Ernst Schulze
Cäcilie
Ernst Schulze

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(Neunter Gesang.)

65.
                      So schifften sie dahin durch unterird'sche Räume,
Und nächtlich flutheten die Wogen um sie her,
Und Inseln hoben oft wie ungestalte Träume,
Und rauhe Klippen oft sich aus dem wüsten Meer;
Eintönig plätscherten vom Ruderschlag die Wogen
Und murmelten und schluchzten nah und fern,
Kein Strahl erleuchtete, kein freundlich heller Stern
Die finstre Bahn, worauf sie weiterzogen.
 
66.
Da steigt ein schroffer Strand aus fernem Meer hervor,
Verwoben und verhüllt in graue Nebelschleier,
Die Klippen ragten dort, wie mächt'ge Abenteuer,
Unförmlich, wildgemischt und schroff gezackt empor.
Auch schallte schauerlich aus jenen Felsenöden
Ein dumpf Gezisch und grimmiges Gestöhn;
Und als die Schiffenden besorgt hinübersehn,
Beginnt dies Wort der Zwergenfürst zu reden:
 
67.
Dort, wo der graue Fels am Strande niederhängt,
Vertieft sich eine Kluft, verwahrt mit ehrnen Thoren,
Und alles Scheußliche, was je die Nacht geboren,
Ist, eng gefangen, dort in ihren Schlund gezwängt.
Gluthsausend, giftgeschwellt, vielköpfig, tausendstimmig
Und tausendfach verwebt, feindselig, stark und grimmig
Liegt dort, vom Fels gepreßt, genährt von schwarzem Blut,
In tiefer Finsternis die grause Schlangenbrut.
 
68.
Von ew'ger Zwietracht ist die wilde Schaar entzündet,
Und Keiner kennt den Feind, der zornig ihn umschlingt,
Und qualvoll auf und nieder windet
Sich stets der dunkle Kampf, und Alles wühlt und ringt
Im gräßlichen Gedräng, und auf verschlungnen Pfaden
Zerfleischt manch Ungethüm ergrimmt
Den eignen Riesenleib, der mannichfach gekrümmt
Sich ihm entgegenbäumt, und wähnt dem Feind zu schaden.
 
69.
Nie hat der Sonnenstrahl ihr rothes Aug' erhellt,
Und milde Wärme nie die kalte Brust empfunden,
Nie mit dem Gleichen dort das Gleiche sich verbunden,
Was grimme Löwen doch und Tiger selbst gesellt.
Nein, wenn im Kampf aus glühndem Rachen
Der gift'ge Geifer träuft und mit dem Blut sich mischt,
Entsteht die junge Brut, die, kaum noch im Erwachen,
Der eignen Mutter schon zum Streit entgegenzischt.
 
70.
Wohl wird von Zeit zu Zeit durch dunkle Felsenritzen
Der Ungeheuer eins zur lichten Welt gesandt,
Bald, um verborgnes Gold zu schützen
Vor frecher Menschengier und ungerechter Hand,
Bald, um das sünd'ge Blut der Frevler zu versprützen,
Von denen Gottes Blick im Zorn sich abgewandt,
Bald als ein warnend Bild vor künft'gen GräuelthatenBald als ein warnend Bild von künftigen Greuelthaten – Solche ungeheure Schlangen, die, wenn sie sich zeigten, auf große Revolutionen hindeuteten, führt Olaus Magn. L. XXI. C. 43. an. Eine derselben pflegte sich an der norwegischen Küste, nicht weit von Bergen, zu zeigen, eine andere, welche die Vertreibung des Königs Christian angedeutet haben soll, auf der Insel Moos. Die erstere soll über 200 Fuß Länge und 20 Fuß Breite, die andere 58 Ellen Länge gehabt haben. ,
Vor Krieg und Königsmord und Untergang der Staaten.
 
71.
Und schaudernd schifften sie vorbei im bangen Wahn,
Als werde krachend jetzt der Felsen sich zerspalten,
Und, riesenhaft verzerrt zu grausen Ungestalten,
Der fessellose Schwarm sich sinnverwirrend nahn.
Allmählig sahn sie jetzt ein Ufer sich entfalten,
Und eine stille Bucht umhegte bald den Kahn.
Und als sie angelangt, da kettet ihr Begleiter
Den Nachen an den Strand und führt sie schweigend weiter.
 
