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IV. Das Stockhaus

Carsten Hinz klagt, obwohl absichtslos, in diesem Abschnitt die Detentionsgefängnisse, wie sie leider noch hier und da sich finden mögen, hart an. Ich habe auch hier seine arglose Erzählung treu wiedergegeben; sie ist eine Bestätigung der traurigen Wahrheit: Verbrecher werden nicht geboren, sondern gemacht; gemacht, zuerst durch unglückliche Verhältnisse; danach aber durch diejenigen Einrichtungen der bürgerlichen Gesellschaft, welche uns gegen Verbrecher zu schützen bestimmt sind. Hinzens Erzählung von seinem Aufenthalte im Zuchthause wird diese Wahrheit zwar noch viel mehr bestätigen; aber auch schon die Detentionsgefängnisse, vornehmlich da, wo der Aufsicht führende Beamte in einem andern Orte wohnt, sind in dieser Beziehung oft höchst verderblich. Uebrigens ist es mit dem Stockhaus in Tönning jetzt ganz anders, als im Jahre 1837. Es ist ein tadelloser Schließer angestellt, der strenge Wacht über Ordnung und sittliches Betragen der Gefangenen hält.

Die große Angst, die ich vor der Entdeckung meines Diebstahls gefühlt hatte, war, nachdem ich das Bekenntniß vom Herzen los war, wieder von mir gewichen. Das Gefangensitzen an sich war mir nicht schrecklich; gegen die Schande wenigstens hatte ich durch frühere, mehrmalige kurze Gefangenschaft mich verhärtet; und meiner Freiheit entbehrte ich in dem Tönninger Stockhause nicht sehr; denn es ging in diesem Hause sehr »rauh« zu, kam mir ganz lustig vor. Es saßen mit mir mehrere andere Gefangene im Stockhause; während des Tages konnten wir nach Belieben zu einander kommen, und versammelten uns oft in des Schließers Stube. Der Schließer sah uns da gern; denn er war selten nüchtern, und wir Gefangenen betranken uns fast täglich mit ihm; auch lief viel schlechtes Gesindel, das früher hier gefangen gesessen hatte, aus und ein, und nahm Theil an unsern Trinkgelagen. Bei solchen Gelegenheiten ward ich nicht selten so berauscht, daß ich zu Bette mußte getragen werden. – Der Branntwein aber stiftete leicht Unfriede, und ich besonders hatte mit dem Schließer oft Streit. Gewöhnlich war es aber des Schließers Frau, die uns gegen einander aufbrachte. Sie war sehr boshaft; und wenn sie zornig ward, verstellte sie ihre Geberden, und war dann sehr scheußlich anzusehen. Es war auch ein Mädchen, ich glaube, wegen Kindermordes, im Stockhause gefangen. Des Schließers Frau beschuldigte mich der Unzucht mit diesem Mädchen. Ich hatte dazu keine Veranlassung gegeben; aber ich glaube, sie that es aus Bosheit, weil sie wohl merkte, daß ich sie nicht leiden konnte, und manchmal grob gegen sie war. Wegen der lügenhaften Beschuldigung der Schließerin kam es zwischen uns öfters zu hartem Wortwechsel. Als wir einmal so uns tüchtig gescholten hatten, gab die Frau ihrem Mann eine Flasche Branntwein, und als er trunken war, hetzte sie ihn auf, daß er mich schlüge. Ich war aber das[dies]mal nüchtern, und warf den Betrunkenen mit Leichtigkeit von mir. Als nun die Frau sahe, daß sie auf diese Weise ihren bösen Willen an mir nicht durchsetzen konnte, so lief sie zur Straße hinaus, und schrie die Leute zusammen. In wenigen Augenblicken war das Haus voller Menschen; als die aber sahen und hörten, was es war, so wurde ihnen das böse Weib zum Gelächter. Wie eine Rasende lief sie nun zur Obrigkeit; was sie da mag erzählt und gelogen haben, weiß ich nicht; aber sie hatte doch den Befehl ausgewirkt [erwirkt], daß man mich mit Ketten binden [in Ketten legen] solle. Es geschah, und die Thür meines Gefängnisses ward verschlossen. Kaum war der Schließer hinausgegangen, als ich mir die Ketten abrieb und von mir warf [konnte ich mich aus den Ketten befreien]. Gegen Abend brachte er mir zu essen, und schalt und tobte über das Zerbrechen der Kette, und legte mir eine andere, viel stärkere an. Ich ließ es mir gefallen; als er aber in seinem Grimm den linken Fuß so kurz an die rechte Hand schließen wollte, daß ich hätte krumm sitzen müssen, so widersetzte ich mich; und wir rangen und schlugen uns wohl zwei Stunden lang; da ließ er mich in Ruhe. – Nach diesem Vorfall wurden wir bald wieder gute Freunde, und ich ging wieder ohne Ketten frei im Hause umher.

