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Elftes Kapitel.

In dem wirren Treiben, von dem das Schloß erfüllt war, eine besondre Person herauszufinden, war nicht leicht, indessen erfuhr Wieland durch indirekte Fragen, die er vorsichtig stellte, Tressilian müsse bei einer großen Schar von Herren im Gefolge des Grafen von Sussex sein, der an diesem Morgen nach Kenilworth gekommen und von Leicester mit großer Ehrerbietung empfangen worden sei. Beide Earls seien aber jetzt mit Edelleuten, Rittern und Herren der Königin nach Warwick entgegengeritten, um sie nach Kenilworth zu begleiten.

Wie andre großen Ereignisse hatte sich auch die Ankunft der Königin von Stunde zu Stunde verzögert, und ein Bote, der atemlos herankam, meldete, daß die Majestät – zurückgehalten von dem Wunsche, die Huldigung ihrer Untertanen, die sich in Warwick zusammengedrängt hätten, entgegenzunehmen – erst in der Dämmerstunde nach Kenilworth kommen würde. Diese Nachricht ließ nun denen, die in der Erwartung auf eine augenblickliche Ankunft der Königin sich schon die Rollen zurechtgelegt hatten, die sie bei der Feierlichkeit zu spielen hatten, noch eine kurze Frist; und als Wieland ein paar Reiter in das Schloß hereinkommen sah, hoffte er schon, Tressilian wäre darunter. Aber während er noch eifrig nach dem ausspähte, den er doch nicht sehen konnte, wurde er von jemand, vor dem er am liebsten sich nicht hier hätte sehen lassen, am Aermel gezupft.

Dies war Dickie Schlamm oder Flibbertitibitsch, und was Wieland auch innerlich empfinden mochte, so hielt er es doch für nötig, über das unerwartete Zusammentreffen Freude zu bekunden.

»Ei, Du bist es, mein kleiner Kobold? Sage mir doch nur, wie bist Du denn mit dem dickköpfigen Riesen fertig geworden?«

»Das ist mein Geheimnis,« versetzte der kleine Kerl. »Aber sagt mir doch, wollt Ihr mir nicht die Geschichte von dieser Dame, Eurer Schwester, erzählen, die ebenso wenig Eure Schwester ist wie ich?«

»Was könnte Dir das nützen?« fragte Wieland.

»O, steht es so zwischen uns?« fragte der Junge, »na, ich kümmre mich ja nicht weiter drum – bloß wenn ich ein Geheimnis wittre, so versuche ich im guten oder im bösen dahinter zu kommen, und somit guten Abend.«

»Nein, aber lieber Dickie,« sagte Wieland, der die rastlose Ränkesucht des Knaben zu gut kannte, um nicht sich vor seiner Feindschaft zu fürchten, – »warte doch, lieber Dickie, – reiß nicht so kurzweg vor Deinen alten Freunden aus! – Du sollst alles, was ich über die Dame selber weiß, eines Tages ja schon noch erfahren!«

Aber Richard Schlamm war schon mit einem Luftsprung aus dem Torweg, lief mit der ihm eigentümlichen außerordentlichen Geschwindigkeit über die Brücke auf den Galerieturm zu und war im Augenblick verschwunden.

Tressilian aber, den Wieland hier so ängstlich erwartete, war schon auf anderm Wege wieder ins Schloß gelangt. Allerdings war er mit der Kavalkade des Earls nach Warwick geritten. Als er aber Varney unter Leicesters Gefolge sah, und dieser sich ihm zu nähern und ihn anzureden schien, hielt er es für geraten, ein solches Zusammentreffen jetzt zu vermeiden. Er war daher wieder zu Pferde gestiegen und nach Kenilworth zurückgeritten, das er auf einem fernen Umwege erreichte und durch eine kleine Pforte in der Westmauer betrat, zu der man ihn als einen der Anhänger des Grafen von Sussex ohne weitres hineinließ – denn Leicester hatte befohlen, gegen Sussex und seine Leute die weitgehendste Höflichkeit zu üben. So kam es, daß er Wieland nicht traf, der ihn ungeduldig erwartete, und den er selber ebenso sehnlichst zu sehen wünschte.

