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VIII. Zweiter Cursus im Zuchthause

Ich war nun wieder auf der berühmten Hochschule in Glückstadt, um in allen Lastern und Verbrechen vollends auszulernen. Meine alten Kameraden, deren ich manche noch vorfand, nahmen mich, als einen gereifteren Verbrecher, mit größerer Achtung, als das erste Mal, auf. Ich war stolz darauf, daß man mich in eine Abtheilung brachte, in welche nur ganz ausgelernte und höchst gefährliche Verbrecher hinzukommen pflegten. Brandstifter, Räuber, Mörder waren hier meine Gesellschaft. Um mir unter ihnen ein Ansehen zu verschaffen, nahm ich noch mehr, als ich von Natur hatte, ein trotziges, zänkisches Wesen an; und sobald sich eine Gelegenheit [er]gab, schlug und mißhandelte ich einen meiner Kameraden. Ich ward bei dem Inspector der Anstalt verklagt, und bekam fünf und zwanzig Ruthenhiebe. Diese Strafe erbitterte mich so sehr, daß von dem Tage an meine ganze Seele mit Rache erfüllt war. An dem Kameraden, der mich verklagt, an dem Inspector, der mich verurtheilt, an dem Wächter, der mich geschlagen hatte, ja, an der ganzen Menschheit wollte ich mich rächen. Weil aber im Zuchthause sich dazu keine Gelegenheit fand, so wurden für die Zukunft die schrecklichsten Pläne entworfen, wozu es mir bei den andern Züchtlingen nicht an Unterstützung und Aufmunterung fehlte. Mit einigen der verwegensten Verbrecher verabredete ich, daß wir nach erlangter Freiheit eine Räuberbande bilden wollten; und in Gedanken lebten wir schon ganz darin, und alle unsere Raub- und Mordanschläge wurden mit den gotteslästerlichsten Flüchen bekräftigt. Dieß war unsere Unterhaltung bei der Arbeit und bei'm Essen; dieß das Erste, was wir bei'm Erwachen, und das Letzte, was wir bei'm Schlafengehen besprachen. Nur, wenn wir Sonntags zur Kirche gewesen waren, kam einige Abwechslung in unsre Unterredungen; dann ging es nämlich an ein Verspotten des Predigers, der sich einbilde, uns bekehren zu wollen; und wer von uns die Bibelworte, die in der Predigt gebraucht waren, am lästerlichsten auslegen konnte, der war für den Tag unser Prediger; und wir hörten ihm mit vielem Lachen und Ergötzen zu. Ich bekenne, daß der Zuchthausprediger solche Verhöhnung nicht um uns verdient hatte; denn er gab sich viele Mühe mit uns. Eines Tages wurde uns angezeigt [mitgeteilt], daß das heil. Abendmahl an Alle, die es begehrten, würde ausgetheilt werden. Wir Alle meldeten uns; denn weil einige Vormittage zur Vorbereitung verwandt wurden, so waren wir so lange von der Arbeit frei. Als der bestimmte Sonntag herankam, war ich mit den Andern in der Kirche; aber ich ging nicht mit ihnen zum Altar, weil ich nicht darum aufstehen mogte. So wurde meine Bequemlichkeitsliebe das Mittel, welches sich Gott bediente, um mich vor dem unwürdigen Genuß des heil. Abendmahls zu bewahren.

Endlich hatte die Bosheit sich so sehr meines Herzens bemächtigt, daß ich ein unwiderstehliches Verlangen fühlte, einen förmlichen Bund mit dem Teufel zu schließen; denn ich hatte gehört und gelesen, daß man das könne, und besprach mich darüber mit einem Kameraden; welcher mir auch rieth, jeden Abend und jeden Morgen den Teufel dreimal mit Namen zu rufen. Ich that das lange Zeit, in der Hoffnung, daß der Böse mir erscheinen, und den Bund mit mir machen würde. Aber er erschien nicht; und jetzt sehe ich auch ein, daß ich damals in einem gräulichen Aberglauben gesteckt habe. Aber das war von Gott gekommen, zur Strafe für meine vielen Sünden; wie geschrieben steht: Gott wird denen, die ihr Herz von ihm kehren, kräftige Irrthümer senden; – dagegen die Furcht Gottes aller Weisheit Anfang ist.

Meine Strafzeit ging schon fast zu Ende, als ich, um einer unbedeutenden Krankheit willen, auf die Krankenstube gebracht ward. Dadurch kam ich mit einem andern Eiderstädter in Berührung, welcher mir seine Absicht entdeckte [mitteilte], nach erlangter Freiheit bei Hamann in Oldenswort einzubrechen, weil er bei demselben eine Summe von 100 bis 500 Mark zu finden erwarte. Ich erfuhr auch von ihm, daß dieser Raub nicht sehr schwierig auszuführen sein würde, weil Hamann und seine Frau alte Leute wären, und abgelegen wohnten, und keinen Knecht, sondern nur ein einziges Dienstmädchen hielten.

