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Einundzwanzigstes Kapitel.

Man erinnerte sich später oft, daß während der Schlußfestlichkeiten an diesem ereignisvollen Tage Lord Leicester und Sir Varney die Rollen gewechselt zu haben schienen. Varney, der sonst immer nur als Mann für Rat und Tat, für ernste Verhandlungen und kühne Pläne gegolten hatte, und sich von geselligen Freuden gewissermaßen aus Prinzip fernzuhalten pflegte, war der ausgesprochne »Ladiesman« geworden, der dem Gotte des Frohsinns in so ungebundner Weise huldigte, daß er es dreist mit dem lustigsten Kameraden hätte aufnehmen können, und daß alle Welt sich vor Staunen ob solcher Gemütswandlung gar nicht zu fassen vermochte; aber Varney war nun einmal ein Mann der vielseitigsten Fähigkeiten, der sicher das Zeug in sich gehabt hätte, eine hervorragende Erscheinung seines Zeitalters zu werden, wäre nicht der Hang zur Schlechtigkeit und zu gemeiner Intrige so eigentümlich stark bei ihm ausgeprägt gewesen.

In völlig anderm Lichte zeigte sich Lord Leicester, der sonst als galanter Höfling allabendlich den Sieg davontrug über die gesamte elegante Herrenwelt, die gleich ihm die Damen umschwirrte; Lord Leicester, der immer fröhliche, immer lustige und immer dienstbeflissne »Galanthomme« sprach und bewegte sich schwerfällig und mühsam, gleich ob sein Wille alle Kraft verloren hätte über seine schöne Gestalt und seinen schönen Geist. Die seltsame Wirkung, die diese Gemütswandlung auf sein Benehmen und Wesen und auf die Unterhaltung ausübte, entging begreiflicherweise jener Fürstin nicht, die als die klügste und gebildetste ihrer Zeit galt. So klar es auch am Tage lag, daß sich Elisabeth bemühte, die Ursache hierzu in der Heftigkeit der Zurechtweisung zu suchen, die sie dem Grafen am Morgen dieses Tages erteilt hatte, und so beflissen sie sich zeigte, ihm Zeit und Gelegenheit zur Sammlung zu geben, statt eine schon des öftern bemerkte Unaufmerksamkeit und Vernachlässigung zu strafen, wozu sie sich sonst wahrlich nicht nötigen ließ, ... so ließ sich nichtsdestoweniger voraussehen, daß Elisabeth endlich doch die Geduld ausgehen und daß sie dem unhöflichen Benehmen des Höflings mit Strenge ein Ziel setzen werde, ... da wurde der Graf in ein Nebenzimmer gerufen mit dem Bescheide, daß Varney dort auf ihn warte.

Zweimal ließ er sich rufen, ehe er aufstand, um der Aufforderung zu folgen; als er, wie instinktiv, jäh inne hielt und sich dann umdrehte, die Königin um Erlaubnis, sich zu entfernen, bittend.

»Geht, geht, Mylord,« sprach diese; »Wir wollen Uns wohl denken, daß Unsre Gegenwart mancherlei plötzliche und unvermutete Zwischenfälle veranlassen mag, die augenblickliche Abhilfe erheischen. Indessen möchten Wir doch, sofern Ihr darauf rechnet, daß Wir noch länger Euer Gast bleiben, den Wunsch aussprechen, künftighin Eure Aufmerksamkeit weniger auf Unsre Bewirtung gerichtet zu halten als darauf, daß Ihr Uns ein freundliches Gesicht zeigt, ... was Wir leider heute recht sehr vermißt haben ...«

Leicesters ganze Antwort auf diese Rüge war eine stumme Verbeugung. An der Tür des Nebengemachs erwartete ihn Varney, der ihn hastig auf die Seite zog und ihm zuraunte:

»Mylord, alles steht gut.«

»Hat Masters sie gesehen?« fragte der Graf.