72.
Schon nahn sie sich der ungeheuren Kluft,
Wo zornerfüllt die wilden Winde hausen.
Von ferne schon umscholl den Pfad ein dumpfes Brausen,
Vom mächt'gen Flügelschlag erzitterte die Luft.
Unendlich gähnte dann vor ihrem Blick die Höhle,
Und fluthend wälzte sich ein breites Nebelmeer
Mit starkem Drang um alle Klippen her,
Als reg' unbändig hier sich eine Riesenseele.
 
73.
Und wie der Klang sich mischt, wenn ohne Wahl gesellt
Lieblos in einem Raum viel wilde Thiere weilen,
Das brüllt und jenes schnaubt, das wiehert, jenes bellt,
Das pfeift, ein andres lacht, die zischen, jene heulen:
So schallt ein grauenvoll Getön
Betäubend rings umher, der Boden wankt, es zittern
Gewölb' und Wand von starken Ungewittern,
Und jede Kraft erseufzt mit kläglichem Gestöhn.
 
74.
Noch schauerlicher ward in diesen leeren Weiten,
Wo jedes Bild vom neblichen Gewand
Verschlungen lag, der Töne grimmes Streiten,
Da nirgends sich ein Quell des grausen Aufruhrs fand.
Fast wähnen, vom Gewirr verzerrter Fieberträume,
Worin um's bange Ohr, gar wunderlich gemengt,
Des Schalls Empörung braust, die Wandrer sich bedrängt,
Und fliehn in banger Hast die grauenvollen Räume.
 
75.
Doch wie der Höllenschlund den weiten Rachen trennt,
Worin, von Ewigkeit entzündet,
Von fremder Qual genährt, die rothe Flamme brennt,
Und grimmiges Geheul der Schuld'gen Pein verkündet,
So liegt, als jetzt der Pfad um einen Fels sich windet,
Vor ihrem Blick des Feuers Element.
Sie stehn und schaudern rasch zurück vor diesen Pforten
Und trauen zögernd nur des Zwerges Wink' und Worten.
 
76.
Aus einem jähen Schlund, um welchen schwarzgebrannt
Und ihrem Sturze nah die Klippen sich gestalten,
Erhebt mit wandelbarem Walten
Die Gluth ihr züngelnd Haupt und leckt den Felsenrand
Mit hungriger Begier, empor und nieder ringen
Die raschen Flammen sich, und dunkel steigt der Dampf
Zu Riesenbildern auf und wogt im ew'gen Kampf,
Als woll' er jetzt die Gluth, jetzt ihn die Gluth verschlingen.
 
77.
So schäumt im Wellenspiel das ungeheure Meer
Und treibt die wilde Fluth unbändig hin und wieder;
Doch lastend legen sich die Wolken rings umher
Und schlagen stürmisch oft die hohen Fluthen nieder.
Doch was die Woge kaum zu Boden hingedrückt,
Muß jetzt ihr neue Kraft und neuen Schwung verleihen,
Und wenn in's Meer auch oft die Wolken niederdräuen,
So wird auch oft die Fluth den Wolken nah erblickt.
 
78.
Tief unten gährt's von schmelzenden Metallen,
Von zähem Harz und flüssigem Gestein,
Und wie um andern Stoff die leichten Flammen wallen,
So kleiden sie sich auch in andern Farbenschein.
Gar lieblich mischt sich oft das Silber mit dem Grauen,
Im Blauen blitzt das Gold, und wie im Blätterkranz
Die zarte Rose glüht, so läßt sich in dem Glanz,
Der grünlich wallt, manch Purpurflämmchen schauen.
 
79.
Hier sind vor eurem Blick die Pforten aufgethan,
Begann der Zwerg, die ich zu nennen zage:
Tief unten wandelt hier auf ewig glühnder Bahn
Die unglücksel'ge Schaar und heult in grimmer Plage
Umsonst zum Himmel auf, denn keine Stimme dringt,
Kein Geist durch diese Gluth, die rettungslos verschlingt,
Und die vermögen nur zum Licht sich zu erheben,
In deren Hand der Herr die sünd'ge Welt gegeben.
 
