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Achtes Kapitel.

Als er Herewards ansichtig wurde, sprang der wohlbeleibte Greis rascher, als es sich von ihm hätte vermuten lassen, vom Boden auf. »Willkommen, o tapferer Waräger,« rief er ihm entgegen, »gleichviel, welche Ursache Dich hierher geführt haben mag!« – »Mich hat ein Neger hergeführt,« erwiderte Hereward, »der mir vorredete, es sei Euer Begehr, mich zu sehen. Wohl habe ich gemerkt, daß der schwarze Musje etwas vom Spötter an sich hat. Sollte er mich belogen haben, so bleibt mir nur übrig, mich in schicklicher Weise bei Euch zu entschuldigen, daß ich Euch in Eurer Einsamkeit gestört habe, und mir zu überlegen, ob ich dem verlogenen Burschen die Schläge, die er dann verdiente, schenken werde oder nicht.« – »Mein Neger Diogenes hat, wie Ihr bemerkt habt, seine Schrullen; aber er hat auch andere Eigenschaften, die ihn Leuten von anderer Farbe und mit schöneren Zügen ebenbürtig machen.« – »Was aber könnte Eure Weisheit mit mir zu reden haben?« – »Als Beobachter der Natur,« erwiderte der Philosoph, »werden mir Dinge, die bloß eine künstliche Außenseite haben, leicht überdrüssig, so daß ich mich zuweilen nach echter Natur sehne.« – »In mir seht Ihr aber schwerlich viel Natur,« versetzte Hereward, »denn bei uns Soldaten ist doch alles Drill! Lager, Hauptmann, Rüstung bilden bei uns den Geist und die Glieder, gleichwie den Seekrebs die Schale. Seht Euch einen von uns an, und Ihr seht alle!« – »Daran sei mir doch Zweifel erlaubt,« erwiderte Agelastes, »denn ich bin der Meinung, daß in Waltheoffs Sohne mit Namen Hereward ein außerordentlicher Mensch steckt, obwohl er in seiner Bescheidenheit seinen Wert selbst nicht kennt.«

»Waltheoffs Sohn?« rief der Waräger betroffen; »Ihr kennt den Namen meines Vaters?« – »Sei nicht darüber verwundert!« antwortete der Philosoph; »viel Mühe hat's mich nicht gekostet. Hoffentlich kostet es mich nicht größere Mühe, Dich von der Aufrichtigkeit meiner Freundschaft zu überzeugen.« – »Daß ein Mann von Eurem Range und Eurer Weisheit es der Mühe für wert hält, sich unter der Warägergarde nach dem Vatersnamen eines ihrer Unteroffiziere zu erkundigen,« sagte Hereward, »ist für die Garde unstreitig höchst schmeichelhaft. Mein Kommandant, der Akoluth, dürfte sich solche Mühe kaum machen mögen.« – »Meines Wissens habt Ihr einen sehr hohen Herrn kennen gelernt,« versetzte Agelastes, »der nicht minder die Eigenschaft besitzt, sich um die Namen seiner Jagdhunde mehr zu bekümmern als um die seiner Soldaten; ja, dem es wohl am liebsten wäre, er könnte sie wie diese durch einen Pfiff an seine Seite rufen.« – »Solche Reden möchte ich mir verbeten haben,« sagte der Waräger. – »Es lag nicht in meiner Absicht,« bemerkte hierauf der Philosoph, »Dich zu kränken, noch weniger, Dir die gute Meinung, die Du von jener Person gewonnen, zu schmälern. Immerhin befremdet es mich, bei jemand, der solche vortrefflichen Eigenschaften hat wie Du, solche Meinung zu finden.