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Zwanzigstes Kapitel.

Kaum angelangt in seinem Kabinett, nahm Leicester seine Schreibblätter aus der Tasche und begann, halb zu Varney gewandt, halb zu sich selbst sprechend, die folgenden Zeilen zu Papier zu bringen:

»Von den vielen Männern Englands, die eng mit mir verbunden sind, vornehmlich jenen, die in hohem Amt und hohen Würden sind, sodann den vielen andern, die, wenn sie die Blicke rückwärts lenken und der Dienste gedenken, die ich ihnen erwiesen, anderseits vorwärts auf die Gefahren, die ihnen wohl selbst winken, werden meiner Ansicht nach etwelche sein, die mich im Kampfe nicht im Stiche lassen. ... Jedenfalls sei meinerseits alles, Personen und Verhältnisse, sorgsam erwogen. Hätten gegen diese Grundregel alles Handelns mein Vater und mein Großvater nicht gefehlt, so hätten sie ihr Haupt nicht auf den Block zu legen brauchen. ... Aber, Varney, warum so traurig? Gibt Euch der neue Rang, der neue Geist der Ritterschaft nicht kräftigere Impulse, wenn ein edler Kampf begonnen werden soll? ... Oder bedeutet Dein Seufzer, daß Du es vorziehen möchtest, diesem Kampf den Rücken zu wenden? ... Dann sag es rund heraus, es steht Dir nichts im Wege, das Schloß zu verlassen, und, sofern Dir dies das Liebere ist, Dich meinen Feinden anzuschließen.«

»Nicht also, Mylord,« erwiderte sein Vertrauter, »Varney wird an Eurer Seite fechten oder sterben. Jedoch vergebt mir, wenn ich aus Liebe zu Euch in stärkerm Grade, als Euer edles Herz es Euch erlaubt, die unentrinnbaren Schwierigkeiten sehe, von denen Ihr umgeben seid. Ihr seid stark, Mylord, und mächtig; aber, vergönnt mir dies Wort, ohne Euch dadurch gekränkt zu fühlen, Ihr seid beides nur durch den Abglanz königlicher Gnade! So lange Ihr Elisabeths Günstling seid, so lange seid Ihr alles, bis auf das Wort, gleich einem wirklichen Souverän. Aber laßt sie die Ehren, die sie auf Euch gehäuft, von Euch nehmen, so wird der Kürbis des Propheten nicht rascher vertrocknen, als Eure Macht und Eure Größe dahinschwinden werden. ... Gedenket jener, die vor Euch einen schlimmen Ausweg fanden! ... Vergeßt nicht, daß dieser Thron nicht ist wie andre, die durch ein Komplott mächtiger Edelleute gestürzt werden konnten; die breiten Fundamente, die ihn stützen, sind die wahre, tiefe Liebe des Volkes zu seinen Herrschern, die unausrottbare Anhänglichkeit und hohe Achtung, die im Volksherzen zum angestammten Throne wohnt. Ihr könnt ihn teilen mit Elisabeth, sofern Ihr wollt; doch weder Eure noch eine andre Macht, gleichviel ob einheimisch oder fremd, wird ihn stürzen oder nur erschüttern.«

Er hielt inne und Leicester schleuderte seine Schreibblätter auf die Erde. Eine Pause trat ein, die endlich durch Varney aufgehoben wurde, der in folgender Weise fortfuhr:

»So ist es denn zu jenem Punkte gekommen, den ich immer gefürchtet habe. Ich muß entweder gleich einem undankbaren Stück Vieh den Sturz des besten und gütigsten aller Herren mit ansehen, oder ich muß reden und sagen, was ich in tiefste Vergessenheit hätte begraben oder durch einen andern Mund als meinen künden lassen mögen.«

»Was redest Du? oder was willst Du sagen?« versetzte der Graf. ... »Wir haben keine Zeit, um Worte zu vergeuden, denn der Augenblick drängt zum Handeln.«

»Was ich sagen will, ist bald gesagt, Mylord,« antwortete Varney, »gäb Gott, es wär so schnell beantwortet! ... Die einzige Ursache zum drohenden Bruche mit der Königin ist Eure Ehe mit Amy ... ists so oder nicht?«

»Du weißt, daß es so ist,« erwiderte Leicester ... »wozu also die fruchtlose Frage?«

»Verzeiht, Mylord, die Nutzanwendung folgt. Es wagt ein Mann sein Land und Leben, um einen reichen Edelstein zu wahren; doch wärs zuerst nicht klug zu prüfen, ob nicht ein Flecken daran haftet?«

»Was soll die Rede?« fragte Leicester, die Augen scharf auf seinen Parteigänger gerichtet, »von wem wagst Du zu sprechen?«

»Von wem? nun, von der Gräfin ... von Lady Amy, Mylord ... von der ich zu meinem Unglück sprechen muß und sprechen werde, sollten mir auch Eure Herrlichkeit meinen Eifer mit dem Tode lohnen.«

»Der kann Dir von meiner Hand sicher sein,« erwiderte der Graf; »doch sprich weiter, anhören will ich Dich.«

