Ernst Schulze
Cäcilie
Ernst Schulze

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Sechszehnter Gesang.

1.
                      Indessen war mit seines Feindes Schwert
Skiold, den die Braut zum Raub des Tyrfings schickte,
Zu seinem Volk nach Lethra heimgekehrt,
Wo lang' ihm schon Thorild' entgegenblickte.
Noch sann er, welch ein Wahn so rasch ihn jüngst bethört,
Welch eine Macht ihn jüngst nach Hween's Gestad' entrückte,
Und so begann mit zweifelvollem Sinn
Der kühne Held zu Hertha's Priesterin:
 
2.
Nur du vermagst vielleicht den Zauber zu entdecken,
Der mich so seltsam jetzt in seinen Kreis gebannt.
Ein böser Elf schien meinen Geist zu necken –
Wohl hat ihn Loke's List zu Odin's Schutz gesandt –
Weit führt' er durchs Gefild, durch dunkle Meeresstrecken
Mich an ein Riesengrab zum fernen Inselstrand.
Vergebens sinn' ich jetzt, was dort mein Arm vollbrachte,
Mir schien's ein Traum zu seyn, doch weiß ich, daß ich wachte.
 
3.
Darauf erzählt er ihr, wie er auf nächt'gem Pfad
Sich in der Felsenkluft des wilden Hains gebettet,
Und wie der Drache dort genaht
Und mit gewalt'ger Kraft den Schlummernden gekettet,
Bis aus den Fesseln ihn mit heldenmüt'ger That
Nach ungeheurem Kampf sein bittrer Feind gerettet,
Und wie dann Beide Schwert um Schwert
Mit mildem Wort vertauscht und friedlich heimgekehrt.
 
4.
Dumpfsinnend hat die Priesterin geschwiegen,
Indeß ihr Freund ihr seine Fahrt erzählt;
Kein Blick enthüllt, kein Wechsel in den Zügen,
Was mächtig jetzt den stolzen Busen quält;
Still ist und tief der Zorn hinabgestiegen
Zur finstern Brust, die grimmig ihn verhehlt;
Verborgen wogt in ihrem starken Herzen
Ein wildes Meer von Liebe, Wuth und Schmerzen.
 
5.
So regt sich oft, vom Erdenschoos verhüllt,
Umschlossen rings von harten Felsengängen,
In tiefer Nacht die Flamme rasch und wild
Und strebt ergrimmt ihr starkes Band zu sprengen;
Doch oben grünt und blüht und duftet das Gefild,
Der dunkle Hain erschallt von lieblichen Gesängen,
Bis plötzlich aus der Kluft die Gluth empor sich ringt
Und Berg und Thal zerreißt und Wies' und Wald verschlingt.
 
6.
Wohlan, so siegt, ihr feindlichen Gewalten.
Beginnt Thorilde jetzt, als sie allein sich sieht.
So mag der Blitz den Opferherd zerspalten,
Worauf so lang der Dänen Heil geblüht!
Nicht kann der Mensch den Thron der Götter halten,
Wenn selbst der Gott ihm seine Hülf' entzieht.
Was Geist und Arm vermocht, das Unheil abzuwenden,
Hab' ich umsonst versucht; bald gilt es, groß zu enden.
 
7.
Doch noch verzag' ich nicht, noch heb' ich kühn mein Haupt
Zu dir empor, noch ring' ich um die Beute,
Verhaßte Macht, du, die mir Alles raubt,
Was ich geliebt, woran mein Herz sich freute.
Nimm mir den Gott, an den ich lang geglaubt,
Nimm mir den Freund, verdirb mein Volk im Streite;
Nicht beugst du mich, bis nicht dein flammend Schwert
Auch meine Brust zerschmettert und verzehrt.
 
8.
Und sollst du einst, du alte Veste, fallen,
Soll auch das Kreuz von deinen Zinnen wehn,
Soll grimmig dort die wilde Flamme wallen,
Wo herrlich jetzt der Heimath Götter stehn;
Nicht wird mit ihrem Sturz Thorildens Ruhm verhallen,
Und auf den Trümmern wird sich hoch mein Grab erhöhn.
Mag Feindesmacht, was ich gethan, zerstäuben;
Was ich gewollt, wird doch mir ewig bleiben.
 
9.
So ruft sie aus; dann blickt sie hoch und hehr
Zum Himmel auf und weit von Lethra's Zinnen
In's Land hinaus und weit in's graue Meer,
Mit stolzem Geist versenkt in tiefes Sinnen.
Fern sieht sie ein Gewölk, von Blitz und Donner schwer,
Den ungestümen Kampf mit Wog' und Fels beginnen;
Da spricht sie kühn: Die mächt'ge Woge bricht,
Der Fels erbebt; der Tapfre beugt sich nicht.
 
