Ernst Schulze
Cäcilie
Ernst Schulze

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Dreizehnter Gesang.

1.
                      Wie wüst die Haide liegt, wenn mit gewalt'ger Macht
Der Wolke Thor zerbrach, gesprengt von Blitz und Winden,
Und rings der Felsen Haupt, des Haines stolze Pracht,
Zerschmettert niedersank zu finstern Bergesschlünden;
Die Wasser brausen noch erzürnt durch Wald und Nacht,
Durch Schutt und Trümmer kann der Strom sein Bett nicht finden,
Das aufgejagte Wild durchstreift Gestripp und Flur
Und sucht umsonst die fortgeschwemmte Spur:
 
2.
So waltet jetzt in Lethra Furcht und Zagen,
Verworren läuft das scheue Volk umher,
Es drängen sich im Thore Roß und Wagen,
Die Gassen decken sich mit kriegerischer Wehr,
Erschlagne werden hier, dort Wunde fortgetragen,
Den stützt des Freundes Arm und Den der blut'ge Speer,
Wehklagend nahn sich Weiber, Greis' und Bräute
Und forschen, wer entflohn und wer erlag im Streite.
 
3.
Auf hoher Burg in Harald's Heldensaal
Vereint indeß in mitternächt'gen Stunden
Zum Rathe sich der Fürsten kleine Zahl,
Die nicht den Tod in harter Schlacht gefunden.
Nicht tönt die Halle jetzt vom lauten Heldenmahl,
Ein Jeder sitzt verstummt, gebeugt von Sorg' und Wunden.
Nur Skiold, der stets die Stirn dem drohnden Unheil bot,
Ist fester, als das Glück, und größer, als die Noth.
 
4.
Zum Frieden mag das Weib mit glatten Worten rathen,
So ruft er aus, dem Manne räth sein Schwert.
Geworfen sind des Schicksals dunkle Saaten,
Und wer erdrückt den Keim, den still die Zukunft nährt?
Wohl ist der späte Ruhm gewalt'ger Heldenthaten
Die ganze Kraft und Müh des kurzen Lebens werth;
Und kann mein Arm die Stadt nicht vor dem Feinde schirmen,
So mag ihr Schutt sich mir zum ew'gen Denkmal thürmen.
 
5.
So strebt, gelenkt von seines Stammes Fluch,
Der kühne Held dem Untergang entgegen,
Indeß Swanwithens Kind durch kräft'gen Zaubersegen
Die tiefen Wunden heilt, die ihr der Pfalzgraf schlug.
Als nun das Blut versiegt und sich die Schmerzen legen,
Da läßt ein altes Runenbuch,
Worin manch düstres Bild, manch wunderbares Zeichen
Verworren sich verschlingt, die Zauberin sich reichen.
 
6.
Wie oft im bunten Kranz sich Blum' an Blume reiht,
Verwebten künstlich hier in Liedern und in Sagen
Der Vorwelt Thaten sich, der Helden Lieb' und Streit,
Der Harfen ferner Klang aus längst verblichnen Tagen.
Hier schaut Thorild' umher und will von alter Zeit
Für gegenwärt'ge Noth sich Rath und Trost erfragen.
Umsonst durchläuft ihr Blick manch dunkles Wunderlied,
Bis diese Mähr ihr ernst vorüberziehtBis diese Mähr' ihr ernst vorüberzieht – Diese Episode ist, den Hauptumständen nach, aus einer der berühmtesten alten nordischen Sagen, der Hervararsage, entlehnt, obgleich ihre Verwebung in das Gedicht sehr viele Veränderungen, Abkürzungen und Erweiterungen forderte. Deutsch findet man die Hervararsage im ersten und zweiten Theile von Bragur, obgleich unpassend, erzählt, und eine mit ihr verwandte Ballade in Grimm's altdänischen Heldenliedern. :
 
7.
Wo von des Thalland's Höhn erzürnte Wogen fallen,
Und stets im Sturm die Fichte saust und kracht,
Da hauste rüstig einst in ew'gen Felsenhallen
Ein Schmidt von seltner Kunst und starker Zaubermacht.
Stets hörte man von fern die ehrnen Hämmer schallen,
Die Gluth erhellte stets der Tannen tiefe Nacht,
Und immer dröhnte dort vom Klang der Runenlieder,
Sobald das Werk begann, des Felsens Wölbung wieder.
 
8.
So schneidend ward kein andres Schwert,
So fest kein Helm, kein Schild so stark erfunden,
Als die Ingello's Hand auf zauberischem Herd
Gehärtet und gefügt in mitternächt'gen Stunden.
Drum ward sein Nam' auch weit im Schwedenland geehrt,
Sein Ruhm ertönte laut in manchen Schlachtenkunden,
Und zog ein tapfrer Held zum fernen Krieg hinaus,
So grüßt' er gern vorher des starken Schmidtes Haus.
 
9.
Nun schiffte zu denselben Zeiten
Held Arngrim weit durch's Meer, von wildem Muth entbrannt,
Um edlen Siegesruhm und Raub sich zu erbeuten,
Und kam nach mancher Fahrt auch an den Schwedenstrand.
Dort zog er kühn umher, die Helden zu bestreiten,
Die ihm der ferne Ruf die tapfersten genannt.
Allein, wie mancher auch mit ihm den Kampf begonnen,
Noch war kein einziger vor seinem Schwert entronnen.
 