80.
Denn mächtig rafft, wenn Gottes Ruf erscholl,
Die starke Gluth sich auf und stürzt die Felsenstirnen
Der Berg' in's Thal hinab, mit lang verhaltnem Groll
Zerreißt sie jedes Band und hebt mit lautem Zürnen
Sich frei zum Himmel auf; von glühnden Felsen saust
Die Luft, es bebt der Grund, die Woge zischt und braust,
Es donnert im Gewölk und in der Erde Hallen,
Des Menschen Werk versinkt, und Flammenströme wallen.
 
81.
Dann nahn die Geister auch, die Gottes Zorn gesandt,
Aus tiefer Nacht den irdischen Gefilden
Und thürmen grauenvoll sich um des Schlundes Rand,
Bewegten Wolken gleich und schwarzen Dunstgebilden.
Verderblich ziehn sie dann mit langgeschweifter Gluth
Am Himmel hin als leuchtende Cometen
Und drängen hart mit Seuch' und Wasserfluth
Das sündige Geschlecht und grimmen Kriegesnöthen.
 
82.
Noch spricht der Zwerg, noch schauen tiefbewegt
Die Wanderer hinab, da hebt mit wildem Ringen
Das Feuer sich empor und schlägt
Zur hohen Wölbung auf. An allen Wänden schlingen
Die Flammen sich umher, sie theilen sich und dringen,
Der gift'gen Hyder gleich, die tausend Zungen regt,
Auf die Erschrocknen ein, die vor den glühnden Pfeilen
Bald hier, bald dorthin fliehn und nach dem Ausgang eilen.
 
83.
Doch drohend hob das Zwerglein seine Hand
Und rief: Zurück! was brichst du deine Schranken,
Unbänd'ge Gluth? Und zitternd floh der Brand
Und krümmte sich im Schmerz, und von den Felsen sanken
Die Flammen rasch hinab, und mit gebundner Wuth
Erstöhnt' und murmelte in tiefer Kluft die Gluth
Und schleuderte mit eitlem Zorn nach oben
Kraftlose Funken auf, die in der Luft zerstoben.
 
84.
Und als sie jetzt im nächtlichen Gebiet
Manch Wunder noch gesehn, manch weises Wort vernommen,
Da wandeln sie zurück mit sinnendem Gemüth
Auf irrer Bahn, halb freudig, halb beklommen.
Schon zeigt sich wiederum, vom heitern Schmuck umblüht,
Der holde Zauberhain, aus dem sie hergekommen,
Und freundlich führt der Zwerg auf buntem Pfad sie fort
Zu einer Marmorkluft und redet dieses Wort:
 
85.
Was nie des Menschen Geist begriffen und gedeutet,
Das Alles hat sich jetzt euch willig aufgethan.
Nur wer mit stillem Sinn durch's wilde Leben schreitet,
Vom bangen Zweifel fern und fern vom stolzen Wahn,
Der darf allein sich heil'gen Dingen nahn,
Und nur für Kinder ist das Himmelreich bereitet.
Drum sey auch euch, ihr Frommen, offenbart,
Was am verborgensten die tiefe Nacht bewahrt.
 
86.
Wie leis' in dunkler Kluft der Keim der jungen Saaten,
Noch fern dem Licht, zum Leben schon erwacht,
So gaukeln dämmernd oft die Bilder künft'ger Thaten,
Den Träumen gleich, durch unsre stille Nacht
Und lassen deutungsvoll den klugen Sinn errathen,
Was Gott in später Zeit den Menschen zugedacht.
Er spricht's und hebt den Stab und ruft geheime Worte,
Da öffnet im Gestein sich eine hohe Pforte.
 
87.
Sie treten ein, und ihrem Auge zeigt
Im Dämmerlicht sich eine weite Halle,
Worin, dem Spiegel gleich, von glänzendem Krystalle
Die glatte Wand empor zur hohen Wölbung steigt.
Und wie der frühe Duft mit wandelbaren Wogen
Von Winden aufgewiegt das helle Licht umwebt,
So ist mit grauem Duft der Silberglanz umzogen,
Der leuchtend im Krystall mit stillen Schwingen schwebt.
 