10.
Dann geht sie schnell, zur That sich zu bereiten,
Zu welcher jetzt die drohnde Noth sie zwingt:
Sie will in deutscher Tracht in's Christenlager reiten,
Sobald die Dunkelheit zur Erde niedersinkt,
Und dort zum zweiten Mal das Tyrfings Schwert erbeuten,
Das in des Feindes Hand so großes Unheil bringt.
Doch soll kein Held aus Lethra's Schaaren,
Selbst Skiold und Harald nicht, was sie beginnt, erfahren.
 
11.
Schon prangt im Waffenschmuck das jungfräuliche Bild,
Als kaum die Nacht sich senkt mit schattigem Gefieder:
Ein helles Panzerkleid umschließt die schlanken Glieder,
An ihrem Arme prangt des Sängers blanker Schild,
Tief wiegt der Reiherbusch sich von dem Helme nieder,
Der kühn die holde Stirn, die blühnde Wang' umhüllt.
So steht sie herrlich da. Nicht kann man ohne Grauen
Und ohne Liebe nicht die schöne Heldin schauen.
 
12.
So läßt im goldnen Kranz der Nacht
Bei schwüler Sommergluth der Sirius sich sehen.
Wie freundlich auch von dunklen Höhen
Das helle Sterngebild zur Erde niederlacht,
Die Heerde sinkt dahin, Gewächs und Gras vergehen,
Der klare Quell versinkt vor seiner grimmen Macht.
Wie bittre Noth auch seine Strahlen senden,
Doch kann man kaum den Blick von seinem Glanze wenden.
 
13.
Dann steigt sie auf ein Roß, bei dessen Laufe kaum
Vom hohen Gras herab des Thaues Tropfen sinken,
Von hellen Perlen glänzt der Decke reicher Saum,
Man sieht von edlem Gold Gebiß und Bügel blinken,
Es trägt zur Zierde nur den buntgestickten Zaum,
Rasch, fromm und klug zugleich, gehorcht es Wort' und Winken,
Hoch hebt es Hals und Haupt; fast glaubt, wer es erblickt,
Noch schöner wähn' es sich durch seine Last geschmückt.
 
14.
So reitet sie durch Lethra's dunkle Hallen;
Gleich Sternen glänzt der Helm, der Schild, der scharfe Speer.
Kein Wächter sieht sie nahn und hört den Hufschlag schallen,
Denn Schlummer sendet rings ihr Zauberwort umher.
Vor ihrem Winke muß die ehrne Brücke fallen,
Und knarrend öffnet sich die Pforte, hoch und schwer.
Dicht hinter ihr verschließt das Thor sich wieder,
Die Brücke steigt, das Gitter rasselt nieder.
 
15.
Wie rings der Himmel sich verhüllt,
Wenn mit dem raschen Sturm die finstre Wolke streitet,
Und nur des Mondes helles Bild
Durch's flücht'ge Dunkel oft auf blauen Bahnen gleitet:
So zieht Thorilde jetzt durch's nächt'ge Schlachtgefild;
Ein trüber Nebelduft ist weit umher verbreitet,
Vor ihr und hinter ihr verschleiert sich der Pfad,
Und dort nur ist das Licht, wo sich die Mächt'ge naht.
 
16.
Sie reitet fort auf wohlbekannten Wegen,
Bis bald der Wall des Lagers vor ihr liegt.
Nicht braucht sie dort den kräft'gen Zaubersegen,
Weil Alles längst der Schlummer eingewiegt;
Auch hören, die am Thor der nächt'gen Wache pflegen,
Den leichten Zelter nicht, der minder läuft, als fliegt.
Schon reitet sie, dem Zufall überlassen,
In's Thor hinein und durch des Lagers Gassen.
 
17.
Doch sieht sie bald, da sie die Reihn durchspäht,
Im Mittelpunkt ein prangend Zelt sich heben,
Das herrlich glänzt und fern den andern steht,
Von Rasengrün in weitem Kreis' umgeben.
Zwei Fahnen rauschen dort, vom Wind umhergeweht,
In dieser scheint ein Aar, in der ein Kreuz zu schweben.
Dort schwingt sie sich vom Roß, und leise, wie die Nacht
Betritt ihr Fuß das Zelt, das kein Trabant bewacht.
 
18.
Süß rastet dort in Schlummer hingegossen,
Bei Kerzenschein der ritterliche Held.
Hold kräuselt sich sein Haar, das, rings herabgeflossen,
Auf Busen, Wang' und Arm in goldnen Locken fällt;
Von keinem Panzer ist die kühne Brust umschlossen,
Die auch im Traume noch manch hohes Sehnen schwellt;
Auf Mund und Wangen glänzt der Jugend reine Blüthe,
In jedem Zug gesellt sich Liebe, Kraft und Güte.
 
