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Zweites Buch.

Erstes Kapitel.

Seit dem Einmarsche des Kreuzfahrerheeres in das Gebiet des oströmischen Reiches waren unter ständigen Differenzen und Ausgleichen etwa vier Wochen ins Land gegangen. Der kaiserlichen Politik gemäß wurden die Führer und Fürstlichkeiten mit Gunst und Ehren überladen, hingegen kleinere Scharen, die zur Hauptstadt vorzudringen suchten, von Truppen des Kaisers, die sich als Türken oder Skythen ausgaben, niedergemacht. Ebenso oft geschah es, daß, während die Fürsten und Führer mit allerhand Leckerbissen gefüttert und mit Wein aufs reichlichste bewirtet wurden, über das gemeine Volk durch verfälschtes Mehl, verdorbenes Fleisch und schlechtes Wasser Krankheiten gebracht wurden, so daß der Tod reiche Ernte unter ihm hielt und viele von dem heiligen Lande, um deswillen sie Haus und Hof, Vaterland und auskömmliches Leben verlassen hatten, nicht einen Stein zu sehen bekamen.

Selbstverständlich blieb dieses feindselige Verhalten auf seiten der Kreuzfahrer nicht unbemerkt, und nicht wenige von ihnen beschuldigten die Griechen offen der Hinterlist und des Verrates. Der Kaiser aber wußte die mächtigeren der Anführer immer und wieder zur Güte zu bestimmen, indem er die Vorfälle von Erkrankung auf die Verschiedenheit des Klimas und den freilich auch oft genug vorhandenen Hang zur Völlerei schob. Hätten die Kreuzfahrer nicht eine überschwengliche Meinung von den Reichtümern des oströmischen Kaiserreiches besessen, so würden sie sich kaum all dieses Ungemach haben bieten lassen, und wiederholt drohte es zu einem Konflikt zwischen ihren und den oströmischen Mannen zu kommen, als ein unverhofftes Ereignis die Position des Kaisers stärken sollte. Graf von Vermandois, der mit der Flotte des Kreuzfahrerheeres von Italien ausgefahren war, wurde von einem heftigen Sturme überfallen und an die griechische Küste in so schiffbrüchigem Zustande getrieben, daß er sich mit all seiner Mannschaft, soweit sie nicht untergegangen war, dem Statthalter des Kaisers auf Gnade und Ungnade ergeben mußte. Nicht als stolzer Fürst, wie er seine Ankunft zuvor mit hochtrabenden Worten angekündigt hatte, sondern als Gefangener nahm nun Hugo von Vermandois den Weg an den Hof nach Konstantinopel. Aber jetzt bewies der Kaiser das höchste diplomatische Geschick, indem er den Grafen sowohl als seine Mannschaft nicht allein sofort in Freiheit setzte, sondern sie sogar überreich mit Geschenken bedachte.

Hierdurch gewann er sich in dem einflußreichen Grafen von Vermandois einen dankbaren Freund, der die Meinung derjenigen Kreuzfahrer stützte, welche, wie Gottfried von Bouillon, Raimund von Toulouse und andere einsichtigere, es im Interesse nicht bloß des Unternehmens, das sie hierher führte, sondern der gesamten Christenheit für geboten hielten, es mit dem griechischen Reiche, das mit gewissem Recht als die christliche Vormauer gegen Asien galt, nicht zu ernstlichen Konflikten kommen zu lassen. Ja, der Graf wußte die Mehrzahl der Kreuzfahrer sogar zu jenem in der Geschichte der Kreuzzüge berühmten Entschlüsse zu bestimmen, dem griechischen Kaiser als dem alten Oberherrn Palästinas, vor der Fortsetzung des Eroberungszuges in seiner Hauptstadt feierlich zu huldigen. Was Alexius nur durch hohe Bestechungen zu erreichen vermeint hatte, wurde ihm auf diese Weise gewissermaßen auf dem Präsentierteller entgegengetragen, und begreiflicherweise war er über diesen unvermuteten Gewinn in der freudigsten Stimmung, und wenn er auch kaum damit rechnen durfte, das große, arg zusammengewürfelte Heer, das unter so vielen, von einander völlig unabhängigen Führern stand, unter einen Hut zu bringen, so meinte er doch, ohne alles Säumnis dieses Zugeständnis wahrnehmen und sich in den Besitz der Oberherrlichkeit über das Kreuzheer setzen zu sollen. Zu diesem Zwecke wurde mit allem Pomp, dessen Reich und Hauptstadt fähig waren, eine großartige Festlichkeit veranstaltet, auf einer der Propontis gegenüber gelegenen hohen Terrasse ein herrlicher Thron aufgeschlagen, dabei aber, gemäß der am griechischen Hofe herrschenden Etikette, die jedem Sterblichen verbot, in Gegenwart des Kaisers zu sitzen, vermieden, irgend welche anderen Sitze anzubringen.

