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X. Die Gefangenschaft und das Verhör

Die Angst, die ich jetzt fühlte, war unbeschreiblich. Bei meinen Eltern konnte ich es nicht aushalten; überall hatte ich blutige Leichen vor Augen. Am dritten Tage trieb es mich nach Ditmarschen hinüber; mit Veränderung des Ortes hoffte ich der Gedanken an die That los zu werden. Unstätt [Unstet] lief ich einige Tage umher und lebte vom Betteln; aber das Bild der Ermordeten begleitete mich überall. Bei Tag und Nacht sah sie mit ihren tiefen Wunden, und wie sie sich krümmten vor Schmerzen und hörte die Schläge in ihren Köpfen knirschen, und ihr Winseln und Röcheln. Weil ich in Ditmarschen auch keine Ruhe fand, kehrte ich nach einigen Tagen zu meinen Eltern zurück. Ich wollte sehen, wie meine Sache stünde. Das in Oldenswort ausgeübte Verbrechen war ihnen längst bekannt, und sie schienen nicht zu zweifeln, daß ich der Thäter sei, obgleich sie ihre Vermuthung nicht mit bestimmten Worten gegen mich aussprachen. Das Beil, mit dem ich den Mord begangen hatte, hatten sie stillschweigend versteckt. Ich erfuhr jetzt von ihnen, daß die Obrigkeit nach mir gefragt habe. Ich gab ihnen zu verstehen, daß, wenn sie befragt werden sollten, sie Zeugniß ablegen sollten, ich wäre in jener Nacht nicht vom Hause entfernt gewesen. Danach ging ich zum Staller, nach Garding, um mir meinen Paß unterschreiben zu lassen; eigentlich war es mir aber nicht um den Paß zu thun [ging es mir nicht um meinen Pass], sondern ich wollte erfahren, ob die Obrigkeit mich wegen des Mordes in Verdacht habe. Der Staller aber ließ mich sogleich festnehmen und mit Ketten belastet nach Tönning abführen. Es war merkwürdig, daß ich so selber mich in die Hände des Gerichts hatte ausliefern müssen, – aber Gott ist gerecht und sehr weise und mächtig.

Da ich nun wieder in meinem alten Gefängniß, im Tönninger Stockhause, war, fing ich an, zum ersten Male mit einiger Ruhe über meine Lage nachzudenken. Ich nahm mir aufs Ernstlichste vor, auf keinen Fall meine Schuld einzugestehen. Ich suchte mein Gemüth aufs Aeußerste zu verhärten, und beim Aufstehen, wie beim Zubettgehen, rief ich in der ersten Zeit immer dreimal den Teufel an. Ich bildete mir ein, wenn ich nur nicht selber mich verriethe, so würde es der Obrigkeit an Beweisen gegen mich fehlen: – und wenn sie dann endlich genöthigt wäre, mich wieder loszugeben [frei zu lassen], so wollte ich wieder rauben und morden. Jetzt begreife ich kaum, wie ich, mit einer solchen That auf dem Gewissen, schon wieder auf [an] neue Verbrechen habe denken können. Aber meine Gedanken waren die: »Mörder bin ich einmal, so ist's einerlei, was ich noch vollbringe; und wenn ich erst mehre Male gemordet habe, so werde ich es gewohnt, und es wird mir nicht solche Angst und Unruhe mehr machen; – wenn ich dann genug zusammengeraubt habe, so will ich außer Landes gehen, wo man mich nicht kennt; wenn aber meine Umstände einmal ganz schlimm und gefährlich werden sollten, so will ich mir selber das Leben nehmen; denn einmal muß es mit jedem Menschen doch aus sein.« Das waren, wie gesagt, meine Gedanken, und an Gott und Himmel und Hölle glaubte ich nicht.