19.
Wie sanft der Schlaf um seine Lippen schwimmt!
Wie friedlich sich die kühnen Augen schließen!
Als wiss' er nicht, was ihm sein Loos bestimmt,
Als soll' erst jetzt der Lenz der Jugend ihm entsprießen;
Und doch wird morgen schon, noch eh der Tag entglimmt,
Sein junges Heldenblut der Todeswund' entfließen.
Er, den so mancher Schmerz im kurzen Leben traf,
Er schläft so ruhig nun, so still den letzten Schlaf.
 
20.
Hell funkelte, entblößt von seiner Scheide,
Dicht neben ihm, ein schlimmer Bettgenoß,
Das Zauberschwert, durch dessen scharfe Schneide
So manches Blut, so manche Thräne floß.
Thorild' ergriff's und schwang's in wilder Freude –
Unsel'ge, spanne nicht des Schicksals grimm Geschoß!
Verderblich wird auch dir die ehrne Senne klingen,
Dir selbst der bittre Pfeil in's tiefe Leben dringen.
 
21.
Still steht sie jetzt und finster, wie der Tod,
Und sinnt und schwankt, ein großes Werk zu wagen.
Wie kann sie jetzt so leicht den mächt'gen Feind erschlagen,
Der trotzig ihrem Stamm und ihren Göttern droht!
Wohl soll ein kühnes Herz vor nächt'gem Morde zagen,
Doch was die Schaam verbeut, laut heischt es jetzt die Noth;
Er drängt ihr Volk, er nimmt ihr Lieb' und Glauben,
Und sie besinnt sich noch, das Leben ihm zu rauben?
 
22.
So schwankt sie lang' und hat das Schwert gezückt.
So oft in ihrer Brust die finstern Geister siegen,
Hält ihren raschen Arm ein heimlich Band umstrickt,
Ein mächt'ger Zauber scheint ihr Auge zu betrügen.
Denn immer deutlicher, je mehr sie auf ihn blickt,
Erscheint des Freundes Bild ihr in des Feindes Zügen.
So lächeln Wang' und Mund, so ringelt weich und klar
Sich um die kühne Stirn das goldne Lockenhaar.
 
23.
Wie darf ihr Arm das holde Bild durchbohren,
Worin der Blick den theuern Freund erkennt,
Den Einzigen, den ihre Lieb' erkoren,
Dem sie die erste Huld der stolzen Brust gegönnt?
Was hat so wunderbar sich gegen sie verschworen,
Daß Lieb' in ihr erregt, was sie zu tödten brennt?
Sie bebt und senkt das Schwert zu Boden nieder,
Sie schweigt und schaut und sinnt, dann hebt sie's drohend wieder.
 
24.
Denn wie zuerst den heimlich glühnden Brand
Mit schwarzer Schwing' ein dichter Dampf verkündet,
Bis plötzlich sich durch's wogende Gewand
Die rasche Gluth mit tausend Flammen windet
Und sich zur Fackel rings dem nachbarlichen Land,
Dem fernen Schiffer sich zum Leitgestirn entzündet;
Man sieht ein feurig Roth am Himmel angefacht,
Und heller wird zugleich und dunkler Wolk' und Nacht.
 
25.
So lüftet jetzt vor ihrem Angesichte
Allmählig sich der Zukunft dunkler Flor,
Und gräßlich ringt, verklärt von grellem Lichte,
Ein grimm Geheimniß sich aus seiner Nacht hervor.
Tief fühlt ihr finstres Herz, wie schwer der Himmel richte,
Der sie zum Herold einst des eignen Wehs erkor.
Jetzt liegt es deutlich da, was lang der Geist ihr sagte,
Was sie schon lang geahnt und doch zu ahnen zagte.
 
26.
Er, dem sie einst im harten Streit,
Um seines Namens Glanz vor aller Welt zu schänden,
Mit ungeheuerm Fluch den Brudermord gedräut,
Soll auf ihr eignes Herz jetzt ihre Drohung wenden.
Nicht blieb es ihr verhehlt, daß einst in früher Zeit
Der Bruder Skiold's verschwand, geraubt von Feindeshänden.
Und er, in dem so ganz des Freundes Bild ihr naht,
Er ist, ihn leitet jetzt sein Loos zur dunklen That.
 
