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Fünftes Kapitel.

Während Achilles Tatius in solchem Zwiespalt mit sich der weiteren Entwicklung der Dinge entgegensehen mußte, ohne das geringste dabei tun zu können, wurde im Blachernä-Palaste, in dem Musensaale, den der Leser aus den Vorlesungen der Prinzessin Anna Komnena kennt, ein kaiserlicher Familienrat abgehalten, bei welchem außer dem Kaiser, seiner Gemahlin und Tochter, nur der Patriarch zugegen war.

»Rede wir kein Wort von Gnade, Irene,« sprach der Kaiser, »was habe ich gewonnen dadurch, daß ich meinem Nebenbuhler Ursel seinerzeit das Leben ließ, daß ich ihn jetzt in Freiheit gesetzt habe, daß ich ihn durch meinen Leibarzt behandeln lasse? Statt sich lenksam und erkenntlich zu zeigen, verhält er sich ablehnend gegen jedes Ansinnen, sich mit mir vollständig auszusöhnen. Darum will ich nichts hören, daß ein solcher Bube sich dankbar dafür erzeigen werde, wenn ich ihm Gnade zuteil werden ließe. Zudem müßten mich ja doch alle meine Untertanen auslachen, wollte ich einen Menschen mit Rücksicht behandeln, der mit so großem Eifer an meinem Verderben gearbeitet hat. Du selber, meine Tochter, wärest sicher die erste, die mir solche Nachsicht verübeln müßte.«

»Demnach ist es Euer kaiserlicher Wille,« nahm der Patriarch das Wort, »Euern unglücklichen Schwiegersohn, der doch nur durch die beiden anderen Verschwörer, Agelastes und Achilles Tatius, ins Verderben gelockt worden ist, dem Scharfrichter zu überantworten?«

»Ja, mein fester Wille,« versetzte der Kaiser, »und nicht zum Scheine bloß, wie seinerzeit bei dem andern Verräter Ursel, soll das Urteil vollzogen werden, sondern noch heute wird der Verbrecher von der Acherontreppe durch die große Richthalle geschleift werden, und ich schwöre bei dem Richtplatze, der sich an ihrem oberen Ende befindet –«

»Schwöre nicht, Alexius!« sprach der Patriarch, »im Namen des Himmels, der durch mein unwürdiges Ich zu Dir redet, verbiete ich Dir, alle Hoffnung auf einen Wandel Deines Entschlusses Deinem Schwiegersöhne gegenüber abzuschneiden, und lege Dir die Pflicht auf, Dir ein Gnadentor offen zu lassen. Gedenke an Konstantins Reue!«

»Was meint Ihr mit dieser Mahnung, Hochwürden?« fragte die Kaiserin.

»Auf solche Reliquie aus der heidnischen Zeit Unseres Reiches zurückzukommen, ist wohl mehr denn müßig,« sagte Alexius, »und für den Mund eines christlichen Patriarchen kaum geeignet.«

»Was für einen Vorfall aus der Zeit Konstantins betreffen Eure Worte?« riefen die beiden Frauen, wie aus einem Munde, denn beide schöpften Hoffnung, etwas zu hören, was dem Schicksale des Cäsars günstig werden könnte.

»Es ist freilich eine gar alte Geschichte,« erwiderte der Patriarch, »und man hat sie wohl gar in die heidnische Zeit zurückverlegt; aber es ist nicht in Abrede zu stellen, daß sie in den Annalen unsere Kirche verzeichnet steht als Gelübde eines griechischen Kaisers. Aber insofern hat Alexius recht, die Sache in die heidnische Zeit zu verweisen, als sie weniger in denjenigen Lebensabschnitt des großen Kaisers Konstantin gehört, der nach der Christianisierung des Reiches fällt, als vielmehr in dem vorausgehenden, in der Zeit seiner Kämpfe gegen seinen heidnischen Schwager Licinius, wurzelt. Es ist ja bekannt, daß dem durch so viele große Taten ausgezeichneten Herrscher kein Glück in seiner Familie beschert war, und daß sein Sohn Crispus, den Gott mit vortrefflichen Gaben gesegnet hatte, sich ähnlich, wie jetzt Briennios, in eine Verschwörung gegen seinen kaiserlichen Vater eingelassen hatte oder haben sollte. Er wurde eines Tages, zur Mitternachtszeit, aus seinem Bette geholt und vor seinen Vater geführt, um sich gegen diese Anschuldigung zu verteidigen, war aber zu stolz, auch nur das geringste Wort zu seiner Rechtfertigung zu sprechen. Diejenigen, welche den unglücklichen Jüngling beim Vater angeschwärzt hatten, darunter seine Stiefmutter Fausta, sollen seine Weigerung, den Vater um Gnade zu bitten, benutzt haben, den Zorn desselben noch mehr zu entflammen, und so wurde Crispus zum Tode durch das Schwert verurteilt. Aber kaum hatte der Henker seines schrecklichen Amtes gewaltet, so erkannte der Kaiser, daß sein Sohn unschuldig gewesen, und daß er sich zu einer übereilten Handlung, hatte hinreißen lassen. Da er gerade mit dem Baue des Blachernä-Palastes beschäftigt war ließ er über der Tür, die zu der Gerichtshalle führt, einen marmornen Altar errichten, der das Bild des armen Crispus zeigt mit der Inschrift ›Meinem zu Unrecht verurteilten und hingerichteten Sohne!‹. Er tat ferner das Gelübde für sich und seine Nachkommen, daß kein Mitglied der kaiserlichen Familie mehr vor Gericht geführt werden sollte, ohne daß ihm vor dem Bilde des unglücklichen Crispus Zeit gelassen würde, sich von der ihm beigemessen Schuld zu reinigen. Darum wiederholte ich, daß Ihr dem unglücklichen Manne Eurer Tochter so lange den Weg zur Gnade offen halten solltet, bis Ihr Euch durch, seine Vernehmung in letzter Stunde von seiner wirklichen Schuld überzeugt habt.«

