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Viertes Kapitel.

Alles Volk war in Konstantinopel auf den Beinen am Morgen des anderen Tages, denn zwischen dem Cäsar Nikephoros und dem Grafen Robert von Paris sollte der vom Kaiser verkündigte Zweikampf ausgefochten werden. Für Byzanz war dies ein außerordentliches Schauspiel. An dem westlich von der Stadt gelegenen Ufer waren die Schranken errichtet worden. Von da erblickte man die Stadtmauern mit ihren vierundzwanzig Toren: neunzehn Wasser- und fünf Landtore, ein großartiges Bild, dessen Anblick man teilweise noch heute genießen kann. Wie heute, erhob sich auch damals schon die Stadt in ihrem Umfange von neunzehn englischen Meilen hinter einem Ringe der herrlichsten Zypressen; aber die Zinnen und Obelisken sind zumeist verschwunden; dagegen deuten die vielen Minarets, die jetzt dem Islam dienen, auf den Reichtum an Christentempeln, den die Stadt damals aufzuweisen hatte.

Die Schranken, die eine Länge von sechzig und eine Breite von vierzig Schritten hatten, waren zur Bequemlichkeit der Zuschauer von allen Seiten mit übereinander liegenden Sitzreihen umgeben: in der Mitte dieser Sitze und dem Mittelpunkte der Schranken gegenüber stand ein Podium, bestimmt für den Kaiser und geschieden von den Sitzreihen durch hölzerne Pfähle, die für etwaigen Fall von Gefahr leicht zur Verteidigung eingerichtet werden konnten. Sobald der Tag zu grauen anfing, zogen die Bürger in Scharen zur Stadt hinaus, um sich die Schranken anzusehen, die schon in der Nacht von einer stattlichen Abteilung der Schar der Unsterblichen besetzt worden waren. Neben dem großen Tore, durch das man von außen zu dem kaiserlichen Throne gelangte, befand sich ein zweiter Eingang, durch den eine zweite Schar, ihrem Körperbau, wie ihrer Tracht und Streitaxt nach zu schließen, von der Waräger-Garde, sich Zugang verschaffte, um den Platz um den Thron herum zu besetzen. Ueber diesen Ereignissen kam der Vormittag, und Achilles Tatius, der den Kaiser an diesem wichtigen Tage nicht aus den Augen lassen wollte, eilte nach dem Palaste.. »Kaiser Und Herr!« rief er, voll Hast in das Gemach desselben stürzend; »ich bin zu meinem Leidwesen der Bote schlimmer Kunde. Eine große Schar von Kreuzfahrern ist von Skutari her, im Widerspruch mit dem Eurer Hoheit geleisteten Gelübde über die Meerenge gesetzt. Das Lemnoser Geschwader hat versucht, sie aufzuhalten, gemäß dem im kaiserlichen Kriegsrate für solchen Fall vorgefaßten Beschlusse. Es ist ihm zwar gelungen, ein paar der feindlichen Schiffe mittels des griechischen Feuers zu vernichten: aber den Lateinern unter dem Befehle des verwegenen Tankred ist es geglückt, das Admiralsschiff unserer Flotte in Brand zu stecken, und wie die Rede geht, so ist Phraortes, der unglückliche Admiral, mit der Mehrzahl seiner Mannschaft dabei umgekommen.«

»Und warum meldest Du mir solche Hiobspost erst, wenn nichts mehr dagegen zu tun ist?« fragte, den Akoluth scharf fixierend, der Kaiser.

»Mit Verlaub, Hoheit,« erwiderte der Verschworene, »ich dachte, Euch einen Plan zu unterbreiten, der das kleine Mißgeschick wieder gut machen könnte.« – Schön,« sagte der Kaiser trocken, »und, was für ein Plan ist das?« – »Ich würde raten, ungesäumt Eure Waräger gegen die wider ihr Gelübde unter Tankreds Befehl zurückgekehrten Kreuzfahrer ins Feld rücken zu lassen; sie dürften mit den fünfhundert Franken schneller aufgeräumt haben, als der Bauer die Mäuse und Ratten auf seinem Felde los wird.« – »Und was beginne ich in dieser Zeit, wenn sich meine Angelsachsen draußen schlagen?«

Dem Akoluthen wollte der trockene Ton des Kaisers nicht recht behagen. »Kaiserliche Hoheit könnten sich doch an die Spitze Ihrer Unsterblichen Schar stellen,« versetzte er, »und dann wäre doch der Sieg über die Franken von vorn herein entschieden,« – »Aber ich dächte, Akoluth,« sagte der Kaiser, »Du hättest Uns wiederholt versichert, daß die Unsterblichen noch immer an dem alten Rebellen Ursel hängen? Wie reimst Du es nun zusammen, daß Wir Uns zu ihnen begeben sollen, während sich Unsere Waräger, lauf die doch der bessere Verlaß sein dürfte, sich mit den Franken herumschlagen?«