27.
Sie steht und schweigt und sinnt mit starren Blicken,
Um Wang' und Stirn beginnt ein schwarz Gewölk zu ziehn,
Und rasche Blitze scheint ihr Auge dann zu zücken,
Wie helle Flammen oft aus finstern Gräbern sprühn.
Bald will der innre Kampf ihr ringend Herz erdrücken,
Bald widerstrebt's mit Macht und hebt sich frei und kühn.
Wie schwer ein Donner rollt aus düstrer Wolkenpforte,
Entfliehn der dunklen Brust zuletzt die dumpfen Worte:
 
28.
Hab' ich nicht manches Lied aus alter Zeit gehört,
Wie Menschen oft mit unverzagtem Streben,
Mit eigner Kraft der Norne Zwang zerstört
Und nicht verzagt, den Arm auf Götter selbst zu heben?
Nicht zag' auch ich, ich selbst errang das Schwert,
Das zu des Bruders Mord dir dein Geschick gegeben,
Mir lacht das Glück, mein ist der erste Sieg;
Und rasch vollende nun ein Stoß den kühnen Krieg!
 
29.
Du ruhst so schön von blühndem Reiz umflossen,
Von manchem Hoffen ist dein Herz vielleicht geschwellt;
Wohl manche Thräne wird um dich vergossen,
Wenn nun so früh dich schon dein Grab umfangen hält.
Doch bin denn ich allein für Lieb' und Lust verschlossen?
Betrübt es mich nicht auch, wenn mein Geliebter fällt?
Ich muß vor bitterm Gram, wenn ich dich schone, sterben,
Dein Tod nur ist mein Heil – drum muß ich dich verderben.
 
30.
Das Blut ist mein, das dir im Herzen fließt,
Mit manchem Band bist du mir eng verbunden,
Mein einz'ger Freund hat noch vor wenig Stunden
Nach harter Noth als Retter dich gegrüßt.
Du bist die Waffe nur, die, tief mich zu verwunden,
Ein stärkerer, ein größrer Feind erkiest.
Nicht zürn' ich dir. Muß auch dein Blut mich röthen,
So will ich freundlich doch und klagend selbst dich tödten.
 
31.
So spricht sie sanft. Ein leises Trauern füllt
Den großen Blick und hält ihr Herz umfangen;
An ihm, den immer noch so sanft der Schlaf umhüllt,
Läßt sie noch einmal jetzt die stillen Augen hangen;
Sie neigt ihr stolzes Haupt so friedlich und so mild
Und küßt mit leisem Kuß des Jünglings blühnde Wangen;
Sie sinnt, sie schwankt, sie seufzt zum letzten Mal;
Dann fährt sie kühn empor, sie hebt, sie zückt den Stahl.
 
32.
Indessen lag versenkt in Träum' und Sorgen
Cäcilie noch wach im nahen Zelt.
Manch Zagen regte sich in ihrer Brust verborgen,
Von manchem Hoffen war ihr frommes Herz geschwellt;
Sie dachte still an jenen großen Morgen,
Mit dem auch ihr Geschick nun bald sich ganz erhellt;
In manchen Bildern schien ihr jugendliches Leben
Von frühen Tagen an vor ihr vorbei zu schweben.
 
33.
Dann dachte sie, wie sie so manches Leid,
So kurze Freuden nur auf ihrer Bahn gefunden,
Wie Gott ihr Alles nahm, was sonst die Welt erfreut,
Und nur an sich allein ihr treues Herz gebunden,
Und wie der Himmel ihr nun bald die Palme beut,
Weil sie in seinem Dienst gekämpft und überwunden;
Dann wandte bald ihr weicher Liebessinn
Auf ihn, der mit ihr kämpft, der mit ihr siegt, sich hin.
 
34.
Wie auch der harte Streit am Morgen sich entscheide,
Sie ahnt, sie werd' ihn nie im Leben wiedersehn.
Nicht klagt und weint sie mehr um ihn in ird'schem Leide,
Den hier der Himmel beugt, um dort ihn zu erhöhn.
Auch fühlt ihr Herz, nie trenne Gott sie Beide,
Wo er dem Tod' erliegt, da müss' auch sie vergehn.
Doch fruchtlos müht sie sich die Sehnsucht zu ersticken,
Nur einmal noch den Freund im Leben zu erblicken.
 
35.
Doch darf in stiller Nacht, so heimlich, so allein,
In ihres Freundes Zelt die scheue Jungfrau treten?
Um ihre Wangen fließt ein schüchternes Erröthen,
Doch immer mächt'ger wird des Wunsches süße Pein.
Sie wendet sich zu Gott mit kindlichen Gebeten,
Er kennt ihr Herz, er soll ihr Führer seyn.
Da fühlt sie süße Ruh' im zagenden Gemüthe,
Sie weiß, sie darf's, sie weiß, daß Gott es selbst gebiete.
 
36.
So zittert sanft, zum Quell hinabgebeugt,
Die Blum' und sieht, von süßem Wahn betrogen,
Ihr frisches Bild vom Thau der Welle feucht
Und hell verklärt vom keuschen Glanz der Wogen,
Das freundlich naht, wenn sie sich niederneigt,
Und schwindet, wenn ihr Kelch sich leis' emporgebogen,
Bis säuselnd um den Strand ein lindes Lüftchen haucht,
Und sanft ihr blühndes Haupt zur Schwester niedertaucht.
 
