Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vorwort

Im Jahre 1841, in der Nacht vom 24sten auf den 25ten October, war in der Landschaft Eiderstädt, im Kirchspiel Oldenswort, in Einem Hause ein zwiefacher Raubmord verübt worden. Ein alter Bauer, mit Namen Hamann, wohnte mit seiner Frau und einer jungen Dienstmagd allein; – das Haus liegt nahe an der Landstraße, von mehre[re]n Bauer[n]höfen umgeben. Am Morgen nach jener Nacht wurden vorüberziehende Ochsentreiber durch den Angstruf der alten Frau herbeigezogen; das ganze Haus zeugte von gräulicher Gewaltthat; Fenster, Koffer und Schränke waren erbrochen; die Wände und Dielen mit vielem Blute bespritzt; in der Stube lag Hamann, in einer Kammer das Mädchen, beide durch viele Wunden, die von einem Beile herzurühren schienen, entstellt. Die Magd ist freilich, obwohl sie tödtlich verwundet schien, wie durch ein Wunder geheilt, und lebt; der Bauer starb nach zweien Tagen.

Die Verwegenheit und brutale Grausamkeit, mit der offenbar die That mußte vollbracht sein, erfüllte die ganze Landschaft mit Schreck und ungewöhnlicher Erbitterung gegen den oder die noch unbekannten Mörder. Die Stimme des Volkes bezeichnete bald diesen, bald jenen übelberüchtigten Menschen als den muthmaßlichen Täter; und den so raschen als guten Maaßregeln der Obrigkeit gelang es, schon nach Verlauf einer Woche, einen jungen Menschen, Namens Carsten Hinz, eines armen Tagelöhners Sohn aus Witzwort, einzuziehen [festzunehmen], welchen wegen Diebstahls zweimal im Zuchthause gewesen, so eben von dort wieder zurückgekehrt, und durch mancherlei Umstände jenes Doppelmordes höchst verdächtig geworden war. Am 30sten October wurde dieser Mensch in Tönning, wo das landschaftliche Stockhaus liegt, eingebracht; auf dem Wege zum Gefängniß konnte die Polizei ihn kaum gegen die Wuth des Volkes und gegen die Steinigung schützen.

Die Untersuchung begann; die Indicien und Beweise häuften sich auf eine schreckliche Art; unaufhaltsam drang das Gericht mit Fragen, der Prediger mit Belehrungen, Ermahnungen und mit Drohungen des göttlichen Zornes auf den Inculpaten [Beschuldigten, Angeklagten] ein; das wiedergenesende Mädchen, die Wittwe des gemordeten Hamann, ja die eigenen Eltern des Menschen legten Zeugniß wieder ihn ab. Sieben viertel [1¾] Jahre aber wußte Carsten Hinz diesem allen eine theils wahre, theils erheuchelte Ruhe entgegenzustellen; sieben viertel Jahre hat er in jedem Verhör alle Umstände, die seine Schuld zu beweisen schienen, mit dem hartnäckigsten Leugnen oder Schweigen, als etwas ihm völlig Fremdes, von sich gewiesen; – und trotz aller Zeugnisse gegen ihn hat sowohl das Gericht, wie das Publicum, fast während der ganzen Zeit zwischen der Ansicht geschwankt, ob Carsten Hinz dennoch unschuldig, und ob nur durch eine merkwürdige Verkettung der Umstände der Schein der Schuld auf ihn gefallen, oder ob er ein Bösewicht sei der seltensten Art und von kaum glaublicher Verhärtung. Der Erfolg hat endlich bewiesen, daß er das Letztere und der alleinige Thäter jenes gräulichen Doppelmordes gewesen ist. Um so mehr war er ein Abscheu der Menschen geworden.

Gott aber weiß auch steinerne Herzen in fleischerne zu verwandeln (Ezech. 36, 26); denn Er hat Geduld mit uns, und will nicht, daß Jemand verloren werde, sondern daß sich Jedermann zur Buße kehre (2. Petri 3, 9) und lebe. Davon giebt die Geschichte des Carsten Hinz, die in vorliegenden Blättern von ihm selber aufrichtig erzählt wird, ein so überzeugendes, als ergreifendes Beispiel.

Nachdem nämlich Carsten Hinz von einer Sünde zur andern, von einem Laster und Verbrechen zum andern stufenweise, bis zu vorsätzlicher Blutschuld hinabgestiegen war, ward er endlich von der Hand der göttlichen Gnade mächtig ergriffen; und wir hoffen zu Gott, daß nun seine Seele wie ein Brand aus dem Feuer gerissen und vom Tode errettet ist. Sein ganzes Gemüt hat seit Kurzem aufrichtig sich dem zugewandt, welcher spricht: »Bekehret euch zu mir, denn ich erlöse euch!«

Gleichwohl blickte Carsten Hinz bald nach seiner Bekehrung mit großer Niedergeschlagenheit auf sein verlornes Leben zurück; und Schmerzen der Buße ließen ihn anfänglich die Freude noch nicht rein fühlen, welche er, in der Gewißheit, daß sein Erlöser lebt, zu finden hoffte.