»Ja, Mylord! seine Meinung ist, sie leide an Gehirnaffektion und werde am besten aufgehoben sein bei ihren Angehörigen. Die Gelegenheit, sie unserm Plane gemäß fortzuschaffen, ist also da.«

»Aber Tressilian!« sagte Leicester.

»Er soll erst später hören, daß sie fort ist,« erwiderte Varney; »heute abend soll sie reisen und morgen wollen wir uns mit ihm befassen.«

»Nein, bei meiner Seele!« rief Leicester, »ich will mich rächen an ihm mit eigner Hand!«

»Ihr, Mylord, an solch unbedeutendem Menschen wie Tressilian? ... Nein, Mylord, es ist schon lange sein Wunsch, sich fremde Länder anzusehen. Ueberlaßt ihn mir! Ich will Sorge tragen, daß er den Heimweg nicht mehr finde, daß es ihm vergehe, den Klatschbruder zu spielen.«

»Nicht so, beim Himmel! Varney, nicht so!« rief Leicester ... »unbedeutend nennst Du einen Feind, der im stande war, mich so tief zu verletzen, daß mein ganzes Leben hinfort eine Kette von Jammer und Reue sein wird? ... Nein! ehe ich mich des Rechtes der Rache an ihm begebe, werfe ich mich vor den Thron und bekenne der Königin die ganze Wahrheit, auf daß sie mich räche an diesem Elenden!«

Varney bemerkte mit Unruhe diesen maßlosen Grimm des Lords gegen den Junker, der erwarten ließ, daß dieser Entschluß zur Tat werden könne, wenn ihm nicht nachgegeben würde. Aber in diesem äußersten Augenblick der Bedrängnis kam Varney der Gedanke zu einem verwegnen Beginnen, zu einem rücksichtslosen Versuche, auch jetzt noch die Gewalt über den Lord in den Händen zu behalten.

Er führte den Grafen vor einen Spiegel mit den Worten:

»Mylord, betrachtet Euer Bild, ob ein Mann, dessen Züge von solcher Leidenschaft verzerrt sind, in solcher höchsten Bedrängnis im stande ist, einen Entschluß für sich zu fassen.«

»Was soll das heißen, Mensch?« herrschte der Graf ihn an, »was machst Du aus mir?« und entsetzt über die Wandlung, die mit ihm vorgegangen, empört über die Verwegenheit seines Untergebnen, fuhr er mit der Hand nach dem Schwerte. ... »Bin ich Dein Untergebner? bin ich der Diener meines Dieners?«

»Nein, Mylord!« erwiderte Varney fest und bestimmt; »aber seid Herr über Euch selbst und über Eure Leidenschaft! ... ich, Mylord, geboren als Euer Diener, schäme mich Eures kläglichen Verhaltens bei solch rasendem Wettersturm ... gehet hin zu Elisabeth, werfet Euch zu ihren Füßen, bekennt Eure Heirat! beschuldigt Euer Weib und ihren Liebsten des Ehebruchs, und nennt Euch selbst vor allen Grafen und Großen des Reiches als den Narren, den Tropf, den Esel, der eine Landpomeranze geheiratet hat und von ihr und ihrem Gimpel Hörnerschmuck bekommen hat. ... Geht, geht, Mylord! aber nehmt vorerst Abschied von Richard Varney und all den Wohltaten, die Ihr auf ihn gehäuft. ... Er diente dem edeln, stolzen, hochherzigen Leicester, aber dem kleinmütigen Lord, den jede Widerwärtigkeit erschüttert, der sich in seinen Entschlüssen von jeder Leidenschaft leiten läßt, dem dient kein Richard Varney! über solchem Leicester steht ein Varney so hoch an Sinn, wie er dem Range nach ihm untergeordnet ist!«

Dem Lord ward es zu Mute, als wenn seine letzte Stütze von ihm weiche; dieses Uebermaß erheuchelter Größe überwand seinen ruhigen Sinn ... er streckte die Hände nach Varney aus und rief:

»Varney! Varney! verlaß mich nicht; geh nicht von mir! was begehrst Du, daß ich tue?«

»Sei wieder Leicester, mein edler Herr,« sagte Varney, indem er die Hand des Grafen an seine Lippen führte; »sei wieder, was Du warst! gebiete jenen Stürmen der Leidenschaft, die niedrige Gemüter zu Boden werfen! ... Seid Ihr der erste, dem sein Weib Hörner aufsetzte? ... wollt Ihr solcher Bagatelle wegen den Verstand verlieren? weil Ihr nicht weiser waret als der größte Weltweise? ... Denkt, sie habe nicht existiert, löscht ihr Bild aus Eurem Gedächtnis, als unwürdig ihres Platzes dort! ... Bleibt bei Eurem kraftvollen Entschlusse von heute morgen, den ich mit Eifer und Mut ausführen will ... laßt sie sterben! sie hat den Tod verdient!«

Während Varney so sprach, hielt ihn der Graf an der Hand fest, biß die Lippen aufeinander und zog die Stirn in finstre Falten ... aber es dauerte noch eine geraume Zeit, nachdem Varney ausgeredet hatte, bis Leicester im stande war, mit fester Stimme, ruhig und sicher zu sagen: »Es sei, wie Du sprichst! sie sterbe! doch ... eine Träne ... sie sei mir vergönnt!«

»Nein, Mylord,« fiel ihm Varney ins Wort ... denn an den zuckenden Wimpern erkannte er, daß der Graf einer heftigen Erregung sich überlassen wollte ... »nein! keine Träne! zum Flennen ist jetzt der Moment nicht geeignet ... denken wir nun an Tressilian!«

»Wahrlich, das ist ein Name, geeignet, Tränen in Blut zu verwandeln! Varney, ich habe mir den Fall noch einmal überdacht und bin entschlossen, fest entschlossen ... Tressilian gehört mir ... Tressilian fällt nur durch meinen Arm!«

»Das ist hirnverbrannt, Mylord! indessen Lord Leicester ist zu mächtig mir gegenüber, als daß ich es zu hindern vermöchte ... daß ich Euch den Weg der Rache versperren könnte ... Meinetwegen also ... doch wartet Zeit und Gelegenheit ab!«

»Hast Du noch weitres zu sagen, Varney?« fragte der Graf.

»Um Euern Siegelring muß ich Euch bitten,« erwiderte Varney finster, »zum Beweise meiner Vollmacht der Dienerschaft gegenüber.«

Leicester gab ihm den Ring, mit dem er gewöhnlich Befehle unterzeichnete, mit einem geisterhaften Blicke, und leise, mit einem gräßlichen Tone, sagte er zu ihm:

»Varney, was Du vollbringen willst, vollbringe schnell!«

Mittlerweile hatte die lange Abwesenheit des Schloßherrn im Saale Verwunderung und Unruhe erregt, und als sie ihn jetzt wieder eintreten sahen als den alten, elastischen und liebenswürdigen Earl, wie sie ihn bisher immer gekannt hatten, da war die Freude allgemein. Und Leicester war der Mahnung seines Vasallen eingedenk und machte den kühnen Worten desselben Ehre. Der Königin gegenüber erwies er sich wieder ganz als derjenige ihrer Höflinge, der ihren Charakter am tiefsten studiert hatte. Er nahm sich in acht, die Düsterkeit seines Wesens überschnell abzulegen, sondern ließ in ihrer Nähe eine sanfte Schwermut zu Tage treten. Elisabeth lauschte seinen Worten wieder wie bezaubert, ihre Eifersucht schwand, ihr Entschluß, aller Geselligkeit zu entsagen und sich einzig und allein der Sorge um ihre Untertanen und den Regierungsgeschäften zu widmen, wurde wankend ... und Dudleys Stern stand noch einmal hoch am Himmel höfischer Gunst....


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