88.
Doch nach und nach beginnt im dunkeln Zauberspiegel
Durch's todte Dämmergrau ein frischer Hauch zu wehn;
Beweglich sinkt und steigt der Duft mit raschem Flügel,
Scheint zitternd bald zu fliehn und bald zu widerstehn.
Hier schaut ein Thurm hervor und dort ein grüner Hügel,
Hier läßt ein Wald das Haupt und dort die Tiefe sehn,
Dort treibt ein breiter Strom mit sonderbaren Wellen
Die grauen Nebel fort, die ihm entgegen schwellen.
 
89.
Und als nun ganz die Dämmrung sich erhellt,
Da ist ein reiches Bild aus ihr hervorgegangen.
Von Wäldern grünt der Berg, mit Saaten wogt das Feld,
Und Städte blühn empor, und stolze Vesten prangen;
Hier zeigt sich ein Palast und dort ein Hirtenzelt,
Hier Meer vom Land umhegt, dort Land vom Meer umfangen,
Und Menschen wandern rings umher von Ort zu Ort,
Und durch die Wellen fliehn die weißen Segel fort.
 
90.
Die Länder, wo der Frost die Fluthen ewig bindet,
Und wo sein flammend Nest der edle Phönix baut,
Wo sich der Atlas thürmt, wo sich der Ganges windet,
Und wie im Ost die Nacht, der Tag im Westen graut,
Wo nie die Sonn' erscheint und wo sie nimmer schwindet,
Und wo sie schräg empor und senkrecht niederschaut,
Wo Strom, Gebirg und Meer und weite Wüsten trennen,
Das ließ im engen Raum sich hier vereint erkennen.
 
91.
Sie sahn auch jenes Land, wo einst in bittrer Pein
Der Sohn des Herrn für uns den Kreuzestod erlitten:
Wohl ist das heil'ge Grab demüthig, arm und klein,
Doch mancher Pilger kommt zu ihm herangeschritten
Und will vom Himmel dort sich Gnad' und Heil erbitten
Und am geweihten Ort sein sündlich Thun bereun;
Doch wehrt mit frecher Hand der Heiden wilde Rotte
Dem Volk der Gläubigen die Bahn zu seinem Gotte.
 
92.
Da häuft zum frommen Zug sich große Kriegesmacht,
Und tapfre Helden nahn aus allen Christenreichen,
Und manche kühne That wird rühmlich dort vollbracht,
Und hoch im Kampfe wallt das heil'ge Kreuzeszeichen.
Die Engel Gottes ziehn dem Heer voran zur Schlacht,
Es fällt die Heidenschaar von glühnden Schwertesstreichen,
Die stolze Veste sinkt, errungen ist das Grab,
Und hoch von Zion schaut das blut'ge Kreuz herab.
 
93.
Auch läßt sich fern auf grünem Bergeshange
Im frühen Morgenlicht ein heil'ger Sänger sehn,
Er rührt das Saitenspiel mit wunderbarem Klange,
Daß weit durch alle Welt die hellen Töne wehn,
Und was sein Aug' erblickt, das preist er im Gesange
Und mischt mit Lieb' und Lust das wilde Schlachtgetön.
Um seine Locken scheint ein goldner Glanz zu spielen,
Sein Geist schon jetzt den Ruhm, der einst ihn kränzt, zu fühlen.
 
94.
Dann zeigt sich uferlos der wilde Ocean,
Der um die Erde sich mit mächt'gen Fluthen windet.
Dort steuert kühn ein Held auf nie beschiffter Bahn
Und sucht das ferne Ziel, das ihm sein Geist verkündet.
Vergebens stürmt das wilde Meer,
Umsonst der eignen Schaar Empörung um ihn her,
Ihm können Noth und Zwang die innre Kraft nicht rauben,
Und eine neue Welt empfängt durch ihn den Glauben.
 
