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Siebentes Kapitel.

Graf Robert, war noch nicht lange wieder in seinem Kerker, so sah er aus einer Falltür in der Decke einen Lichtschimmer fallen, und fast gleichzeitig erklang in angelsächsischer Mundart der, Ruf: »Flink, Sylvan! flink!« Darauf antwortete jemand in einer andern, dem Grafen, aber ganz unverständlichen Mundart, die durch eine Art Gekicher in einemfort unterbrochen wurde: dazwischen rief wieder die andere Stimme: »Was? Du willst nicht? Marsch! hier ist die Leiter! und nun flink! flink!«

Da schwang sich mit einem einzigen Satze ein Wesen von etwa sieben Fuß Länge aus der Falltür auf die Kerkerdielen nieder, das in der Linken eine Fackel, in der Rechten eine Art Strickleiter hielt, die sich bei dem Sprunge mit abgewickelt hatte, ohne zu reißen, aber begreiflicherweise einem so riesigen Geschöpfe nicht als Handhabe oder Stütze hatte dienen können. Die Fackel, die dasselbe hielt, verlöschte infolge des starken Luftdruckes, der durch das Niederschießen des mächtigen Körpers entstand, und als das seltsame Wesen mit der Hand nach der Fackel fuhr, um sich zu überzeugen, ob sie noch brenne oder nicht, verbrannte es sich die Finger, fuchtelte mit dem Arme wild hin und her und stimmte ein lautes Geheul an.

»Achtung, Sylvan!« rief die angelsächsische Stimme wieder, »tanze nicht unten herum wie ein Narr, sondern gib dem Blinden sein Essen!« – Das Wesen – es als Mensch zu bezeichnen, wäre zu weit gegangen – blickte zu der Falltür hinauf, von welcher die Stimme hernieder klang, fletschte auf eine schreckliche Art die Zähne und ballte grimmig die Faust. Dann knotete es ein Bündel auf, das es am Arme getragen hatte, suchte in seinen Taschen nach einem Schlüsselbunde, fand ihn aber nicht dort, sondern neben dem Brote in dem Bündel. Dann zwängte es die Fackel hinter einen vorspringenden Stein und fachte sie durch seinen Atem zu neuem Brande an, guckte behutsam nach der Tür, die zu dem Kerker des Greises führte, steckte den Schlüssel in das Schlüsselloch und öffnete die Tür. Auf dem schmalen Korridor trat es zu einer Art Pumpe, deren Schwengel es ein paarmal auf und ab bewegte, bis ein Eimer voll Wasser gelaufen war, den es in Ursels Zelle trug. Ein paar Augenblicke später kam es mit dem, was der Gefangene von dem Wasser und dem Brote des gestrigen Tages übrig gelassen, wieder. In das Brot biß es, schnitt aber eine schreckliche Fratze und schleuderte es gegen die Wand.

Graf Robert, bei sich im ersten Entsetzen hinter sein Bett geflüchtet hatte, ließ keinen Blick von dem seltsamen Geschöpfe, das er geneigt war, für den Teufel in eigener Person oder für einen seiner Kerle zu halten. Die angelsächsische Stimme hatte sich aber weniger als die eines beschwörenden Zauberers angehört, mehr als die eines Tierbändigers. »Pfui!« dachte er bei sich, »was wird's denn schließlich anders sein als ein Waldmensch oder ein Affe? Und solch ein Geschöpf sollte mich verhindern können, den Weg zum Lichte und zur Freiheit wiederzugewinnen? Ich will es lieber so drehen, daß mir der Kerl als Führer zur Oberwelt dient.«