Nachdem er sein Pferd seinem Diener übergeben hatte, erging er sich ein Weilchen im Lustgarten, mehr um in verhältnismäßiger Einsamkeit seinen Gedanken nachzuhängen, als um die einzigen Schönheiten der Natur und der Kunst zu bewundern, die die Großartigkeit Leicesters hier zusammen gebracht hatte. Während es in allen andern Teilen des Schlosses lärmte, war der Garten still, und nur die Blätter rauschten, die Insassen eines großen Vogelkäfigs zwitscherten um die Wette mit ihren glücklichern Gefährten, die noch unter freiem Himmel wohnten, und die Springbrunnen plätscherten, die, von Bildwerken phantastischer und grotesker Art in die Luft geschleudert, lautlos in die großen Becken von italienischem Marmor zurückfielen.

Tressilian riß sich aber endlich aus seiner traurigen Verlorenheit, und um sich selber zu andern Gedanken zu zwingen, verließ er den Lustgarten, um sich unter die lärmende Menge auf den Wällen zu mischen. Aber als er das lustige Stimmengewirr und das Lachen und die Musik hörte, fühlte er ein unzähmbares Widerstreben, und es war ihm unmöglich, sich in dieser Gesellschaft zu verlieren; so beschloß er, auf das ihm zugewiesne Zimmer zu gehen und sich mit Studien zu befassen, bis das Läuten der großen Schloßglocke die Ankunft Elisabeths verkünden würde.

Tressilian schritt daher zu dem dritten Stock vom Mervynsturm hinauf und klinkte an der Tür des kleinen Gemachs, das ihm zuerteilt worden war – er war erstaunt, es abgeschlossen zu finden. Aber es fiel ihm ein, der Kammerdiener hatte ihm einen Schlüssel gegeben und ihm geraten, bei dem jetzigen Wirrwarr im Schlosse seine Tür möglichst immer verschlossen zu halten. Diesen Schlüssel steckte er jetzt ins Schloß, der Riegel sprang auf, und er trat ein. Im selben Augenblick sah er eine Frauengestalt in dem Zimmer sitzen und erkannte in ihr Amy Robsart.

Das Erstaunen der Gräfin war kaum geringer, obwohl sie von Wieland gehört hatte, daß er im Schlosse sei. Sie war aufgesprungen und stand ihm jetzt gegenüber, die Blässe auf ihren Wangen war einer tiefen Röte gewichen.

»Tressilian,« sagte sie endlich. »Wie kommt Ihr hierher?«

»Nein, wie kommt Ihr hierher, Amy?« entgegnete Tressilian. »Es sei denn, um endlich die Hilfe anzurufen, die, soweit das Herz und der Arm eines Menschen reichen können, Euch auf der Stelle erwiesen werden soll?«

Sie schwieg einen Augenblick, und dann antwortete sie in mehr traurigem als ärgerlichem Tone:

»Ich bedarf keiner Hilfe, Tressilian, und es gereichte mir eher zum Schaden als zum Nutzen, wenn Ihr mir irgendwelche Dienste anbieten wolltet. Glaubt mir, ich bin in der Nähe eines Mannes, der durch Gesetz und Liebe verpachtet ist, mich zu beschützen.«

»Der Schurke hat Euch also die klägliche Gerechtigkeit angedeihen lassen, die allein noch in seiner Macht war,« sagte Tressilian, »und ich sehe vor mir die Gattin dieses Varney?«

»Varneys Gattin!« versetzte sie mit allem Nachdruck der Verachtung. »Mit welchem gemeinen Namen, Herr, brandmarkt Eure Frechheit die – die – die –«

Sie stockte und sah zu Boden, während die zornige Rede ihr auf den Lippen erstarb, und schwieg voller Verwirrung, denn sie dachte gleich daran, was für verhängnisvolle Folgen es haben könne, wenn sie den Satz mit den Worten »die Gräfin von Leicester« vollendete. Das wäre ein Verrat des Geheimnisses, von dem das Glück ihres Gatten abhing, wie er ihr selber versichert hatte – das hieße es nicht nur Tressilian, sondern auch Sussex und der Königin und dem ganzen versammelten Hofe verraten.