37.
Jetzt hat sie bald in Gold und weiche Seide
Den keuschen Reiz der Glieder eingehüllt:
Von Perlen glänzt der Saum an ihrem reichen Kleide,
Ein zarter Schleierflor umfließt ihr holdes Bild,
Auf ihrem Busen prangt ein funkelndes Geschmeide,
Das weit die Nacht umher mit hellen Strahlen füllt,
Ein breites Band von blitzenden Rubinen
Muß leuchtend ihr zum Schmuck der dunklen Locken dienen.
 
38.
Ihn, den ihr Auge jetzt zum letzten Male sieht,
Um welchen finster schon die Todesnebel wehen,
Den Gottes Hand so lang von ihrem Herzen schied,
Noch einmal will sie schön und bräutlich vor ihm stehen;
So wie sie reizend jetzt in Schmuck und Jugend blüht,
Will sie mit ihm empor zur sel'gen Heimath gehen,
Sie sieht im freud'gen Glanz den süßen Brauttag nahn
Und darf nicht ungeschmückt den Bräutigam empfahn.
 
39.
Aus ihren Augen strahlt ein unvergänglich Leben,
Ein schönres Morgenroth umfließt ihr Angesicht,
Und Strahlen sieht man hell um ihre Stirne schweben,
Und ihres Schleiers Saum umwallt ein heil'ges Licht,
Und schlanker scheint ihr Leib und leichter sich zu heben,
Ihr sanft getragner Fuß berührt die Erde nicht;
Demüthig steht sie da in wundersel'ger Schöne
Und weiß nicht, daß schon jetzt sie Gott zum Engel kröne.
 
40.
So sah auch ich, Cäcilie, dein Bild
Am Ziele deiner Bahn von Gottes Glanz umflossen:
Je mehr auf Erden sich die Blumen dir verschlossen,
Je schönre waren jetzt vom Himmel dir enthüllt.
Wie fühlt' ich Lieb' und Huld durch dein Gemüth ergossen,
Wie waren Aug' und Herz so selig, fromm und mild!
Wohl härmt' ich tief mich um dein frühes Scheiden
Und mußte doch dir oft den heil'gen Glanz beneiden.
 
41.
Und leuchtend geht sie jetzt und herrlich durch die Nacht,
Dem Regenbogen gleich in herbstlich trüben Stunden.
Die Sterne, deren Glanz Thorildens Zaubermacht
Zur mitternächt'gen That mit finsterm Duft umwunden,
Sind alle glänzender am Himmel jetzt erwacht,
Und Gottes heil'ge Hand hält jeden Trug gebunden.
Wohl scheint es, daß vor ihr ein mächt'ger Engel schwebt,
Weil sich von selbst des Zeltes Vorhang hebt.
 
42.
Sie tritt hinein. Schon zückt die scharfe Klinge
Zur blut'gen That Thorildens starke Hand;
Da ist's, als ob die Kraft des Himmels sie durchdringe,
Als ob, vom Flammenhauch allmächt'gen Zorns entbrannt,
Sich Gottes heil'ger Blitz aus ihren Augen schwinge,
Der kein Verschonen kennt und keinen Widerstand;
Hoch steht sie da, ein Bot' aus Gottes Reiche,
Und hebt den Arm empor und droht und ruft: Entweiche!
 
43.
Und als die Feindin kaum die mächt'gen Töne hört,
Die mit verborgner Kraft sie strafen und verdammen,
Als sie den Glanz erblickt, der ihre Stirn verklärt,
Der Wangen sel'ges Licht, des Auges heil'ge Flammen,
Da bebt sie rasch, es sinken Arm und Schwert,
Ihr Blick verdunkelt sich, sie wankt und stürzt zusammen;
Sie, die so kühnen Kampf dem ganzen Himmel bot,
Erliegt vor einem Wort, womit der Herr ihr droht.
 
44.
O Lilie, wie hebt in wilden Wettern
Dein heller Kelch so kühn sich aus dem niedern Moos!
Ein strahlend Gold entleuchtet deinen Blättern,
Und Gottes Thau benetzt den reinen Schoos;
Der Himmel glüht, und rothe Blitze schmettern,
Die starke Eiche sinkt vom mächt'gen Sturmesstoß.
Sie, die mit stolzem Haupt zum Himmel sich erhoben,
Liegt neben dir geknickt; du stehst und schaust nach oben.
 