Die Meinung aber, daß das Gericht mir nichts würde anhaben können, änderte sich sehr, als ich nach einigen Wochen ein Verhör in Hamann's Hause ausgehalten hatte. In Tönning war ich schon einige Male verhört worden, und es war mir nicht schwer geworden, mit der vollkommensten äußern Ruhe zu leugnen, daß ich von der That wisse. Jetzt aber wurde ich in das Haus geführt, wo das Verbrechen verübt war. Das umhergespritzte Blut war noch an den Wänden und auf der Diele zu sehen. – Mir wurde in derselben Stube, da ich Hamann erschlagen hatte, dessen Wittwe gegenübergestellt, und sie betheuerte und sagte, daß sie mich als den Mörder ihres Mannes erkenne; aber ich konnte ihren Anblick nicht ertragen und leugnete ruhig, daß sie wahr gezeugt [bestritt dreist, dass sie die Wahrheit ausgesagt] habe. Danach wurden auch diejenigen Leute mir gegenübergestellt, welche mich nach Hamann's Wohnung hatten hingehen sehen und mich erkannt hatten, – ich aber betheuerte, daß sie die Unwahrheit sprächen. – Als dritter Zeuge trat gegen mich auf – meine Mutter. O, mein Gott, wie ward mir bei ihrem Anblicke zu Muthe. Sie wurde gefragt, ob ich in der Nacht, als der Mord vollbracht ward, zu Hause gewesen? und sie bekannte und sagte: nein! und bezeugte, ich wäre am Abend aus dem Hause gegangen und erst am Morgen zurückgekommen. Das war eine harte Anklage aus dem Munde der eigenen Mutter; aber ich faßte Muth und leugnete ihr ins Angesicht. Da ermahnte sie und bat mich, ich solle mich nicht länger verhärten, sondern bekennen, was ich von der That wisse; – und die Obrigkeit ermahnte mich auch und erinnerte mich an das vierte Gebot, daß ich Vater und Mutter ehren und nicht die, welche mich geboren habe, zur Lügnerin machen sollte. Aber ich blieb fest und bekannte nichts. Meine Mutter weinte sehr, als sie hinausging.

Ich hoffte, das schreckliche Verhör sei nun zu Ende; – aber sie haben es das Mal [diesmal] lange und sehr schrecklich mit mir gemacht, und dachten, ich sollte doch endlich den Muth verlieren und zum Bekenntniß kommen. – Als meine Mutter hinausgegangen war, ward ein Vorhang in einer Ecke der Stube plötzlich weggezogen und ich sah, auf dem Bette liegend, das Mädchen, welches, wie ich glaubte, von mir ermordet und längst gestorben und begraben war. Ich erkannte sie sogleich, obwohl sie schrecklich entstellt und der größte Theil ihres Gesichtes und der ganze Kopf in [einen] Verband eingehüllt war. Bei diesem Anblick verließ mich alle Kraft; ich glaubte in die Erde versinken zu müssen; es fehlte wenig, daß ich hingestürzt wäre; ich mußte mich setzen und bat um ein Glas Wasser. Die Richter sahen mich scharf an; ich fühlte die Wichtigkeit des Augenblicks; da rief ich den Teufel an, daß er mir beistehe; und gewann meine Fassung so weit, daß ich dem Mädchen ins Gesicht sehen, und als sie mich dann als den Thäter nannte, ihr entschieden widersprechen konnte.

Da die Obrigkeit sahe, daß nichts mich bis zum Bekenntniß hatte erschüttern können, wurde ich nach Tönning in meinen Kerker zurückgeführt.

Von der Zeit an blieb ich zwar bei meinem Vorsatz, zu leugnen; aber nicht eben so bei dem Gedanken, daß die Obrigkeit mir nichts anhaben könne. Weil ich, dem Mädchen gegenüber, mich zu sehr verrathen, und so viele und unbestreitbare Zeugnisse wider mich waren, so fing ich an, Pläne zu machen, wie ich entspringen [fliehen] könne; aber auf die Langsamkeit der Untersuchung mich verlassend, wollte ich diese Pläne nicht eher ausführen, als bis der Sommer nahe sein würde.


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