Mit einem Male gewahrte das seltsame Geschöpf den erschlagenen Tiger; es betastete ihn lange und schnitt ein betrübtes Gesicht, wie wenn es ihm leid täte, daß die Bestie nicht mehr am Leben sei; dann mochte es ihm wohl einfallen, daß ihn jemand umgebracht hätte; es langte wieder den Schlüssel aus dem Bündel und war so blitzschnell an der Tür und in Ursels Zelle verschwunden, daß Graf Robert, als er das gewahrte, es nicht mehr einholen konnte. Im nächsten Augenblick aber erschien es wieder in Roberts Kerker; es mochte sich eines andern besonnen haben, denn es fing an, jeden Winkel der Zelle zu durchsuchen, schlich geräuschlos, mit langen Schritten, an den Wänden hin, an denen sich sein Schatten wie ein anderes gespenstisches Wesen entlang bewegte. Immer näher kam der Waldmensch, – denn ein solcher war dieses Wesen-- dem Bette, hinter welchem Graf Robert noch immer kauerte. Mit einem Male trafen sich beider Blicke; aber der Waldmensch schien fast noch mehr erschrocken über den Anblick, der sich ihm so unvermutet bot, als Graf Robert; denn er schrie gräßlich auf und machte einen Sprung von mindestens fünfzehn Schritten rückwärts. Aber schon im nächsten Augenblicke bewegte er sich wieder mit vorgehaltener Fackel, um den Grafen deutlich zu sehen, auf den Schragen zu. Da packte Graf Robert einen Pfosten des Schragens, riß ihn mit einem Ruck von dem Gestell los und drohte damit dem Waldmenschen wie mit einem Knüttel. Das mochte wohl ein Ding sein, mit dem der Waldmensch öfter Bekanntschaft gemacht hatte; denn er erhob ein grimmiges Geschnatter, fuchtelte mit seiner Fackel umher und wich ängstlich wieder zurück. Graf Robert aber meinte, den Vorteil, der ihm hierdurch erwuchs, nicht ungenützt vorbeigehen zu lassen, sondern sprang hinter dem Bett hervor und vorsetzte dem Waldmenschen einen so kräftigen Schlag mit dem Bettpfosten, daß er wie tot niederstürzte. In der Absicht, ihm mit dem Dolche den Rest zu geben, setzte ihm Graf Robert das Knie auf die Brust; der Orang-Utang aber, noch bei weitem nicht tot, war im Nu auf den Beinen und hätte sicher den Ritter unter sich gebracht, wenn er nicht gleichzeitig nach dem glitzernden Dolche desselben gegriffen hätte. Robert aber riß ihm die scharfe Klinge durch die Hand, so daß der Affe, winselnd wie ein Mensch, zurücksank.

Ein so wetterharter Kriegsmann Graf Robert auch war, so war er doch, fern dem Kampfe, von milder Sinnesweise, vornehmlich gegen niedere Geschöpfe. So kam ihm plötzlich der Gedanke, daß es doch unrecht von ihm sei, diesem Wesen das Leben zu nehmen, das womöglich gar irgend ein verzauberter Fürst oder Ritter sei; und angenommen, es sei bloß ein Tier, so ermangele es vielleicht des Dankbarkeitsgefühles nicht. Denn Beispiele für das Vorhandensein dieser Empfindung in der Tierseele waren ihm öfter zu Ohren gekommen, abgesehen von dem bekanntesten mit Androklus und dem Löwen.

Dieser Regung folgend, richtete er sich in die Höhe und ließ den Affen gleichfalls aufstehen; und siehe! er schien für die ihm erzeigte Gnade Verständnis zu haben, denn er fing an zu murmeln, was sich ganz anhörte, wie wenn er seinen Dank stammeln wollte.

Graf Robert zwängte die der Hand des Affen entfallene Fackel wieder hinter den Wandvorsprung, riß ein Stück von seinem Leinenhemde ab und verband dem Tiere die verletzte Hand damit, machte ihm aber in strengem Tone begreiflich, daß er ihm bei der geringsten Widersetzlichkeit den Dolch, dessen Schärfe ihm bereits bekannt sei, durch den Leib rennen werde.

Der Affe fiel auf die Kniee und küßte dem Grafen die Füße; er schien jedes Wort, jede Bewegung desselben verstanden zu haben und schien ihm Treue und Gehorsam geloben zu wollen. Plötzlich erklang wieder von oben her die angelsächsische Stimme, die der Graf schon ein paarmal gehört, hatte: »Sylvan! Sylvan! wo bleibst Du? Komm herauf, oder ich will Dich Mores lehren!«

Der Affe rückte ängstlich näher zu dem Grafen heran, der sich wieder auf den Bettrand gesetzt hatte, und fing schmerzlich zu winseln an. Der Graf, ohne daran zu denken, daß der Affe ihn kaum verstehen könne, sprach ihm Mut zu. Da wurde wieder von oben gerufen: »Sylvan! Sylvan! wo steckst Du? Was hast Du denn für Gesellschaft da unten? Ist's ein Teufel oder ein Geist der Gemordeten? Schwatzest Du etwa mit dem alten, blinden Rebellen? Komm herauf, Schlingel, oder Du bekommst die Peitsche!«

Der Orang-Utang fing an zu zittern; sicher kannte er das Wort Peitsche genau, denn er stand auf in der Absicht, zu der Leiter hinzuschleichen, die sich jetzt zu der Falltür hinuntersenkte; als er aber sah, daß ihm der Graf mit der Faust drohte und den Dolch zückte, besann er sich flugs eines andern und kam wieder zu dem Grafen geschlichen, die Fäuste ballend wie ein Mensch, der sich fest zu etwas entschlossen hat, und sich hinter ihm versteckend.