« – »Lassen wir dieses Thema,« sagte der Waräger, »so wunderlich es mir vorkommt, solche Reden aus dem Munde eines Mannes von Eurer Art zu hören, so möchte ich doch darauf erwidern, daß sowohl Schmeichel- wie Scheltworte bei mir verloren sind.« – »Gerade um dieser Charakterfestigkeit wegen bitte ich um Eure Freundschaft, bitte darum wie ein Bettler, und Ihr weigert sie mir wie ein Grobian.« – »Verzeiht, wenn jetzt ich Zweifel hege,« versetzte Hereward; »ich wüßte zum wenigsten nicht, von wem Ihr über meine Eigenschaften Kenntnis erhalten haben solltet, und zusammengetroffen sind wir doch meines Wissens erst einmal in unserem Leben, und daß ich Euch nichts bei dieser Gelegenheit über mich gesagt habe, dürftet selbst Ihr nicht abstreiten wollen.« – »Ihr seid im Irrtum, Sohn,« sagte Agelastes, »wenn Ihr mich für einen Mann haltet, der sich wegen Lappalien mit Euch befaßt. Sieh, wenn ich das zertrümmerte Anubis-Bild berühre, vermag ich den Geist, der hier lange orakelte, erscheinen zu lassen, vermag ich dem Steine da sein altes Leben wiederzugeben. Uns Eingeweihten gibt eben, wenn wir auf diese zertrümmerten Gewölbe stampfen, das Echo Antwort. Drum sollt Ihr Euch aber nicht der Meinung hingeben, daß ich mich um Eure Freundschaft bewerbe bloß in der Absicht, auf diese Weise zu Auskünften über Euch oder andere zu gelangen.« – »Merkwürdige Worte,« versetzte der Angelsachse; »doch sollen, wie mir mein Großvater Kenelm sagte, die gleißnerischen Worte der heidnischen Philosophie dem Christentum von größerem Schaden sein als die Drohungen heidnischer Tyrannen.« – »Euer Großvater Kenelm ist durch einen edlen Mönch vom Wodansglauben zum Christenglauben bekehrt und in der Kapelle des heiligen Augustinus beigesetzt worden.« – »So kanntet Ihr ihn?« – »Ja. Ob von Angesicht zu Angesicht oder in geistiger Hinsicht, tut ja nichts zur Sache.« – »Nun, er ist tot, aber eben darum sind mir seine Worte um so heiliger. Er hat mich vor Irrlehren falscher Propheten schon gewarnt, als ich noch nicht recht in den Sinn seiner Worte einzudringen fähig war.« – »Dein Großvater, Hereward, war ein braver Mensch, aber beschränkt wie wohl alle Priester; und wie sie, hätte auch er am liebsten die Betrachtung der überirdischen Welt auf unser sittliches Betragen in dieser und auf unsere Seligkeit in jener Welt beschränkt gesehen. Nichtsdestoweniger besitzt der Mensch, sofern es ihm nicht an Mut und Weisheit gebricht, die Freiheit, Umgang zu pflegen mit höheren Wesen, die über die dem Menschen gezogenen Schranken, wie die Rede heißt, lächeln und Hindernisse, die dem Laien als unüberwindlich erscheinen, durch ihre übersinnliche Kraft bezwingen.«