10.
Nicht war ein starker Helm des Hauptes Schirm und Wehr,
Kein ehrner Panzer barg die ungeheuern Glieder;
Um Leib und Wange zog ein Drachenfell sich her
Mit weitgespaltnem Schlund und schuppigem Gefieder,
Es ragt' in seiner Hand ein riesenhoher Speer,
Und von den Hüften hing ein breites Schwert hernieder.
So ging er in den Streit, den Freunden schon ein Graun,
Doch wie ein grimm Gespenst den Feinden anzuschaun.
 
11.
Denn stets, sobald beim Kampf mit wildern WellenDenn stets, sobald bei'm Kampf mit wildern Wellen – Man findet in den nordischen Sagen mehrere Beispiele einer solchen unnatürlichen Kampfwuth, die gewöhnlich die erbliche Eigenschaft eines Geschlechts war.
Der schwarze Zorn in seiner Brust sich hob,
Begann sein Herz von Wahnsinnswuth zu schwellen,
Er knirschte laut, er bebte, schäumt' und schnob,
Ein gräßlich Roth begann sein Antlitz zu erhellen,
Indeß aus seinem Blick ein sprühend Funkeln stob,
Und grauser schallte dann, als wenn in Gier und Grimme
Die Brut der Wüste heult, die vielfach wilde Stimme.
 
12.
Und nahm ihn plötzlich einst der rasche Wahnsinn ein,
Und trat kein Feind ihm zum Gefecht entgegen,
Dann tobt' er ohne Rast auf ungebahnten Wegen,
Laut brüllend, wild verzerrt, durch Thal, Gebirg und Hain;
Die Bäume stürzten rings von seines Schwerter Schlägen,
Die Klüfte donnerten, getroffen vom Gestein.
Der Normann pflegt dies gräßliche Entbrennen
Unsel'gen Zorns Berserkerwuth zu nennen.
 
13.
Doch als sein gutes Heldenschwert
Ihm klirrend einst zersprang im hartgekämpften Streite,
Da trat er an Ingello's Herd,
Daß er mit kluger Kunst ein neues ihm bereite.
Wohl ward von diesem ihm, der sein Ergrimmen scheute,
Die trotz'ge Bitte leicht gewährt,
Obgleich sein starker Arm ihm noch vor wenig Tagen
Im wilden Kampf den treusten Freund erschlagen.
 
14.
Und zu der Esse trat der finstre Zauberschmidt
Und ließ die rothe Gluth auf dunklem Herd entbrennen
Und schmiedete das Schwert, das sie den Tyrfing nennen,
Das wie durch dürres Laub durch ehrne Waffen schnitt.
Wohl war es scharf genug, den leichten Flaum zu trennen,
Der auf des Stromes Fluth ihm rasch entgegenglitt;
Doch als ein graus Geleit den künstlich edlen Gaben
War dieser Zauberspruch dem Eisen eingegraben:
 
15.
              Wo ich blitze, bring' ich Tod,
Meine Schneid' ist immer roth;
Hüte sich vor eigner Noth,
Wer mich schwingt in starken Händen!
Traf ich lang genug den Feind,
Treff' ich auch zuletzt den Freund.
Glück und Fluch sind mir vereint.
Wer's nicht weiß, nur der kann's wenden.
 
16.
                Als kaum der wilde Held den finstern Spruch erkannt,
Begann unbänd'ger Zorn in seiner Brust zu gähren,
Er hob das breite Schwert und schwang's in starker Hand
Und rief: An dir zuerst soll sich der Fluch bewähren.
Doch schien der edle Stahl den Meister noch zu ehren,
Der kühn und unverletzt vor Arngrim's Hieben stand.
Vergebens schwang der trotz'ge Feind sein Eisen,
Stets fuhr es ab vom Ziel und schwirrt' in nicht'gen Kreisen.
 
17.
Da zog der kecke Held von Neuem durch die Welt
Und ließ bald hier bald dort die bunten Wimpel fliegen.
Stets war das Glück, das Graun ihm stets gesellt,
Durch alle Länder scholl der Ruhm von Tyrfings Siegen.
Vor seiner Schneide stand im Kampf kein andrer Held,
Selbst Heere mußten oft vor seinem Blitz erliegen,
Bis einst durch ihn der kühne Kriegesmann
Am nord'schen Strand sich Drontheim's Burg gewann.
 
18.
Dort herrscht' er nun nach trotzigem Gefallen
Auf hohem Schloß am nebelgrauen Meer.
Zwölf Söhne blühten dort in seinen Felsenhallen,
Ihm gleich an Muth und Kraft, um ihren Vater her.
Auch tobte früher schon Berserkerwuth in allen,
Wie jener kämpften sie stets ohne Schirm und Wehr;
Doch über alle hob bei jedem Heldenwerke
Angantir sich hervor an Zorn und Riesenstärke.
 
19.
Schon längst verband ein heil'ger Eid
Die starke Brüderschaar zu ew'gen Kampfgesellen,
Vereint durchschifften sie nach Raub die weiten Wellen,
Vereint erschienen sie beim Mahle, Spiel und Streit.
Mit Zagen sah der Feind ihr fernes Segel schwellen,
Die Vesten schlossen sich, der Krieger stand bereit;
Stets kehrten sie mit Beute reich beladen
Und ruhmvoll heim zu ihren Felsgestaden.
 
