Ernst Schulze
Cäcilie
Ernst Schulze

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Fünfter Gesang.

1.
                          Schon hatte jetzt um ihren weiten Thron
Die stille Mitternacht den schwarzen Flor gefaltet,
Und zürnend wälzte sich der nahen Stürme Drohn
Dumpfhallend durch die Luft; Unholden gleich gestaltet,
Mit schwerem Fittig zog der Wolken finstre Brut
Am Himmel her, dem ehrnen Donnerwagen
Ein nächtliches Gespann, und zuckend flog die Gluth
Als Botin schon voran, den Aufruhr anzusagen.
 
2.
Rasch durch die Haiden flohn die muntern Rosse fort,
Als böten sie dem Sturm die Wette.
Schon nahn die Helden sich der wald'gen Bergeskette,
Die fern die Ebne kränzt, und spähen hier und dort
Nach einem sichern Zufluchtsort,
Der vor dem nahen Zorn des Wolkenkampfs sie rette;
Und in ein Klippenthal, das wie ein schwarzes Grab
Sich tief und schaurig senkt, führt jetzt der Pfad hinab.
 
3.
Kaum ist die Schlucht erreicht, so bricht mit raschen Schwingen
Der wilde Sturm lautbrausend schon herein.
Vor seinem Nahn erschrickt der tausendjähr'ge Hain,
Von Blitzen flammt die Nacht, und Gluth und Wasser ringen
In dunkler Luft, gewalt'ge Ströme dringen
Von allen Höhn herab, und schwere Donner dräun
Dumpfrasselnd rings umher, ein unsichtbares Leben
Durchtobt den finstern Wald, und Berg' und Felsen beben.
 
4.
Den starken Fittig fühlt des Sturms unbänd'ge Kraft
Im tiefen Thal gehemmt; er reißt mit raschem Grimme
Sich durch die Schluchten fort und rafft
Zu Boden, was ihn hemmt, und heult mit lauter Stimme
Um alle Felsen her. Bald hebt zur kühnen Schlacht
Der Wald sein Haupt empor, bald sinkt den Ungewittern
Er krachend hin. Im Dickicht springt mit Zittern
Das scheue Wild empor und irrt durch's Graun der Nacht.
 
5.
Mühselig ziehn im Sturm und Regen
Mit ihrer zarten Schützlingin
Durch's tiefe Thal die deutschen Helden hin;
Sie spähn umsonst nach sicher Wegen:
Bald sinkt der Rosse Fuß in's bodenlose Moor,
Bald ritzen scharfe Felsenecken
Den unbewehrten Huf, bald ziehn verworrne Hecken
Ihr dorniges Geflecht dem rauhen Pfade vor.
 
6.
Sie steigen ab. Durch's dichte Dunkel schreitet
Der Paladin voran und bricht mit Schwertesschlag
Sich eine Bahn, doch sein Gefährte leitet
Cäcilien hindurch und führt die Rosse nach.
Bald täuscht sich der, bald der, denn Rath und Ruf verwehen
Im Sturmgeheul, und nur von Zeit zu Zeit
Vergönnt ein heller Blitz, der rasch die Nacht zerstreut,
Des Pfades Graun, doch nicht zum Trost, zu sehen.
 
7.
Und immer feuriger entglüht
Der rothe Strahl, die Donner rasten nimmer,
Und pfeifend fährt der Sturm mit gellendem Gewimmer
Durch Reinald's Saitenspiel und heult ein gräßlich Lied.
Kaum kann das Fräulein noch des Pfades Müh' ertragen;
Doch folgt sie still und ohne Klagen,
Wenn mancher Stachel auch die zarte Ferse ritzt,
Und schwach nur ihr Gewand vor Näss' und Sturm sie schützt
 
8.
Wohl hätte jetzt die Nacht der Dämmrung weichen müssen,
Doch siegend hielt sie noch das heitre Licht zurück;
Mit Zögern nur erhob der Tag den scheuen Blick,
Die Wolken, die der Sturm in manches Bild zerrissen,
Umfloß ein grauer Schein, noch scholl das heische Wehn
Der Wind' im düstern Thal, noch strömt' es kalt hernieder,
Und bleicher Nebel hing mit kämpfendem Gefieder
Um's finstre Haupt der schroffen Felsenhöhn.
 