»Nimmer,« dachte sie, »will ich das Schweigen brechen, das ich versprochen habe. Lieber will ich jeden Verdacht auf mich fallen lassen.«

Die Tränen traten ihr in die Augen, während sie schweigend vor Tressilian stand. Er sah sie voller Schmerz und Mitleid an und sagte:

»Amy, Amy, Eure Augen widersprechen Eurer Zunge. Diese spricht von einem Beschützer, der willens und im stande sei, Euch zu behüten, und jene sagen mir, daß Ihr zu Grunde gerichtet und verlassen seid von dem Elenden, an den Ihr Euch gehängt habt.«

Sie sah ihn mit einem Blick voll funkelnden Zornes an, den die Tränen nicht verschleierten, aber sie wiederholte nur die Worte: »Von dem Elenden!« mit dem Nachdruck der Entrüstung.

»Ja, von dem Elenden!« sagte Tressilian; »denn wenn er etwas Bessers wäre, warum seid Ihr hier und allein in meinem Zimmer? Warum sind nicht die erforderlichen Vorbereitungen für einen ehrenvollen Empfang getroffen worden?«

»In Eurem Zimmer?« wiederholte Amy. »In Eurem Zimmer? Das soll sofort von meiner Gegenwart befreit werden.« Sie eilte auf die Tür zu, aber der betrübende Gedanke an ihre Verlassenheit bedrückte sie sogleich wieder, und sie blieb auf der Schwelle stehen und setzte in unsäglich leidensvollem Tone hinzu:

»Wehe! Ich vergaß – ich weiß ja gar nicht, wohin ich gehen soll.«

»Ich durchschaue das alles,« sagte Tressilian und sprang an ihre Seite und führte sie zu dem Stuhle zurück, auf den sie niedersank, »Ihr bedürft der Hilfe – Ihr bedürft des Schutzes, wenn Ihr es auch nicht zugeben wollt, und Ihr sollt dessen nicht lange bedürftig bleiben. An meinen Arm gelehnt, neben mir als dem Vertreter Euers ausgezeichneten, vom Herzeleid gebrochnen Vaters, sollt Ihr an der Schwelle des Schloßtores vor Elisabeth treten, und die erste Tat, die sie in den Hallen von Kenilworth tun soll, wird ein Akt der Gerechtigkeit gegen ihr Geschlecht und ihre Untertanen sein. Im starken Vertrauen auf meine gute Sache und die Gerechtigkeit der Königin soll die Macht ihres verhätschelten Günstlings meinen Entschluß nicht erschüttern. Ich will auf der Stelle Sussex aufsuchen.«

»Um alles nicht!« rief die Gräfin bestürzt – sie fühlte, daß es vor allem notwendig war, Zeit zum mindesten zur Ueberlegung zu gewinnen. »Tressilian, Ihr wart sonst immer edelmütig, – gewährt mir eine Bitte und glaubt mir, wenn es Euer Wunsch ist, mich vor Elend und Wahnsinn zu retten, so werdet Ihr durch das Versprechen, das ich von Euch erbitte, mehr für mich tun, als Elisabeth mit all ihrer Macht kann.«

»Bittet mich um alles, wofür Ihr triftige Gründe angeben könnt,« sagte Tressilian, »doch verlangt nicht von mir ...«

»O, setzt Eurer Güte keine Grenzen, lieber Edmund!« rief die Gräfin aus, – »einst lag es Euch ja am Herzen, daß ich Euch so nennen sollte – schränkt nicht Eure Güte durch Gründe ein! Denn meine Seele ist eitel Wahnsinn, und die Tollheit muß die Ratschläge leiten, die allein mir helfen können.«

»Wenn Ihr so wirr und wild redet,« sagte Tressilian, während er abermals über dem Erstaunen seinen Entschluß und seinen Schmerz vergaß, »so muß ich Euch in der Tat für unfähig halten, für Euch selber zu überlegen und zu handeln.«

»O nein!« rief sie aus und sank vor ihm auf ein Knie, »ich bin nicht von Sinnen – ich bin nur ein unsäglich unglückliches Geschöpf, und durch die allerseltsamsten Umstände werde ich in den Abgrund gezogen, vom Arme dessen, der eben mich davor bewahren will – eben Euch, Tressilian, den ich geehrt, hochgeschätzt – wenn auch nicht geliebt habe – und doch auch geliebt, ja, auch geliebt, Tressilian – wenn auch nicht so, wie Ihr es wünschtet.«

Es lag in ihrer Stimme und in ihrem Wesen eine Energie – eine Selbstbeherrschung – ein Sichhingeben – ein unbegrenztes Vertrauen auf seine Großmut, daß er tief gerührt war. Er hob sie auf und bat sie in gebrochnen Lauten, sich zu trösten.