95.
Und ferner sahn sie jetzt, wie, durch Betrug erhöht,
An seinen Stuhl die Welt ein stolzer Priester kettet,
Und wie ein kühner Mann des Geistes Freiheit rettet,
Der unverzagt dem Wahn zum Kampf entgegen geht,
Wie Jene, die ihm traun, des Scheiterhaufens Gluthen,
Des Henkers Beil nicht scheun und für die Wahrheit bluten,
Und wie ein stolzer Fürst mit übermächt'gem Schwert
Der Deutschen freies Reich bewältigt und verheert.
 
96.
Da steigt von nordischen Gestaden,
Die Völker zu befrein, ein junger Held herab,
Und Recht und Wahrheit ziehn und Sieg auf seinen Pfaden,
Er bricht mit starkem Arm des Herrschers harten Stab.
Wohl muß die kühne Brust im eignen Blut sich baden;
Doch preist das freie Volk noch lang sein rühmlich Grab.
Wo im gerechten Kampf die ehrnen Schwerter klingen,
Da wird der deutsche Mann auch seine Thaten singen.
 
97.
Doch naht noch einmal sich ein übermüt'ger Knecht,
Der aus dem Staub zum Thron emporgestiegen:
Sein Gott ist seine Gier, sein Schwert nur ist sein Recht,
Hier herrscht er durch Gewalt und dort durch freche Lügen.
Vergebens waffnet sich das blutende Geschlecht,
Ihn treibt sein künft'ger Fluch und hilft ihm selber siegen;
Doch ist das Maß einst voll von Trug und Mord und Raub,
Hohnlachend tritt er dann den Sclaven in den Staub.
 
98.
Und sieh, es ist erfüllt! Vom ird'schen Wahne wenden
Die Völker sich zu Gott und flehn empor zum Herrn;
Dann fassen sie das Schwert mit unverzagten Händen,
Es tönt der Schlachtenruf der Freiheit nah und fern.
In ihren Reihen ist ein ehrnes Kreuz zu schauen,
Denn Gott ist ihre Kraft, ihr Schild und ihr Vertrauen.
Wenn Glauben, Ehr' und Recht zum heil'gen Kampfe gehn,
Muß leuchtend auch voran das Banner Gottes wehn.
 
99.
So großes Ungemach ist nimmer wohl erlitten,
Und damals selbst geschahn so große Thaten nicht,
Als auf der Erde noch die alten Helden stritten,
Wovon noch jetzt die Sage singt und spricht.
Gerüstet schwankt der Greis mit alterschweren Schritten,
Das Kind bewehrt die Hand mit eisernem Gewicht,
Dem Gatten reicht das Weib, die Mutter ihren Söhnen,
Dem Jüngling seine Braut die Waffen ohne Thränen.
 
100.
Wovor sich früher selbst des Mannes Herz gescheut,
Das thun und dulden jetzt demüthig edle Frauen,
Sie wandeln still einher im ungeschmückten Kleid
Und nahn dem blut'gen Bett des Wunden ohne Grauen.
Der wird durch mildes Wort, durch Pflege Der erfreut,
Und Allen lassen sie ihr tröstend Antlitz schauen
Und geben gern für schöneren Gewinn
Der edeln Steine Glanz, das goldne Kleinod hin.
 
101.
So wird durch große Kraft der große Sieg errungen,
Durch manches theure Blut das hohe Ziel erstrebt,
Der freche Dränger flieht verlassen und bezwungen,
Indeß ein friedlich Band die ganze Welt verwebt.
Heil Jedem, welcher einst in jener Zeit entsprungen,
Die unvergänglich fort in ew'gen Liedern lebt!
Heil Allen, die gekämpft! und Heil und Friede Allen,
Die in dem edeln Kampf geblutet und gefallen!
 
102.
So dämmerte der späten Tage Bild
Vor ihrem Geist empor mit wandelbarem Walten;
Doch schwinden nach und nach die luftigen Gestalten,
Und nur mit reinem Licht ist jetzt die Fläch' erfüllt.
Da nahn sie sich dem leuchtenden Gesteine,
Ob auch ihr eignes Bild in seinem Glanz erscheine,
Und Jeder bebt erstaunt und wähnt im süßen Traum,
Sich selbst zu sehn, und kennt die eignen Züge kaum.
 
