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VII. Zügellosigkeit eines entlassenen Züchtlinges

So war ich jetzt also auch im Zuchthause gewesen, – in meiner Einfalt hatte ich dies Haus früher für eine Besserungsanstalt gehalten; ich hatte es als eine Hochschule für Verbrecher kennen gelernt; – da ich hineinkam, war ich ein Verirrter; aber doch, wie ich erzählt habe, auf der Umkehr begriffen [wollte mich aber bessern]; als ich entlassen ward, war ich ärger, als die Teufel sind; denn von den Teufeln heißt es in der heil. Schrift: »Sie glauben und zittern.« Das that ich nicht mehr. Ich glaubte an nichts, und fürchtete mich vor nichts. Ich glaubte nicht an Gott, nicht an Himmel und Hölle, nicht an Gutes und Böses; sondern was mir vortheilhaft war, das hielt ich für recht; und was ich vom Gesetz gehört hatte, das hielt ich für eine kluge Erfindung der Reichen, um die Armen zu zügeln; – die Religion aber schien mir ein Märchen, zu gleichem Zweck von den Menschen erdacht.

Der Marktflecken, der das nächste Ziel meiner Wanderung sein sollte, lag vier Meilen entfernt; da ich durch die lange Gefangenschaft des Gehens ungewohnt war, so kam ich erst spät Abends und mit wunden Füßen daselbst an. Der Jahrmarkt, und mit ihm die erwünschte Gelegenheit zum Stehlen war schon vorüber; die Wirthshäuser aber waren voller Gäste. Weil ich Geld in der Tasche hatte, so lag mir das Stehlen augenblicklich auch weniger am Herzen, als die Befriedigung meiner alten Leidenschaft für Trunk und Spiel. Zu beiden fand ich reichlich Gelegenheit; und so wurde diese erste Nacht nach dem Zuchthause in diesen Lastern hingebracht, bis ich keinen Schilling mehr übrig hatte. Am Morgen meldete ich mich, als entlassenen Züchtling, bei dem Kirchspielvogt, und wurde auf Kosten der Obrigkeit zu Wagen nach Garding gebracht. Nachdem ich auch hier mich beim Staller gemeldet hatte, ging ich zu meinen Eltern.

Meine Eltern nahmen mich besser auf, als ich es verdient hatte; und ermahnten mich ernstlich, meinen bösen Wandel zu ändern, und mich zu Gott und seinem Worte zu halten. Ich aber lachte über meiner Eltern Einfalt, und erklärte ihnen, was ich im Zuchthause gelernt hatte; daß Gott und sein Wort nur Märchen wären, ersonnen, um dummen Leuten Furcht einzujagen; wie eine todte Krähe in den Kirschbaum gehängt wird, um die Sperlinge zu [ver]scheuchen, und daß die klugen Leute die Kirschen für sich behielten. – Meine Eltern kreuzten [bekreuzigten] sich vor mir, und meine Mutter jammerte, und nannte mich ihren verlornen Sohn. Da konnte ich's bei ihnen nicht lange aushalten.