Bei einem meiner Besuche in seinem Kerker stellte ich deshalb dem armen Menschen die Aussicht, daß er das unsäglich Böse, welches er seinen Mitmenschen zugefügt, zwar nie wieder gut machen, daß er aber doch der Welt noch nützlich und segensreich werden könne. Ueber diesen Gedanken strahlten seine Augen vor Freude, dann aber blickte er auf seine Ketten hinab, und versank in noch größere Traurigkeit, und seufzte: »Ja, wenn ich frei wäre –«. Ich wußte, was er sagen wollte. »Und bist du denn nicht frei?«, rief ich; – »hat nicht die Wahrheit dich frei gemacht? denn bist du nicht von der Nacht und Finsterniß der Sünde erlöset? und war das nicht ein viel schrecklicheres Gefängniß, als dieses, das dich nur leiblich gefangen hält? Dein Geist ist frei! wohlan, benutze diese Freiheit; schreib aufrichtig und wahr deine Lebensgeschichte nieder, die Gnade Gottes würdigt dich vielleicht, daß du solchen Elenden, wie du selber Einer gewesen bist, eine heilsame Warnung wirst; und wenn auch nur eine Seele durch dein Beispiel gewarnt und vom ewigen Todes gerettet werden sollte.« – Er ließ mich nicht ausreden: »O, wenn das möglich wäre!« rief er und zitterte vor Freude und Ungeduld. Ich versicherte ihn, daß dies sehr möglich sei, und mußte ihm nun versprechen, daß ich die Erlaubniß zum Schreiben ihm erwirken, und das, was er schreiben würde, für den Druck überarbeiten wolle.

Noch desselben Tages machte er sich mit glühendem Eifer als Werk; gleichwohl, so oft ich ihn unter der Arbeit besuchte, fand ich ihn von tiefer Wehmuth ergriffen und sehr niedergeschlagen. »Ich habe es Ihnen einmal versprochen,« – sagte er zu mir; »und ich hoffe ja auch zu Gott, daß es manchem Menschen heilsam werden kann; – aber ich wünschte, die Arbeit wäre beendigt; ich habe sehr viel Arg' davon, mich an alle meiner früheren Schandthaten zu erinnern, und in ein Leben zurückzublicken, welches so ganz gottlos und verloren hinter mir liegt. Indeß lese und bete ich oft unter der Arbeit, und hoffe, Gott werde mir die Kraft geben, sie zu Ende zu bringen.«

Einmal versicherte mich Carsten, daß er die Schmerzen der Buße, welche er beim Schreiben fühle, als eine gerechte Strafe von Gott ansehe, und in Geduld tragen wolle. Der Gefangenenwärter bestätigte es mir auch, daß Carsten beim Schreiben immer sehr niedergeschlagen wäre; dann aber stundenlang in den Erbauungsbüchern, die ich ihm gegeben, oder in der Bibel, zu lesen pflege, und daß er auch oft ihn laut und anhaltend beten höre.

Auf diese Weise war Carsten Hinz in einigen Wochen mit seiner Lebensbeschreibung fertig geworden, und übergab sie mir zur weiteren Ueberarbeitung. Der Leser findet sie in den vorliegenden Blättern treu wiedergegeben. Die wenigen Zusätze, die ich mir hin und wieder erlaubte, und, des leichteren Lesens wegen, in den Context mit aufnahm, habe ich theils aus den mündlichen Mittheilungen des Inculpaten, theils aus den gerichtlichen Acten entnommen. Eigene Anmerkungen habe ich unter den Text verwiesen. Außer manchen Abkürzungen, welche, um nicht zu ermüden, nothwendig erschienen, habe ich den dem Manuskript des Inculpaten fast nur Sprachfehler zu verändern gefunden. Vornämlich bei solchen Stellen, wo Carsten Hinz Thatsachen erzählt, oder die Motive seiner Handlungen, seine Reflexionen vor und nach der That, den Zustand seines Gemüthes in seinen verschiedenen Lebensverhältnissen; – kurz, wo er sein äußeres oder inneres Leben beschreibt, habe ich vor Ausschmückungen mich sorgfältig gehütet. Wie im Gespräch, so auch schriftlich, bedient Carsten, seit seiner Bekehrung, sich der religiösen Sentenzen und Bibelsprüche häufig; doch glaube ich nicht, daß darin irgend etwas Gesuchtes liegt; – ich halte es entschieden für das Feuer der ersten Liebe zu seinem Erlöser, welches ich nicht dämpfen mögte [mochte]. – Indeß wird der Leser vielleicht finden, daß Carsten bei gewissen fürchterlichen Erinnerungen aus seinem Leben eine Art roher Beredtsamkeit entwickelt, welche einem ganz ungebildeten und des Schreibens ungewohnten Menschen nicht natürlich scheinen dürfte; – ist aber nicht eben die Wahrheit der Empfindung die einzig wahre Beredtsamkeit? und eine Feile des Herausgebers würde bei solchen Parthien viel mehr entstellt, als verbessert haben. – Gleichwohl will ich nicht in Abrede stellen, daß es bei der Herausgabe dieses Büchleins mir gegangen sein mag, wie jedem Uebersetzer, der sich der Treue befleißigt, und doch – in seine eigne Sprache übersetzt.