Als die Feier vor sich gehen sollte, postierten sich rings um den kaiserlichen Thron die Großwürdenträger in ihren Staatskleidern, auf das strengste nach ihrem Range geordnet, vom Cäsar, dem kaiserlichen Schwiegersohne, herunter bis zum Patriarchen und zu dem, aber wie immer in seiner Zynikertracht erschienenen Philosophen Agelastes. Hinter diesem glänzenden Hofstaate schlossen sich die Abteilungen der Warägergarde in einer düsteren Bogenlinie zusammen, zufolge eines von ihnen einstimmig eingereichten Antrages, nicht im höfischen Silberharnisch, sondern in ihrer wuchtigen Rüstung aus Eisen und Stahl, um, wie sie ihren Antrag motiviert hatten, in den Augen von Kriegern auch als solche, nicht aber als Zierpuppen, zu gelten. Hinter der Warägergarde hatte die Schar der Unsterblichen Aufstellung genommen, eine Bezeichnung, die aus Persien ihren Weg nach Ostrom gefunden hatte – durchwegs große, stramme Gestalten, in glänzender Uniform, die recht wohl imstande gewesen wären, den Kreuzfahrern Respekt abzugewinnen, wenn sie nicht durch ihr ewiges Schwatzen ihre Disziplinlosigkeit offen an den Tag gelegt hätten. Hinter ihnen schwärmten die leichten Reiterabteilungen, aus denen sich das griechische Streitheer vorwiegend zusammensetzte, und deren Hauptleute, erhaltener Instruktion gemäß, unaufhörlich die Plätze wechselten, um auf diese Weise den Kreuzfahrern die Möglichkeit zu nehmen, sich ein genaues Bild von ihrer Stärke zu machen. Aber trotz des Staubes, den sie dadurch aufwirbelten, waren die flammenden Fahnen und Standarten doch deutlich zu erkennen, mit denen sie in reicher Menge prunkten, und die, wie mancher von den Kreuzrittern trotz alles Bemühens, ihnen »Sand in die Augen zu streuen«, offen meinte, für reichlich noch zweimal soviel Mannschaft ausgereicht haben würden.

In weiter Ferne, rechts der Propontis, hatte sich ein mächtiger Reiterhaufe des Kreuzfahrerheeres postiert; denn der Eifer, dem Beispiele ihrer Fürsten und Führer zu folgen, war von Tag zu Tage gewachsen, so daß es schließlich jeder Kreuzritter, wenn er auch nur eine Burg besaß und knapp über ein halbes Dutzend Lanzen verfügte, für eine Herabwürdigung seiner Ritterschaft erachtet hätte, wäre er bei der Aufforderung, dem Kaiser von Ostrom zu huldigen, übergangen worden.