103.
Auf einem Wolkenthron, den farb'ge Strahlen schmücken,
Sieht dort Cäcilie ihr holdes Bild erhöht;
Es strahlt ein heil'ger Ernst in ihren keuschen Blicken,
Sie schaut zum Himmel auf mit stiller Majestät,
In allen Zügen weilt ein seliges Entzücken,
Aus Lieb' und Huld gemischt und Sehnsucht und Gebet,
Der helle Morgen glüht auf ihrem Angesichte
Und schmückt das ganze Bild mit röthlich goldnem Lichte.
 
104.
Durchsichtig, klar, aus blauer Luft gewebt,
Ist um die zarte Form ein leicht Gewand gegossen,
Und aus dem Myrtenkranz, der in den Locken schwebt,
Wo sich die Stirne wölbt, ein Rosenkelch entsprossen;
Fast scheint's, als ob das Kleid, als ob die Locke bebt,
Als ob der Kranz sich regt, vom linden Hauch umflossen,
Und wie auf leiser Fluth der Sonnenschein sich bricht,
So schmückt den letzten Saum des Haars ein goldnes Licht.
 
105.
Viel' Engelbilder ruhn und spielen
Um ihre Herrin her, zum holden Dienst bereit:
Der scheint mit sanftem Wehn die Wangen ihr zu kühlen,
Indeß ein andrer ihr die goldne Harfe beut;
Den füllt Begeisterung mit stürmischen Gefühlen,
Der schlummert im Gewölk in stiller Seligkeit;
Und jener hebt das Haupt und scheint entzückt zu lauschen,
Als woll' ein süßer Ton den Saiten jetzt entrauschen.
 
106.
Doch wie, je reichlicher die bunte Blüthe sprießt,
Die Zweige tiefer stets in's Grün herniederhangen,
So trägt auch sie den Glanz, der sie umfließt,
Demüthig, still und ohne stolzes Prangen.
Ein lichter Kreis, wo Stern an Stern sich schließt,
Scheint wie ein goldner Reif das Bildniß zu umfangen,
Und feierlich bewegt mit immer gleichem Tanz
Sich um das stille Bild der hellgesternte Kranz.
 
107.
Doch plötzlich wird ein wunderbares Leben
In jeder Form erzitternd aufgeregt,
Der Athem weht, die raschen Pulse beben,
Die Farben wandeln sich, das Herz im Busen schlägt,
Die Harfe klingt, die Engel nahn und schweben,
Die Wolke schwimmt empor, vom leisen Hauch bewegt,
Und unter Chorgesang und hellem Saitenschalle
Zerrinnt das holde Bild in hochgewölbter Halle.
 
108.
Doch herrlich angethan mit leuchtendem Gewand
Erblickt sich Adelheid auf reichgeschmücktem Throne:
Anstatt des Scepters hält nur Myrten ihre Hand,
Doch in den Locken blitzt die königliche Krone,
Ein holdes Feuer ist in ihrem Aug' entbrannt,
Gleich zarter Lust und keuschem Liebeslohne;
Doch wie im klaren Bach die Silberwölkchen ziehn,
So scheint im tiefsten Blick ein Thränlein aufzublühn.
 
109.
Und was mit holdem Reiz und was mit stolzem Scheine
Die Augen lockt und unser Herz erfreut,
Das edle Gold, die köstlichen Gesteine,
Die Perle, die vom Thau den Silberschimmer leiht,
Das Alles lag in lieblichem Vereine
Und wechselnder Gestalt um ihren Thron verstreut.
Doch scheint sie kaum die Pracht, die sie umgiebt, zu fühlen
Und sinnig hingelehnt mit Schönerem zu spielen.
 
110.
Denn vielverflochten schlingt sich um das holde Bild
Ein Kranz von Blumen her und jungen Frühlingssprossen:
Hier ist die Blüthe noch vom grünen Rand umhüllt,
Dort kaum hervorgekeimt, dort glänzend aufgeschossen;
Mit hellem Thau ist jeder Kelch erfüllt
Und jeder frisch und süß vom eignen Duft umflossen,
Und durch die Blüthen schmiegt, bald hell und dunkel bald,
Das zarte Laub sich hin in wechselnder Gestalt.
 