9.
Allmählig tauchte jetzt aus schwachem Dämmerscheine
Der Wüste grauses Bild, doch formlos noch, hervor;
Tief senkte sich das Thal, und in's Gewölk verlor
Die Stirn der Berge sich; vom ragenden Gesteine
Erhoben schwarze Tannenhaine
Der Wipfel öde Nacht im wilden Sturm empor;
Und traurig dehnten rings sich unwirthbare Haiden,
Mit dürrem Grau den Fuß der Felsen zu bekleiden.
 
10.
Hier kündete kein Pfad des Menschen milde Spur,
Nur Stürme hatten hier auf rauher Bahn gewaltet,
Und Wolf und Bär und Schlang' und Geier nur
Behausten das Geklüft. Zu Trümmern umgestaltet
Sank mancher Felsen schon in's tiefe Thal hinab,
Schon mancher Wald erhob sich auf dem frühern Grab,
Und traurig kränkelte das kaum erblühte Leben,
Vom öden Wust des ältern Schmucks umgeben.
 
11.
Rings lag zerrissen vom Orcan
Verwittertes Gestein mit feuchtem Moos umwoben,
Und Bäche wühlten rings mit Toben
Durch Felsen und Gestrüpp sich eine neue Bahn;
Im wilden Moor verflochten alte Tannen
Zu kühnen Gruppen sich, und durch das Dickicht schien
Des dichten Efeus ew'ges Grün
Ein undurchdringlich Netz dem Wandrer auszuspannen.
 
12.
Hoch am Gebirg, wo schauriger der Sturm
Um' s dunkle Haupt der schlanken Fichten wehte,
Sah jetzt der deutsche Held, der rings den Wald durchspähte,
Ein altes Mauerwerk. Noch hob ein mächt'ger Thurm,
Gleich einem Riesengeist aus grauen Heldenzeiten,
Der Zinnen morschen Kranz aus ödem Schutt empor,
Und nahe schien ein ehrnes Thor
Zur wüsten Dämmerung der Hallen hinzuleiten.
 
13.
Ein Jeder hofft erfreut vor Sturm und Regenguß
Ein sichres Obdach dort zu finden,
Und mühevoll durch Strauch und Klippen winden
Die Wandrer sich hinauf. Am steilen Pfade muß
Ohnmächtig oft das zarte Fräulein rasten,
Oft bebt ihr banger Fuß am schmalen Felsensteg;
Doch wenn auch Müh' und Schmerz und Furcht ihr Herz belasten,
Ein Blick auf Adalbert nimmt jedes Leid hinweg.
 
14.
Jetzt langt am trotzigen Gemäuer
Das matte Häuflein an. Mit ernstem Dunkel ragt
Der Wald umher, und nimmer tagt
Die graue Dämmrung hier; hoch flattern Aar und Geier
Laut krächzend um den Thurm, mit scheuem Flug verläßt
Das Käuzlein seine Gruft und schwirrt um Helm und Degen,
Vom Licht geblendet, her, und aus dem Felsennest
Zischt Schlang' und Molch den Nahenden entgegen.
 
15.
Doch bald entflieht die Brut vom scharfen Stahl verbannt,
Und muthig nahn der Thür, die zu der Warte leitet,
Die Helden sich. Mit blankem Schwerte schreitet
Der Paladin voran und führt an sichrer Hand
Das Fräulein nach. Auch Reinald's Arm bereitet
Zum Kampfe sich, er lehnt an eine morsche Wand
Sein treues Saitenspiel und folgt mit festem Willen,
Mag Frieden oder Streit der finstre Thurm verhüllen.
 
