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Fünftes Kapitel.

Es war ein stattlicher Mann, der jetzt dem Sessel des Kaisers sich näherte, zum Zeichen der Huldigung das Knie tief beugend, und dann, von der Kaiserin steif und gezwungen begrüßt, zu dem leeren Sitze neben seiner Gemahlin, der Prinzessin Anna Komnena, sich verfügte. An seiner reichen, vornehmen Tracht und an den vielen Zeichen seiner Würde ließ sich der hohe Rang erkennen, der ihm gehörte. Er stammte aus dem vornehmsten, dem kaiserlichen durchaus ebenbürtigen Geschlechte des griechischen Kaisertums, und Alexius Komnenos war auch vorwiegend durch politische Rücksichten zu diesem Ehebunde seines Kindes bestimmt worden. Von einer Liebesheirat war hier nicht zu sprechen; denn Anna Komnena liebte es zu sehr, die gelehrte Dame zu spielen, um einem Manne, wie ihr Gemahl es war, volle Befriedigung zu schaffen, und es war bei Hofe ein offenes Geheimnis, daß Nikephoros Briennios nicht zu jenen Männern gehörte, die der Frau strenge Treue wahren. Allerdings vermied er ebenso streng jeglichen Eklat; anderseits war seine Familie zu mächtig und angesehen, als daß der Kaiser es zu einem solchen hätte kommen lassen mögen. Zudem stand Nikephoros Briennios in dem Rufe, ein gewandter Kriegs- und Staatsmann zu sein, zum wenigsten unterließ es sein Schwiegervater nie, bei allen wichtigeren Staatsgeschäften seinen Rat und Beistand einzuholen.

Der Kaiser brach zuerst das peinliche Schweigen, das nach dem Eintritte seines Schwiegersohnes in dem Raume herrschte; denn seine Gemahlin bereitete ihm einen höchst kühlen Empfang, und die Frau Schwiegermutter gehörte nicht zu den liebenswürdigeren dieser Gattung von Damen. »Ihr kommt freilich ein wenig spät, lieber Sohn,« sprach Alexius, »aber Ihr werdet wohl nicht leiden wollen, daß Unsere Anna die Lektüre abbreche, die Uns bislang so sehr erbaut hat? Sie liest heute abend die Schilderung Unserer siegreichen Schlacht von Laodikaia!« – »Dem Cäsar,« ergriff die Kaiserin Irene das Wort, »scheinen die edleren Genüsse, die ihm in Unserem Kreise winken, noch immer nicht sonderlich zu behagen; er sucht und findet anderweit wohl Zerstreuung, die ihm besser mundet.« – »Meine Gnädige,« erwiderte Nikephoros, »möge mir gestatten, sie an das alte Wort » de gustibus etc.« zu erinnern; es dürfte, wie anderen Leuten, wohl auch mir zur Entschuldigung gereichen; daß Unser allergnädigster Herr Papa sich über Milch und Honig, die zu Seinem speziellen Genusse fließen, freut und daran labt, verdenkt ihm kein Vernünftiger.«

Die Prinzessin nahm nun in dem gespreizten Tone schöner Frauen das Wort, die sich von ihrem Galan gekränkt, nichtsdestoweniger geneigt zu einer Aussöhnung fühlen. »Wenn mein Gemahl sich vielleicht in meinem Werke zu stiefmütterlich bedacht findet, so darf er nicht vergessen, daß es sein ausdrücklicher Wunsch war, mit jedem auf ihn besonders gemünzten Lobe zu kargen.« – »Meine liebwerte Gesponsin,« versetzte Nikephoros, »ich bin nicht hergekommen, mich an Deiner gelehrten Unterhaltung zu erbauen, sondern um mit unserem allergnädigsten Papa über dringende Staatsgeschäfte zu sprechen. Zu meinem Bedauern mache ich übrigens die Wahrnehmung, daß wir uns heute in recht gemischter Gesellschaft befinden.« Bei diesen Worten warf er auf den Waräger einen scheelen Seitenblick.