111.
Auch fliegen leis' und leicht mit tausendfarb'gen Schwingen
Viel Vöglein um den Kranz und hüpfen durch das Grün:
Sie flattern hin und her, man hört sie lieblich singen
Und fühlt ein leises Wehn, wenn sie vorüberziehn;
Und manche Blüthe bebt von bunten Schmetterlingen,
Die naschend bald sich nahn und lustig bald entfliehn,
Und wenn sie in den Schooß der Blume still sich neigen,
Scheint aus dem schönen Kelch ein schönrer noch zu steigen.
 
112.
Wohl minder fröhlich war im glänzenden Gestein,
Doch sanft und mild der Sänger anzuschauen;
Ein Kreis von Wolken schloß den Rand des Bildes ein,
Und selten nur durchbrach ein Stern das nächt'ge Grauen;
Und in der Mitte schwamm ein abendlicher Schein,
Wehmüthig ernst, auf herbstlich bunten Auen;
Von falben Zweigen hing manch welker Kranz herab,
Doch grün und duftend hob im Haine sich ein Grab.
 
113.
Dort saß er still und blickte durch die Weiten
Und sinnend dann auf's nahe Grab zurück,
Versunken schien sein Geist in längstverblühte Zeiten,
In süßgeträumte Lust und nie errungnes Glück.
Bald rührt' er mächtiger und leiser bald die Saiten,
Und freundlich lächelte durch Thränen oft sein Blick;
Er schien ein tiefes Leid in seiner Brust zu hegen
Und wie sein leeres Gut den stillen Schmerz zu pflegen.
 
114.
So zeigte Jedem sich, von fremder Schrank' umhegt,
Sein umgewandelt Bild im glänzenden Krystalle.
Verstummt und träumerisch verlassen sie die Halle,
Von manchem Schmerz, von mancher Lust bewegt.
Und Keiner wagt es jetzt, den Andern anzusehen,
Und Keiner, was er sah, dem Freunde zu gestehen,
Und Jedes Seele treibt auf einem raschen Meer
Von Zweifel, Sorg' und Wahn und Furcht und Lust umher.
 
115.
Der Abend sank indeß mit rosenfarbnem Scheine.
Dort unten scheiden zwar sich nimmer Nacht und Tag;
Doch ahmte wunderbar in diesem Zauberhaine
Der Geister mächt'ge Kunst des Lebens Bilder nach.
Allmählig schienen sich die Wolken zu entfärben,
Der Steine bunter Glanz, der sonst die Kluft erhellt,
Begann im Blüthenkelch zu dämmern und zu sterben,
Und süß im Schlummer lag die unterird'sche Welt.
 
116.
Da führt der Zwerg die müden Gäste
Der Grotte zu, woraus der Quell sich drängt.
Dort hatten diamantne Aeste
Zum holden Laubendach gar traulich sich verschränkt,
Und weiches Moos, das selbst in ew'gen Finsternissen
Vom nackten Fels sein karges Leben leiht,
War für die Wandrer dort zum sanften Ruhekissen
Von Geisterhand gastfreundlich ausgestreut.
 
117.
Schon schliefen tief und süß die minniglichen Frauen.
Da saß der Sänger noch im bunten Zauberhain,
Um still in's leise Wehn der Nacht hinaus zu schauen,
Die flüchtig jetzt mit ungewißem Schein
Um alle Bilder hing. Es schlich ein süßes Grauen
Begeisternd sich in seinen Busen ein,
Und oft erschien es ihm, als ob in stiller Oede
Manch hold vertraulich Wort die Quelle mit ihm rede.
 
118.
Da ließ ein wunderbar Getön
Gespenstisch sich in weiter Ferne hören:
Bald scholl es hell empor zu luft'gen Geisterchören,
Und schien verhallend bald in Dämmrung zu vergehn,
Als wolle jetzt die Nacht ein tönend Kind gebären
Und ringe noch mit zweifelhaften Wehn.
Doch wurden nach und nach die Töne zu Gesängen,
Und nah und näher kam's aus dunkeln Felsengängen.
 