16.
Sie treten ein. Ein falbes Zwielicht graut
Um Mauer und Gewölb' und schweigend liegt die Halle;
Nur stehlen fern mit bangem Schalle
Sich Seufzer durch den Raum. Noch schaut
Umsonst ihr Blick umher, denn flücht'ge Schatten trügen
Ihr mattes Auge noch. Sie schreiten still heran;
Da sehn am dunkeln Ort sie einen fremden Mann,
Ein Bild des schwarzen Grams, am harten Boden liegen.
 
17.
Am Felsen wund geritzt troff blutig Brust und Haupt,
Sein Blick war starr, sein todtes Auge trocken,
Am Boden ringelten die dunkelblonden Locken
Sich ordnungslos umher, verworren und bestaubt,
Schwerathmend schien mit letzter Kraft sein Leben
Aus tiefer Brust gewaltsam fortzustreben,
Und mühsam nur, als er die Nahenden erblickt,
Entrang dies Wort sich ihm, in Seufzern oft erstickt:
 
18.
Seyd mir gegrüßt, ihr Todesboten!
Hier ist mein Haupt, o zögert nicht!
Mein süßes Glück, es schlummert bei den Todten,
Ihm folg' ich gern! Wohlan, vollzieht die blut'ge Pflicht.
Ich bin's, dem Harald's Gier den Vaterthron genommen,
Ich, dessen Blut sein wilder Haß begehrt.
Was zagt ihr noch? Wohl führt' ich einst ein Schwert,
Jetzt heiß' ich freundlich euch willkommen.
 
19.
O weh, du zartes Morgenroth
Der Hoffnung, süßer Mai der Liebe!
Wie ward so bald dein goldner Himmel trübe!
Du sel'ges Bild der Lust! so bist du kalt und todt?
Dir wollt' ich Glanz und Ruhm erstreiten,
Und ach, kaum find' ich jetzt für dich ein stilles Grab!
Weh mir! Du solltest nie zum Throne mich begleiten,
Drum folg' ich gern dir in die Gruft hinab.
 
20.
So ruft er und entblößt dem Schwerte
Die wunde Brust, und sieh, die erste Thräne rinnt
Aus seinem Aug' hervor. Der Held und sein Gefährte
Stehn staunend vor ihm da. Dich täuscht dein Wahn, beginnt
Der Paladin, nicht fordern wir dein Leben;
Der dich verfolgt, den fliehn auch wir,
Uns kettet gleiche Noth. Mit Freuden biet' ich dir
Zum Schutz und Trutz mein Schwert, doch Trost kann Gott nur geben.
 
21.
Er spricht's. Der fremde Jüngling starrt
Ihn düster an. Wohl kann nur Gott mich trösten,
Das Grab und Gott. – Des Lebens Bande lösten
Sich längst für mich; was künftig meiner harrt,
Das acht' ich nicht. – Mein Muth ist todt, zerstoben
Ist meine Kraft; Vertraun und kühner Sinn
Und Ruhm und Thatendrang, die sonst mein Herz erhoben,
Ach, Alles sank mit dir, geliebtes Bild, dahin!
 
22.
Wie friedlich schlummerst du, du schönste der Gestalten,
Die je im Traum der Ahnung mir erschien!
Dein Athem sehnt sich noch in deiner Brust zu walten,
Noch wollen Wang' und Mund in zarter Röthe blühn,
Das Leben scheint dich liebend festzuhalten,
Und warm sein letzter Kuß im Antlitz dir zu glühn;
Doch zagend muß mein Blick von dir hinweg sich wenden,
Dein Leben ist nur Traum, und jeder Traum muß enden.
 
23.
Er rief's und weinte laut und neigte schluchzend dann
Sein Haupt zurück. Der weiche Sänger sann
Schon lang' auf Hülf' und Trost. Einst hatt' ein weiser Meister,
Den er im fernen Land durch manches Lied geehrt,
Ihm alle Tugenden der flücht'gen Pflanzengeister,
Der Steine seltne Kraft, der Mischung Kunst gelehrt,
Und oft schon ward durch sein geheimes Wissen
Der offnen Gruft ihr sichrer Raub entrissen.
 