Für die Abwicklung der Zeremonie war die folgende Ordnung vereinbart worden: die Kreuzritter sollten von links her dem kaiserlichen Throne nahen und, einzeln an demselben vorbeischreitend, dem Herrscher die Huldigung auf die möglichst kurze Weise leisten. Die obersten Führer, Gottfried von Bouillon, fein Bruder Balduin Bohemund von Antiochia und einige andere Erlesene des Heeres sollten nach Leistung des Huldigungseides absitzen und sich zu seiten des Thrones postieren, um durch ihr Ansehen jede Zügellosigkeit auf seiten der Kreuzfahrer im Keime zu ersticken; sie konnten es indes nicht hindern, daß sich auch andere, minder vornehme Kreuzritter, um ihre Neugier zu stillen, oder weil sie sich ebenso viel im Rechte dünkten wie die Hauptführer, gleichfalls in der Nähe des kaiserlichen Thrones aufstellten. Die größere Zahl der Ritter aber, nach geleisteteter Huldigung, ritt dem Hafendamme zu, wo Galeeren und Schiffe in zahlloser Menge bereit lagen, sie über die Meerenge nach Asien hinüber zu schiffen, dem von ihnen so heiß ersehnten Ziele, das aber den meisten von ihnen zur Grabstätte werden sollte.

Die Feierlichkeit hatte sich in Ruhe vollzogen bis zum Vorbeiritt Bohemunds von Antiochien. Da vollzog sich ein Auftritt, der bezeichnend war für die abweichende Denkungsart der auf so außerordentliche Weise zusammengeführten Völkerschaften. Mehrere Kolonnen französischer Ritter hatten sich prozessionsweise an dem kaiserlichen Throne vorbeibewegt, sich zum Zeichen der Huldigung auf ein Knie niederlassend und zum Gelöbnis der Vasallentreue die Hände in diejenigen des Kaisers Alexius legend. Nun kam die Reihe an die normannischen Ritter und Edlen, und ihren Zug eröffnete der angesehenste von ihrem Stamme, Bohemund, der Sohn Guiscards von Apulien. Der Kaiser war aufs äußerste besorgt, sich das Wohlwollen dieses mächtigen und gefürchteten Mannes, der als Fürst über Antiochia seinem Reiche am nächsten saß, nicht zu verscherzen, und beschloß, ihm eine besondere Ehre dadurch vor allen versammelten Höflingen, eigenen und fremden Truppen zu erweisen, daß er ihm ein paar Schritte entgegen ging, und zwar nach der Seeseite zu, wo gleich den übrigen auch die antiochenischen Boote zur Abfahrt bereit lagen.

Die Strecke war nicht groß, die der Kaiser zurückzulegen hatte, um Bohemund entgegen zu gehen; immerhin groß genug, ihn einer Kränkung auszusetzen, die von seinen Garden und Untertanen als eine absichtliche Herabsetzung auf das schmerzlichste empfunden wurde. Die Reihe der Huldigung war hinter Bohemund an einen fränkischen Grafen gekommen, der an der Spitze von zehn Reitern im Galopp herangesprengt kam und jäh vor dem leeren Throne absitzen ließ. Es war eine der kräftigsten Gestalten im ganzen Kreuzritterheere, dieser fränkische Graf; sein Gesicht hatte strenge, aber männlich schöne Züge und war von einem dichten, schwarzen Lockenwall umschlossen. Er trug nicht die für das Zeremoniell vorgeschriebene ritterliche Rüstung, sondern nur das gemslederne Unterkleid; aber er kehrte sich so wenig an diesen Verstoß, wie er sich darum kümmerte, daß der Thron vom Kaiser auf einen Moment verlassen worden war um Bohemunds willen. Vielleicht wurmte ihn auch die besondere Ehrung, die gerade diesem Fürsten, im Gegensatze zu dem kaiserlichen Verhalten allen anderen Fürsten gegenüber, erwiesen wurde. Kurz, er wartete keine Minute auf die Rückkehr des Kaisers, gönnte ihm auch nicht die Zeit zur Zurückkunft, sondern warf seinem Pagen die Zügel seines ungeheuren Streitrosses zu und stieg, ohne sich nur nach dem Kaiser mit einem Blicke umzusehen, auf dessen leeren Thron, flegelte sich auf die goldenen Polster und rief sogar den mächtigen Wolfshund zu sich heran, der hinter ihm her im Zuge zu laufen pflegte, ja ließ ihn sich auf die kostbaren Teppiche strecken, die den kaiserlichen Schemel deckten.

