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Vierzehntes Kapitel.

Als Wieland von ihm gegangen war, war Tressilian unschlüssig, was er tun sollte. Da kamen Raleigh und Blount, Arm in Arm, zu ihm, ihrer Gewohnheit nach in eifrigem Zwiegespräch begriffen. In der augenblicklichen Stimmung hatte Tressilian kein großes Verlangen nach ihrer Gesellschaft, aber es war unmöglich, ihnen jetzt aus dem Wege zu gehen; und verpflichtet, wie er durch sein Versprechen war, sich Amy nicht zu nähern oder einen Schritt in ihrem Dienste zu tun, fühlte er sehr wohl, daß er nichts Bessres tun könnte, als sich in die Gesellschaft zu mischen und nach außenhin von der Angst und Unschlüssigkeit, die ihm schwer auf dem Herzen lastete, so wenig wie möglich merken zu lassen. Er machte daher aus der Notwendigkeit eine Tugend und begrüßte seine Kameraden.

»Ich bin durch ein eigentümliches Mißverständnis um mein Zimmer gekommen,« sagte Tressilian dann. »Eben wollte ich Dich auffordern, Raleigh, mir in Deinem Gemach Quartier zu geben.«

»Von Herzen gern,« erwiderte Raleigh. »Ich wohne allerliebst. Fürstlich hat Leicester für uns gesorgt.«

»Was hat die Königin solange in Warwick aufgehalten?« fragte Tressilian.

»Eine Menge Narrenspossen,« antwortete Blount. »Ansprachen, Schauspieler, Hunde und Bären und Männer, die Affen aus sich gemacht haben und so weiter – ich wundre mich nur, daß die Königin es hat aushalten können. Aber kommt, laßt uns auf den Galerieturm gehen!«

Sie schritten über die lange Brücke und den Turnierplatz und stellten sich mit andern Edelleuten vor das Außentor des Galerie- und Eingangsturmes auf. Sie mochten ihrer etwa vierzig sein – eine erlesne Schar vom ersten Range nächst der Ritterschaft – und ordneten sich in Doppelreihen zu beiden Seiten des Tores, wie eine Ehrenwache innerhalb der dichten Hecke von Piken und Partisanen, die von Leicesters Söldlingen gebildet wurde. Die Edelherren trugen keine Waffen außer ihren Degen und Dolchen. Diese Junker waren so bunt herausgeputzt, wie die Phantasie es sich nur erdenken kann, und da die Mode der Zeit eine Entfaltung großer Pracht gestattete, so war nichts zu sehen als Sammet und Gold und Silber und Bänder und Federn und Edelsteine und goldne Ketten. Obwohl viel ernsterer Kummer ihn drückte, fühlte Tressilian doch ein leichtes Unbehagen, als er in seinem, wenn auch hübschen, so doch von dem letzten Ritt bestaubten Reitanzug – Raleigh und Blount hatten sich umgezogen und ihre Reitröcke gegen prächtige Kleider umgetauscht – sich inmitten dieser geputzten Herren erblickte, unter denen er sich doch recht unwürdig vorkam. Dies wurde ihm umsomehr zum Bewußtsein, als er sah, daß seine Freunde sich über seine unpassende Kleidung wunderten, während die Anhänger Leicesters verächtliche Bemerkungen darüber hören ließen.

Es war die Dämmerstunde eines Sommerabends des 9. Juli 1575, die Sonne war seit einiger Zeit schon untergegangen, und alles erwartete voll Spannung die unmittelbare Ankunft der Königin. Die Menge stand schon seit einigen Stunden versammelt, und ihre Zahl nahm noch immer zu. Eine reichliche Verteilung von Erfrischungen, darunter Rinderbraten und Bier, das in Fäßchen an verschiednen Stellen des Weges stand, hatte die Bevölkerung in guter Stimmung erhalten, daß sie für die Königin und ihren Günstling durchs Feuer gegangen wäre, – eine Ergebenheit, die leicht im Kurse hätte fällen können, wenn zu dem Warten auch noch das Fasten hinzugekommen wäre.

