne, die aus dieser Menschenmasse emporstiegen, nur Laute der leichtsinnigen Fröhlichkeit und jener Ausgelassenheit, die sich im siebenten Himmel fühlt.

Nichts bereitet einem in Trübsal versunknen Gemüt mehr Schmerz, als wenn es sich in eine Szene der Lustigkeit und Schwelgerei versetzt sieht, wo alles eine so mißtönende Begleitung zu den eignen Gefühlen abgibt. Die Gräfin von Leicester aber fühlte sich durch den Lärm und das wirre Treiben der bunten Szene abgelenkt von ihren eignen trüben Gedanken, und es war ihr bei dem Leben um sie her unmöglich, über ihr eignes Unglück nachzusinnen oder furchtbare Ahnungen ihres künftigen Schicksals wachzurufen. Sie reiste, wie im Traume befangen, und folgte blindlings der Führung Wielands, der mit großer Geschicklichkeit jetzt sich durch das Gedränge vorschob, jetzt Halt machte, bis sich eine neue günstige Gelegenheit bot, wieder ein Stück weiter vorzudringen, und oft auch von dem Hauptwege abbog und einen kleinen Umweg auf einem Nebenwege machte, der sie wieder auf die Hauptstraße brachte, nachdem sie ein beträchtliches Stück bequemer und schneller zurückgelegt hatten.

Auf diese Weise umging er Warwick, in dessen Schlosse Elisabeth die verflossne Nacht verbracht hatte und wo sie bis zum Mittag – der damals in ganz England üblichen Essenszeit – bleiben wollte, um dann nach der Mahlzeit nach Kenilworth weiterzureiscn.

Endlich kam das fürstliche Schloß in Sicht, an dessen Einrichtung und äußrer Umgebung der Graf von Leicester umfassende Verbesserungen hatte vornehmen lassen, die ihm die Summe von 60 000 Pfund Sterling – nach unsrem jetzigen Gelde nahezu eine halbe Million Mark – gekostet haben sollen.

Die Außenmauer dieses herrlichen und gigantischen Baues umschloß sieben Morgen Land, einen Teil davon nahmen ausgedehnte Stallungen und ein Lustgarten ein, den Rest bildete der große Außenhof des edeln Schlosses. Das herrliche Gebäude selber, das nahe dem Mittelpunkt dieser umfangreichen Umhegung sich erhob, setzte sich aus einem gewaltigen Komplex von kastellartigen Bauten zusammen, die anscheinend zu verschiednen Zeitaltern entstanden waren. Jeder Teil der prachtvollen Gebäudemasse trug seinen Namen und sein Wappen nach einem mächtigen Häuptling, der schon längst dahingegangen war. Alle diese Einzelbauten waren um einen Innenhof herum errichtet. Eine große, wuchtige Feste, die die Zitadelle des Schlosses bildete, war von unbestimmtem, doch sicher sehr hohem Alter und trug den Namen Cäsar – vielleicht weil sie dem Turme dieses Namens im Tower von London ähnelte.

Allen frühern Besitzern hatte Leicester es zuvorgetan, so fürstlich und mächtig sie auch gewesen waren. Er hatte ein neues riesiges Gebäude aufführen lassen, das jetzt unter seinen eignen Trümmern begraben liegt – ein Denkmal des Ehrgeizes seines Besitzers. Die äußre Mauer dieses königlichen Schlosses war an der Süd- und Westseite geziert und verteidigt zugleich durch einen teilweise künstlich angelegten See, über den Leicester eine prachtvolle Brücke hatte schlagen lassen, damit die Königin auf einem bisher noch unbetretnen Wege ins Schloß einzöge, anstatt auf dem gewöhnlichen Wege von der Nordseite her, über dem er ein Torhaus hatte errichten lassen, das noch vorhanden ist und sich an Größe und baulicher Schönheit mit dem Schlosse manches Barons aus dem Norden messen kann.