Ich besann mich, daß ich einen Schwager in Schwabstädt hatte, einen Menschen von rohen und schlechten Sitten; zu dem wollte ich gehen. Ohne Abschied verließ ich früh Morgens das elterliche Haus; um meiner Füße zu schonen, beschloß ich zu reiten; ich hatte einen Strick zu mir gesteckt; griff auf der nächsten Fenne ein Pferd auf, zäumte es mit dem Strick, und ritt davon. Noch war ich nicht weit geritten, als mir ganz ein ähnlicher Vorfall begegnete, als schon einmal früher, gleich nach meinem ersten Diebstahl. Das Pferde scheute (sich), ohne daß ich eine Ursache entdecken konnte; ich stieg ab, und suchte mit Gutem und Bösem das Thier an der Stelle vorüberzuziehen; aber es bäumte sich [auf], und stieß mich in den Graben, wo ich in nicht geringe Gefahr kam, zu ertrinken. Während ich mich mühsam wieder herausarbeitete, war das ledige [reiterlose] Pferd ganz ruhig an der gefürchteten Stelle vorübergegangen; – es gelang mir, es wieder einzufangen. – Als ich bis dicht vor Schwabstädt geritten war, fühlte ich Hunger; es lag ein Wirthshaus da, aber ich hatte kein Geld. Weil ich das Pferd jetzt wieder los sein wollte, so kam mir ein Einfall, wie ich von dem Wirth ein gutes Frühstück, und noch obendrein Geld bekommen wollte; – denn von meinen Lehrmeistern im Zuchthause hatte ich gelernt, List und Betrug zu versuchen, wo mit Gewalt nichts auszurichten war. Mein erster Gedanke war, dem Wirth, der vor der Thür stand, das Pferd zum Verkauf anzubieten; aber das mußte Verdacht erregen. Ich besann mich auf eine bessere List; ich hielt an, und fragte hastig, ob der Wirth wohl ein oder zwei Kerle, mit allerlei Sachen beladen, hätte vorübergehen sehen? Er verneinte es. »Das ist sonderbar,« – sagte ich – »mein Herr ist diese Nacht bestohlen worden, und hat mich ausgeschickt, die Spur der Diebe zu verfolgen; dieses Weges müssen sie gekommen sein; denn hier fand ich so eben dieses Pferd, das sie auch gestohlen hatten, aber vermuthlich hier haben lassen wollen, um nicht daran erkannt zu werden. Laßt mich aber nur schnell einen guten Imbiß und ein Glas Branntwein bekommen; denn ich bin ganz nüchtern den Dieben nachgelaufen.« Der Wirth brachte, was ich verlangt hatte; ich ließ mir noch einige Gläser Branntwein geben, und sagte dann: »Geld habe ich in der Eile nicht zu mir gesteckt; Ihr müßt mir die Zeche und noch zwei Mark dazu borgen, und auch so gut sein, mein Pferd in den Stall zu nehmen, bis ich zurückkomme.« Der Wirth mogte denken, daß er an dem Pferde unterpfand genug [eine ausreichende Sicherheit] habe; gab mir ohne Widerrede das Geld, Und wünschte mir Glück zum Einfangen der Diebe. Ich lachte in mich hinein über den betrogenen Wirth, und ging zu meinem Schwager.

Den Abend war in Schwabstädt Tanz. Mein Schwager und ich gingen dahin. Als es gegen Mitternacht kam, war ich so betrunken, daß ich nicht allein nach Hause gehen konnte; ich erkundigte mich nach meinem Schwager; aber er war schon ohne mich fortgegangen. Es kümmerte mich indeß wenig; bei'm Tanz hatte ich mit einem Mädchen Bekanntschaft gemacht, und ihr versprochen, sie nach Hause zu bringen. Nun aber mußte sie mir diesen Dienst leisten. Ich hängte mich an ihren Arm, und so stolperten wir in die stockfinstre Nacht hinaus. Es hatte stark geregnet, und der Weg war sehr schlüpfrig und tief geworden; bei jedem Schritt taumelte und glitt ich [aus], und das Mädchen hatte Mühe, mich zu halten. Endlich fiel ich der Länge nach in eine Wasserpfütze; und nachdem das Mädchen vergeblich versucht hatte, mir aufzuhelfen, ging es seiner Wege. Da lag ich, ganz trunken, allein, hülflos, in der finstern Nacht, mit dem Gesicht in Koth und Wasser. Es war eine Gnade von Gott, daß ich nicht ertrank, obwohl das Wasser nur eine Handbreit Tiefe hatte. Ich hatte fast schon Athem und Kräfte verloren, als es mir endlich gelang, mich aus der Pfütze herauszuwälzen. Als ich nach vielen vergeblichen Anstrengungen wieder auf den Füßen stand, erreichte ich gegen Morgen ein Häuschen, wo ich von einer armen Wittwe mitleidig aufgenommen ward. Sie ließ mich meinen Rausch ausschlafen, während sie meine Kleider reinigte; als ich erwachte, gab sie mir auch noch zu essen. Ich hatte noch acht Schillinge in der Tasche; die gab ich der guten Frau, und kehrte noch denselben Abend zu meinen Eltern zurück. Meines Bleibens bei ihnen war aber nicht lange. Ich ließ mir zu essen und zu trinken geben, steckte meines Vaters silberbeschlagene Pfeife ein, und ging nach Tönning; da verkaufte ich die Pfeife, und lebte von dem Gelde zwei Tage und zwei Nächte in einem liederlichen Hause. Als ich kein Geld mehr hatte, nahm ich mir vor, über Nacht auf dem Felde Schaafe zu stehlen. Schon war ich auf dem Wege; da aber kam mich die Furcht vor dem Zuchthause an, und ich änderte meinen Entschluß. Ich wollte jetzt hinüber nach Ditmarschen, und dort Arbeit suchen. Da ich über die Eider gesetzt war, erklärte ich dem Fährmann, daß ich kein Geld hätte, und ging meines Weges. Bei jedem Bauerhofe, zu welchem ich kam, fragte ich nach Arbeit; fand aber keine. Endlich fühlte ich Hunger. Was sollte ich thun? Zu lügen und zu stehlen hatte ich mich schon längst nicht geschämt; [doch] zu betteln schämte ich mich. Indeß der Hunger quälte mich, und ich faßte den Muth, bei dem nächsten Bauerhofe um Brod zu bitten; – aber ich ging unverrichteter Sache von mehren Höfen wieder weg; wenn ich um Arbeit gefragt hatte, so fragte ich nicht um Brod. Endlich mußte ich doch thun, was mir so schwer ward. Es war schon Abend; da bat ich an einer Thür um Brod, und bekam es. Es war das erste Bettelbrod, das ich gegessen habe.