Dem Manne oben ging die Geduld aus; mit einer um den Hals gehängten Blendlaterne und einem Schlüsselbunde in der Hand, kam er die Leiter herunter; dabei kaum hatte er den Fuß von der letzten Sprosse gesetzt, so umschlangen ihn zwei kräftige Arme. »Du bist des Todes!« schrie ihm der Graf zu, »wenn Du Dich rührst.« – »Verrat, Verrat!« schrie der Mann, »holla! Hilfe, Hereward! Hilfe! Waräger, oder welchen Namen Du sonst führst! Hilfe! Hilfe!« Aber schon hatte der Graf, der nicht gesonnen war, seinen Vorteil fahren zu lassen, ihn bei der Kehle gepackt und hinderte ihn am weiteren Schreien.

Die beiden ringenden Männer schlugen auf den Boden nieder, der Mann, der auf der Strickleiter in den Kerker geklettert war, kam unter den Grafen zu liegen, und dem Gebote der Selbsterhaltung folgend, stieß dieser ihm den Dolch in den Hals. Da kam ein dritter mit rasselndem Harnisch die Leiter heruntergestiegen: Hereward, der Waräger, und kaum erblickte er im Schein der erlöschenden Fackel, die noch immer zwischen den Wandvorsprung gezwängt stand, die beiden am Boden übereinander liegenden Männer, als er sich über den zu oberst liegenden Grafen stürzte und ihm den Kopf gegen den Boden drückte. Graf Robert war einer der stärksten Männer seines Zeitalters, aber auch der Waräger suchte in der Leibesstärke seinesgleichen; zudem hatte er den Vorteil der Offensive vor dem andern voraus.

»Ergib Dich, auf Gnade oder Ungnade, oder ich steche Dich nieder wie einen Hund!« rief Hereward. – »Kein französischer Graf ergibt sich einem verlaufenen Knechte!« erwiderte Robert von Paris, der seinen Gegner an der Stimme erkannt hatte, und befreite sich mit einem plötzlichen Ruck aus der Faust des Warägers. Dieser aber, nicht gewillt, seinen Vorteil aufzugeben, zückte den Dolch in der Absicht, dem Gegner den Rest zu geben, da erscholl ein wildes Geschnatter in dem Kerkerloche, der Waräger fühlte sich von einem haarigen Arme umschlungen und zurückgerissen, und Graf Robert gewann Zeit, aufzuspringen, Ohne zu wissen, gegen wen er die Drohung richtete, schrie der Waräger: »Die Hände weg, Schuft, oder Du bist des Todes!« Aber ebenso schnell, wie sich der Arm um ihn gelegt hatte, ließ er auch wieder los, und von Angst befallen vor der Uebermacht des Menschen, floh der Orang-Utang die Leiter hinauf, und überließ es den beiden Männern, ihren Zwist allein auszufechten.

Sie waren beide groß und stark und mutig; sie trugen beide den schützenden Harnisch und hatten beide keine andere Waffe als den Dolch. Ueber ihnen, an dem Falltürloche, mit der flammenden Fackel in der Faust, stand der Orang-Utang und blickte mit angstverzerrter Fratze auf sie hernieder. Da nahm der Waräger das Wort, dem Gegner fest ins Auge blickend: »Eine Frage, bevor wir den Kampf beginnen: Ihr seid der kühne Franke, der in der verwichenen Nacht hier bei dem angeketteten Tiger eingesperrt wurde?« – »Der bin ich,« erwiderte Graf Robert. – »Und wo habt Ihr den Tiger?« – »Dort liegt er,« erwiderte Robert, in einen Winkel zeigend; »der frißt keinen Menschen mehr!«