»Ihr tut dem tapferen Waräger schweres Unrecht, Schwiegersohn,« nahm Kaiser Alexius das Wort, »wenn Ihr ihn so geringschätzig abfertigen wollt; denn er ist der Bruder jenes Warägers, der Uns durch seinen Heldenmut und Tod bei Laodikaia den Sieg verschaffte.« – »Bedaure lebhaft, mein kaiserlicher Gebieter und Papa,« erwiderte Briennios, »in einem so wichtigen Falle gestört zu haben; hoffentlich geht der Zukunft nichts von der ihr zugedachten Erleuchtung dadurch verloren! Ich habe bis jetzt gemeint, daß Schlachten unter dem Befehle Eurer Majestät und Eurer Feldhauptleute geschlagen, also auch gewonnen und verloren werden. Hoffentlich hat Unsere Frau Prinzessin in ihrer Schilderung nichts Wesentliches vergessen, oder hat der tapfere Waräger« – hier wandte er sich hochmütig nach der Seite hin, wo Hereward stand – »ihr mit etwas nachhelfen können?« – »Daß ich nicht wüßte,« erwiderte Hereward in seinem Herrentrotze – »es sei denn die Musik der Damenritter, die uns Kriegern bei der Rast am Bache in die Ohren drang und die freilich mit die süßeste war, die die Krieger hätten hören können!« – »Oho! wagst Du hier freche Spottrede? Aus meinen Augen! Und laß es Dir nicht wieder beikommen, Dich vor mir sehen zu lassen, außer auf direkten kaiserlichen Befehl! Pascholl!« und er erhob drohend den Arm.

Der Waräger rührte sich nicht vom Platze, sondern blickte fragend auf Achilles Tatius als seinen Kommandanten; aber der Kaiser legte sich wieder ins Mittel. »Schwiegersohn,« sprach er mit hoher Würde, »Eure Rede kann Unsere Billigung nicht finden. Wenn zwischen Euch und Unsere Tochter sich Mißhelligkeiten schleichen, so erwächst Euch daraus noch kein Recht, Unseres kaiserlichen Ranges zu vergessen, indem Ihr einem Manne Pascholl zuruft, der auf Unseren Befehl sich hier befindet. Es entspräche nicht Unserem Belieben, wenn der Waräger Hereward oder Edward, oder wie sein Name sonst lautet, Uns jetzt verließe oder sich künftighin nach andern als Unsern oder seines Kommandanten Befehlen richten sollte. Indem Wir hiermit diese unliebsame Affäre aus der Welt geschafft zu haben meinen, fordern Wir Euch auf, Uns zu erklären, welcher Art die Staatsgeschäfte sind, die Euch hierher geführt haben. Schon wieder richtet Ihr Euren Blick auf den Waräger? Wir bitten Euch, um seinetwillen nicht zu warten; denn er besitzt Unser Vertrauen und nicht in geringerem Maße als jeglicher andere Rat oder Diener in Unserem Reiche.« – »Hören ist gehorchen!« antwortete, einlenkend, Briennios, denn er kannte seinen Schwiegervater zu genau, daß es ihm hätte entgehen sollen, in welchen Eifer sich derselbe hineinredete; »was ich zu melden habe, wird ohnedies bald in aller Munde im Reiche sein! Europa, kaiserliche Majestät, ist im Begriffe, sich über Asien zu stürzen!« – »Wohl eine Wiederholung jenes schwärmerischen Aufstandes zügelloser Barbaren, die unter dem schwärmerischen Vorwande, Syrien und die heiligen Stätten zu erobern, die Westgrenze unseres Reiches bedrohten?« fragte die Prinzessin ihren Ehgemahl. – »Nein, keine Wiederholung jenes Ansturms ungebildeter Massen,« erwiderte Nikephoros, »die von einem verrückten Einsiedler fanatisiert wurden und ihren Weg aus Deutschland nach Ungarn nahmen in der verrückten Hoffnung, es würden Wunder für sie geschehen wie damals, als Israel von einer Feuer- und Rauchsäule durch die Wüste geführt wurde. Aber es nährte sie kein Manna- und Wachtelregen, auch sprang kein Wasser aus den Felsen zu ihrer Erfrischung! Hunger und Durst machten sie vielmehr rasend, so daß sie zu plündern anfingen und es mit den Ungarn so wild trieben, daß diese sie haufenweise niederschlugen. Ganze Berge von Knochen sind heute noch Zeugen dieser Niedermetzelungen unheiliger Pilgerscharen.«