In dem nächsten Hause fand ich auch Arbeit; aber nur auf einige Wochen. Ein böser Geist schien mit mir in das Haus gezogen zu sein. Mit meinem Herrn, so wie mit meinen Mitknechten hatte ich fortwährenden Streit; die Nächte schwärmte ich außer dem Hause umher; des Tags schlief ich bei der Arbeit ein; auch stahl ich in der Nachbarschaft aus[auf]gehängte Wäsche u.s.w. Nach zwei Wochen jagte mein Brodherr mich aus seinem Dienste.

Eine Zeitlang trieb ich mich darauf in Ditmarschen umher; fragte nach Arbeit von Hof zu Hof; fand aber keine; und das war mir ganz recht; denn da ich einmal gebettelt hatte, so gefiel mir dies weit besser, als arbeiten. Während dieser Zeit hatte ich mein Nachtlager hie und da in den Scheunen; versuchte auch mehrmals mittelst Einbruchs zu stehlen. In einer Nacht brach ich fünfmal in verschiedene Häuser ein; wurde jedoch immer verjagt, und bekam nichts. In Ditmarschen und Eiderstädt durfte ich dieß Vagabundenleben indeß nicht lange fortsetzen, weil ich dort zu bekannt war; ich beschloß deshalb eine Wanderung durch ganz Schleswig, bis Jütland hinauf, anzutreten. Ich bin auch wirklich in Husum, Bredstädt, Tondern, in Hadersleben, Apenrade und Flensburg gewesen. Auf dieser Tour gab es zu mancherlei kleinen Diebereien oft Gelegenheit; am meisten aber schlug ich mich mit Betteln durch, indem ich, nach dem Rath meiner Freunde im Zuchthause, mich für einen reisenden Handwerksburschen ausgab. Als ich so das ganze Land hinauf und herab durchgebettelt hatte, kam ich um die Fastenzeit wieder in Eiderstädt, bei meinen Eltern an. Diese hatten mich während der ganzen Zeit meines Vagabundirens in Ditmarschen in Arbeit geglaubt; und ich ließ sie bei dem Glauben.

Mein Vater pflegt während des Winters grobe Körbe zu flechten, und hatte mich, da ich noch Kind war, in den Handgriffen unterrichtet. Ich half ihm nun bei der Arbeit, weil ich doch den Winter hindurch nicht wandern mogte. Die fertigen Körbe brachte ich in der Landschaft zum Verkauf; das gelöste [dadurch eingenommene] Geld aber vertanzte, verspielte und vertrank ich größtentheils, und nur selten brachte ich den Eltern einige Schillinge mit nach Hause. Natürlich gab es darüber oft Streit; wir wurden gegenseitig einander überdrüssig, und als der Frühling kam, wollte ich wieder vagabundiren. Doch machten meine Eltern mich bang [mir Angst], daß das Bettlerleben mich wieder in's Zuchthaus bringen würde, und so gab ich, gegen meine Neigung, ihren Vorstellungen nach, und beschloß einen Dienst zu suchen.