»Dann, Mylord, will ich kühn sein, will für mein Leben reden wie für das Eurige. Mir behagt das Getue und Gehabe dieser Dame mit diesem ewigen Edmund Tressilian schon lange nicht. Ihr kennt ihn, Mylord. Ihr wißt, daß er früher sich für sie interessiert hat. Ihr wißt, daß es Eurer Lordschaft nicht so leicht wurde, ihn bei ihr auszustechen. Ihr kennt den Eifer, mit welchem er die Sache dieser Dame wider mich betrieben hat, während er doch die Absicht verfolgte, Eure Lordschaft zu einem Einbekenntnis dessen, was ich Eure unglückliche Heirat nennen muß, zu treiben ... derselben Sache also, zu der Euch ohne Rücksicht auf jede persönliche Gefahr Eurer Lordschaft auch diese Dame drängt.«

Leicester lächelte gezwungen.

»Du meinst es gut, mein wackrer Sir Richard! und möchtest, dünkt mich, die eigne wie jedes andern Ehre opfern, um mich vor dem zu bewahren, was Du für einen so gräßlichen Schritt hältst. Aber laß nicht aus den Augen,« ... diese Worte sprach er mit furchtbarer Strenge, ... »daß Du von der Gräfin Leicester sprichst.«

»Das halte ich wohl im Auge,« versetzte Varney; »doch ich spreche zur Wohlfahrt des Grafen von Leicester. Meine Rede steht aber erst im Anfang. Ich muß alles Ernstes glauben, daß dieser Tressilian, seit er für die Sache der Gräfin eingetreten, mit ihr in ständiger Beziehung gewesen ist.«

»Aus Dir spricht Wahnsinn, Varney,« rief Leicester, »dieweil Du das Gesicht eines Pfaffen zeigst ... . Wo oder wie hätten sie zusammenkommen können?«

»Mylord,« erwiderte Varney, »unseligerweise kann ich darüber nur allzu genau berichten. Kurz vorher, ehe in Tressilians Namen die Bittschrift an die Königin gelangte, traf ich ihn, zu meiner namenlosen Verwunderung, an der Hinterpforte, die aus dem Herrenhause nach Cumnor-Place führt.«

»Du trafst ihn? Schurke! und warum schlugst Du ihn nicht nieder?« schrie Leicester.

»Ich zog mein Schwert, und er auch, Mylord; und wäre nicht mein Fuß ausgeglitten, so wäre der Junker vielleicht kein Anstoß mehr auf dem Pfade Eurer Lordschaft.«

Leicester schien vor Staunen sprachlos. Endlich antwortete er:

»Was für andre Beweise hast Du, Varney, außer Deiner eignen Behauptung?.... denn wie ich schrecklich strafen will, so will ich kalt und nüchtern prüfen. Beim heiligen Himmel! ... doch nein, nein! ich will kalt und nüchtern, kalt und nüchtern prüfen.«

Er wiederholte diese Worte mehr als einmal, als läge in ihrem Klange eine besonders sänftigende Wirkung; dann preßte er die Lippen aufeinander, wie wenn er fürchtete, es könne ihm irgend ein heftiges Wort enteilen ... und dann fragte er zum andern Male:

»Was hast Nu weiter für Beweise?«

»Genug, Mylord,« antwortete Varney, »und mehr! . . . Ich wünschte, ich besäße sie allein, denn bei mir lägen, sie begraben für ewig. Aber mein Diener Lambourne war Zeuge des ganzen Vorgangs und die eigentliche Ursache, daß Tressilian nach Cumnor-Place kam. Eben darum habe ich ihn in meine Dienste genommen und auch im Dienste behalten, trotzdem er ein Lüdrian ist.« Er unterbreitete nun Lord Leicester, wie leicht es sei, durch das Zeugnis von Anthony Foster, dem noch die bekräftigenden Aussagen all der in Cumnor-Place befindlichen Nebenpersonen zur Seite stünden, den Beweis für die Zusammenkunft der Gräfin mit Tressilian zu erbringen. In seiner ganzen Erzählung ließ er sich auf keinerlei Fabel ein, sondern hielt sich an den Sachverhalt, wie er sich zugetragen, bloß daß er durchblicken ließ, die Unterredung zwischen der Gräfin und Tressilian könne wohl langer als ein paar Minuten gedauert haben, wenn es auch in Wahrheit nicht der Fall war.