Der Akoluth war sichtlich betroffen, denn es ging aus dem Verhalten des Kaisers klar hervor, daß er den Plan des andern durchschaute; um den Choc zu parieren, erwiderte er, daß er in der Eile weniger an die Sicherheit seines Herrn gedacht habe als an die Pflicht, alle Gefahr für seine Person zu übernehmen. – »Sehr anerkennenswert,« versetzte der Kaiser, »daß Du meinen Wünschen derart zuvorkommen willst; aber Deinen Rat zu befolgen, ist für mich leider ausgeschlossen. Freilich wäre es mir lieb gewesen, die Franken wären wieder über die Meerenge zurückgetrieben worden; aber da sie nun einmal wieder da sind, halten Wir es für geratener, sie mit Geld und Beute, statt mit Untertanenblut abzufertigen. Zudem will es Uns nicht recht plausibel erscheinen, daß sie in verräterischer Absicht gekommen seien; Wir meinen weit eher, annehmen zu dürfen, daß sie die Neugierde nach dem Schauspiele eines Zweikampfes hergetrieben hat; und darum befehle ich Dir und Unserm Protospotharius, euch bei dem Fürsten Tankred zu erkundigen, welche Absicht ihn wieder in Unser Reich zurückgeführt habe und wieso er mit Unserem Admiral Phraortes in Händel geraten sei! Können die Kreuzfahrer Uns mit einer vernünftigen Entschuldigung aufwarten, so wollen Wir sie gern gelten lassen, denn wenn Wir Uns in einen Krieg hätten einlassen wollen, so wäre es doch wahrlich nicht nötig gewesen, so schwere Opfer für die Erhaltung des Friedens zu bringen. Wir glauben, daß die Kreuzfahrer nichts anderes als der in Aussicht stehende Zweikampf wieder über die Meerenge gelockt hat!«

In diesem Augenblicke wurde der Protospatharius gemeldet. In einer funkelnden Rüstung, die aber ein leichenblasses Gesicht freiließ, das zu dem kriegerischen Federschmuck« in ziemlich schroffem Gegensätze stand, trat er ein; auch er war über den Auftrag, mit dem Akoluthen den grimmen Fürsten Tankred aufzusuchen, nicht sonderlich erbaut; denn während der Akoluth in der Beiordnung des Protospatharius weder ein Zeichen kaiserlichen Vertrauens, noch eine Bürgschaft für die eigene Sicherheit erblicken konnte, hatte der Protospatharius die Empfindung, als solle er dem Akoluthen lediglich als Folie dienen; und da er demselben nichts weniger als freundlich gesinnt war, lag ihm an solcher Rolle absolut nichts; aber er mußte sich gleich dem andern sagen, daß im Blachernä-Palaste an Widersetzlichkeit nicht gedacht werden konnte, denn die kaiserlichen Sklaven machten kein Federlesens mit einem Menschen, den der Kaiser als mißliebig bezeichnete und ihnen zur weiteren Behandlung überantwortete. Sie fanden sich mithin beide darein, sich wie zwei störrische Jagdhunde zusammenkoppeln zu lassen und auf das Signal der Warägertrompete sich an die Spitze der im Kasernenhofe zurückgebliebenen kaiserlichen Leibgarde zu stellen.

Das war eine Verfügung, die das Gewissen des Achilles Tatius ernstlich bedrückte; er merkte recht wohl heraus, daß sich hinter diesem Vorwande eines ehrenhaften Auftrages nichts weiter verbarg als ein kluges Mittel, ihn von jeder Verbindung mit Briennios und Hereward fern zu halten, auf deren Mitwirkung er natürlich rechnete, da er nicht wußte, daß Alexius seinen Schwiegersohn im Blachernä-Palaste als Gefangenen zurückhielt.

Unterwegs nach den Schranken bemerkte der Protospatharius zu dem Akoluthen in gleichgültigem Tone, daß der Kaiser persönlich anwesend sein, also auch alle Befehle persönlich erteilen werde, so daß für sie beide kaum mehr als eine Zuschauerrolle übrig bleiben dürfe... »Ich beklage das bloß insofern, als ich daraus ersehe,« erwiderte Achilles, »daß der Kaiser uns gegenüber Vorsichtsmaßregeln am Platze hält. Indessen... ich füge mich natürlich seinem Willen.« – »Etwas anderes wird auch schwerlich übrig bleiben, denn welche Strafen auf Verweigerung des Gehorsams in Aussicht stünden, wissen wir ja.« – »Und wenn wir's nicht wüßten,« sagte der Akoluth, »so würde es uns die Zusammensetzung der Leibgarde, die heute nur aus Warägern und Palastsklaven besteht, recht wohl vor Augen führen.«

Der andere Offizier erwiderte hierauf nichts; der Akoluth aber, als er sah, daß die Wache bei den Schranken eine Stärke von annähernd dreitausend Mann besaß, hätte vieles darum gegeben, wenn er den Verschworenen durch den Cäsar oder durch Agelastes einen Wink hätte zukommen lassen können, mit den Maßnahmen zur Empörung noch zu verziehen, da der Kaiser all diesen verschiedenen Anzeichen nach Argwohn gefaßt hatte. Aber er sah weder den einen noch den andern der beiden Mitverschworenen, und als er nun gar sah, daß nicht bloß der Protospatharius, sondern auch die Palastdiener ihn nicht mehr aus den Augen ließen, wohin er sich auch wenden möchte, fing ihm die Situation allmählich an, recht schwül zu werden. Er fühlte sich von Feinden umgeben, fühlte, daß ihn die eigene Furcht verraten könnte, argwöhnte, daß Agelastes oder der Cäsar den Angeber gespielt hätte, und fing alsbald zu erwägen an, ob es nicht das geratenste sein möchte, sich dem Kaiser zu Füßen zu werfen und ein reumütiges Bekenntnis abzulegen.


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