45.
Doch wie ein Wild, das vom Geschoß verletzt,
Nach langer Flucht durch dunkle Waldeshallen,
Des Hauchs beraubt, mit Schaum und Blut genetzt,
In's dichte Grün ohnmächtig hingefallen,
Wenn noch die Meute bellt, und durch's Gebüsch sich jetzt
Der rasche Jäger drängt, und laut die Hörner schallen,
Noch einmal sich erhebt und mit der letzten Kraft
Durch Wald und Feld, durch Berg und Thal sich rafft:
 
46.
So reißt vom Boden sich die schreckliche Thorilde,
Als eben Adalbert von seinem Schlaf erwacht;
Sie hebt das Schwert, sie deckt sich mit dem Schilde,
Sie stürmt zum Zelt hinaus und sprengt zu Roß mit Macht,
In Wolk' und Sturm gehüllt, gleich einem Schreckgebilde,
Von Gottes Zorn gejagt, verzweifelnd durch die Nacht.
Die Wächter beben rings und fliehn umher mit Grauen,
Als sie das grimme Drohn der wilden Jungfrau schauen.
 
47.
Von raschem Wahnsinn ist ihr dunkles Herz bewegt,
Vor ihrem Blick beginnt die Erde sich zu drehen;
Wie flammend auch die Gluth aus ihren Augen schlägt,
Sie scheint in blinder Hast nicht Weg noch Ziel zu sehen,
Durch Sturm und Wogenschall, durch Wald und Dornen trägt
Ihr schäumend Roß sie fort und über Thal und Höhen,
Bis sie zuletzt auf wild verworrnem Pfad
Dem heil'gen Hügel sich, dem Herde Gottes, naht.
 
48.
Indessen zog die feindliche Swanwithe,
Sie, deren Schoos Thorilden einst gebar,
Aus ihrer dunklen Kluft im fernen Waldgebiete
Zu gleicher Zeit empor zu Gottes Hochaltar.
Denn seit sie jüngst im Kampf vergebens sich bemühte
Durch Zauber zu zerstreun der Christen tapfre Schaar,
Verschloß das finstre Weib, vor aller Welt verborgen,
Sich in ihr wüstes Reich, gequält von Grimm und Sorgen.
 
49.
Dort, wo so prangend jüngst ihr mächtiger Herrscher stand,
Dem sie zum Dienste sich als Priesterin ergeben,
Dort, wo ihr Drohn noch jüngst, ihr rasches Widerstreben
Der Götter kühnen Feind von Thron und Reich verbannt,
Dort sah sie jetzt den Herd der Christen sich erheben,
Dort herrschte jetzt der Gott, den nie ihr Herz erkannt,
Von dort war flammend jüngst zum Unheil ihrer Schaaren
Und ihrer Macht zum Hohn der Blitz herabgefahren.
 
50.
Wie still der starke Leu in seiner Höhle weilt,
Von rauhen Felsenhöhn und finsterm Wald umschlossen,
Und mit verhaltnem Grimm die wunden Glieder heilt,
Die jüngst mit scharfem Speer ein Jäger ihm durchschossen;
Doch, wenn sich frische Kraft durch sein Gebein ergossen,
Blutdürst'ger noch als sonst zu neuem Raub' enteilt:
So kam Swanwithe jetzt nach drei durchzürnten Tagen
Aus ihrem Hain zurück, noch größern Kampf zu wagen.
 
51.
Nicht lang soll seines Throns der fremde Gott sich freun,
Nicht lang' ein feindlich Bild den Hügel Frey's entehren;
Sie selber will den heil'gen Stein,
Worauf das Kreuz sich hebt, mit finstrer Macht zerstören.
So zieht sie kühn hinweg aus ihrem dunklen Hain,
Umflattert und umsaust von bösen Geisterheeren,
In schwarze Rüstung ist ihr starker Leib gehüllt,
Schwarz ist ihr hohes Roß, und schwarz sind Helm und Schild.
 
52.
Schon hat sie jetzt mit neunfach starken Kreisen
Im Zauberschritt den Gottesherd umschränkt,
Schon neunmal ihn bedroht mit dunklen Runenweisen,
Mit gift'gen Tropfen schon den heil'gen Raum besprengt,
Und schon die Brust geritzt mit scharfgeschliffnem Eisen,
Und mit dem eignen Blut die Geisterschaar getränkt;
Da hört sie durch die dichten Lauben
Des wildverschlungnen Hains Thorildens Zelter schnauben.
 
53.
Sie, die von heißem Zorn entbrennt,
Daß jetzt ein fremder Fuß den stillen Zauber störe,
Schwingt hastig sich auf's Roß und spornt es wild und rennt
Auf Hertha's Priesterin mit langgestrecktem Speere;
Und diese, die das Bild der Mutter nicht erkennt,
Hebt hoch den breiten Schild und setzt sich rasch zur Wehre.
Und jetzt beginnt ein Kampf auf diesen nächt'gen Höhn,
So grimm und wunderbar ihn nie die Welt gesehn.
 