20.
Einst als der trotz'ge Kreis beim festlich frühen Mahl
So mancher Meeresfahrt, so manches Kampfs gedachte,
Und herrlicher verklärt von muth'ger Freude Strahl
Viel kühne Hoffnung noch in ihrer Brust erwachte,
Da hob mit rascher Hand Angantir den Pokal,
Indeß von heller Gluth sein funkelnd Auge lachte,
Von großen Thaten schien sein tapfres Herz geschwellt,
Und so begann der unverzagte Held:
 
21.
Gewannen wir im festen Siegesbunde
Auch manchen Ruhm, manch edles Kleinod schon,
So kam mir kürzlich doch von schönerm Preis die Kunde,
Gern geb' ich all mein Blut für solchen reichen Lohn.
Wohl lebt kein hold'res Bild auf weitem Erdenrunde,
Als Sighild, Frotha's Kind auf Upsal's Königsthron.
Sie hab' ich mir zur süßen Braut erkoren,
Und ich erkämpfe sie; bei Odin sey's geschworen!
 
22.
Er rief's, und rasch erhob und jubelnd sich die Schaar.
Noch einmal schwuren sie, die Arme fest verschlungen,
Ihm treulich beizustehn in jeder Kampfsgefahr
Und keine Noth zu scheun, bis ihm das Werk gelungen.
Schon stand das Schiff bereit, vom hohen Felsen war
Schon weit in's Land hinab das Kriegeshorn erklungen,
Da rief zum letzten Mal der alte Heldengreis
Vor seinen Fürstenstuhl der Söhne tapfern Kreis.
 
23.
Hoch saß er dort, das Schwert in seinen Händen,
Das rühmlich ihm so manchen Sieg errang.
Hell spiegelte sich in den glatten Wänden
Des Felsensaals die Klinge scharf und blank,
Und schien im Frieden selbst die Blitze zu versenden,
Die sie im wilden Kampf dem Feind entgegenschwang.
Und so begann von seinem hohen Throne
Der alte Held mit traurig ernstem Tone:
 
24.
Gebrochen ist in diesem Arm die Macht,
Nicht wag' ich mehr dies eitle Schwert zu schwingen,
Nie laß ich fürder mehr im lauten Lärm der Schlacht
Weit über alle Reihn die ehrne Stimme klingen,
Bald deckt mich ganz des Hügels Felsennacht;
Doch wird durch euern Ruhm der meine sich verjüngen.
Darum empfangt von mir zu eurer kühnen Fahrt
Das edelste Geräth, das ich euch aufbewahrt!
 
25.
Dies kühne Schwert, so hell von Ruhm und Siegen,
Ich leg' es dir, Angantir, in die Hand.
Wohl scheint durch mächt'ge Kunst in jenen Runenzügen
Ein drohnder Zauberfluch auf seinen Herrn gebannt;
Doch zage nicht. Die finstern Worte lügen,
Mein siegreich Alter hat den frechen Trug erkannt,
Wohl fand dies Eisen stets die Brust des Feindes offen,
Doch hat es tückisch nie den, der es schwang, getroffen.
 
26.
So sprach der Greis und bot den edeln Stahl
Dem Jüngling dar. Der stritt in kühner Freude
Laut klirrend rings umher im hochgewölbten Saal
Und prüft' in starker Hand das köstliche Geschmeide.
Bald blitzte hier, bald dort der scharfen Klinge Strahl,
Hell in den Lüften pfiff die rasch geschwungne Schneide,
Und heißer regte stets des Kampfes wilde Lust
Bei Tyrfings grimmem Schwung sich in Angantir's Brust.
 
27.
Und wie ein Heldengeist, zu dessen dunklen Grüften
Die tiefe Schmach der feigen Enkel dringt,
Sich zürnend hebt, gleich grauen Nebeldüften,
Und durch die Nacht mit lautem Flug sich schwingt,
Indeß um seinen Pfad in wild empörten Lüften
Der helle Schwerterschall der alten Schlachten klingt,
Und rings der rothe Blitz, der Wald und Busch entzündet,
Dem jagenden Geschlecht der Ahnen Zorn verkündet:
 
28.
So hob allmählig jetzt des Wahnsinns trübe Gluth
Sich in Angantir's Brust, sein Blick begann zu rollen,
Die Haare sträubten sich, aus ihren Höhlen quollen
Die Augen grimm hervor, gleich Flammenglanz im Blut,
Die Lippe zuckte rasch, und dumpfe Töne schollen
Aus seiner tiefen Brust, entstellt von Wahn und Wuth;
Im wilden Gaukelspiel verworrener Gebilde
Schien ihm der Halle Raum ein blut'ges Schlachtgefilde.
 
29.
Und wie ein Stier, vom Bremsenstich verletzt,
Im blinden Zorn, bedeckt mit weißem Schaume,
Durch Flur und Haine tobt und wild an jedem Baume
Mit grimmigem Gebrüll die krummen Hörner wetzt:
So regte hier und dort im weiten Hallenraume
Mit kriegerischem Sprung der starke Held sich jetzt,
Und rasch begann sein Schwert, gleich ungestümen Wettern,
Geräth' und Waffen rings und Zierrath zu zerschmettern.
 