Der Kaiser sah mit maßlosem Staunen, als er sich umdrehte, den frechen Thronräuber, den seine Waräger, hätte ihnen nicht Achilles Tatius, unsicher, welches Verhalten dem Kaiser genehm wäre, rasch Einhalt getan, längst für sein Verbrechen mit dem Tode gestraft hätten. Jetzt rief der tolle Patron, wenn auch in einer Mundart, die außer Franzosen von niemand verstanden wurde: »Was für ein grober Wicht ist's denn eigentlich, der wie ein Klotz hier saß, während die Blüte christlicher Ritterschaft unbedeckten Hauptes, obendrein in Anwesenheit dieser landesflüchtigen Waräger, vor ihm stehen mußte?« – Da dröhnte eine tiefe Stimme zur Antwort über den Platz, die gleichsam aus der Erde herauszudringen schien, solch übermenschliche Stärke war ihr zu eigen: »Sofern, es den Normannen gelüstet, mit den Warägern anzubinden, mögen sie sich Mann gegen Mann mit ihnen in den Schranken treffen. Solcher Prahlhanserei wider den Kaiser von Ostrom, der nicht anders als mittels der Streitäxte seiner Leibgarde ihnen antworten wird, bedarf es dazu wahrlich nicht!« Selbst der fränkische Ritter war über diese Zurückweisung seines anmaßenden Verhaltens betroffen; und sicher wäre es dem Kommandanten der Warägergarde nicht länger gelungen, dieselbe in Rand und Band zu halten – da machte Bohemund von Antiochien, um den Kaiser zu entlasten, eilig kehrt, nahm den Ritter beim Arme und nötigte ihn, halb mit Gewalt, halb durch gute Worte, den kaiserlichen Sitz zu räumen.

Der Kaiser war im ersten Augenblicke so außer sich vor Entrüstung, daß er seine Soldaten zu den Waffen rufen wollte, denn er hielt durch diesen Angriff auf sein Ansehen und seine Würde seine ganze Politik dem Kreuzfahrerheere gegenüber für gefährdet, wenn nicht gar über den Haufen gerannt. Als er aber sah, daß auf seiten der Kreuzfahrer alles ruhig blieb, nachdem der fränkische Ritter von Bohemund vom Throne heruntergeführt worden, und daß nichts auf einen tatsächlichen Angriff militärischer Natur hindeutete, änderte er ebenso schnell seinen Entschluß dahin, das Ganze für einen der von den Franken gern geübten groben Späße anzusehen, und verfügte sich gemessenen Schrittes neben seinen Thron, ohne jedoch, um dem fränkischen Ritter nicht Anlaß zur Wiederholung seiner Frechheit zu geben, sogleich auf demselben Platz zu nehmen. »Wer ist der kühne Vasall?« fragte er den ihm zunächst stehenden Grafen Balduin, »der es für angemessen erachtet, seinen Rang solcherweise zu dokumentieren, während er doch in einem Aufzuge erscheint, daß er kaum würdig gewesen wäre, vor meinen Thron zu treten?« – »Kaiserliche Majestät,« antwortete der Graf von Flandern, »es ist einer der tapfersten Ritter im Kreuzheere, trotzdem es der Tapferen darin mehr gibt als Sand am Meere. Ich halte dafür, daß er nicht länger zögern wird, Euch über seinen Rang und Namen selbst zu unterrichten.« Alexius lenkte den Blick auf den Ritter, dessen breites, wohlgeformtes Gesicht frei war von jeglichem Anfluge von Schwärmerei, die auf vorsätzliche Beleidigung hätte schließen lassen, und verschloß sich nicht länger der milderen Auffassung, daß es mit dem ganzen Auftritt, der aller griechischen Sitte so direkt ins Gesicht schlug, auf keinen direkten Schimpf wider ihn und das Kaisertum abgesehen gewesen sei. »Wir wissen nicht,« sprach er zufolgedessen den Fremdling, mit Fassung sowohl als hoher Würde, an, »mit welchem, ob berühmten oder nur bekannten Namen Wir Euch anzusprechen haben, vermuten aber auf Grund der Aeußerungen aus Graf Balduins Munde, daß Wir in Euch einen der tapfersten von jenen tapferen Rittern begrüßen dürfen, die ausgezogen sind, Palästina von dem auf ihm lastenden Joche zu befreien und es unter das Zepter seines Oberherrn zurückzuführen,« – »Meinen Namen,« erwiderte der Ritter, ohne dem Kaiser die durch das Zeremoniell gebotenen Ehren zu erweisen, »kann Euch, sofern Euch daran liegt, ihn zu erfahren, jeder aus diesem Kreuzfahrerheere nennen; es soll nicht immer gut sein, die Namen voreilig auszuposaunen, da auf solche Weise schon mancher Kampf in Ehren vermieden und mancher Tapfere verhindert worden, Denkzettel an solche auszuteilen, die gerechten Anspruch darauf gehabt hätten.« – »Immerhin möchte ich wissen,« versetzte der Kaiser, »ob Euch in dieser übergroßen Menge von Rittern und Reisigen das Recht zusteht, Anspruch auf fürstliche oder königliche Ehren zu erheben?« – »Wie ist das gemeint?« fragte mit finsterer Miene der Franke. – »Still, Herr Graf,« mischte sich Bohemund, der noch neben dem Kaiser verweilte, in die Unterhaltung, »es dürfte wohl im ganzen Heere kein Zweifel darüber walten, daß es für jeden Ritter Gesetz sein muß, dem Kaiser höfliche Rede und Antwort zu stehen. Wen die Faust zum Streit juckt, der wird Heiden genug finden, sich das Jucken zu vertreiben. Der Kaiser begehrt Euren Stand und Namen zu wissen, und Ihr habt meines Wissens nicht die mindeste Ursache, die Antwort darauf zu weigern.« –