»Das sind doch aber läppische Dinge, die der Mann belächelt,« sagte Hereward. – »Nicht doch,« versetzte Agelastes, »es liegt jedem Menschen der Wunsch im Grunde seines Herzens, Umgang zu pflegen mit mächtigeren Wesen, die über uns sind und uns nur übernatürlich erscheinen; ich brauche ja, zum Beweise dafür, daß ich die Wahrheit spreche, bloß an Dein eigenes Herz zu appellieren! Beschäftigen sich Deine Gedanken nicht eben jetzt mit einem Wesen, das, wenn nicht längst gestorben, so doch längst von Dir getrennt wurde? Bestürmen Dich nicht, wenn Du ihren Namen vernimmst, Empfindungen, die Du in Deiner kindlichen Einfalt längst begraben wähntest? Du erschrickst und bist betroffen? Nun, sofern Dir daran liegt, will ich Dir sagen, wie es um diese Bertha steht, deren Andenken Du noch immer in Deinem Busen trägst, trotz aller Mühsale Deines Standes.«

Mit einem gewissen Zittern in der Stimme erwiderte der Waräger, der erst ein paar Minuten lang betroffen den Philosophen angestaunt hatte: »Wer bist Du, Mann, und was willst Du von mir oder mit mir? Auf welchem Wege hast Du Dinge zu Deiner Kenntnis gebracht, die für mich so viel, für andere so wenig wert sind? Nur eines kann ich sagen, daß Du, ob zufällig oder nicht, einen Namen ausgesprochen hast, der mir ins tiefste Herz geschrieben steht, aber ich bin Christ und bin Waräger, und es wird nie geschehen, daß ich Gott oder meinem Kaiser die Treue breche. Du hast gegen letzteren in Deine Rede ein paar sarkastische Worte eingeflochten; das allein erlegt mir die Pflicht auf, hinfort Deinen Umgang zu meiden, sei es im Glück, sei es im Unglück. Ich habe dem Kaiser meinen Diensteid geleistet, und wenn ich auch der Mann nicht bin, ihm nach Höflingsweise kleinliche Ehrfurchtsbeweise zu geben, so soll er doch nie in Verlegenheit kommen, wenn er sich auf Hilfe durch meine Streitaxt angewiesen sieht.« – »Das wird niemand zweifelhaft sein,« versetzte der andere, »aber meines Wissens stehst Du unter dem unmittelbaren Befehle Seiner Ehren des Akoluthen?« – »Der Dienstordnung nach ist er mein Vorgesetzter, hat sich gegen mich immer als ein freundlicher Herr erwiesen und mir oft Erleichterungen zuteil werden lassen, wo ich vielleicht kein Recht gehabt hätte, sie zu erwarten, geschweige zu fordern. Aber er ist Diener meines Fürsten so gut wie ich, und da wir beide einander schließlich durch ein einziges Wort fördern oder schädigen können, ist der Unterschied zwischen uns beiden schließlich so erheblich nicht!« – »Du sprichst mit großer Zuversicht von Deiner Kraft, und das gefällt mir an Dir wahrlich nicht zum wenigsten; gewiß! da Du ihn an Kriegskunst wie auch an Tapferkeit in Schatten stellst, so hast Du auch ein Recht, Dich mit ihm zu messen!« – »Ihr wollt mir da ein Lob zollen, das ich aber nicht gelten lassen kann,« antwortete der Waräger, »der Kaiser wählt seine Offiziere nach Verdienst, das heißt, soweit sie ihm Verdienst zu besitzen scheinen. Nach diesem Maßstabe würde ich ohne Zweifel zurückstehen müssen. Aber, wie schon einmal gesagt, ich habe meinem Kaiser den Diensteid geleistet und lehne jede weitere Auseinandersetzung mit Euch über dieses Thema ab.« – »Komischer Kauz!« sagte Agelastes, »vermögen Dich denn wirklich bloß Dinge zu bewegen, die Dir fremd sind?« – »Ich habe über das, was Du zu mir gesprochen, nachgedacht und muß wohl sagen, daß Du das Mittel gefunden hast, mein Herz in Aufruhr zu setzen; aber das reicht nicht hin bei einem Manne wie mir, auch meine Grundsätze zu erschüttern. Warum soll ich mit Dir über Dinge sprechen, die für Dich nicht wichtig sein können? Man sagt, daß Zauberer und Beschwörer sich zu ihrem schlimmen Werke des Namens unseres Allerhöchsten bedienen, es braucht also nicht zu verwundern, wenn auch der Name des allerreinsten Wesens unter seiner Sonne einmal dazu herhalten soll. Magst Du sonst welchen Zweck mit Deiner Rede verfolgen, sie wird in mein Herz keinen Eingang finden, denn es ist danach beschaffen, nicht bloß den Verführungen der Menschen, sondern auch denen des Teufels zu trotzen.«