30.
Von Flammen stob die Luft, von Funken Säul' und Wand,
Die Brüder wichen scheu vor seinen mächt'gen Hieben,
Der alte Held nur war auf seinem Thron geblieben
Und schaut' ihm ahnend zu, vom Schicksalszwang gebannt.
Da nahte mörderisch, von Tyrfings Fluch getrieben,
Dem grauen Vater sich des Sohns gewalt'ge Hand.
Lautächzend sank der Greis, aus tiefer Todeswunde
Besiegelte sein Blut des Schwertes düstre Kunde.
 
31.
So kann das feindliche Geschick
Als seine Boten uns selbst unser Liebstes senden.
Der Wahn zerrann, mit festgeballten Händen
Stand jetzt Angantir da und mit erstarrtem Blick,
Schon zückt' er seinen Stahl, ihn gegen sich zu wenden;
Da hielt ein rasch Gefühl die blut'ge That zurück,
Er lachte laut und hob im kühnen Grimme
Das Schwert zum Himmel auf und rief mit wilder Stimme:
 
32.
Nicht also soll, du dunkle Schicksalsmacht,
Dein Opfer dir durch eigne Thorheit fallen!
Wohl Mancher soll den Pfad der Nacht
Noch vor mir, Mancher soll zugleich mit mir ihn wallen.
Bei diesem Schwert, das jetzt so grause That vollbracht,
Bei diesem bleichen Haupt, bei diesen blut'gen Hallen
Schwör' ich's: Die dunkle Macht, die diesen Greis erschlug,
Sey nicht für uns allein, sey aller Welt ein Fluch!
 
33.
So tret' ich jetzt, ihr Nornen, euch entgegen,
Nicht sollt ihr ohne Kampf die edle Beute fahn,
Verderblich such' ich euch auf euren eignen Wegen,
Durch grauses Unheil soll mein blut'ger Zorn euch nahn,
Entschwinden soll das Glück, verdorren Heil und Segen,
Verstummen Lieb' und Lust auf meiner dunkeln Bahn!
Ha, Tyrfing, durst'ger Stahl, wohl sollst du reichlich trinken,
Wenn, gleich der reifen Saat, die Helden vor dir sinken!
 
34.
So rief er aus. Und als am Wellenstrand
Dem Greise nun auf hochgethürmtem Hügel
Das kühne Mahl aus ew'gen Felsen stand,
Da fuhr die Schaar hinweg auf blankem Wellenspiegel.
Die rasch durchschnittne Fluth umschäumte Kiel und Rand,
Leicht hob ein lust'ger Wind des Schiffes weiße Flügel,
Schon ragte bald aus bleichem Nebelflor
Der ferne Strand des Schwedenreichs hervor.
 
35.
Indessen war nach manchen tapfern Siegen
Held Hialmar dort, des Schmidtes kühner Sohn,
Zur hohen Gunst des Königs aufgestiegen
Und stand zunächst an Frotho's mächt'gem Thron.
Schon mußte mancher Held vor seinem Schwert erliegen,
Doch heimlich sehnte sich sein Geist nach süßerm Lohn:
Wohl konnt' ein holder Strahl aus Sighild's hellen Blicken
Viel seliger sein Herz, als Schlacht und Ruhm beglücken.
 
36.
Und wie verschämt im heimlichen Entblühn
Der Rosenkelch allmählig sich gestaltet;
Noch hüllt die Knospe sich in zartem Hoffnungsgrün,
Um welches lieblich schon der linde Athem waltet,
Bis sie mit sel'ger Kraft den reichen Schoos entfaltet,
Worin wie Morgenroth die hellen Blätter glühn,
Und prangend halb und halb verhüllt vom Strauche
Die ganze Luft erfüllt mit wundersüßem Hauche:
 
37.
So keimt' in Sighild's Brust die Liebe leis' und mild,
Süß ahnend erst im schwankenden Verlangen,
Von holden Träumen bald gereizt und bald gestillt,
Von Wünschen sanft bewegt, von zarter Zucht gefangen,
Bis herrlich sich zuletzt ihr heil'ger Kelch enthüllt
Im unbefleckten Glanz und jugendlichen Prangen,
Verzagt und stolz, verschämt und kühn zugleich,
An süßer Huld und keuscher Anmuth reich.
 
38.
Auch Frotho merkte längst der Tochter holde Bande
Und hatte feindlich nie dem zarten Spiel gewehrt,
Denn nimmer war im weiten Schwedenlande
Ein junger Held so kühn, so rühmlich und verehrt.
Als nun der Jüngling einst vom fernen Feindesstrande
Mit edlem Sieg und Raub nach Upsal heimgekehrt,
Da führt' er mild mit väterlichem Segen
Die zücht'ge Braut dem Glücklichen entgegen.
 
39.
Schon stand bereit das hochzeitliche Mahl,
Viel Fürsten waren rings zum reichen Fest gebeten,
Von Becherklang erscholl der hohe Heldensaal,
Von hellem Saitenspiel und Hörnern und Trompeten;
Und schüchtern saß die Braut mit lieblichem Erröthen,
Ein leuchtender Rubin am köstlichen Pokal:
So schien ein goldner Schein von Liebe, Lust und Leben
Um ihr verschämtes Haupt mit sel'gem Licht zu schweben.
 