Das Volk vertrieb sich die Zeit mit Kreischen und Lärmen und tollen Spielen, und auf Feldern und Wegen herrschte ein Höllenlärm. Der größre Teil der Volksmassen stand am Jagdtore. Da mit einem Male sah man einzelne Raketen in die Luft steigen, und im selben Augenblicke, weithin über See und Feld hörbar, erklang das Läuten der großen Schloßglocke.

Totenstille herrschte für einen Augenblick, dann erscholl ein so lautes vielstimmiges Jubelgeschrei, daß das Land auf Meilen in der Runde widerhallte. Die am Wege dicht aufgestellten Wachen griffen das Geschrei auf, das wie ein Lauffeuer nach dem Schlosse hinzog und allen darinnen verkündete, daß Königin Elisabeth in Kenilworth eingezogen sei. Alle Musik verstummte sofort im Schlosse, und auf den Zinnen gab Artillerie eine Salve ab; aber der Lärm von Trommeln und Trompeten und selbst der Kanonendonner war nur schwach zu hören inmitten des Gebrülls und des andauernden Willkommengeschreis der Menge.

Als der Lärm allmählich nachließ, wurde vom Parktore her ein breiter Lichtschein sichtbar, der im Näherkommen greller noch und breiter wurde und sich auf der schönen Allee entlang bewegte, die von beiden Seiten mit Söldlingen Leicesters besetzt war. An diesem Spalier entlang lief jetzt die Parole: »Die Königin! Die Königin! Ruhe! und Stillgestanden!« Und heran kam die Kavalkade, beleuchtet von zweihundert dicken Wachsfackeln, in den Händen von ebenso vielen Reitern, die ein Licht wie das des hellen Tages um die ganze Prozession verbreiteten, vor allem aber um die Hauptgruppe, deren Mittelpunkt die Königin selber im prunkvollsten Staate und im Glanze von tausend Juwelen bildete. Sie saß auf einem milchweißen Pferde, das sie mit besondrer Grazie und Würde lenkte, und in ihrer edeln, stattlichen Haltung erkannte man die Tochter von hundert Königen.

Die Hofdamen, die neben ihrer Majestät ritten, hatten besondre Sorge dafür getragen, daß ihr Aeußres nicht prächtiger sei, als ihrem Range und der Gelegenheit eben entsprach, sodaß kein geringres Licht in dem Lichtkreise des königlichen Glanzes auffallen konnte. Aber ihre persönlichen Reize und die Pracht, durch die sie bei aller aus kluger Rücksicht auf die Majestät beobachteten Einschränkung doch ausgezeichnet waren, ließen in ihr die » crême« eines für Glanz und Schönheit so weit berühmten Königreiches erkennen. Die Herrlichkeit der Höflinge, die nicht durch die den Damen aus Klugheit gebotne Rücksicht beeinträchtigt war, zeigte sich in noch unbegrenzterm Maße.

Leicester, der wie ein goldnes Bildnis von Juwelen und goldnem Zierat glitzerte, ritt zur rechten Hand der Königin, in seiner Eigenschaft als Wirt wie als Stallmeister zu diesem bevorzugten Platz berechtigt. Das schwarze Pferd, das er ritt, hatte nicht ein einziges weißes Haar am Leibe und war einer der berühmtesten Renner von Europa, den der Earl für diesen königlichen Besuch besonders zu hohem Preise gekauft hatte. Wie das edle Tier, ungeduldig über den langsamen Gang des Zuges, den prachtvollen Nacken bog und in das silberne Gebiß knirschte, das seinen Ungestüm zügelte, flog ihm der Schaum vom Maule und befleckte seine wohlgeformten Glieder wie mit Flecken von Schnee. Wohl geziemte dem Reiter der hohe Platz, den er innehatte, und dem Rosse, das er ritt, denn kein Mann in England oder vielleicht in Europa war vollendeter in der Reitkunst und allen andern zu seinem Stande gehörenden Fertigkeiten als Dudley. Er war barhäuptig, wie alle Höflinge im Zuge, und das rote Fackellicht schien auf seine langen, lockigen Flechten schwarzen Haares und auf seine edeln Züge, an deren Schönheit nur der strengste Kritiker den herrischen Fehler – wie man es hätte nennen können – einer zu hohen Stirn gerügt hätte. An diesem stolzen Abend hatten diese Züge nur den Ausdruck der dankbaren Besorgnis eines Untertanen, der sich erkenntlich für die hohe Ehre erzeigen will, die die Königin ihm erweist, und den Stolz und die Befriedigung, die einem so ruhmvollen Moment entsprachen. Doch wenn auch das Auge und die Miene nur Gefühle ausdrückten, die der Gelegenheit angemessen waren, bemerkten doch einige von den persönlichen Begleitern des Earls, daß er ungewöhnlich blaß war, und sie äußerten gegeneinander ihre Besorgnis, er mute sich mehr zu, als seiner Gesundheit zuträglich sei.