»Ich kann mich,« sagte sie, »ich will mich nicht trösten, ehe Ihr mir nicht meine Bitte gewährt! Ich will so deutlich sprechen, wie ich darf – ich erwarte jetzt die Befehle eines Mannes, der ein Recht hat, mir Befehle zu erteilen – die Einmischung eines dritten, besonders Eurer Person, Tressilian, wäre mein Verderben – mein gänzliches Verderben. Wartet nur vierundzwanzig Stunden, und es kann sein, daß die arme Amy in der Lage sein wird, zu zeigen, daß sie Eure uneigennützige Freundschaft schätzt und zu belohnen weiß – daß sie selber glücklich und auch in der Lage ist, Euch glücklich zu machen – es ist sicherlich der Mühe wert, sich auf so kurze Zeit zu gedulden.«

Tressilian schwieg und erwog im Geiste die verschiednen Möglichkeiten, die eine energische Einmischung seinerseits mehr schädlich als vorteilhaft gestalten könnten, er bedachte auch, daß sie in den Mauern von Kenilworth sei und daß sie zum mindesten vor allen Unbilden solange gesichert sei, als das Schloß durch die königliche Gegenwart geehrt und durch die königlichen Wachen geschützt sei – und er war im Grunde selber der Meinung, daß er ihr mehr einen bösen als einen guten Dienst erwiese, wenn er das in ihrer Sache von ihm an Elisabeth gerichtete Gesuch jetzt durch sie selber vertreten ließ.

»Amy,« sagte er, indem er seine traurigen und ausdrucksvollen Augen auf sie heftete, während sie die ihrigen in ihrem Uebermaß von Zweifel, Furcht und Ratlosigkeit zu ihm aufschlug, »ich habe immer erkannt, wenn andre Euch kindisch und eigensinnig nannten, es lag unter diesem äußern Anschein von jugendlicher und eigenwilliger Torheit tiefes Gefühl und kraftvoller Verstand. Und auf diese beiden will ich vertrauen und auf die Zeit von vierundzwanzig Stunden Euer Schicksal in Eure eignen Hände legen, ohne mich mit Worten oder Taten einzumischen.«

»Versprecht Ihr mir das, Tressilian?« fragte die Gräfin. »Ist es möglich, daß Ihr jetzt noch so großes Vertrauen zu mir haben könnt? Versprecht Ihr, so wahr Ihr ein Edelmann und ein Ehrenmann seid, Euch weder durch Reden noch durch Handlungen in meine Angelegenheiten zu mischen, auch wenn Ihr sonst etwas hören und sehen mögt, was Euch zur Anteilnahme reizen könnte? Wollt Ihr mir so weit vertrauen?«

»Ich will es – bei meiner Ehre,« sagte Tressilian, »aber wenn diese Zeit um ist –«

»Wenn diese Zeit um ist,« sagte sie, ihm ins Wort fallend, »könnt Ihr nach Gutdünken und ganz nach Euerm eignen Urteil handeln.«

»Kann ich sonst nichts für Euch tun, Amy?« fragte Tressilian.

»Nichts,« sagte sie, »nichts als mich verlassen – sofern Ihr mir Euer Zimmer auf vierundzwanzig Stunden abtreten könnt.«

»Das ist höchst wundersam!« rief Tressilian. »Was könnt Ihr zu hoffen haben in einem Schlosse, wo Ihr nicht einmal über ein Zimmer gebieten könnt?«

»Sucht nicht nach Gründen, sondern verlaßt mich,« sagte sie, und als er langsam und widerstrebend ging, setzte sie hinzu: »Edler Edmund! Die Zeit kommt wohl noch, wo Amy zeigen kann, daß sie Deine edle Zuneigung verdient hat.«


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