24.
Auch jetzt vertraut er ihm und betet still zu Gott
Und spricht: Die Grenz' ist schmal, die Seyn und Nichtsein scheidet,
Und oft schon hat dem finstern Feind zum Spott
Das Leben in's Gewand des Todes sich gekleidet.
Du sagst, noch blühe frisch und schön
Die Hülle deiner Braut? Nicht rath' ich dir zu hoffen;
Doch manches schwere Ziel hat schon die Kunst getroffen,
Und Gott ist groß, drum laß die Schlummernde mich sehn.
 
25.
Er spricht's. Der Jüngling springt mit plötzlichem Entzücken
Vom Boden auf. Der Hoffnung schwächster Schein
Nimmt siegend schon sein ganzes Wesen ein:
Lust lacht um seinen Mund und glänzt in seinen Blicken
Und hebt sein Herz hoch auf. O Gott, du sendest Tag
In meine Gruft! Du hörtest auf mein Rufen!
So jauchzt er laut und fliegt die Wendelstufen
Im alten Thurm empor und zieht den Sänger nach.
 
26.
Der Held und seine Freundin bleiben
Am Fuß der Treppe stehn und wünschen Heil und Glück
Auf Reinald's Hand herab. Und horch, ein freud'ges Treiben
Beginnt im obern Thurm, und mit verklärtem Blick
Kehrt Reinald jetzt in banger Hast zurück;
Erstaunen, Lust und Angst betäuben
Sein Ohr, er hört sie nicht und eilt dem Blitze gleich
Durch Hall' und Thür und schwindet im Gesträuch.
 
27.
Sie schaun ihm forschend nach; und sieh, mit mancher Pflanze,
Die mild im duft'gen Schooß lebend'ge Kraft verschließt,
Kehrt er zurück. In freudigen Thränen fließt
Sein Aug' und senkt mit ungewohntem Glanze
Sich auf Cäcilien, schon will ein fröhlich Wort
Gewaltsam ihm entfliehn; doch hastig stürzt er fort
Die Stieg' empor und ruft: O bleibt! laßt euch beschwören!
Nur jetzt noch naht euch nicht! Bald sollt ihr Alles hören.
 
28.
Erstaunt verziehn sie noch; da schallt es hell herab:
Sie lebt, sie lebt! Das finstre Grab
Gab seinen Raub zurück! Kaum rastet jetzt noch länger
Des Ritters Ungeduld, da naht
Mit schnellem Schritt der treue Sänger.
In seinem Auge lacht die schön gelungne That,
Doch zagend, daß die Lust des Fräuleins Herz zu mächtig
Erschüttre, spricht er prüfend und bedächtig:
 
29.
Du siehst, wie heitrer Glanz das Auge mir verklärt,
Wie meine Wangen sich in freud'ge Röthe kleiden,
Dir gilt dies Herz voll Lust! Ach, alle meine Freuden
Sind ja die deinen nur, dein Kummer nur beschwert
Mein Herz allein! Sey stark! Oft hat in düstern Tagen
Dein heil'ger Muth dem nächtlichen Geschick
Unwandelbar getrotzt, o lerne jetzt das Glück,
Das unverhofft dir naht, ertragen!
 
30.
Ich weiß es ja, wie sehr du sie geliebt,
Die freundlich durch den Lenz der Jugend dich begleitet,
Die Arglist dir geraubt, die Gott dir wiedergibt!
O bebe nicht! sie ist dir nah, sie breitet
Die Arme nach dir aus, die freud'ge Hoffnung schmiegt
Sich tröstend an ihr Herz und nimmt dem frühern Grame,
Dem Tode selbst sein Gift, sie lebt, dein theurer Name
Hat jeden düstern Geist der schwarzen Nacht besiegt.
 
31.
Er spricht's. Von rascher Lust erbeben
Des Fräuleins Knie. O Strahl der Seligkeit,
So ruft sie aus, o Glück, o süßes Leben
In todter Brust, o holde Adelheid,
Dich soll ich wiedersehn? Wo ist sie? Komm, o führe
Mich hin zu ihr! O komm! Nach ihren Blicken sehnt
Zu lang sich schon mein Herz und zittert bang und wähnt,
Daß es durch Zögerung noch einmal sie verliere.
 
