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Drittes Kapitel.

Szene: das Lager der Kreuzfahrer angesichts von Skutari, Byzanz gegenüber, auf der klein-asiatischen Seite. Zeit: ein schöner Morgen, kurz nach Tagesanbruch.

Aus einem kleinen Boote steigt ein grauer, ehrlicher Soldat mit einer schmucken Dirne. Weithin ist der Platz mit Zelten bedeckt; Fähnlein und Banner wehen in Unzahl, durch ihre Wahl- und Wappensprüche kündend, daß hier die Blüte der abendländischen Ritterschaft versammelt ist.

Kaum nahen sich die beiden Wanderer einem der Lagertore, als ihnen ein mutwilliger Troß entgegenstürmt. Sie umzingeln das wunderliche Paar und fragen wirr durcheinander, was es im Lager suche.

»Zum Oberfeldhauptmanne möchte ich,« antwortet Bertha, denn sie und keine andere war es, die im Auftrage Herewards, ihres Geliebten, den Weg hierher gemacht hatte zu dem Zwecke, die Hilfe Gottfrieds von Bouillon für den edlen Grafen Robert von Paris in Anspruch zu nehmen wider den Kaiser Alexius, der ihn im Kerker des Blachernä-Palastes gefangen hielt.

»Was wollt Ihr bei ihm?« fragte der Vorlauteste der lauten Schar. – »Ich hab' einen Auftrag bei ihm auszurichten,« er. widerte Bertha. – »Aber, schönes Kind,« rief der Page, ein munterer Jüngling, dessen Gesicht die Röte starken Weingenusses zeigte, »wär' Euch nicht mit einem Geringeren besser gedient? Der Herzog Bouillon ist schon hoch bei Jahren, und wenn er mal ein Paar Zechinen übrig hat, so weiß er sie zu was Besserem zu verwenden.« – »Ich habe einen guten Ausweis, mich seinem Zelte zu nahen,« fügte Bertha, »und meine, er möcht 's Euch nicht gut anschreiben, wenn Ihr mich verhindertet, meinen Auftrag zu erfüllen.« – »Ernst von Apulien,« rief ein anderer von der lustigen Rotte, »streich' die Segel! Dein Witz geht der Dirne gegenüber in die Brüche!«

»Polydor, Du bist ein Narr!« versetzte der mit Ernst von Apulien angeredete Jüngling: »der Begleiter der Dirne trägt die Rüstung der Waräger. Vielleicht ist an der Sache mehr, als Dein und mein Witz ergründen können. Der Politik des Kaisers Alexius sähe es nicht unähnlich, auf solchem Wege Botschaft an den Herzog zu senden. Ich meine, wir tun am gescheitesten, sie zu seinem Zelte hinzuführen!«

»Von Herzen gern,« versetzte der andere; »aber ehe ich mich auf Narreteien einlasse, wie Du sie gern im Kopfe hast, möchte ich doch erst wissen, wie die Dirne heißt, die sich herausnimmt, den Fuß in unser Lager zu setzen, um edle Fürsten und fromme Pilger daran zu mahnen, daß auch für sie einst lustige Stunden geschlagen haben.«

Bertha neigte sich zum Ohre Ernsts von Apulien und raunte ihm ein Paar Worte ins Ohr, worauf dieser den Kameraden mit den Worten alle, weiteren Scherze austrieb: »Sei ohne Furcht, Mädchen; ich werde Dich beschützen!« und an den Zelten und Hütten vorüber führte der junge Page das Paar zu dem Zelte des berühmten Feldhauptmannes des Kreuzfahrer-Heeres. Dort saßen etwa fünfzehn der vornehmsten Fürsten und Führer beisammen; aber Bertha trat, bescheiden und züchtig zwar, doch entschlossen, sich in der Erfüllung ihrer Pflicht nicht beirren zu lassen, ein.

Gottfried von Bouillon war ein großer, kräftiger Mann, mit einem männlich-schönen, von Rabenlocken umwallten Gesicht, zwischen denen sich schon Silberfäden zu zeigen anfingen. Unweit von ihm saß Tankred, der edelste der christlichen Ritter, mit Hugo von Vermandois, der fast immer nur »der große Graf« genannt wurde. Dann Raymund, der mächtige Fürst der Provence, und Bohemund, der selbstische Fürst von Antiochien, wie andere fürstliche Herren mehr, sämtlich in der schweren Rüstung der Kreuzritter.