Hereward richtete den Blick in die Ecke und fragte erstaunt: »Und das habt Ihr vollbracht?« – »Ja,« antwortete Graf Robert, ohne mit einer Miene zu zucken. – »Und meinen Nachtgesellen erschlugt Ihr auch?« – »Erschlagen wohl nicht, aber einen argen Denkzettel dürfte er weghaben,« versetzte Graf Robert. – »Gewährt mir so lange Waffenstillstand, bis ich seine Wunde untersucht habe.« – »Es sei!«

Der Waräger beugte sich zu dem Kameraden nieder, der seiner Uniform nach zur Schar der Unsterblichen gehörte; er lag im Todeskampfe, konnte aber noch lallen: »Kommst Du endlich, Waräger?« Er versuchte, sich aufzurichten, sank aber wieder zurück. »Nur Deiner Feigheit habe ich meinen Tod zuzuschreiben. Laß mich, und antworte mir nicht! Der Franke hat mir den Dolch über dem Schlüsselbein in den Leib gejagt. Dasselbe hatte ich Dir zugedacht, nur wollte ich noch einige Zeit verstreichen lassen, bis die Affäre am goldenen Tor mehr in Vergessenheit geraten wäre. Ein Stich über dem Schlüsselbein, kräftig geführt, ist allemal tödlich. Das weiß ich aus meiner Praxis zu gut, als daß ich für mein Leben noch einen Batzen geben möchte. Sebastes von Mitylene hat seinen Köcher kaum erst halb geleert, und sieht seinen Bogen doch schon zersplittert!«

Der Grieche sank Hereward in die Arme und verschied. Der Waräger legte die Leiche auf den Estrich mit den Worten: »Eine recht heikle Geschichte! Ihr seid wohl meinem Volke feind, aber sonst ein wackerer Mann, soll ich Euch nun erschlagen, weil Ihr einen Schuft erschlagen habt? Ich meine, hier sei weder der Platz, noch Licht genug, daß Kämpen, die es ehrlich meinen, einen Streit ausfechten könnten. Lassen wir ihn deshalb ruhen! Meinetwegen, bis Ihr den Blachernä-Palast hinter Euch habt und wieder bei Euren Freunden und Euren Mannen seid. Kann Euch ein armer Waräger hierzu helfen, so findet Ihr mich bereit dazu. Doch setze ich voraus, daß Ihr ihm später ehrlichen Kampf nicht versagen werdet?« – »Freund oder Feind! willst Du mir geloben, auch meinem Weibe zu helfen?« – »Auch sie ist im Kerker?« – »Auch sie! und wenn Du nicht bloß mir, sondern auch ihr beistehen willst, gelobe ich, Dir ohne Rücksicht auf Deine Herkunft oder Deinen Stand, sei es zum Kampfe, sei es zum Freundschaftsbunde, meine Rechte zu bieten. Bei der Seele meines Ahnherrn Karls des Großen und beim Altare meiner Schutzheiligen, Unserer Frau zu den gebrochenen Lanzen.«

»Ich bin als Landesflüchtiger um so mehr verpflichtet, mich der Sache eines tapferen Ritters anzunehmen, wenn sie außer ihm auch sein Weib anbetrifft.« – »Dir hat das Schicksal zwar edle Geburt verweigert; dafür hat Dir Gott ein Herz verliehen, wie es sich nicht bei jedem Ritter findet. Ich habe Dir noch Weiteres zu sagen. In diesen Kerkern schmachtet wohl drei Jahre schon ein Greis, der nur von Brot und Wasser lebt. Er ist blind. Diesem unglücklichen Manne zu helfen, halte ich mich gleichfalls verpflichtet.«

»Bei Sankt-Dunstan!« rief der Waräger, »ich sollte meinen, Eure eigene Sache stände schlecht genug, und doch wollt Ihr sie mit der Sache jedes Unglücklichen verknüpfen, den Euch das Schicksal in den Weg führt?« – »Menschliches Elend zu erleichtern, verschönt das Ritterleben. Wackerer Sachse! zögere nicht, sondern erkläre Dich bereit, mir auch hierin zu Willen zu sein. In Deinem Gesichte liegt Klugheit und Aufrichtigkeit. Gelingt es uns, mein geliebtes Weib zu befreien, so werden wir eine große Hilfe haben, um anderen beizustehen.«

»Es sei!« erklärte der Waräger, »suchen wir die Gräfin auf! Und erachten wir uns dann stark genug, auch dem blinden Greise beizustehen, soll meinerseits weder Feigheit noch Hartherzigkeit diesen Versuch hindern.«


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