Von her Acherontreppe erklang in diesem Augenblicke Trauermusik herüber.

»Der Cäsar ist schon auf seinem letzten Wege,« erklärte der Kaiser, »soll ich ihn anhören, ehe er zum Richtplatze durch die Halle schreitet, so wird es gut sein sich zu beeilen.«

Die beiden Frauen baten den Kaiser, sich den Worten des Patriarchen zu fügen, und beschworen ihn bei ihrer ewigen Dankbarkeit, dem Verurteilten ein letztes Wort zur Entsündigung zu vergönnen. Der Kaiser ließ sich erweichen und erklärte: »Nun gut, sehen will ich ihn wenigstens noch einmal; aber so verschieden wie die Schuld des Cäsars von der des Crispus ist, so verschieden muß auch ihr Schicksal sich gestalten. Du, Patriarch, sollst zugegen sein, dem Verräter in seiner letzten Stunde beizustehen. Ihr Weiber aber werdet besser tun, in die Kirche zu gehen und für seine Seele zu beten, statt ihm die letzten Augenblicke durch Klagen und Jammern zu erschweren.«

»Alexius,« erwiderte seine Gemahlin, »es ist nicht unser Wille, in solcher blutdürstigen Stimmung Dich allein zu lassen. Wie sollte ich es verantworten können vor dem ewigen Richterstuhle, daß ich Dich eine Tat vollbringen ließe, die Dich einem Nero ähnlicher machen müßte als einem Konstantin?«

Von der Acherontreppe herüber erschallten die düsteren Bußpsalmen, die nach dem Ritus der griechischen Kirche bei der Vollstreckung von Hinrichtungen gesungen werden. Der Kaisers betrat die Gerichtshalle, ohne sich um seine Frauen weiter zu bekümmern, die ihm jedoch zusammen mit dem Patriarchen folgten. Wie aus den Eingeweiden der Erde herauf stiegen etwa zwei Dutzend stumme Sklaven, deren weiße Turbane in häßlichem Kontraste zu ihren welken Gesichtern und matten Augen standen, zu der Halle hinauf; jeder von ihnen hielt in der einen Hand einen Säbel, in der andern eine brennende Fackel. Hinter ihnen, zwischen zwei Mönchen in schwarzen Talaren, die ihm Gebete vorstammelten, ging der Cäsar in einer Tracht, die zu dem traurigen Gange, den er vorhatte, so recht paßte: in einer weißen Tunika, die ihm Arme und Beine unbedeckt ließ und lose vom Nacken herunterfiel. Ein nubischer Sklave, ein großer, starker Kerl, sichtlich die Hauptperson im ganzen Zuge, auf der Schulter ein schweres Richtbeil tragend, folgte dem Delinquenten Schritt für Schritt, gleich einem Dämon, der hinter einem Zauberer herschreitet. Vier Priester, abwechselnd einen Psalm anstimmend, und Sklaven, mit Köchern, Bogen und Lanzen bewaffnet, um jeden Versuch zur Flucht zu hindern, schlossen den Zug.