Jenseits des Sees lag ein ausgedehntes Gehege voll Rot- und Damwild und aller andern Jagdbeute, überreich an hohen Bäumen, und von diesem Walde aus sah man die weithin sich streckende Front und die massigen Türme des Schlosses in Majestät und Schönheit emporragen. Um diesen fürstlichen Palast herum, wo Prinzen schlemmten und Helden fochten, bald im blutigen Ernst von Schlacht und Belagerung und bald in ritterlichen Spielen, wo Schönheit den Preis verteilte, den die Tapferkeit erworben hatte, ist jetzt alles Einöde. Das Bett des Sees ist nur ein von Binsen überwucherter Morast, und die wuchtigen Ruinen des Schlosses zeigen nur, was einst für Pracht hier gewesen, und der sinnende Besucher kann den Gedanken über den hinfälligen Wert menschlichen Besitzes und das Glück derer nachhängen, die ein bescheidnes Los in Zufriedenheit genießen.

Mit ganz andern Gefühlen sah die unglückliche Gräfin von Leicester die grauen, massigen Mauern zum erstenmal über die schattigen Wälder hinweg ragen. Sie, die unbestrittne Gemahlin des großen Grafen, des Lieblings der Elisabeth von Englands mächtigen Günstlings, näherte sich ihrem Manne und der Königin, dieses Mannes unter dem Schutze mehr als der Führung eines armen Gauklers, und obwohl sie die unbestrittne Herrin dieses stolzen Schlosses war, deren flüchtigstes Wort hätte genügen müssen, die Tore in ihren schweren, wuchtigen Angeln sich drehen zu machen zu ihrem Einlaß, so konnte sie sichs doch nicht verhehlen, mit welchen Schwierigkeiten und Gefahren es für sie verknüpft war, in ihre eignen Hallen hineinzukommen.

Gefahr und Schwierigkeiten schienen in der Tat mit jedem Augenblick zu wachsen und drohten endlich ihnen völligen Stillstand zu bereiten an dem großen Tore, das zu einem breiten, schönen Wege führte. Dieser Weg lief etwa zwei englische Meilen weit durch das Gehege, gewährte mehrere schöne Ansichten von dem Schloß und dem See und endete an der neu errichteten Brücke, über die die Königin bei diesem denkwürdigen Besuche das Schloß betreten sollte.

Das Tor, das zu dieser Allee führte, fanden die Gräfin und Wieland von einer Abteilung berittner Garde-Yeomen der Königin bewacht, die kurzweg allen den Zutritt verwehrten außer den zu dem Feste geladnen Gästen oder solchen Personen, die in den geplanten lustigen Veranstaltungen eine Rolle spielen sollten.

Das Gedränge an diesem Eingang war infolgedessen sehr groß, und Personen aller Art gaben alle möglichen Vorwände an, um hereingelassen zu werden. Die Wache hatte für all das ein taubes Ohr und wies alle schönen Worte und sogar annehmbare Trinkgelder mit dem Hinweis auf ihre strengen Befehle ab. Mit denen, die sich mit diesen Gründen nicht zufrieden gaben, gingen sie gröber um und trieben sie ohne Umstände zurück, indem sie mit ihren mächtigen Gäulen auf sie eindrängten oder ihnen derbe Hiebe mit den Kolben ihrer Karabiner versetzten.

Wieland wußte nicht, auf welche Weise er Einlaß erlangen sollte, und überlegte eben noch in großer Ratlosigkeit, wie er es anstellen sollte, als der Führer der Abteilung ein Auge auf ihn warf und zu seinem nicht geringen Erstaunen ausrief:

»Leute, macht Platz für den Burschen da im orangegelben Rock. Komm vor, Musjö Hanswurst, und mach schnell. Was im Namen des Teufels hat Dich aufgehalten? Komm vor mit Deinem Weiblein da!«

Während der Führer diese dringende, wenn auch unhöfliche Aufforderung an Wieland richtete, die dieser kaum als ihm geltend auffassen mochte, machten die Yeomen schleunigst freie Bahn für ihn, und Wieland raunte nur noch schnell seiner Gefährtin zu, den Schleier dicht an das Gesicht zu ziehen, und ritt dann durch das Tor, ihr Pferd am Zügel führend. Aber er ritt mit so niedergeschlagnen Blicken herein und in seinem Gesicht kam Angst und Beklommenheit so deutlich zum Ausdruck, daß das Volk, empört darüber, daß dieser Mann einen Vorzug vor den andern haben sollte, ihm ein lautes Hohngelächter nachschickte.