»Damit erzählt Ihr Uns bloß bekannte Dinge,« bemerkte der Kaiser, »aber welch neues Unglück bedroht Uns? Sprecht offen! Gilt es der Zerstörung Unseres Reiches? der Austilgung seines Herrschers aus der Reihe der Erdenfürsten?« – »Von solcher Absicht ist die Rede nicht und kann die Rede nicht sein,« erwiderte Nikephoros, »obwohl diesmal alles, was Europa an weisen und würdigen, tapferen und edlen Streitern besitzt, unter dem heiligsten Gelübde verbündet ist zu dem gleichen Vorhaben, das damals jene unheiligen Horden beseelte.« Er überreichte dem Kaiser eine große Pergamentrolle. »Hier, allergnädigster Herr und Papa, findet Ihr das Verzeichnis der verschiedenen Heere, die im Anmarsche gegen unsere Grenzen sind. Den Vortrab führt der Graf von Vermandois, Bruder des Königs von Frankreich, mit der Blüte des französischen Adels, wie dem Paniere des heiligen Petrus, das dessen heiliger Nachfolger seinen Händen überantwortete. Er mahnt Dich, ihm einen seinem Range angemessenen Empfang zu bereiten.« – »Tönende Worte,« erwiderte der Kaiser, »aber der schlimmste Wind für Schiffe ist nicht allemal der, welcher laut heult. So ganz unbekannt sind Uns die Franzosen ja nicht; sie sind wohl tapfer, aber nicht minder leichtsinnig; und so lange, bis Uns Zeit und Gelegenheit andere Verteidigungsmittel in die Hände liefern, wollen wir ihrer Eitelkeit schmeicheln. Was steht weiter in Eurer Rolle, Schwiegersohn? Wohl das Verzeichnis der Begleiter des fränkischen Grafen?« – »Nein, kaiserlicher Herr!« antwortete Nikephoros, »soviel unabhängige Heerführer Euer Auge auf dieser Liste erblickt, soviel unabhängige europäische Heere ziehen auf verschiedenen Wegen dem Osten zu, mit der Absicht, Palästina den Händen der Ungläubigen zu entreißen.« – »Eine grausige Menge!« rief der Kaiser, einen Blick auf die Pergamentrolle werfend, »zum Glück dürfte gerade diese Ueberzahl die Möglichkeit langen Bestandes solcher Schwärmerei ausschließen. Sieh da! ein alter Bekannter! Herr Bohemund von Antiochien, Sohn des berühmten Robert von Apulien, der sich vom einfachen Ritter zum Herzog über Sizilien aufschwang und ganz Italien unter seine Botmäßigkeit brachte! Eine furchtbare Familie und ein Geschlecht von Geschick und Kraft! Doch Bohemund wird sich der Politik des Vaters nicht anbequemen, mag er auch noch so eifrig von Palästina und christlichen Interessen schwatzen! Läßt sich sein Interesse mit dem meinigen m Uebereinstimmung bringen, so wird er sich durch keine andere Rücksicht bestimmen lassen. Soweit ich seine Absichten und Pläne kenne, dürfte uns der Himmel in der Gestalt eines Feindes einen Freund senden. Wer steht nach ihm auf Eurer Liste, Schwiegersohn?« – »Gottfried, Herzog von Bouillon, wie ich höre, der weiseste und tapferste, auch edelste der auf dem Marsche gegen unsere Westgrenzen begriffenen Heeresmassen, in hohen Ehren bei der gesamten abendländischen Ritterschaft, weil er unentwegt Treue und Großmut in allen Handlungen wahrt. Sein gerechter Sinn, seine offene Hand und sein ehrliches Wort haben ihm auch das gemeine Volk gewonnen, und die Geistlichkeit sagt ihm den höchsten Glaubenseifer, die tiefste Ehrfurcht vor der Kirche nach. Mit Fug und Recht wird er als das eigentliche Haupt des Heereszuges angesehen.«