Der Zug kam an der Stelle vorbei, wo sich der Kaiser aufgestellt hatte. Ein Blick auf die beiden, neben ihm stehenden Frauen saget ihm, daß er gut tun würde, das Wort zu ergreifen, sofern er verhindern wollte, daß ihm diese wieder mit Bitten die Ohren füllten. Mit fester, klangvoller Stimme hub er an: »Nikephoros Briennios, das gerechte Urteil ist über Dich gesprochen worden als Verschwörer gegen das Leben Deines rechtmäßigen Herrn, der Dir immer ein zärtlicher und fürsorglicher Vater gewesen ist. Der Kopf soll Dir vom Rumpfe geschlagen werden. Wenn Du mich jetzt hier siehst an dem Altare der Zuflucht, gestiftet von dem großen Kaiser Konstantin zur Erinnerung an seinen eigenen Sohn Crispus, der sich in ähnlicher Weise an seinem Vater verging wie Du an mir, so geschieht es lediglich zu dem Zwecke, Dir eine letzte Gelegenheit zur Reinigung von der Dir anhaftenden Sünde zu geben. Höre denn, Nikephoros! Du hast volle Freiheit zu reden! Blicke hinter Dich, das Beil ist geschliffen. Blicke vor Dich, der Richtblock steht bereit. Weißt Du noch etwas zu sagen, das Dich entlasten kann, so sage es. Ist dies nicht der Fall, dann preise Dein Urteil als ein gerechtes und mildes, und geh' mutig in den Tod!«

Nikephoros sank vor dem Kaiser auf die Kniee und rief: »Erhabener Herrscher! ich bin von bösen Menschen verführt worden und bin unterlegen. Für meine Torheit und Undankbarkeit habe ich keine Worte der Entschuldigung, sondern bin bereit, meinen Fehltritt mit dem Tode zu sühnen.«

Hinter dem Kaiser erklang ein schwerer Seufzer, dem alsbald der Ruf aus dem Munde der Kaiserin folgte: »Alexius! Deine Tochter stirbt!« Anna Komnena lag ist den Armen der Mutter.

Alexius eilte der ohnmächtigen Prinzessin zu Hilfe, und auch der dem Tode verfallene Cäsar suchte sich seiner Gemahlin zu nahen.

Der Kaiser, der von Natur nicht grausam war, und dem der Schmerz seines Kindes sehr nahe ging, fühltet sich geneigt, das Verbrechen des Cäsars milder zu beurteilen, und trat zu dem Patriarchen, der mit gefalteten Händen zu dem Bilde des Crispus emporsah.

»Der unsterbliche Konstantin,«,sprach er, »hat seine Nachkommen wohl weniger unter die Gewalt eines Gelübdes in der Voraussicht gestellt, daß sich Entlastungsmaterial noch im letzten Augenblicke für die Delinquenten finden könnte, als um eine Gelegenheit zur Begnadigung derselben zu schaffen, die ja nur von dem Herrscher des Reiches erfolgen kann. Da freut es mich nun, daß ich weniger von der harten Eiche, als von der schmiegsamen Weide stamme, so daß es mir nicht schwer wird, die Rücksicht auf mein eigenes Leben und meinen Zorn über den gegen mich gerichteten verräterischen Anschlag leichter zu nehmen als das Herzeleid, das hierdurch über meine Tochter und mein Ehgemahl gebracht worden sind. So will ich denn heute Gnade für Recht ergehen lassen, Nikephoros Briennios, und Dir Deinen Rang als Cäsar in Unserem Reiche zurückgeben; durch den Großlogotheten soll Dir der Gnadenbrief, mit Unserem goldenen Siegel versehen, zugestellt werden. Einen Tag lang, bis Wir alle Anstalten zur Dämpfung der von Dir begünstigten Unruhen getroffen haben, bleibst Du noch in Gefangenschaft unter Aufsicht des würdigen Patriarchen, der für Dich verantwortlich sein soll. Ihr aber, meine Gemahlin und meine Tochter, begebt euch nach euren Gemächern, wo ihr, den Himmel bitten sollt, daß er Uns keine Ursache gebe, zu bereuen, daß ich heute der ehelichen Liebe und väterlichen Güte die Gerichtspflege und Politik hintansetze.«

Nikephoros, im ersten Augenblicke außerstande, sich zu fassen, stammelte endlich die Bitte, den Kaiser ins Feld begleiten zu dürfen, um ihn mit seinem Leibe gegen jeden verräterischen Anschlag auf sein Leben zu decken; aber der Kaiser winkte ihm abwehrend. »Es sei mir ferne, in dem Augenblicke, da ich Dir das Leben geschenkt habe, an Deiner Ergebenheit zu zweifeln; aber da Du noch immer als das Haupt der Verschworenen giltst, erachte ich es für angemessener, die Maßnahmen gegen dieselben in andere Hände zu legen. Geh mit dem Patriarchen, wie ich Dir gesagt habe, und vergilt mir meine Gnade durch ein offenes Geständnis! Verschweige keinen Namen derjenigen, die in die Verschwörung verwickelt waren. Ich begebe mich jetzt hinaus zu den Schranken, um die andern beiden Verräter aufzusuchen.«


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