40.
Doch wie im freud'gen Spiel und bunten Reihentanz
Verzehrend oft ein Blitz sein plötzlich Opfer findet,
Wie oft aus duft'gem Blumenkranz
Die Schlange rasch hervor mit gift'gem Haupt sich windet:
So wurde bald auch hier am hellen Fackeltanz
Der hochzeitlichen Lust ein wilder Brand entzündet,
Schon rauschte fern der Norne grimm Geschoß,
Dem manches edle Blut und manche Thräne floß.
 
41.
Denn plötzlich sprang, gesprengt von starken Schlägen,
Der Halle Thor, vor seinen Brüdern her
Trat Arngrim's Sohn herein, gewaltig und verwegen,
Mit blankem Schwert und hochgezücktem Speer.
Kühn nahten sich die übermüth'gen Degen
Dem freud'gen Mahl in blutbefleckter Wehr,
Und so begann im schwerbesiegten Grimme,
Auf Tyrfings Stahl gestützt, der Held mit stolzer Stimme:
 
42.
Nicht ohne mich sey dieses Fest vollbracht,
Zu dem ich weit geschifft von Drontheim's Felsgestaden!
Und wenn auch euer Herz des Gastes nicht gedacht,
So hat statt eurer doch die Norne mich geladen;
Denn wo im hellsten Licht die Freude spielt und lacht,
Da geht das Unheil auch auf schwarzverhüllten Pfaden,
Und ewig treibt zu Fluch und blut'gem Mord
Der Tyrfing seinen Herrn durch alle Länder fort.
 
43.
Dein, Hialmar, harrt mein Zorn nach zwanzig Tagen
Zum harten Streit auf Hween's umbüschtem Strand,
Und bebst du nicht, die kecke Fahrt zu wagen,
So schwöre mir mit kühn gebotner Hand,
Dem bräutlich süßen Kuß der Liebe zu entsagen
Und still zu bändigen der Sehnsucht heißen Brand,
Bis dort mit scharfer Schwertesschneide
Das Schicksal über uns und Sighild's Huld entscheide!
 
44.
So sprach der Held. Und wie in grauser Fluth
Das zarte Bild der Uferblume zittert,
So saß die holde Braut vom raschen Schreck erschüttert,
Auf ihrer Wang' erblich der Sehnsucht stille Gluth.
Doch rüstig sprang, vom Feindesdrohn erbittert,
Der Jüngling auf im freud'gen Liebesmuth,
Er bot die Hand ihm dar und sprach die kühnen Worte:
Geh hin, ich treffe dich am angewiesen Orte.
 
45.
Noch bin ich keinem Feind entflohn,
Stets hörte man mein Schwert im ersten Haufen klingen;
Drum sollt' auch jetzt dein stolzes Drohn
Von Sighild's holder Brust mich nicht zu weichen zwingen,
Verlangt' ich selber nicht der Meinen schönsten Lohn
Durch rühmlich kühne That mir kämpfend zu erringen;
Denn schöner blüht und unverwelklich grünt
Der Liebe sel'ger Kranz, den wir mit Müh verdient.
 
46.
So rief er aus. Da ging mit lauten Schritten
Die kühne Schaar zur hohen Burg hinaus.
Wohl war aus mancher Hand der Becher dort entglitten,
Verklungen war das Lied, verstummt der freud'ge Schmaus,
Und wer auch tapfer oft im harten Kampf gestritten,
Den füllte Tyrfings Blitz mit ahnungsvollem Graus.
Nur Hialmar freute sich der kühngebotnen Fehde
Und tröstete die Braut mit mancher holden Rede.
 
47.
Was zagst du, sprach er sanft, was weinst du, zartes Bild?
Wie darf dein Herz für deinen Freund erbeben,
Der dich ja selbst erkämpft auf heißem Schlachtgefild,
Der nie für sich gezagt, für dich nur, süßes Leben?
Schienst du nicht siegreich stets im Banner mir zu schweben,
Warst du nicht stets in jeder Noth mein Schild?
Die ferne Hoffnung schon ließ sonst für dich mich siegen;
Jetzt, da das Glück genaht, wie könnt ich jetzt erliegen?
 
48.
Nein, herrlich öffnet sich so mir des Ruhmes Bahn,
Nicht soll mein Herz so edlem Ruhm erbangen!
Ein Held nur darf so süßen Kuß empfahn,
So sel'ge Blicke schaun, so zarten Leib umfangen.
Schon seh' ich freudig dich dem hohen Ufer nahn,
Wenn fern im Siegeskranz die weißen Segel prangen,
Schon schließ' ich dich an's Herz, des hohen Preises werth,
Den nicht das Glück allein, den mir mein Muth beschert.
 