32.
Sie ruft's, sie eilt empor, sie öffnet das Gemach.
Da ruhte sanft im ersten heitern Lichte,
Das siegend jetzt der junge Tag
Aus Wolkenduft gesandt, mit hellem Angesichte
Der Schwester zartes Bild. Sie fliegt hinzu, sie sinkt
An's Lager hin, ihr brünst'ger Arm umschlingt
Die Langverlorene, wehmüth'ge Thränen brechen
Hervor, sie seufzt tief auf und sucht umsonst zu sprechen.
 
33.
Mit lautem Wonneruf erhebt
Sich Adelheid. Gewaltsam ringt die Freude
In ihrer Brust, sie lacht, sie weint im süßen Leide
Der raschen Lust, ihr voller Busen bebt
Und athmet schnell. Doch sieh, schon löst der Sturm allmählig
In weiche Ruh sich auf, die zarte Trösterin
Der schönen Brust, die Wehmuth, naht, und selig
Und friedlich sinkt ihr Blick auf ihre Schwester hin.
 
34.
So zittert im Krystall der Quelle,
Die ein entrollter Stein zum raschen Spiel bewegt,
Der Rose blühndes Bild. Noch ringen Well' und Welle,
Stets wandelt sich der Kelch, im irren Silber regt
Sich wunderbar sein Glanz; doch immer schwächre Kreise
Verschmilzt die Fluth, schon ist der Kampf gestillt,
Die reine Tiefe lacht, und freundlich schwimmt und leise
Im ruhig klaren Born das unbewegte Bild.
 
35.
Mit fest verschlungnem Arm umschließen
Die holden Jungfraun sich, ihr trunk'nes Auge scheint
Tief in des Andern Blick sein Leben zu ergießen,
Mund ruht an Mund, ihr Busen klopft vereint,
Verschwistert weht ihr Hauch, zusammenrinnend grüßen
Die heißen Thränen sich, die Beider Auge weint,
Und halberstickte Laute drängen
Sich aus der freud'gen Brust, die Schmerz und Lust beengen.
 
36.
Die stillgefaltnen Hände legt
Der Ritter auf sein Herz und blickt mit nasser Wange
Zur Sonn' empor. Der fromme Sänger schlägt
Die Harfe zitternd an und ehrt mit leisem Klange
Den heil'gen Augenblick. Doch unbeweglich kniet
Der fremde Held, er betet nicht, er sieht
Nur still zu Gott empor, Gedank' und Will' entschwinden
Der trunknen Brust, er kann nur schweigen und empfinden.
 
37.
Doch als die erste Fluth der raschen Lust verrauscht,
Und Jeder für den Sturm, der ihm im Busen wehte,
Den milden Hauch des Friedens eingetauscht,
Da hob von ihrer Lagerstäte
Sich Adelheid empor. Schon war die letzte Spur
Der Krankheit fast vertilgt, des Auges Schmachten nur
Und nur das bleichre Roth der sanftgefärbten Wangen
Bezeugten noch die Nacht, die eben sie umfangen.
 
38.
So glänzt der frische Schnee, der ferne Berg' umzieht,
Mild angehaucht von leiser Röthe,
Wenn zart des Abends Saum im Rosenschimmer glüht;
So strahlt auf buntem Blumenbeete,
Wo mancher Rosenkelch im linden Weste bebt,
Das Silberlicht des Thaus; so webt
Ein flüchtig heller Glanz sich um die duft'gen Ranken,
Die schwer von blühndem Schmuck in's Quellgeriesel sanken.
 
39.
Schon steht sie freundlich da. Mit holden Worten naht
Dem Sänger sie zuerst: Du traulicher Gespiele,
So spricht sie sanft, der auf dem heitern Pfad
Der frühen Jugend schon die kindlichen Gefühle
Der Lust mit uns getheilt, jetzt führt die süße Pflicht
Des Dankes mich zu dir. Du weißt es zu erklären,
Was schweigend oft in meinem Auge spricht,
Und wirst den stolzen Prunk der Worte gern entbehren.
 