119.
Und sieh, da zog in seltsam neuer Tracht,
Mit goldnem Schmuck behängt und silbernen Gewändern,
Und fröhlich ausgeziert mit Kronen und mit Bändern,
Ein singend Zwergenchor durch's Dämmergrau der Nacht;
Behende drehten sich in vielverschlungnen Kreisen
Die Männlein hin und her und tanzten auf und ab,
Und schlugen mit dem Zauberstab
Das räthselhafte Maß zu ihren Sangesweisen.
 
120.
Und als der buntgemischte Chor
Dem Orte sich genaht, wo Reinald staunend lauschte,
Da sprang aus dichtem Kreis ein Zwergenbild hervor
Und bot ein Harfenspiel, das lieblich klang und rauschte,
Dem freud'gen Sänger dar. Im hellpolirten Rand
Schien jedes edle Erz sich künstlich zu vereinen,
Und prangend war an köstlichen Gesteinen
Das lichte Gold der Saiten ausgespannt.
 
121.
Und rauschend ließ er jetzt das goldne Spiel erschallen,
Daß weit der helle Ton durch alle Klüfte drang:
Aus tiefen Fernen her erwiderten die Hallen
Mit nachgeahmtem Ruf den unbekannten Klang,
Und lauter schien der Quell und gellender zu wallen
Und schwoll und zitterte mit graulichem Gesang,
Und wilder stets begann auf starkgeschlagnen Saiten
Der Tön' entfesselt Heer zu irren und zu streiten.
 
122.
Doch hob von neuem sich zum Tanz die leichte Schaar
Und schien sich wüster stets zu wirbeln und zu drehen:
Bald faßte sich der Kreis, und bald sich Paar und Paar,
Am Boden schwebt' es jetzt, und jetzt in luft'gen Höhen,
Und Jeder beugt' und warf die Glieder wunderbar,
Ließ stets in neuer Form mit kühnerm Sprung sich sehen,
Bis endlich rasch durch eine Felsenwand
In's Innre des Gebirgs der nächt'ge Zug verschwand.
 
123.
Und als in ferner Nacht die Töne jetzt zerflogen,
Und sich des Sängers Geist vom wilden Rausch erhob,
Da blickt' er in die Kluft, wo friedlich ausgegossen
Sich um die zarten Fraun der süße Schlummer wob.
Und leiser ließ er jetzt die goldnen Saiten klingen
Und paarte Ton und Ton mit künstlich holder Wahl,
Und still begann er dann ein luftig Lied zu singen,
Das, kaum gehört, sich durch die Dämmrung stahl:
 
124.
        Wo Felsen hangen
In Nacht und Grausen,
Wo Ströme brausen
In dunkler Kluft,
Da ist gefangen
Der Stern der Liebe
Und blinkt so trübe
Durch Wolk' und Duft.
 
125.
Die Felsen tragen
Ein Kleid von Golde:
So schließt das Holde
Der Kerker ein.
Einst wird es tagen,
Dem Königssohne
In seiner Krone,
Ein Kleinod seyn.
 
126.
Es spielt das Leben
Im Sonnenschimmer,
Zu uns dringt nimmer
Der Strahl herab.
Die Wälder beben,
Der Sturmwind waltet,
Kein Blitz zerspaltet
Das Felsengrab.
 
127.
Die Wellen schäumen
Im Meer dort oben,
Wo sich mit Toben
Die Brandung bricht;
Die Perlen träumen
Im sichern Hause,
Des Meers Gebrause
Erweckt sie nicht.
 
128.
Schlaft sanft, ihr Schönen,
Schlaft ohne Sorgen
Und träumt vom Morgen
In dunkler Nacht!
Von süßen Tönen
Erschallt die Oede,
Der Fels giebt Rede,
Der Sänger wacht.
 
129.
                  So schallte Reinalds Lied, und sanft umfing den Müden
Der weiche Schlummer jetzt. Das holde Gnadenpfand,
Das ihm bei'm nächt'gen Tanz der Zwerge Gunst beschieden,
Entglitt mit leisem Klang der hingesunknen Hand.
O schlummert sanft, ihr Frommen, träumt in Frieden!
Schon ist der Retter nah, den Gottes Wink gesandt.
Wenn droben auf der Welt die frühen Strahlen ragen,
Wird euch die dunkle Fluth in's helle Leben tagen.

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