49.
So sprach Ingello's Sohn. Und wie nach Sturmestoben,
Indem der Flor der Wolken reißt und flieht,
Der helle Mond, von bleichem Duft umwoben,
Bald hier bald dort durch seinen Schleier sieht;
Und wenn er leuchtend auch sich jetzt empor gehoben
Und still dahin auf blauen Bahnen zieht,
Doch dämmernd noch, vom Silberlicht beglänzet,
Ein zartes Thaugewölk die klare Scheibe kränzet:
 
50.
So hellte jetzt sich Sighild's holder Blick
Allmählig auf, den bleichen Wangen kehrte
Das milde Roth verschämter Lust zurück,
Das schöner nach dem Thau der Schmerzen sich verklärte.
Und wenn dem vollen Glück auch noch das Zagen wehrte,
Die Sorg' um ihren Freund war ihr ein neues Glück;
Ihr schien's, als müßt' ihr Schmerz, ihr unbelauschtes Weinen
Sie inniger mit ihm und ihn mit ihr vereinen.
 
51.
Und wie am herrlichsten die letzte Rose sprießt,
Die schon umrauscht vom herbstlich feuchten Wehen
Viel länger Duft und Thau in ihren Schoos verschließt,
Um frischer zu entblühn und schöner zu vergehen;
Und wie mit bunterm Glanz um Thal, Gebüsch und Höhen
Der letzte milde Blick der spätern Sonne fließt:
So ward von Beiden jetzt die Lieb' in jenen Stunden
Viel treuer noch bewahrt, viel inniger empfunden.
 
52.
Als nun der Tag zur blut'gen Fahrt erschien,
Da schritt der Held im zagenden Geleite
Der holden Braut zum Strande still und kühn,
Und muthig gieng Held Odur ihm zur Seite.
Er folgte stets dem Freund zum Spiel und ernsten Streite
Und wollt' auch jetzt die Bahn des Schicksals mit ihm ziehn.
Dann nahten prangend noch viel auserlesne Schaaren,
Vor List und Ueberfall die Kämpfer zu bewahren.
 
53.
Schon regte sich das Schiff am hellgethürmten Strand,
Da ward von seines Vaters Händen
Ein künstlich Waffenkleid dem Helden zugesandt,
Um Tyrfings alten Fluch von seinem Haupt zu wenden.
Kein scharfer Stahl durchschnitt das zaubrische Gewand,
Doch fügsam schmiegt' es sich um Arme, Brust und Lenden.
Eilfertig drängte sich der Diener durch die Schaar
Und bot dem tapfern Herrn die edle Gabe dar.
 
54.
Doch Hialmar, der in allen Kriegen
Durch eigne Kühnheit nur die Schaar der Feinde schlug,
Verschmähte jetzt noch mehr, durch Zauberlist zu siegen,
Und wähnte, Liebeskraft vernichte jeden Fluch.
Drum mußt' um Odur's Brust Ingello's Werk sich schmiegen,
Wie schwer auch Sighild's Herz des Freundes Weigrung trug.
Dein Zauber, holdes Bild, soll mich allein beschützen,
So sprach er sanft, kein andrer kann mir nützen.
 
55.
Und als er jetzt zum letzten Mal
Um Sighild's holden Leib den treuen Arm geschlungen,
Als ihres Blickes sel'ger Strahl
Noch einmal keusch und mild und zagend ihn durchdrungen,
Und aus der Fürsten edler Zahl
Noch mancher Scheidegruß dem Helden nachgeklungen;
Da ließ er hoch empor die weißen Segel wehn,
Und schnell entglitt das Schiff den grünen Uferhöhn.
 
56.
Doch eh' es noch auf glatten Wellenpfaden
In's offne Meer mit Macht hinausgerollt,
Erhoben rings mit grünenden Gestaden
Viel' Inseln sich im frühen Morgengold
Und schienen anmuthsvoll die Helden einzuladen
Zum freud'gen Spiel, zur Ruhe, süß und hold;
So freundlich sahe man von bunten Blumenkränzen
Gebüsch und Hain und Fels und Ufer glänzen.
 
57.
Und wie sich oft zum wunderbaren Reihn
In stiller Nacht die luft'gen Elfen schließen,
So tanzten dort viel holde Mägdelein
Mit schlankem Leib und leicht bewegten Füßen,
Und freudig schien aus jedem Uferhain
Ein muthig Scheidelied die Schiffenden zu grüßen
Das so der Wind mit lieblich leisem Flug
Durch's weite Meer zu ihrem Ohre trug:
 
58.
        Mit den Wellen Spielt das Meer,
Aus den nächtlich alten Quellen
Muß es strömen stets und schwellen,
Ruht und rastet nimmermehr;
Doch es rauscht mit sichern Flügeln
Auf den regen Meereshügeln
Stolz das hohe Schiff daher.
 
59.
Tief im Herzen
Wogt der Sinn,
Will bald weinen, will bald scherzen,
Hat in Freuden, hat in Schmerzen
Nimmer Ruhe, nie Gewinn;
Doch der Liebe kühnes Wagen
Eilt, vom Adlerflug getragen,
Frei zum holden Ziel dahin.
 
60.
Magst du fallen,
Magst du stehn,
Muß der Klang doch auch verhallen,
Und doch bleibt das Lied uns Allen
Treu im Herzen, ewig schön;
Denn dem heil'gen tiefen Leben
Ist ein ew'ger Lenz gegeben,
Und nur Todtes kann vergehn.
 
61.
                        So sangen sie, bis fern in duft'gen Weiten
Der süße Ton in leises Wehn entschwand.
Und rasch begann das Schiff durch's hohe Meer zu gleiten,
Vom günst'gen Wind entführt, gelenkt von kluger Hand.
Und als am andern Tag die Nebel sich zerstreuten,
Da hob von ferne schon sich Hween's umbüschter Strand,
Bald ankerte das Schiff an schattenreicher Stelle,
Nur leis' umspielt von sanft gebrochner Welle.
 