Mit diesen Worten drehte der Waräger sich um und verließ die Trümmerstätte, ohne ein weiteres Zeichen der Verabschiedung als ein leichtes Neigen des Kopfes. Der Philosoph war nicht lange allein, denn er wurde in seinem Sinnen durch den plötzlichen Eintritt des Kommandanten der Warägergarde gestört. Bevor derselbe jedoch das Wort nahm, musterte er eine Weile das Gesicht des andern. Als er sich über den Ausdruck desselben klar zu sein schien, fragte er: »Nun, weiser Agelastes, hast Du noch immer Vertrauen zu der von uns jüngst besprochenen Angelegenheit?« – »Gewiß,« erwiderte Agelastes ernst und bestimmt. – »Den Proselyten, dessen Beistand uns denjenigen von tausend feiger Sklaven aufwöge, hast Du aber nicht gewonnen?« – »Nein, es ist mir nicht geglückt!« antwortete der Philosoph. – »Und das zu sagen, schämst Du Dich nicht?« fragte der andere, »Als weisester der jetzt lebenden Weisen Griechenlands? als Mann, der immer behauptet, die der menschlichen Kraft gesetzten Schranken durch Worte, Zeichen, Namen, Amulette und Zaubersegen beseitigen zu können? Schmach über Dich, daß Du von dem Charakter, den Du Dir beilegst, so schlechte Probe ablegst!« – »Wenn sich nicht bestreiten läßt, Achilles Tatius, daß ich beim ersten Anlauf noch nichts gewonnen habe, so läßt sich doch auch anderseits noch nicht sagen, daß ich schon alles verloren hätte! Und wenn wir miteinander noch auf dem Standpunkte de facto von gestern stehen, so steht doch fest, daß ich ihm einen Köder hingehalten habe, der ihm nicht aus den Gedanken kommen wird. Dafür will ich sorgen! Vorderhand wollen wir den sonderbaren Schwärmer nicht aus den Augen, wohl aber aus der Diskussion lassen. Hingegen sage Du mir, wie es um die Reichsangelegenheiten steht. Ist das Heer der Kreuzfahrer noch immer im Anmarsche gegen unsere Stadt? Hofft Alexius nach wie vor, sie durch diplomatische Kniffe zu schwächen, da er sie mit seinen Soldaten nicht zu schlagen vermag?« – »Vor wenigen Stunden ist nähere Kunde darüber eingelaufen,« versetzte der andere, »und zwar durch Bohemund von Antiochien, der mit etwa einem halben Dutzend Reiter verkleidet den Weg zu uns gefunden hat. Es war ein keckes Stück von ihm, da er doch wahrlich oft genug mit Alexius in schlimmer Fehde lag. Aber der Kaiser merkte sofort, daß es dem Antiochier darauf ankam, zu ermitteln, welcher Lohn ihm winke, wenn er sich als Vermittler zwischen dem Kaiser und Gottfried von Bouillon oder auch anderen Heerführern, auf den Weg ihnen entgegen mache.« – »Der Kaiser täte wohl daran, dem Grafen hierzu die Hand zu bieten,« sagte Agelastes. – Achilles fuhr fort: »Bohemund stellte sich, als führte ihn ein bloßer Zufall an den kaiserlichen Hof. Er ist mit einer Gnade und so glanzvoller Höflichkeit aufgenommen worden, wie noch kein Franke vor ihm. Von den alten Fehden fiel zwischen beiden Fürsten kein Wort, auch von der Eroberung Antiochiens nicht, trotzdem der Kaiser sicherlich den Verlust noch immer nicht verschmerzt hat. Die Hoffnung, in diesem schlimmen Augenblicke einen Bundesgenossen in ihm zu gewinnen, erstickte jegliche Regung von Groll in dem kaiserlichen Herzen.« – »Und was sagte Graf Bohemund?« – »Nicht eben viel,« erwiderte Achilles, »bis ihm schließlich, wie mir der Palastsklave Narses berichtet hat, eine bedeutende Summe in Gold behändigt wurde. Der Kaiser versprach ihm einen bedeutenden Länderzuwachs, wenn er sich ihm jetzt als Freund und Genosse erwiese, ja der Kaiser ging so weit, ihm jenes geheime Prunkgemach zu zeigen, worin die kostbarsten Seiden, Juwelen und Gold- und Silberbarren aufgespeichert liegen, und ihm all diese Schätze zu versprechen als Preis für seine Bundesgenossenschaft. Der gierige Franke forderte die sofortige Ueberführung derselben in sein Zelt, und der Kaiser kam auch diesem Ansinnen nach, denn er sieht sich in der schlimmen Zwangslage, den Grafen, dessen Tapferkeit und Ehrgeiz seiner Habsucht gleichwertig ist, nicht aus dem Garne zu lassen.«

»Graf Bohemund wird also so lange auf des Kaisers Seite stehen,« sagte Agelastes, »bis ihm von der andern Seite mehr und Besseres geboten werden wird. Alexius wird sich nicht wenig darauf zugute tun, den angesehenen Fürsten für sich zu gewinnen, wird wohl auch hoffen, mit seiner Hilfe die meisten der Kreuzfahrer zu einem Vasalleneide zu bestimmen, zu dem sich freilich, wenn nicht um dieses Kreuzzuges willen, nicht der geringste Baron unter ihnen verstehen würde, und wenn ihm eine ganze Provinz dafür winken sollte. . Nun, warten wir also noch ein paar Tage, denn dann muß sich ja wohl oder übel entscheiden, was wir zu tun haben, während jedes frühere Vorgehen uns unbedingt verderblich werden müsste.« – »Also treffen wir uns heute abend nicht?« – »Nein,« antwortete der Weise, »es sei denn, wir würden wieder zu der albernen Faxe von geschichtlicher Vorlesung geladen, mit der uns ein albernes Frauenzimmer und verhätscheltes Töchterchen so oft schon gelangweilt hat.«

Der Kommandant der Waräger verabschiedete sich von dem Philosophen, und jeder verließ die Trümmerstätte auf einem anderen Wege, denn sie mochten fürchten, zusammen bemerkt zu werden. Kurz darauf erhielt Hereward den Bescheid, sich an diesem Abend nicht bei seinem Kommandanten einzufinden.


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