»Ob das zu wissen für den Fürsten oder Kaiser, wie Ihr ihn nennt, von Wert oder Belang ist, kann ich nicht ermessen,« erwiderte der Franke, »aber was von mir zu wissen nichts schadet, ist das Folgende: In einer der ungeheuren Waldungen, die mein Geburtsland Frankreich bedecken, steht eine Kapelle, die aussieht, als sei sie vorzeitig baufällig geworden. Ueber dem Altar hängt ein uraltes Bild, das weit und breit im Lande bekannt ist als Unsere liebe Frau von den zerbrochenen Lanzen. Kein Ritter, der auf einer der an der Kapelle vorbeifahrenden Heerstraßen seines Weges kommt, unterläßt es, bevor er seine Andacht verrichtet, dreimal in sein Horn zu stoßen, daß alle Eschen und Eichen im Walde erzittern, und keiner erhebt sich von seiner Andacht, ohne einen andern Ritter bereit zum Kampf zu finden, sobald er das Schwert zu Ehren der Heiligen Frau zu führen Verlangen spürt. Monatelang habe ich an dieser geweihten Stätte das Turnier gehalten, und kein Ritter hat Ursache gehabt, Klage über mein ritterliches Verhalten zu führen, einige ausgenommen, die das Unglück hatten, dabei die Erde zu küssen und den Hals zu brechen.«

»Ich begreife, daß ein Ritter von solchen Gaben und Fähigkeiten, wie Ihr sie zu besitzen das Glück habt,« versetzte der Kaiser, »seinesgleichen selbst unter seinen Landsleuten so leicht nicht findet, geschweige unter Männern, die der Meinung sind, daß es kindischer Verschleuderung eines Geschenkes der Vorsehung gleichbedeutend sei, das Leben in einem müßigen Streite aufs Spiel zu setzen.« – »Meinungen,« erwiderte der Franke verächtlich, »sind selbst im byzantinischen Reiche zollfrei; immerhin müßt Ihr mir die Bemerkung hiergegen erlauben, daß es uns schmähliches Unrecht antun heißt, wenn man meint, es fehle uns bei unseren Kämpfen an Verdruß und Aerger, und es mache uns nicht größere Freude, den Hirsch oder Bären zu jagen.« – »Im Kampf wider die Türken rate ich Euch trotz alledem, immer hübsch in der Nähe Eurer Fahne zu bleiben, wo die besten Heiden kämpfen, also auch die besten Ritter zur Abwehr zur Stelle sein müssen.« – »Mir soll jeder Türke recht sein,« versetzte der Franke, »der nicht höflicher ist als ein Christ, und hoffentlich stoße ich auf sie in der Front sowohl als bei der Fahne, damit ich Ihnen als Feinden der heiligen Jungfrau, aller Heiligen und meiner selbst gehörig zu Leibe rücken kann! Einstweilen habe ich nichts dawider, wenn Ihr Euch wieder dorthin setzt, wo Ihr Euch auch meiner Huldigung zu gewärtigen scheint; indes würdet Ihr mich zu nicht geringem Danke verpflichten durch tunlichste Abkürzung dieser, wie mich bedünkt, recht läppischen Zeremonie.«