Also in das Gehege hineingelassen, ritten Wieland und seine Schutzbefohlne vorwärts und sannen, was wohl für Schwierigkeiten ihnen zunächst begegnen würden. Sie folgten der breiten Allee, an der zu beiden Seiten ein langes Spalier von Söldlingen Wache hielt – sie waren alle mit Schwertern und Partisanen bewaffnet und trugen die Livree des Grafen von Leicester mit den Kennzeichen Bär und Knotenstock, den Emblemen des Earls. Sie standen auf der ganzen Strecke vom Eingang in den Park bis zur Brücke in einem Zwischenraum von drei Fuß voneinander.

Und als die Lady zuerst eine umfassende Ansicht des Schlosses hatte, als sie die stattlichen Türme emporragen sah, die lange, gebogne Linie der Außenmauern, die Zinnen und Türmchen und Plattformen erblickte, von denen manches herniederwallte – als sie das Gewoge von bunten Helmbüschen und Federn auf den Terrassen und Estraden gewahrte – da sank ihr beim Anblick all der ungewohnten Pracht das Herz, als wollte es aufhören zu schlagen, und sie fragte sich auf einen Augenblick, was sie denn Leicester geboten habe, daß sie es verdiente, die Herrin dieser fürstlichen Pracht zu sein. Aber ihr Stolz und Edelmut widerstanden dem Geflüster, das sie verzweifeln hieß.

»Ich habe ihm,« sagte sie, »alles gegeben, was ein Weib zu geben hat. Namen und Ruf, Herz und Hand habe ich dem Herrn all dieser Pracht gegeben am Altar, und Englands Königin könnte ihm nicht mehr geben. Er ist mein Gemahl – ich bin sein Weib. – Die Gott vereint, kann der Mensch nicht auseinanderreißen. Kühn und beherzt will ich mein Recht beanspruchen, um so kühner, als ich so unerwartet und so verlassen ankomme. Ich kenne meinen edeln Dudley gut! Er wird wohl ein wenig zürnen, daß ich ihm nicht gehorcht habe – aber Amy wird weinen, und Dudley wird ihr verzeihen.«

Aus diesen Betrachtungen schreckte sie ein Ruf des Erstaunens von ihrem Führer Wieland, der sich plötzlich von zwei dünnen, schwarzen Armen um den Leib gefaßt fühlte. Der, dem diese Arme gehörten, hatte sich von einer Eiche auf seines Pferdes Rücken herabgelassen, unter dem lauten Gelächter der Postenkette.

»Dies muß der Teufel oder wieder Flibbertitibitsch sein!« rief Wieland, nachdem er vergebens versucht hatte, sich loszumachen und den Kobold, der sich an ihn klammerte, vom Pferde zu setzen. »Tragen die Eichen um Kenilworth solche Eckern?«

»Freilich, Meister Wieland,« erwiderte sein unerwarteter Bundesgenosse, »und manche andern noch, die zu hart sind, als daß Du sie knacken könntest, wenn ichs Dich nicht lehrte. Wie wart Ihr wohl durchs Tor dort oben gekommen, wenn ich ihm nicht vorher gesagt hätte, daß unser erster Gaukler und Possenreißer nachkommen würde? Und hier habe ich nun auf Euch gewartet, und die andern werden wohl schon ganz aus dem Häuschen sein, weil ich nicht da bin.«

»Na, Du bist ein Stück vom leibhaftigen Teufel selber, guter Kobold,« sagte Wieland. »Ich füge mich Dir und will Deinen Rat befolgen. Nur, wie Du mächtig bist, sei auch barmherzig!«

Unter so unheilvollen Umständen und unter so seltsamer Gesellschaft näherte sich die Gräfin von Leicester zum ersten Male der prachtvollen Behausung ihres fast fürstlichen Gemahls.


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