Ich kam in Ditmarschen noch einmal als Knecht an. Am Tage meines Dienstantrittes war Krammarkt in Friedrichstadt. Zu meinem Unglück fiel mir das wieder ein, was meine Kameraden im Zuchthause mir von der Leichtigkeit, auf Märkten zu stehlen, gesagt hatten. Ich widerstand der bösen Lust nicht, und ging, statt zu meinem Brodherrn, nach Friedrichstadt zum Markt. Nachdem ich durch einige Gläser Branntwein mir Muth angetrunken hatte, wollte ich mein Glück bei den Schusterbuden versuchen; denn ich hatte ein Paar Stiefel nöthig. Es ging nach Wunsch; ich entkam mit einem Paar schöner Stiefel, ohne von Jemand bemerkt worden zu sein. Das machte mich dreister; aus einer andern Bude wollte ich ein zweites Paar entwenden; wurde aber auf der That ertappt, und sogleich in's Gefängniß gebracht. Es war am 10. Mai 1840.

Der Lehre getreu, die ich im Zuchthause empfangen hatte, leugnete ich standhaft. Die beiden Paar Stiefel wurden vorgezeigt, und von den Eigenthümern erkannt; vier Zeugen beschworen, daß sie mich das eine Paar hätten stehlen sehen; ich aber leugnete hartnäckig; wodurch ich denn auch so viel erlangte, daß ich wegen dieses zweiten Diebstahls weniger hart, als um den ersten, bestraft ward. Dieß ist eine beim Volk allgemein verbreitete Ansicht; und war bisher auch in der Gesetzgebung begründet, nach welcher der Indicienbeweis, ohne eigenes Bekenntniß, zur Bestrafung eines Verbrechers nicht zureicht. Es wäre gut, wenn es in Zuchthäusern und Gefängnissen allen Verbrechern bekannt gemacht würde, daß durch die Verordnung von 1843, daß voller Indicienbeweis schon zur Strafe hinreiche, jener Schild löcherigt [löchrig, »aufgeweicht«] geworden ist. In dem vorliegenden Falle irrt übrigens Hinz; sein zweiter Diebstahl wurde gelinder, wie der erste, bestraft; nicht weil er geleugnet ward, sondern weil er ohne Einbruch geschehen war; Augenzeugen hatten hier das eigne Geständniß hinreichend ersetzt. Um der Zeugnisse willen, die wider mich waren, wurde ich auf ein Jahr zum Zuchthause verurtheilt. Im Grunde war es aber doch eine Selbsttäuschung, wenn ich glaubte, durch Leugnen mir die Strafzeit verkürzt zu haben. Die Untersuchung wurde eben dadurch so viel mehr ausgedehnt; und wie einfach die Sache war, wenn ich gestanden hätte, so mußte ich nun 5 Monate Verhöre aushalten, und so lange in Friedrichstadt, in dem abscheulichsten Kerker zubringen, den ich kennen gelernt habe. – Während dieser Zeit beschäftigte ich mich viel mit Schreiben; denn im Zuchthause hatte ich mir sagen lassen, daß diese Kunst für Betrüger und Diebe wichtig sei; und so wollte ich, was ich an Uebung in der Kindheit versäumt hatte, nachholen. Der Sohn des Gefangenenwärters war mir darin behülflich. Dieser junge Mensch verschaffte mir noch einen andern Zeitvertreib, der mir sehr lieb war; mir aber vielen Nachtheil gebracht hat. Mir wurden nämlich so viele Räuberromane, als ich nur lesen mogte, in den Kerker gebracht. Da las ich viele Beispiele, wie kühne Männer durch Rauben und Morden reich und angesehen geworden, und durch Muth und Klugheit immer gut durchgekommen waren. Ich wußte nicht, daß solche Geschichten nur erdichtet werden, um unwissenden und schlechten Menschen noch mehr Lust zum Bösen zu machen, und nahm mir vor, sobald ich könnte, in eine Räuberbande einzutreten. Es mag schwer, vielleicht unmöglich sein, die Leihbibliotheken unter solcher Controlle zu halten, daß schlechte und sittenverderbende Romane dem Volke unzugänglich werden. Durch die Thüren der Gefängnisse sollte aber wenigstens diese Pest keinen Zugang finden; und wir möchten diesen Gegenstand den Polizeibehörden zur strengsten Beaufsichtigung empfehlen. Will man aber die schlechten Romane im Allgemeinen unterdrücken, so giebt es gewiß kein besseres Mittel, als, man schreibe gute Volksbücher. Solcher Gedanken voll ward ich, den 18. October 1840, zum zweiten Mal in's Zuchthaus abgeführt.


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