Das Gesagte mag über die Art, wie dieses Büchlein entstanden ist, genug sein; – noch ein Wort über seine Absicht. Es hat drei Classen von Lesern vor Augen: Carsten Hinz hoffte, daß die Geschichte seines Lebens und seiner Bekehrung manchem unbußfertigen und verzagten Sünder lehrreich, ermahnend und tröstlich werden könne. Nächst diesem größern Publicum habe ich Euch, geliebte Amtsbrüder, das Buch widmen wollen, glaubend, daß es einige Winke und Erfahrungen enthalten wird, nicht ganz unbrauchbar denjenigen unter Euch, welchen je die schwere Pflicht zu Theil werden sollte, Seelsorge zu üben an einem ganz unwissenden und verstockten Verbrecher. Wenn ich nicht irre, so findet sich auf diesem Punkte unserer, sonst so reichen Pastoralliteratur eine große Lücke; und ich habe zur Ausfüllung ein Steinchen mit zutragen [beitragen] wollen. – Endlich wünschte ich, daß noch eine dritte Classe von Lesern diesem Buche einige Aufmerksamkeit schenken möge; sofern nämlich in demselben hingewiesen wird auf die Beschaffenheit unserer Strafanstalten, wie sie nicht sein sollten. Ich weiß zwar, wie viel leichter es ist, zu tadeln, als besser zu machen; weiß auch, daß das, was zum Nachtheil unserer Zuchthäuser hier gesagt wird, schon oft und nachdrücklich ist gesagt und geklagt worden; ohne daß es bisher der Gesetzgebung oder der Administration der Anstalt hat gelingen wollen, den Grund der Klage zu beseitigen. Im Munde des Volks heißt das Zuchthaus: die Hochschule für Verbrecher; und daß es das ist, davon liefert die Geschichte des Carsten Hinz einen neuen schrecklichen Beweis. Aber gegen ein so offen vorliegendes, wahrhaft entsetzliches Uebel muß, muß ein Gegenmittel gefunden werden; und bis es wird gefunden sein, darf Keiner, den Umstände dazu berufen, ermüden, die Nothwendigkeit des Suchens in Erinnerung zu bringen. Möchte denn das, was über diese Sache hier vorkömmt, einer der Tropfen werden, welche jenen Fels des Aergernisses endlich aushöhlen müssen.

Und so, liebes Büchlein, geh' nun mit Gott hinaus unter die Leute, und sieh' zu, was du bei ihnen gelten und Gutes ausrichten kannst; denn daß du nicht Böses in der Welt thun wirst, trau' ich dir zu. Daß du aber wegen deiner Unbedeutendheit von vielen Leuten wirst übersehen, und wegen deiner Ungelehrsamkeit von Andern wirst bekrittelt, und sogar wegen deiner guten Meinung und Frömmigkeit von Menschen wirst bespöttelt werden, – darauf bist du gefaßt, und wirst es dich nicht verdrießen lassen. Wenn aber die Leute an der Gränze deines Ortes gar dich zurückweisen und sprechen sollten, du wärest nicht, was du dich nennst, so sollst du ihnen diesen Paß vorzeigen:

»Wahrhaftige Erzählung der Schicksale und der Bekehrung eines Mörders, aufgezeichnet von ihm selber, als er bekehrt war; bestätigt aus den gerichten Acten und den glaubwürdigen Mittheilungen des Gefangenenwärters; beleuchtet und mit Anmerkungen versehen von seinem Seelsorger; und geschrieben zur Ehre Gottes, welcher nach seiner Gnade aus dem Büchlein machen wird, was Er will.«

Tönning, im Mai 1844
G. Schumacher.


 << zurück weiter >>