Bertha war im ersten Augenblick angesichts dieser vielen und mächtigen Herren ein wenig beklommenen Herzens, faßte sich aber kecklich ein Herz und trat auf Gottfried von Bouillon zu. . »Edler Herzog von Bouillon und Graf von Lothringen, Oberfeldhauptmann des heiligen Kreuzzuges, ich begrüße Euch nebst all den tapferen Herren, die hier in Eurem Zelte versammelt sind, demütiglich, als Tochter Engelreds, ehemaligen Freisassen in Hampshire, und jetzt Haupt der freien Angelsachsen, die von dem berühmten Ederich geführt wurden. Mich sendet Graf Robert von Paris –«

Bertha überreichte dem Ritter den Siegelring des Grafen, den ihr Hereward gegeben hatte; er wanderte von Hand zu Hand, und jeder erkannte das Wappenfeld mit den vielen Lanzensplittern darin als dasjenige des Grafen. »Meldet uns also den Auftrag, mit dem Euch Graf Robert sendet, damit wir ermessen können, was unsererseits zu geschehen hat.«

Bertha erzählte die Ereignisse der letzten Tage und forderte zum Schlusse den Herzog, auf, dem Grafen Robert zu seinem Zweikampfe mit dem Cäsar, als Kontrolle, daß dabei von dem Gegner die Ehrlichkeit gewahrt bleibe, eine Abteilung von fünfzig Lanzen zurückzusenden. Sogleich begann unter den Kreuzrittern eine lebhafte Debatte: es wurde erinnert an das feierliche Gelübde, das von dem gesamten Heere abgelegt worden, auf dem Zuge nach Palästina nicht umzukehren, und die in der Versammlung anwesenden Prälaten traten mit Eifer gegen jede Verletzung desselben auf. Die jungen Ritter aber lehnten sich wider die erbärmliche Behandlung auf, die ihrem Kameraden, »dem Tapfersten der Tapferen«, von diesem hinterlistigen Griechenkaiser zuteil geworden sei, und forderten, rücksichtsloses Vorgehen gegen denselben. Zudem lockte sie das hierzulande seltene Schauspiel eines ritterlichen Zweikampfes. Gottfried von Bouillon saß in Nachdenken vertieft; er schien in großer Verlegenheit, denn jetzt mit den Griechen zu brechen, nachdem er so viel getan und geopfert hatte, um den Frieden mit ihnen zu erhalten, erschien ihm im höchsten Grade unklug und gefahrvoll; auf der andern Seite fühlte er sich durch seine ritterliche Pflicht gebunden, das einem so angesehenen und vor allem beim ganzen Heere überaus beliebten Kreuzfahrer, wie dem Grafen Robert von Paris, angetane Unrecht zu ahnden. In dieser Bedrängnis kam ihm Tankred zu Hilfe. »Erlaubt, mir, Herzog,« sprach er, »ich war erst Ritter, ehe ich Kreuzfahrer wurde; mithin geht mein Rittergelübde dem von mir als Kreuzfahrer abgelegten vor. Verstoße ich damit wider das letztere, so will ich Buße tun; aber keinesfalls werde ich unterlassen, eine Rittersfrau, die nach meinem Beistand ruft, in den Händen von Schurken zu lassen, denn eine andere Bezeichnung für dieses verräterische Griechengesindel kann ich nicht finden.«

»Ich möchte nichtsdestoweniger meinen Vetter Tankred bitten,« nahm hier Bohemund das Wort, »seiner Heftigkeit Halt zu gebieten. Wollen die hier versammelten Fürsten und Herren, wie es ja bereits hin und wieder geschehen, auf meinen Rat hören, so glaube ich, ein Mittel gefunden zu haben, das uns ermöglicht, einerseits dem Grafen Robert beizustehen, der sich leider wider meine durchaus selbstlosen Winke von seinem Temperament hat hinreißen lassen, den Griechen gegenüber die notwendige Vorsicht außer acht zu setzen, und anderseits uns davor bewahrt, wider unser Kreuzfahrergelübde zu handeln. Mit fünfzig Lanzen, auf jede fünfzig Mann Begleitung gerechnet, erkläre ich mich bereit, den Grafen Robert aus der Pfanne zu hauen und nebst seiner Gemahlin zu uns über den Bosporus herüber zu holen.«

»Du läßt nur den wichtigen Punkt außer Erwähnung, wie wir es vermeiden können, wider unser Gelübde zu verstoßen,« bemerkte Herzog Gottfried. – »Ich meine,« erwiderte Bohemund, »es sei in solchem Falle Pflicht eines jeden von uns, das Gelübde zu umgehen. Und daß dies so schwer sei, kann ich nicht finden. Sind wir denn so unbeholfene Reiter, oder sind unsere Rosse so widerhaarig, daß wir den Weg bis nach dem Landungsplatze nicht rückwärts reiten könnten? So können wir doch auch die Schiffe wieder besteigen, sollte ich denken? und in Europa angelangt, bindet uns das Gelübde nicht mehr, da es nur für Palästina lautet.«