Ein andermal hatte des Schließers Frau wieder ihren Mann betrunken gemacht, und auf mich gehetzt. Ich warf ihn zwar zu Boden; bemerkte aber in demselben Augenblick, daß die Frau mir meinen Taba(c)ksbeutel aus der Tasche stahl, und damit fort wollte. Da ließ ich den Mann los, um mein Eigenthum aus den Diebsfingern des Weibes zu retten. Während ich noch mit dem Weibe zu schaffen hatte, raffte der Mann sich vom Boden auf, und griff mich mit erneuerter Wuth an. Ich hatte nur den einen Arm frei, mit welchem ich ihn zurückstieß; und er fiel über zwei Wassereimer, welche neben uns standen. Um nun den Schließer zur Ruhe zu bringen, setzte ich mich auf ihn; das Weib warf sich wieder über mich (her), und kratzte und schlug, wo und wie sie konnte, in blinder Wuth. Der Mann unter uns stöhnte, und gab gute Worte; ich fluchte; das Weib heulte und schrie: Mord! Endlich, um mich von dem wüthenden Weibe zu befreien, mußte ich den Mann losgeben [frei lassen]. Der Arme hatte aber zu viel weggekrigt [war erheblich verletzt]; er konnte nicht aufstehen, weil ihm im Fallen der Fuß verrenkt war. Ueber den Lärm waren viele Leute zusammengelaufen; die trugen ihn zu Bette, wo er einige Wochen liegen blieb. Hiernach wurde ich mit zwei Ketten stark geschlossen [gefesselt].

Eine Woche später besuchte mich meine Muter im Kerker. O, wie weinte sie, und rang die Hände über mich, daß [als] sie ihren Sohn in Ketten erblickte. Ich durfte sie nicht ohne Zeugen sprechen, und weil der Schließer zu Bette lag, mußten wir zu ihm hinein in die Stube. Er befahl mir, mich dicht an sein Bett zu setzen; meine Mutter setzte sich mir gegenüber. Da flüsterte der Schließer mir leise zu, ich sollte meine Mutter um einige Schillinge zu [für] Branntwein bitten. Ich sagte es ihr, und sie gab vier Schillinge; dafür mußte das Mädchen, von welchem ich erzählt habe, eine Flasche Branntwein holen. Die Flasche war von dem Schließer und mir bald ausgetrunken. Er forderte mich auf, noch einmal um vier Schillinge zu bitten; ich bekam sie, und eine zweite Flasche ward von uns beiden ausgeleert. Als meine Mutter sah, daß wir sehr berauscht waren, wollte sie nicht bleiben; gab mir aber noch vier Schillinge, und sagte: sie thäte das, damit der Schließer sich wieder mit mir versöhnen mögte [würde]. Als meine Mutter hinaus war, ward die dritte Flasche von uns ausgetrunken. Der Schließer war nun ganz zärtlich gegen mich, und wollte, daß ich auch mit seiner Frau mich aussöhnen sollte. Ich war dazu willig, und sie ward hereingerufen; – ich bot ihr Versöhnung an; sie setzte sich auf meinen Schooß, und so wurden wir wieder gute Freunde. Wie ich den Abend zu Bett kam, weiß ich nicht. Am andern Morgen aber fühlte ich mich sehr krank, und konnte nicht aufstehen, bis des Schließers Frau mir ein Glas Branntwein brachte; da ward ich wieder gesund. Die Ketten waren mir schon den Abend, wo wir Versöhnung tranken, abgenommen, und ich glaubte, meine Sache stände wieder ganz gut. Aber am Nachmittage kamen der Herr Landschreiber und ein Arzt, und ein Gerichtsdiener in mein Gefängniß; und der Erstere kündigte mir, wegen schlechter Aufführung, fünf und zwanzig [25] Knutenhiebe an. In meiner Angst versicherte ich, daß ich mit dem Schließer sowohl als mit seiner Frau, völlig ausgesöhnt wäre; aber das half mir nichts; ich mußte meine Oberkleider ausziehen, und bekam elf Hiebe; die andern wurden mir geschenkt [erlassen], weil ich dem Arzt – Dank sei es der großen Trunkenheit vom vorigen Abend! – zu schwach schien, mehr zu ertragen.

Solche Vorfälle, wie ich deren einige hier erzählt habe, wiederholten sich im Stockhause öfters, bis endlich einer der Gefangenen selber sich daran ärgerte, und den Schließer und seine Frau bei der Obrigkeit verklagte; und es ward eine Untersuchung angestellt, in deren Folge das würdige Paar seines Dienstes entsetzt ward [enthoben wurde].

Um die nämliche Zeit, nachdem ich ein halbes Jahr im Stockhause zugebracht hatte, kam mein Urtheil vom Obergericht. Es lautete auf eine achtzehnmonatige Zuchthausstrafe. Dies war im November 1837. – Gott aber, der kein Mittel, meine Seele zu retten, unversucht lassen wollte, ließ es nicht geschehen, daß ich in meinem damaligen, ganz verwilderten Zustande der gefährlichen Gemeinschaft vieler und großer Verbrecher überliefert würde. Es brach, vermuthlich in Folge des häufigen Branntweintrinkens, meine alte Kopfkrankheit wieder hervor; – und bis die geheilt war, durfte ich nicht in's Zuchthaus abgeführt werden. Darüber gingen beinahe fünf Monate hin. In dieser Zeit ereignete sich etwas sehr Merkwürdiges mit mir, was ich in dem nächsten Abschnitt erzählen will.


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