54.
Sie stürmen wild und zornig sich entgegen,
Daß Beider Speer am starken Schild zerkracht,
Dann zücken sie das Schwert zu ungeheuren Schlägen,
Von Funken leuchtet weit die unwirthbare Nacht.
Der Mutter ist an Kraft die Tochter überlegen,
Drum sichert Jene sich durch ihre Zaubermacht;
Bald ist sie hier, bald dort, bald scheint sie sich zu spalten
Und droht der Gegnerin in doppelten Gestalten.
 
55.
Doch auch Thorilden ist manch Truggebild bekannt,
Des Feindes Augen zu verwirren:
Bald scheint ein ganzes Heer im wilden Kampf entbrannt,
Man hört im Walde rings viel hundert Schwerter klirren,
Und Speere werden rings und Pfeil' umhergesandt,
Die ohne Schaden nahn und luftig weiter schwirren;
Von lauter Trommeln gellt, von ehrnen Hörnern schallt
Und von Trompetenklang erzittert Berg und Wald.
 
56.
Zu Riesen scheinen sich die Bäume zu beleben,
Ein scharfes Schwert hält jeder Ast gezückt,
Der moos'ge Fels beginnt vom Boden sich zu heben
Und schreitet träg einher, von eigner Last gedrückt,
Und kämpfend sieht man jetzt viel grause Vögel schweben
Und Thiere, welche nie ein menschlich Aug' erblickt,
Bald scheint's, als ob zum Strom die Erde,
Zum raschen Sturm der Strom, die Luft zur Flamme werde.
 
57.
Und wie im Fichtenwald die Winde heulend wehn,
Wie brausend Wog' und Gluth sich mischen,
Wie laut der Löwe brüllt, wie gift'ge Schlangen zischen,
Wie dumpf die Eule krächzt und Hähne gellend krähn:
So hebt verwirrt aus allen Büschen,
Aus Luft und Höhlen sich ein gräßliches Getön.
Was Erd' und Himmel zeugt, was Ström' und Tiefen hegen,
Scheint Alles tobend sich im lauten Kampf zu regen.
 
58.
Und durch den wilden Zaubertraum
Drehn rasch sich hier und dort die starken Kämpferinnen,
Sie selbst erkennen oft die eigne Schöpfung kaum;
So mischen Trug und Trug sich vor den wüsten Sinnen.
Die schützt mit Schild und Schwert sich vor Gebüsch und Baum,
Die sieht man mächt'gen Kampf mit hartem Fels beginnen;
Oft stürzt, wenn rasch vor ihm der Stein als Woge steigt,
Das Roß sich in den Strom, der ebnem Rasen gleicht.
 
59.
Da lassen sie die nicht'gen Zauber schwinden,
Und heißer hebt ihr eigner Kampf sich dann:
Bald sieht man sie als Drachen sich umwinden,
Bald fallen sie als grimme Leun sich an;
Und will die Eine sich zur Flamme rasch entzünden,
So stürzt die Andre sich als wilder Strom heran;
Verbirgt die Eine kaum in harten Fels die Glieder,
So schlägt die Andre schon als Blitz die Feindin nieder.
 
60.
Schon heben sie zum kühnern Streit
Sich in die Nacht empor, gleich zornentbrannten Göttern,
Ihr Wagen ist der Sturm, die Wolk' ihr finstres Kleid,
Die ehrne Rechte kämpft mit Wogen und mit Wettern;
Und während Jene laut mit raschen Donnern dräut,
Läßt Die den glühnden Blitz aus starken Händen schmettern.
Ein wild Geheul wird durch die Nacht gehört,
Der ganze Himmel scheint zum grausen Kampf empört.
 
61.
Denn jene Geister auch, die Beide stets umgeben,
Entziehn sich jetzt der wilden Schlacht nicht mehr:
Man sieht sie rings wie glühnde Schwerter schweben,
Als Drachen stürmen Die, als Greifen Die einher,
Als ein geschweifter Stern beginnt sich Der zu heben,
Der rauscht und schlägt herab als Hagel dicht und schwer;
In Donnern und in Sturm, in Blitz, Gewölk und Regen,
In Nacht und Flammen ziehn die Mächt'gen sich entgegen.
 
62.
Die Wälder brechen rings von starker Winde Wehn,
Die Klüfte schallen laut, die alten Felsen splittern,
Gewässer stürzen dumpf und Ströme von den Höhn,
Das ferne Meer erbraust von kämpfenden Gewittern,
In Sturm und Gluthen scheint der Himmel zu vergehn,
Im tiefsten Grund beginnt die Erde zu erzittern.
Doch wie die wilde Nacht auch donnert, saust und blitzt,
Hoch steht das heil'ge Kreuz von Gottes Hand geschützt.
 