40.
Und du, so fährt sie fort und blickt mit zarter Gluth
Den fremden Jüngling an, du, der so treu mich liebte,
Den ich so lang durch kalten Schein betrübte,
Verzeih mir meinen Stolz, er ist mein schönstes Gut.
Nicht läßt mein Herz sich gern ergründen,
Im weiblichen Gemüth regiert wie Frühlingswehn
Der reine Hauch der Zucht. Süß ist es, zu empfinden,
Doch schwer, Empfindung zu gestehn.
 
41.
Du hast mit treuem Sinn nach meiner Huld gerungen
Und nur mein Glück, nicht meinen Dank begehrt,
Hast schweigend dein Gefühl und deinen Schmerz bezwungen,
Dir weicht mein freies Herz, du bist des Sieges werth.
Gern reich' ich dir in dieser heil'gen Stunde,
Worin zum zweiten Mal mein Leben sich erneut,
Worin mir Gottes Gunst so theure Zeugen beut,
Die jungfräuliche Hand zum ew'gen Liebesbunde.
 
42.
Sie sprach's und sah, von zartem Roth umspielt,
Und doch mit sichrer Ruh, mit heitrer Seelenhelle
Den Ritter an. So schimmert in der Welle
Des glatten Sees, worin die Abendgluth sich kühlt,
Der Liebe goldner Stern. In stummer Wonne kniete
Der Jüngling vor ihr hin, aus seinem Auge sprühte
Die alte Kraft, und größer anzusehn
Erhob sich jetzt der Held, durch Muth und Liebe schön.
 
43.
Mit trautem Wort begrüßten Alle
Den neuen Freund. Bei flücht'gem Harfenklang
Erhob des Sängers Kunst mit freud'gem Liederschalle
Der Sehnsucht stillen Schmerz, der Minne süßen Dank.
Des Ritters Auge traf, von leisem Kummer trübe,
Cäcilien; doch ihren Geist erkor
Jetzt reine Lust zum Sitz, und reich an heil'ger Liebe
Sah erst ihr Blick auf ihn und dann zu Gott empor.
 
44.
Als jetzt die weiche Ruh der zarten Wehmuth schwindet,
Da fördert Alles, rings in freud'ger Hast gesellt,
Den traulichen Verein. Mit scharfem Schwerte fällt
Der Ritter dürres Holz, der flinke Sänger zündet
Ein lust'ges Feuer an, indeß der fremde Held
Mit Pfeil und Bogen sich durch Dorn und Dickicht windet
Zum Raub der Jagd, und am verfallnen Herd
Das holde Schwesterpaar die rasche Flamme nährt.
 
45.
Schon sitzt der frohe Kreis beisammen,
Und wirthlich beut der Tisch ein ungeschmücktes Mahl,
Hell knisterten die flücht'gen Flammen,
Und laue Milde schwamm im hochgewölbten Saal;
Reicht schwand die Zeit im raschen Spiele
Der heitern Lust, im Reiz der zarteren Gefühle,
Und Keiner fast vernahm, wie mit gewalt'gem Flug
Der feuchte Sturm die öden Mauern schlug.
 
46.
Jetzt ist das Mahl vollbracht. Indeß nun immer wilder
Der Wind die Fähnlein dreht und um die Zinnen saust,
Und wärmer stets und freundlicher und milder
Der sichre Thurm die Traulichen behaust,
Hebt Jeder an dem Andern zu erklären,
Wie nach so langer Trennungsnacht,
Nach mancher Lust, nach manchen bittern Zähren
Die Vorsicht ihn zu diesem Thurm gebracht.
 