62.
Noch war kein Feind am Ufer zu erspähn,
Darum beschloß der Held, gereizt von kühnem Wagen,
Mit Odur durch's Gefild zur fernen Bucht zu gehn,
Ob dort das Schiff vielleicht die Kämpfer hingetragen.
Schon schritt das edle Paar durch jene wald'gen Höhn,
Die mannichfach gethürmt das Eiland überragen.
Und harrend nahm indeß die tapfre Kriegerschaar
Am Ankerplatz die Huth des Schiffes wahr.
 
63.
Da drängten wild aus dichten Felsgesträuchen
Die Brüder sich hervor, vom Wahnsinn schon empört.
Hoch funkelte, gezuckt zu mächt'gen Streichen,
Vor ihrer Schaar das grimme Tyrfingschwert,
Dem raschen Brand des Krieges zu vergleichen,
Der Hütt' und Burg, Gefild und Hain verzehrt;
Und durch den Wogenschlag der hohen Brandungswellen
Begann ihr laut Geheul wie Sturmesdrohn zu gellen.
 
64.
Doch als sie jetzt von fern die Feindesschaar erkannt,
Begann sich mächt'ger noch ihr Wahnsinn zu bewegen:
Gleich Blitzen leuchtete der Augen rother Brand,
Gleich Schlangen schien ihr Haar sich um die Stirn zu regen,
Die Bäume splitterten von ihrer starken Hand,
Es schallte Fels und Grund von ihres Schwertes Schlägen,
Und grimmig stürzten sie mit lautem Schlachtgeschrei
Vom hohen Fels zum raschen Kampf herbei.
 
65.
So schießt ein Schwarm von ungeheuern Drachen
In's Thal hinab in wilder Hungerpein;
Roth flammt die Gluth aus weit gespaltnem Rachen,
Die Zunge scheint ein schneidend Schwert zu seyn,
Es trieft ihr Leib vom Schaume gift'ger Lachen,
Von ihrem Hauch verwelkt der grüne Hain;
So wälzen sie die vielverschlungnen Glieder
Durch Busch und Dorn und rauhe Felsen nieder.
 
66.
Und wie gereizt von wilder Sturmeswuth
Um's lecke Schiff viel tausend Wellen fallen,
Indeß zugleich mit rothgezackter Gluth
Zum morschen Bord die Blitze niederfallen;
Hier drängt der Brand und dort die laute Fluth,
Hier sieht man hohen Schaum, dort rasche Flammen wallen,
Bis jäh, indem die Gluth noch um die Beute ringt,
Das tiefgespaltne Meer den sichern Raub verschlingt:
 
67.
So stürzte jetzt in zwei getrennten Reihen
Die Schaar heran, in's Schiff, zum blut'gen Mord,
Sie strömten wild mit lautem Zorn und Dräuen
Hinauf, hinab, und rasch von Bord zu Bord,
Und Flügel schien die Wuth dem Schwerte zu verleihen,
Zugleich erklang's und fiel's und traf es hier und dort.
Wohl hörte Jeder rings die mächt'gen Hiebe schallen,
Doch Keiner sah den Stahl, der ihm auf's Haupt gefallen.
 
68.
Und ob auch kühn der Schweden tapfre Zahl
Sich um den Preis des jungen Lebens wehrte,
Es brachen Helm und Schild, es sprang der scharfe Stahl,
Als ob ein rascher Blitz vom Himmel sie verzehrte.
Vollendet war des Tyrfings blut'ges Mahl,
Kein Einziger entrann dem zauberischen Schwerte,
Und weit umher war Ufer, Schiff und Fluth
Von Leichen überdeckt und roth und warm von Blut.
 
69.
Da kam von fernen Felsgestaden,
Als schon das Wehgeschrei des wilden Mordes schwieg,
Das Heldenpaar zurück. Von hohen Bergespfaden
Gewahrt' ihr Auge bald der Feinde grausen Sieg,
Und wie die grimme Schaar, mit edlem Raub beladen,
Im blutigen Gewand dem öden Schiff entstieg.
Von Zorn und Schmerz begann des Helden Herz zu schwellen,
Und seufzend sprach er so zu seinen Kampfgesellen:
 
70.
O weh, du junge Heldensaat,
Wie sankst du schmählig hin, vom raschen Blitz erschlagen!
O feindlich Mißgeschick, o tückischer Verrath!
O blut'ges Morgenroth, wer hieß so grimm dich tagen?
Ha, Tyrfing, grauses Schwert, ha, das ist deine That!
Du konntest, du allein, so keckes Unheil wagen!
O wie so stolz im Blut die scharfe Schneide prangt
Und rauchend noch vom Mord nach neuem schon verlangt!
 
71.
Wohlan, so sey's! und du, Walkyr', entscheide,
Ob Rache mir, ob ihm der Trotz gelingt!
Auf, Odur, komm zur blut'gen Kampfeshaide!
Nicht halt' ich mehr den Zorn, der mächtig in mir ringt.
Wohl ist's ein großer Tag, ein ew'ger für uns Beide,
Von dem der Enkel noch in späten Sagen singt.
Du kämpfe mit der Schaar, die meinen Feind begleitet,
Indeß mein gutes Schwert mit Tyrfings Zauber streitet!
 