»Wie kannst Du zweifeln, daß diese Zusammenkunft nicht in allen Ehren stattfand? Mich dünkt, die Gattin des Earl of Leicester dürfe wohl kurze Zeit mit einem Edelmanne wie Tressilian zusammen sein, ohne daß es mich beleidigen müsse oder mein Ansehen benachteiligen könne?«

»Allerdings, Mylord, und wenn ich gemeint hatte, es könne sich anders in dieser Hinsicht verhalten, so würde ich nicht Hüter des Geheimnisses gewesen sein. Aber hier liegt der Hase im Pfeffer! Tressilian verläßt das Schloß nicht, ohne mit einem armen Menschen, dem Gastwirt im Dorfe, einen schriftlichen Verkehr zu verabreden, dessen Zweck kein andrer ist, als Mittel und Wege zu vereinbaren, die Lady von dort wegzuschaffen. Er schickt einen Boten hin, als Hausierer verkleidet, dem es gelingt, sich im Schlosse einzuschleichen; es gelingt dem Boten, die Lady zu sehen und zu sprechen ... und sie fliehen miteinander und erreichen auch dieses Schloß, wo die Gräfin Leicester Zuflucht fand ... ich darf nicht sagen, wo?«

»Rede! ich befehle es Dir!« rief Leicester streng; »sprich, so lange ich noch Verstand besitze, Dich anzuhören!«

»Wenn es denn sein muß,« erwiderte Varney, »nun, die Dame ist sogleich zu Herrn Tressilian geeilt und dort, teils in seiner Gesellschaft, teils allein, mehrere Stunden geblieben. Ich erzählte Euch, Tressilian habe eine Liebste bei sich, ... ließ mir aber wenig träumen, wer diese Liebste sei ...«

»Amy, wolltest Du sagen? wie?« antwortete Leicester, »aber es ist gelogen! es ist falsch! es stinkt nach Höllenqualm!« schrie Leicester, wie außer sich ... »Nimmermehr!! Nimmermehr!! ... Beweise, Beweise! gib mir Beweise!«

»Carrol, der Hausverwalter, hat sie gestern nachmittag auf eignes Begehren dorthin geführt ... Lambourne und der Schließer fanden sie heute morgen dort ...«

»War Tressilian bei ihr?« fragte Leicester wild.

»Nein, Mylord,« entgegnete Varney ... »Eure Lordschaft erinnert sich wohl, daß Tressilian gewissermaßen Stubenarrest hatte unter Obhut von Nikolaus Blunt ...«

»War es Carrol und den andern Kerlen bekannt, wen sie vor sich hatten?« fragte Leicester.

»Nein, Mylord,« versetzte Varney, »Carrol und der Schließer hatten die Gräfin nie zuvor gesehen, und Lambourne hat sie in ihrer Verkleidung nicht erkannt; aber als er sie hindern wollte, das Gemach zu verlassen, blieb ein Handschuh in seiner Hand zurück, den Eure Lordschaft, meine ich, wohl wiederkennen wird ...«

Er gab den Handschuh dem Grafen; er trug das gräfliche Wappen mit dem Bären und dem Knotenstock in Perlen gestickt.

»Ja, den Handschuh erkenne ich als den der Gräfin,« sagte Leicester, »waren sie doch ein Geschenk von mir! der andre saß auf ihrem Arm, den sie heute morgen um meinen Hals legte ...« und wilde Erregtheit sprach aus diesen Worten.

»Eure Lordschaft kann ja die Lady selbst befragen,« fuhr Varney fort, »ob, was ich berichte, auf Wahrheit beruht.«

»Nicht nötig, nicht nötig!« rief der Graf, der, wie auf die Folter gespannt, tief aufstöhnte ... dann rief er: »Wie mit feuriger Schrift steht es vor meinen Augen und blendet mich! Ich sehe ihre Schande ... ich kann nichts andres sehen ... und, grundgütiger Himmel! um dieses schändlichen Weibes willen stand ich im Begriff, das Leben so vieler Freunde in Gefahr zu setzen! das Fundament eines geheiligten Thrones zu erschüttern! ein friedliches Land mit Feuer und Schwert zu überziehen! ... der gnädigen Fürstin, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin, Gram und Herzeleid zu bereiten! ... und das alles um eines Weibes willen, das mit meinen Feinden unter einer Decke steckt ... das mich hintergeht mit meinem schlimmsten Widersacher! ... Und Du, Schurke, warum hast Du Dein Maul nicht früher aufgetan?«

»Mylord! eine Träne hätte wohl alles gut gemacht ...« meinte mit leisem Hohne Varney. ...

»Und doch,« klagte der Graf, »so jung, so schön! so wunderschön! so liebevoll, so innig kosend! und so falsch! so falsch!« ... der Graf schlug die Hände vor das Gesicht ... dann schrie er: »Ha! ich sehe alles! alles! den Stand und Titel des ehrlichen Narren mochte sie nicht missen, der sie geheiratet hat! und wenn mich mein Wahnsinn dazu getrieben hätte, Aufruhr ins Land zu bringen ... wenn mein Haupt, wie die Königin heute morgen gedroht hat, auf dem Block gefallen wäre, dann wäre das reiche Wittum ihr in den begehrlichen Schoß gefallen ... dann wäre der bettelarme Tressilian reich und glücklich gewesen. ... Darum, bloß darum wollte sie mich in Gefahr jagen, weil doch alles nur ausfallen konnte nach ihrem Wunsche, nach ihrem Plane! ... Varney, kein Wort mehr von ihr! ... Rede mir nichts von Verzeihung! ... sie ist gerichtet! bloß ihr Blut kann meine Schmach abwaschen ... ihr Blut will ich ... ihr Blut!«

Mit diesem Schrei stürzte er aus dem Zimmer, dessen Tür er hinter sich abschloß und verriegelte.


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