47.
Zuerst beginnt Cäcilie die Leiden
Der heil'gen Fahrt; doch liebevoll verschweigt
Die Zärtliche, daß bald des Himmels Ruf vielleicht
Noch einmal sie von ihrer Schwester scheiden,
Auf immer scheiden wird. Sie hüllt den großen Schwur,
Der jetzt an Adalbert und an den Tod sie kettet,
In täuschend Dunkel ein und schreibt dem Zufall nur
Die Leiden zu, woraus sie Gott errettet.
 
48.
Mit tiefem Mitgefühl vernimmt
Der Schwester zartes Herz die seltnen Abenteuer
Und fühlt sich wechselweis zu Freud' und Schmerz gestimmt;
Bald zagt sie bang, bald webt der Rosenschleier
Der Lust sich um sie her. So wallt an heitern Höhn,
Wenn fern am Himmelssaum die Strahlen schon erstarben,
Sanft angehaucht von lindem Dämmrungswehn,
Der Wolken leichter Duft in tausend bunten Farben.
 
49.
Du edles Herz, so ruft sie aus und weint
An ihrer Brust und hält sie fest umschlungen:
Ich bin zum Dank zu arm! Doch daß dein Werk gelungen,
Daß jetzt der Himmel uns so wunderbar vereint,
Das ist dein schönster Lohn! Jetzt sollen nie die Leiden
Der Trennung sich erneun! Wie unser Loos auch fällt,
Mit dir erduld' ich's gern, und nimmer soll die Welt,
Das dunkle Grab nur soll uns scheiden!
 
50.
Zu tief empfand auch ich der Trennung bittre Pein,
Viel leichter schien es mir der Freiheit zu entsagen
Als dir. Nicht hätt' ich's lang ertragen,
Du reines Herz, von dir entfernt zu seyn.
Zwar nahte meinem dunkeln Leben
Sich tröstend oft ein heitrer Sonnenblick;
Doch fühlt' ich nie ein ungetrübtes Glück,
Bis Gott mir dich zurückgegeben.
 
51.
Du weißt es, wie die Räuberschaar
Im Hain mich überfiel! Wie zittert' ich, wie flehte,
Wie weint' ich laut, wie rief im Drange der Gefahr
Ich bald den großen Gott in feurigem Gebete,
Bald dich um Rettung an! Umsonst, man riß mich fort
Ins Thal, wo schon bereit die flücht'gen Rosse standen,
Und manche rauhe Hand, noch roth von blut'gem Mord,
Ergriff mich und umflocht mich eng mit ehrnen Banden.
 
52.
Rasch ging's durch's nächtliche Gefild
Zum größern Zug dahin. Gern will ich dir verhehlen,
Wie grausenvoll des Krieges blut'ges Bild
Mich jetzt umgab; wer kann den Jammer zählen,
Den freche Willkür schafft? Das gräßliche Panier
Des Frevels flatterte hoch über Blut und Flammen,
Laut jauchzten Grimm und Hohn und wilde Raubbegier,
Und alles Heil'ge sank in Staub und Schutt zusammen.
 
53.
Ach kennst du wohl ein härtres Loos,
Als Unrecht anzusehn und Haß und bittre Thränen,
Wenn du nicht rächen, nicht versöhnen,
Nicht hülfreich lindern kannst? Oft ward das Herz mir groß,
Oft zürnt' ich tief empört vom blutigen Gewühle,
Daß Banden nur mein Arm, kein Schwert der Rache trug;
Doch fand ich bald, zum zarten Mitgefühle
Sey selbst das ärmste Herz noch immer reich genug.
 
54.
Schon nahten wir dem weiten Meersgestade,
Bunt flatterten die Wimpel schon daher,
Unendlich dehnten sich die unwirthbaren Pfade
Der Wogen vor mir aus, und rauschend schwoll das Meer
Am Ufer auf und höhnte meine Klagen
Mit fühllos dumpfem Laut, schon stießen wir vom Strand,
Schnell flohn die Schiffe fort von leichter Fluth getragen,
Die Segel wallten hoch, und – Deutschlands Küste schwand.
 