Der Kaiser nahm schnell auf seinem Throne Platz und die beiden kräftigen Fäuste des Franken zum Zeichen seiner Huldigung; dann geleitete Graf Balduin den Ritter zu den Schiffen, um, sobald er ihn auf dem Wege an Bord sah, zu dem Kaiser zurückzukehren. .»Wer ist dieser seltsamste aller Ritter Eures großen Heeres?« fragte der Kaiser. – »Robert, Graf von Paris,« antwortete Balduin, »er gilt für einen der tapfersten Kämpfer, die Frankreichs Erde trägt.« – Der Kaiser verweilte noch einige Zeit im Sinnen über den Vorgang, der sich soeben abgespielt hatte; dann winkte er seinem Zeremonienmeister, die Feier abzubrechen; vielleicht beschlich ihn Furcht vor einer Wiederholung der Szene; die Kreuzritter waren nicht verdrießlich, wieder zu den Palästen zurückzukehren, wo sie der Fortsetzung des durch die Huldigung unterbrochenen Gastmahles sich gewärtig halten durften. Die Trompeten gaben das Signal zum Rückzuge. Wider alle Erwartung ereignete sich aber ein neuer Vorfall, mit dem kaum jemand gerechnet haben mochte: als der »Held des Tages«, Graf Robert von Paris, die Trompeten hörte, gab er die Absicht, an Bord zu gehen, auf und ließ sich auch von Rittern, wie Bohemund und Gottfried, nicht davon abbringen; über die drohende Ungnade des Kaisers, mit der man ihn zu allerletzt noch zu schrecken versuchte, lachte er und »scherte sich,« wie er sagte, »den Teufel drum, ob er ihm durch seine Nähe auf ein paar Tage den Appetit verderben werde oder nicht«.

Gottfried von Bouillon, der mit dem Grafen von Toulouse zusammen hinter ihm herschritt, sagte: »Auch einer, der keine fünfhundert Mann mit sich führt, aber für fünftausend reden möchte. Ich möchte darauf schwören, daß er keinen einzigen seiner Mannen kennt, noch weniger sich um ihre Bedürfnisse kümmert. Läuft er nicht einher, wie ein von der Lust zu Unfug erfüllter Schuljunge, der sich vom Schulzwange frei fühlt?« – »Dabei ist's aber ein Eisenfresser, der lieber den ganzen Kreuzzug aufs Spiel setzen, als die Gelegenheit verlieren möchte, sich mit einem Gegner in den Schranken zu messen, sofern es die Ehre Unserer lieben Frau mit den zerbrochenen Lanzen angeht. Wer ist denn der kleine, zierliche Ritter, der ihm zur Seite schreitet?« – »Vermutlich die berühmte Dame, die sein Herz durch ihren Mut in den Schranken zu erringen wußte, die Pilgergestalt ihr zur Seite in dem langen Kleide mag wohl ihre Nichte oder Dienerin sein.« – »Seit Gaita, Robert Guiscards Weib, mit ihrem Gemahl im Kampfe, beim Tanz oder Festmahl sich hervorgetan, im Wetteifer mit ihrem Gemahl, sahen wir noch nie ein gleiches Beispiel wieder.« – »Das aber ist die Weise dieses Ehepaares, sehr edler Ritter,« sprach ein anderer Kreuzritter, der zu ihnen getreten war, »der Himmel sei dem armen Ehemanne gnädig, der unter solche Fuchtel kommt!« – »Ich schlage vor, daß wir dem Paare folgen, damit wir sehen, wo es in der Hauptstadt sein Quartier aufschlägt.«


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