Varney folgte dicht hinter seinem Herrn als der erste im persönlichen Dienste des Grafen, und ihm war auch Seiner Lordschaft schwarze Sammetmütze anvertraut, die mit einer Schnalle von Diamanten und einer weißen Feder verziert war. Er behielt seinen Herrn beständig im Auge und war vielleicht von allen Dienern Seiner Lordschaft am meisten in Sorge, daß die Kraft und Energie seines Herrn erfolgreich diesen so so aufregenden Tag überstehen möge. Denn obwohl Varney eines der wenigen – der sehr wenigen moralischen Ungeheuer war, denen es gelingt, die Gewissensbisse ihrer Brust in Schlaf zu wiegen, so wußte er doch, daß in der Brust seines Gönners schon das Feuer, das nie gelöscht wird, erwacht war, daß sein Gebieter inmitten all der Pracht und Herrlichkeit schon das Nagen des Wurmes fühlte, der nicht stirbt.

Der Zug von Herren und Damen, der unmittelbar der Person der Königin folgte, bestand aus den tapfersten und schönsten ihres Geschlechts – den höchsten Edelherren und den weisesten Räten des großen Reiches. Dahinter kam eine zahlreiche Schar von Rittern und Edeln, deren Rang und Geburt – ob noch so hoch – doch schon wieder in Schatten gestellt war, wie sie denn auch hier in zweiter Reihe kamen.

Unter den Klängen einer rauschenden Musik sprengte die Kavalkade durch das Tor des Galerieturmes. Auf das Spiel dieser Kapelle antworteten wieder andre von verschiednen Teilen der Schloßmauern her und wieder andre aus dem Jagdgehege – wenn die Töne der einen noch in der Luft zitterten, und in leisem Widerhall verklangen, fiel auch schon von andrer Seite her wieder neue Musik ein. Wie durch Zauberei hervorgerufen, schienen diese Töne bald ganz dicht in der Nähe zu erklingen, bald hallten sie wider, durch die Ferne gedämpft, bald zogen sie leise und süß dahin, als würde die Entfernung noch mehr vergrößert, bis nur noch die letzten hingezognen Laute das Ohr erreichen konnten. Unter dieser zauberhaften Musik ritt die Königin über die lange Brücke, die vom Galerieturm bis zum Mortimerturm sich erstreckte und die schon tageshell war, so viele Fackeln waren zu beiden Seiten an den Palisaden festgemacht worden. Die meisten der Edelleute saßen hier ab und schickten ihre Pferde in die nahe Ortschaft Kenilworth, um der Königin zu Fuße zu folgen, was auch die Herren taten, die am Galerieturm sie empfangen hatten.

Bei dieser Gelegenheit wie auch bei verschiednen Anlässen am Abend richtete Raleigh ein paar Worte an Tressilian und wunderte sich nicht wenig über seine unbestimmten, unbefriedigenden Antworten. Wenn er dann bedachte, daß Tressilian sein Zimmer ohne einen triftigen Grund aufgegeben hatte, daß er vor der Königin in so unordentlichem Anzuge erschienen war, wo die hohe Frau doch leicht daran hatte Anstoß nehmen können, so erwachte in ihm der Argwohn, sein Freund leide unter einer zeitweiligen Geistesstörung.