Dies Alles brachte ich, scheinbar absichtslos, von jenem Menschen heraus; weil ich aber früher, als er, aus dem Zuchthause würde entlassen werden, so hatte ich mir vorgenommen, ihm bei dem Raube zuvorzukommen. Nach wenigen Tagen kam ich nach der Werkstube zurück, und [be]rathschlagte mit meinen dortigen Kameraden, wie die That am besten möge auszuführen sein. Es schien uns am richtigsten, daß ich das Dienstmädchen todtschlüge, und danach den alten Leuten ihr Geld durch Drohungen abpreßte. Der Anschlag [Vorschlag] gefiel mir, vorzüglich wegen des Mordes; denn ich hatte ein Verlangen, Blut zu vergießen; theils, um mein Ansehen bei meinen Kameraden mehr zu begründen, theils aber auch, um meiner Bosheit Luft zu machen; denn ich war gegen alle Menschen von Rache erfüllt. Ja, auch meinen Kameraden, die noch nach mir im Zuchthause zurückbleiben mußten, gelobte ich, an ihren Feinden, die sie mir nannten, blutige Rache zu üben, weil sie es selber nicht konnten.

So hatte ich, wenn auch noch nicht in der That, so doch in Gedanken und Vorsätzen, die höchste Ruchlosigkeit erreicht. Das Zuchthaus konnte mich nichts mehr lehren, und als fertiger Verbrecher wurde ich im October 1841 aus dieser Schule entlassen.

Schiller läßt seinen »Verbrecher aus verlorner Ehre« sagen: »Ich betrat die Festung, als ein Verirrter, und verließ sie, als ein Lotterbube.« Schiller ist Dichter; aber der Dichter erfindet nur das Gewand, in welches er die gefundene Wahrheit kleidet. Der unglückliche Verbrecher, dessen Geschichte hier vor uns liegt, bringt uns dieselbe Wahrheit in ihrer traurigen Nacktheit vor Augen. Als ein umherstreichender Taugenichts, der nur gelegentlich stahl, um seinen Hunger und seinen Durst nach Branntwein zu stillen, kam er in's Zuchthaus; als er ein fertiger, vollendeter Verbrecher, mit der Raubsucht und dem Blutdurst eines Canibalen, verließ er es wieder. Durch die Strafe, die den Dieb und Vagabunden getroffen hatte, war der Raubmord vorbereitet. Nur die bitterste Ironie kann den Zuchthäusern, wie sie bei uns sind, den Namen der Corrections[Besserungs]anstalten geben.

Der Sträfling sieht in der Beraubung seiner Freiheit, in der Einkerkerung mit andern, schlimmern Verbrechern, in dem erzwungenen Zusammenleben mit Räubern, Brandstiftern, Falschmünzern, Mördern und Blutschändern, welche alle ihre Verworfenheit zur Schau tragen, deren Ruchlosigkeit, wie eine giftige Seuche, Alles, was ihnen sich nähert, mit ergreift und inspicirt; in einer Umgebung, die das Schamgefühl erstickt, jede Regung des Gewissens verhöhnt, und den glimmenden Docht aller besseren Empfindungen mit gewaltsamer und sicherer Hand auslöscht; – ich sage, der Sträfling sieht, und kann darin nur sehen eine gewaltsame Ausstoßung aus der Gesellschaft der Ehrlichen. Jeder Mensch aber hat ein Bedürfnis nach Geselligkeit, und ein Verlangen nach Achtung in der Gesellschaft, in welcher er lebt. Darf es uns also befremden, daß der elende Sträfling denen sich hingiebt, die ihm, dem Ausgestoßenen, dem Geschändeten, die Hand zur Aufnahme reichen; die tausend Künste und Überredungen aufbieten, ihn zu Einem der Ihrigen zu machen? Darf es uns wundern, ihn alle die Ruchlosigkeit und Verworfenheit von jenen annehmen zu sehen, durch welche allein es ihm gelingen kann, in der Gesellschaft, welcher jetzt angehört, Achtung zu genießen? – Und welche Stellung wird er nun, dem Staat gegenüber, einnehmen? Das Gesetz ist sein Feind; das Gesetz hat ihn ausgestoßen; das Gesetz hat das, was er jetzt ist, aus ihm gemacht; er sieht, als der Schwächere, von dem Stärkeren sich unterdrückt; er hatte durch seine Verbrechen den Staat beleidigt; seine Strafe erscheint ihm als ein Triumph der Rache, welchen der Staat, als der Stärkere, über ihn feiert. Druck reizt zu Widerstand; erlittene Gewalt reizt zu Gewaltthat; erlittene Rache zur Gegenrache; welche um so viel erbitterter und boshafter wird, jemehr, dem Stärkeren gegenüber, die eigne Schwäche gefühlt wird. Bringt diese Bitterkeit, dieses Verlangen nach Rache zusammen mit jener Abgestorbenheit der sittlichen Gefühle; nehmt dazu die Unterweisungen, welche im Zuchthause zur leichtern und sichern Ausführung der Verbrechen ertheilt werden; dazu die Lehre, die dort eingeprägt wird, daß es keinen Gott und keine ewige Vergeltung giebt; und daß die Religion nur eine Erfindung der Klugen ist, um die Einfältigem im Volke zu zügeln; – nehmt dazu, daß alle diese mächtigen Hebel der Ruchlosigkeit selbst in den sorgfältigsten Bemühungen eines Zuchthauspredigers doch nur ein höchst schwaches Gegengewicht finden; – so kann es unmöglich bestritten werden, wenn wir behaupten: Eben in der Anstalt, deren sich der Staat zum Schutz gegen Verbrecher bedient, werden die Verbrecher erzogen. Das Zuchthaus, diese Schule des Bösen, hat Carsten Hinz aus einem gemeinen [einfachen] Diebe zum Räuber und Mörder gemacht.

Uebrigens bekenne ich, daß ich der Frage, wie dieser Verbrecherschule zu einer Correctionsanstalt umzuschaffen ist? mich nicht gewachsen fühle, und daß ich die Lösung sachkundigern Männern überlassen muß.


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