»Recht zu beklagen, daß solch ein Fürst,« sprach der Kaiser, »sich von dem Fanatismus eines verrückten Einsiedlers, wie dieses Peters von Amiens, befallen läßt!« Eine Weile saß er überlegend da, dann fuhr er fort: »Es wäre wohl wert, zu erwägen, ob sich aus einem Teile der kleinasiatischen Länder, die jetzt von den Türken verwüstet werden, ein großes Reich bilden ließe? Die Moräste von Bouillon möchte es wohl aufwiegen, denn es gehörten ihm allerhand Vorzüge, als da sind: Boden, Klima, gewerbfleißige Bevölkerung und gesunde Luft. Allerdings müßte es von dem heiligen römischen Reiche ins Schlepptau genommen werden, würde aber unter dem Regiment eines Gottfried von Bouillon an der Spitze seiner siegreichen Franken ein Bollwerk abgeben können für Unsere gerechte und geheiligte Person. O, frommer Patriarch, würde solche Aussicht nicht jedem Kreuzfahrer den Appetit nach den steinigen Wüsten des gelobten Landes rauben?« – »Vornehmlich, wenn der Fürst, für den solch reiche Provinz in ein Lehen umgewandelt worden, zuvor zu dem allein wahren Glauben bekehrt worden, wie Kaiserliche Majestät doch sicher meinen!« – »Allerdings – ganz ohne Frage!« versetzte der Kaiser, aber mit recht gezwungenem Ernst, denn es fiel ihm ein, wie oft ihn politische Rücksichten genötigt hatten, nicht bloß lateinische Christen, sondern auch Manichäer und andere Häretiker, ja sogar Muhammedaner als Untertanen seines Reiches aufzunehmen, und daß derselbe Patriarch niemals eine Einrede dawider gemacht hatte.

»Wir müssen also,« nahm Nikephoros wieder das Wort, »wider ein Volk in Waffen treten, dem der Kampf das eigentliche Lebenselement ist, das, wenn es nicht im Kriege steht, sich untereinander zum Zweikampf fordert, wie wir einen Freund zum Wagenrennen fordern.«

»Genug, genug!« wehrte der Kaiser, »hat Gott den Franken Tapferkeit verliehen, die anderen Völkern fast übernatürlich erscheint, so hat er uns Griechen Weisheit im Rate verliehen: die Kunst also, statt durch Gewalt durch Klugheit zu siegen. Wir führen freilich nicht die Armbrust, die in den Händen der Franken eine furchtbare Waffe ist; dagegen sind wir im Besitze des griechischen Feuers, mit Recht so genannt, da nur griechische Hände es bereiten können und nur durch sie seine Blitze auf den bestürzten Feind geschleudert werden können.« Nachdem der Kaiser sich im Kreise umgeblickt hatte, sprach er, ohne sich durch die Blässe auf den Gesichtern seiner Räte beirren zu lassen, in zuversichtlichem Tone fort: »Die schlimme Zeitung, die Unser teurer Schwiegersohn, der Cäsar, Uns gebracht hat, meine würdigen und ernsten Räte, nötigt Uns, die Abendandacht, die wir den Musen schulden, abzukürzen, denn sie stimmt Uns nicht bloß zum Nachdenken, sondern legt Uns auch die Pflicht auf, über Mittel und Wege zu sinnen, wie Wir ihr günstige Seiten abgewinnen können. Darum wollen Wir Uns jetzt verabschieden. Auf Wiedersehen im Staatsrat, meine edlen und getreuen Räte!«

Die Höflinge überboten einander in Wünschen, daß diese fleißigen Studien keine schlimmen Folgen für die Gesundheit haben möchten. Nikephoros reichte seiner schönen Gemahlin den Arm. »Mein Cäsar,« sagte die Dame, »in dem Berichte, den Du uns heute gebracht, hast Du Dich so eleganter Wendungen bedient, daß ich fast meinen möchte, die neun Göttinnen, denen dieser Tempel geweiht ist, haben Dir Sinn und Form eingegeben.« – »Der Genius meiner eigenen Muse,« erwiderte Nikephoros, »birgt alle die Eigenschaften in sich, die den heidnischen Gottheiten des Parnasses von den heidnischen Völkern des Altertums zuerteilt wurden.« – »Vortrefflich gesprochen,« erwiderte die gelehrte Frau; »wenn Du aber Dein Ehgemahl über Verdienst mit Lob beschwerst, so mußt Du schon die Liebenswürdigkeit hinzufügen, ihr Deinen Arm zur Stütze zu lassen.«

Als sich die kaiserliche Familie entfernt hatte, ging die Versammlung auseinander, um jeder für sich andere Gesellschaft aufzusuchen, in der sie sich freier und ungezwungener bewegen konnten als in diesem den Musen geweihten Tempel.


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