Kaum hatte inzwischen die Königin die Brücke betreten, so war hier für ein neues Schauspiel gesorgt. Die Musik hatte das Zeichen gegeben, daß die Königin schon auf der Brücke sei, und es erschien ein Floß, das zu einer kleinen treibenden Insel ausgeschmückt war und von mannigfachen Fackeln beleuchtet war. Die Insel war umgeben von schwimmenden als Seepferde zurecht geputzten Stöcken, auf denen Tritonen, Nereiden und andre sagenhafte Gottheiten der Seen und Flüsse saßen. Sie kam hinter einem Versteck hervor und trieb langsam über den See hin, nach dem andern Ende der Brücke.

Auf dem Eiland erschien ein schönes Weib, das in einen meerfarbnen Mantel von Seide gekleidet war und an den nackten Armen und Füßen große goldne Bänder trug. In dem langen schwarzen Haar trug sie eine Krone aus künstlichem Mistelzweig und in der Hand einen Stab aus Ebenholz mit silberner Spitze. Zwei Nymphen in derselben antiken, mystischen Tracht saßen neben ihr.

Dieses Maskenspiel war so geschickt angeordnet, daß die Frau vom treibenden Eiland nach effektvoller, malerischer Fahrt mit ihren zwei Dienerinnen gerade in dem Augenblick am Mortimerturm anlangte, als Elisabeth dort eintraf. Das Fabelwesen richtete nun eine wohlentworfne Ansprache an die Königin. Sie sei die berühmte Jungfrau vom See, die in den Geschichten des Königs Arthur erscheine und deren Schönheit zu mächtig für die Weisheit und den Zauber Merlins gewesen sei. Seit dieser Zeit sei sie in ihrem kristallnen Reiche verblieben, und so viel berühmte und mächtige Männer auch seitdem in Kenilworth gewesen seien, sie habe ihretwegen doch nie ihr Haupt über den Wasserspiegel erhoben, in dem ihr kristallner Palast verborgen sei. Aber der größte Gast, den je Kenilworth gesehen, sei jetzt erschienen, und sie komme nun, in Huldigung und Treue die unvergleichliche Elisabeth zu bewillkommnen.

Die Königin nahm die Ansprache huldvoll entgegen, und als die Jungfrau vom See verschwand, erschien Arion, der sich unter den Meergöttern befand, auf seinem Delphin. Aber Lambourne, der diese Rolle an Stelle des verjagten Wieland auf sich genommen hatte, war halb erfroren von dem langen Aufenthalt in einem Element, auf das er überhaupt nicht gut zu sprechen war, auch konnte er seine Rede nicht auswendig. Er half sich also mit Unverschämtheit aus der Verlegenheit, riß schließlich seine Maske ab und schwur: Zum Kuckuck! er wäre weder Arion noch Orion, sondern der ehrliche Michael Lambourne, der vom Morgen bis in die Mitternacht auf das Wohl Ihrer Majestät getrunken hätte und ihr jetzt ein herzliches Willkommen im Schlosse Kenilworth zurufe.

Die Windbeutelei wirkte besser, als es die Ansprache, die er halten sollte, gekonnt hätte. Die Königin lachte herzlich und schwur (ihrerseits zur Erwiderung), er hätte die besten Worte gesprochen, die sie heute noch vernommen hätte. Lambourne, der sogleich erkannte, daß ihm sein Witz mit heiler Haut davon geholfen hatte, sprang ans Ufer, gab seinem Delphin einen Tritt und erklärte, er wolle sich nie wieder mit Fischen abgeben, höchstens bei Tische.

Als die Königin nun in das Schloß hineintreten wollte, wurde zum Schlusse noch das wunderbare Feuerwerk zu Wasser und zu Lande abgebrannt, das Meister Laneham, den der Leser schon kennen gelernt hat, in überschwenglicher Sprache beschrieben hat.

»So zahlreich flammten brennende Kugeln auf,« schreibt Meister Laneham, »so zahlreich schossen funkelnde Steine empor und Lauffeuer prasselte und Feuerfunken hagelten hernieder und Donnerbolzen blitzten knatternd auf, so ununterbrochen, so furchtbar und mit solcher Wucht, daß die Erde bebte und das Wasser in brausendem Gischt emporstieg.«


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