63.
Schon lang vernimmt von beiden Seiten
Die Schaar, die auf der Burg und die im Lager wacht,
Den ungeheuren Kampf vom Weiten
Und sieht mit bangem Blick die Zeichen in der Nacht,
Und mancher Däne glaubt, daß Gott und Odin streiten
Im letzten harten Kampf um Scepter, Reich und Macht;
Doch Jeder fühlt mit stillem Zagen,
Es müss' ein großer Tag nach solchen Wundern tagen.
 
64.
Doch als das kühne Paar erkannt,
Wohl werde Keine so die Gegnerin bezwingen,
Weil gleicher Zauber stets den gleichen Zauber bannt,
Und für und wider sie dieselben Kräfte ringen,
Da sieht man Beide sich noch einmal niederschwingen
In menschlicher Gestalt und irdischem Gewand,
Daß durch des Arms Gewalt und durch des Schwertes Schneide
Bald über Sieg und Tod der harte Zwist entscheide.
 
65.
Schon halten Beide hoch zu Roß
Und staunen lang sich an, bereit zum scharfen Rennen.
Man sieht durch ihren Helm die wilden Augen brennen,
Und schon ihr Blick durchbohrt, wie flammendes Geschoß.
Noch kann sich immer nicht das kühne Paar erkennen,
Da Beid' ein fremder Schmuck, ein feindlich Kleid umschloß;
Doch Jede wähnt schon längst, daß seines Herdes Rechte
Der Gott der Christen selbst mit starkem Arm verfechte.
 
66.
Und als sie sonder Zaubertrug
Die scharfen Schwerter nun auf ihre Herzen wenden,
Da sollte noch einmal des Tyrfings grimmer Fluch,
Und nicht zum letzten Mal, sein blut'ges Werk vollenden.
Kurz war der Kampf, Swanwithens Stunde schlug,
Hoch blitzte schon der Tod in ihrer Tochter Händen,
Laut saust das Schwert herab, Swanwithens Helm zerfliegt,
Die Mutter sinkt, die Tochter hat gesiegt.
 
67.
So trifft des Himmels glühnde Ruthe
Den Kühnen, dessen Stolz sich gegen ihn empört.
Sie, die mit frechem Uebermuthe
Sich gegen Gott erhob, sie sinkt an jenem Herd,
Den ihre Hand so oft befleckt mit fremdem Blute,
Ein blutig Opfer selbst, durch ihrer Tochter Schwert;
Und die das Schwert geraubt, den Himmel zu versuchen,
Muß nun die erste That, die es vollbracht, verfluchen.
 
68.
Die Geister, die Swanwithens Hand
In ihren Kreisen hielt mit starken Zauberzügeln,
Erheben jetzt sich rasch mit ungebundnen Flügeln
Und schwärmen laut hinweg durch Wolken, Meer und Land:
Der kehrt im Sturm zurück zu seinen Felsenhügeln,
Der sucht sein Flammenhaus, Der seines Stromes Strand,
Der schwingt mit schlagendem Gefieder
Sich in die Luft empor, Der sich zur Tiefe nieder.
 
69.
So regen rasch mit freud'gem Flügelschlag,
Durch Wald und Feld im weiten Flug ergossen,
Viel bunte Vögel sich, wenn einst ihr Gitterdach
Im stolzen Gartenhain sich plötzlich aufgeschlossen;
Der sucht sein altes Nest, Der wiegt sich auf den Sprossen,
Der flattert durch die Luft den leichten Brüdern nach,
Der hüpft an schattigen Gestaden
Und freut sich, Schwing' und Haupt im freien Quell zu baden.
 
70.
Der wilde Zorn der starken Kräfte schweigt,
Schon säuselt mild die Ruh' auf Höhn und Triften,
Der Nebel flieht, ans dunklen Wolken steigt
Der Mond empor und schwimmt in blauen Lüften,
Des Regens Fall versiegt, in sein Gestad' entweicht
Der aufgeschwollne Strom, der Sturm zu fernen Klüften;
Die wüsten Wälder nur, der Wies' entstelltes Kleid,
Verkünden trauernd noch den grimmgekämpften Streit.
 
71.
Hochprangend wähnt die trotzige Thorilde,
Sie hab' in harter Schlacht den Christengott besiegt;
Kühn schaut ihr Blick hinab in's heimische Gefilde,
Das jetzt nicht lang sich mehr den fremden Ketten schmiegt.
Dann naht sie sich dem grausen Leichenbilde,
Das stumm und starr und finster vor ihr liegt;
Sie löst Swanwithens Helm, von warmem Blut geröthet,
Und blickt die Feindin an – und sieht, wen sie getödtet.

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