55.
Wie streckt' ich weinend jetzt und sehnsuchtsvoll die Arme
Zum fernen Ufer aus! Bald klagt' ich laut und rang
Die Hand' im bittern Leid, bald schwieg im stummen Harme
Die kalte Brust, und auf die Fluthen sank
Mein Blick und sann auf Tod. O weh, ihr zarten Freuden
Der Kindheit! Holdes Land, das freundlich uns genährt!
Vertraulich lieber Kreis am väterlichen Herd!
Wie bitter ist's, von euch zu scheiden!
 
56.
Allein ihr kennt es ja, dies arglos heitre Herz,
Das mir zum süßen Trost der gute Gott beschieden,
Des Geistes klare Ruh, den stillen Seelenfrieden,
Den kühnen Stolz, der nie verzagt dem Schmerz
Sich lange beugt und ohne feiges Klagen
In stiller Brust ein großes Leid verhehlt.
Wohl hat das Glück vor Vielen mich erwählt,
Mich kindlich stets zu freun, doch männlich zu ertragen.
 
57.
So bändigt' ich auch jetzt des Schicksals harten Zwang.
Wenn Ketten auch den matten Arm umwanden,
Wenn herrisch auch das Wort der Räuber oft erklang –
War ich nicht frei? Der trägt verdiente Banden,
Wer feig in ihnen zagt. Mit kaltem, strengem Blick
Verachtet' ich die Schaar, die mir gebieten wollte,
Und zeigte kühn, daß trotz dem knechtischen Geschick
Kein knechtisch Blut in meinen Adern rollte.
 
58.
Schon hatten wir der Dänen Strand erreicht,
Und prangend zog die Schaar mit ihrer reichen Beute
In Lethra's Mauern ein. Von meinem Loos erweicht,
Nahm in ihr dienendes Geleite
Die Königin mich auf. Wohl schien es oft mir schwer,
Den freien Sinn nach fremdem Wink zu lenken;
Allein so nah dem Thron besorgt' ich auch nicht mehr,
Es werde niedre Schmach die edle Jungfrau kränken.
 
59.
Ich ward zur Wärterin der Blumen ausersehn,
Die farbenhell auf buntgeschmückten Beeten,
Bekränzt von sonnenreichen Höhn,
So selten nur die feuchten Stürme wehten,
Die Burg umdufteten. Wohl konnt' im Sclavenstand
Des Himmels Gunst mir nie ein schönres Loos bescheiden
Als dies, worin mein Herz der Kindheit erste Freuden,
Das friedliche Geschäft der Heimath wiederfand.
 
60.
Und wenn mit kühlem Trank die Blümlein ich erquickte,
Träumt' ich zu dir mich hin. Solch eine Rose war's,
So dacht' ich, die so oft zum Schmuck des seidnen Haars
Cäcilie sich im Thau der Frühe pflückte!
Die Glöcklein haben oft an ihrer Brust geglänzt!
Und hat der Efeu dort, der flatternd von den Aesten
Herniederhängt, nicht oft bei unsern Kinderfesten
Der Grotten kühle Nacht mit frischem Grün bekränzt?
 
61.
Dann konnt' ich still in süße Träume sinken:
Dich wähnt' ich dann im Haine zu erspähn,
Im klaren Quell sah ich dein Bild mir winken,
Und kosend flüsterte in zarter Blätter Wehn
Dein Laut zu mir heran. Oft pflückt' ich frische Blüthen,
Um hold, wenn du erschienst, dir einen Kranz zu bieten,
Und wenn ein leiser Schritt mein grünend Reich betrat,
Dann rief ich oft: Horch, horch, die süße Schwester naht.
 
62.
Wie tröstend war es mir, so manches Lied zu singen,
Das Reinald uns gelehrt! Wenn dann im Tannenhain
Am Felsenhang mit leisern Schwingen
Die Lüfte säuselten, und heller vom Gestein
Der Quell sich niedergoß – dann wähnt' ich, dich zu hören,
Wie du mit fernem Harfenspiel
Mein Lied begleitetest. Wohl täuscht' ich mein Gefühl;
Doch ach, wer wollte wohl nicht gern sich so bethören?

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