Lauter Beifall lohnte dem verschmitzten Sohne des Grafen Guiscard, und Herzog Gottfried rief: »Dergleichen Ausflüchte, wie sie der Bruder Bohemund hier ausklügelt, sind allerdings von Kasuisten mehrfach als statthaft erklärt worden; ich fürchte nur, daß die hier im Rate anwesenden geistlichen Herren sich nicht einverstanden erklären werden.« – Aber Peter der Einsiedler, der ein sehr großes Ansehen besaß, erklärte, die strenge Ausführung des Gelübdes sei schon um deswillen zu verwerfen, weil sie das Heer zu schwächen drohe; da ein so guter Ausweg gefunden sei, solle man keinesfalls auf dem buchstäblichen Sinne des Gelübdes bestehen. Er bot sich zum Schlüsse an, selbst auf seinem Esel rückwärts bis Skutari zu reiten, würde aber vom Herzog Gottfried schnell davon abgebracht, denn dieser fürchtete dadurch bei den Heiden bloß ins Lächerliche zu verfallen; ebenso meinte er, nicht auf das Erbieten des Fürsten Bohemund eingehen zu sollen, weil er die Selbstsucht desselben zu sehr fürchtete; um ihn aber nicht vor den Kopf zu stoßen, erklärte er, auf seine Landes- und Völkerkenntnis bei dem syrischen Feldzuge nicht verzichten zu können. Dagegen ernannte er Tankred zum Führer des Zuges nach Konstantinopel zum Zwecke der Befreiung des Grafen Robert und seiner Gemahlin. Bertha gab er eine Nachricht hierüber, an den Grafen mit, in der er ihm zugleich einen ernsten Tadel aussprach wegen seines aller Vorsicht entratenden Verhaltens gegen den griechischen Kaiser und dessen Trabanten;, dann entließ er das kühne Mädchen mit einem Lobe über ihre bei der heiklen Angelegenheit an den Tag gelegte Umsicht und bewiesene Treue.

»Wer sind die beiden Männer, die dort auf Euch warten?« fragte er sie beim Gehen. – »Der eine ist der Schiffsführer, der mich über den Bosporus gebracht hat; der andere ist ein alter, treuer Waräger, der mich hergeführt hat.« – »Ich halte es für geratener, die beiden Männer kehren nicht wieder mit Dir zurück, da sie leicht mehr gesehen haben können, als für uns gut ist,« erklärte Herzog Gottfried und befahl einigen Knappen, sie in ihre Mitte zu nehmen, gab jedoch dem Mädchen die Versicherung mit auf den. Weg, daß sie nur solange zurückgehalten werden sollten, bis Tankred, dessen Obhut er Bertha anempfahl, mit dem Grafen und dessen Gemahlin zurückgekehrt sei.

Tankreds Schar von fünfzig Lanzen mit der ihnen beigegebenen Begleitung von je zehn Mann, zusammen fünfhundert Mann, war alsbald zum Aufbruche bereit und rückte nach einigen kurzen Manövern, ihre Pferde in Gang zu bringen, eine Kolonne von vier Gliedern bildend, auf die von Bohemund gefundene Weise, das Gelübde zu umgehen, nach dem Landungsplatze ab. Erst wußten die Bewohner von Skutari nicht, was sie denken sollten, als sie die Leute rückwärts reiten sahen, endlich aber durchschauten sie die Sache und erhoben ein großes Geschrei. Das bestimmte die meisten Ritter, ihre Pferde Kehrt machen zu lassen und in die Stadt wie sonst einzureiten, da sie fürchten mußten, daß sich die Bewohner beeilen würden, die Schiffe in Sicherheit zu bringen, um sie so an der Überfahrt zu verhindern.

Diese ging trotzdem nicht leicht von statten, denn die Besatzung von Skutari drohte sich den Kreuzrittern ernstlich zu widersetzen, so daß sich Herzog Gottfried von Bouillon genötigt sah, ihnen ein berittenes Kommando zum Beistande zu schicken. Es gelang nun zwar dem größten Teile von Tankreds Mannen, sich einzuschiffen; aber da die Schiffer den Zorn des Kaisers fürchteten, hatten sie sich sämtlich geflüchtet, so daß sich die Kreuzritter genötigt sahen, selbst zu den Rudern zu greifen. Dadurch wurde natürlich die Überfahrt erheblich verzögert, denn die Ritter waren nicht bloß solcher Arbeit ungewohnt, sondern auch mit den Wind- und Strömungsverhältnissen nicht vertraut. Der Abend kam heran, bevor sie das andere Ufer erreichten.


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