72.
So sprach der Held und schritt mit raschem Gang
Dem tapfern Freund voran, hernieder in's Gefilde.
Hoch hoben sie das Schwert und schlugen an die Schilde,
Daß weit der kühne Ruf bis an's Gestade klang.
Da nahte sich die Schaar, wie blut'ge Schreckgebilde,
Aus tiefem Grab erweckt durch zaubrischen Gesang;
Schon schwang das grimme Paar die ungeheuren Klingen,
Indeß zum nahen Hain die andern Kämpfer gingen.
 
73.
Und hier und dort erhob sich jetzt der rasche Streit.
Held Haking schritt zuerst, der tapferste der Brüder,
Auf Hialmar's Freund heran, zum wilden Kampf bereit,
Und hob das Schwert mit Macht und schwang's und hob es wieder.
Doch Jenen sicherte das feste Zauberkleid,
Unschädlich glitten rings die mächt'gen Hiebe nieder.
Bald sank, durchbohrt vom starken Schwertesstoß,
Der jugendliche Held hinab in's blut'ge Moos.
 
74.
Wohl suchte Hildiger des Bruders Tod zu rächen;
Doch fruchtlos hob sein Arm die schwere Kolb' empor,
Bald drang in heißen Purpurbächen
Sein tapfres Heldenblut aus Brust und Stirn hervor.
Schon mußten Hiallo's Knie vor Odur's Scheide brechen,
Schon hing um Ormund's Blick der dunkle Todesflor,
Dann sah man Arverod von harten Kolbenstreichen
Und Ebbo's kühnes Haupt vom Schwertesschlag erbleichen.
 
75.
Auch Friedlef, der die trotz'ge Wuth
Der Brüder oft gezähmt durch freundlich milde Sitten,
Und Jorm, der tapfer einst durch rasche Zaubergluth
Den halben Pfad empor zu Brunhild's Burg gerittenUnd Jorm u. s. w. – Zu dem Zauberschloß der Brunhild (der Chrimhild im Nibelungenliede), das rings mit Flammen umgeben war, suchte mancher Held zu gelangen, aber nur Sigurd (Siegfried) führte das Abenteuer aus, und Brunhild ward dafür sein eigen. Nach seinem tragischen Tode beredeten sie ihre Brüder, dem Atle (Ezul, Attila) ihre Hand zu geben, der später, nach der nordischen Sage ohne ihren Willen, den Niflungenstamm durch Hinterlist vertilgte. ,
Und Ralf und Walafried, die kühn um Sigurd's Gut
Vor Atlas hohem Schloß mit Nifflung's Stamm gestritten,
Und Orm, der letzte Sproß, den Arngrim's Kraft genährt,
Sie alle sanken bald vor Odur's Heldenschwert.
 
76.
Und tief erschöpft vom langen Kampfesringen,
Saß Odur jetzt im dunklen Bergeshain,
Wo kühn herab die dichten Zweige hingen,
Am frischen Quell, auf moosigem Gestein.
Wohl hört' er draußen stets die scharfen Schwerter klingen,
Wohl sah er durch's Gebüsch des Tyrfings hellen Schein,
Doch fruchtlos müht' er sich, vom Felsen aufzustehen,
Um zu des Freundes Kampf in's Feld hinabzugehen.
 
77.
Dort war noch lange nicht der harte Streit vollbracht,
Noch regte Jedes Arm sich rasch zu Stoß und Streichen,
Auf ihrer Stirne lag des Zornes dunkle Nacht,
Die Augen leuchteten, wie böse Himmelszeichen.
Was Arngrim's Sohn gewann durch Tyrfings Zaubermacht,
Das schien der Liebesmuth in Hialmar auszugleichen;
Und Alles, was die Kunst, was Kraft und Grimm vermag,
Erschien in Angriff, Schutz und Wendung, Stoß und Schlag.
 
78.
Jetzt brauchten sie die Axt und jetzt die breiten Klingen,
Des Schildes Buckel jetzt und jetzt die ehrne Hand,
Jetzt suchte Jenes Arm den Gegner zu umschlingen,
Indeß der Andre rasch der Fessel sich entwand;
Den sah man mächtig jetzt dem Feind entgegenspringen,
Da Jener wohlgeschützt ihn zu erwarten stand,
Jetzt schienen regungslos die Kämpfer dazustehen,
Um Sturm und Gegenwehr schlauharrend zu erspähen.
 
79.
Schon mußte Hialmar's breiter Schild
Und schon sein starker Helm von Tyrfings Schwung zerschellen,
Schon war vom Panzerkleid die halbe Brust enthüllt,
Zerhaun und schartig schon sein Schwert an vielen Stellen,
Sein Blut erweichte schon das harte Kampfgefild,
Und jedem neuen Hieb entsprangen neue Quellen;
Oft schwebte düster schon der Tod um seinen Blick,
Doch zwang die Liebe stets das Leben noch zurück.
 
80.
Doch als des Helden Schwert am ehrnen Waffenkleide
Angantir's plötzlich jetzt mit hellem Schall zersprang,
Und Arngrim's Sohn in wilder Siegesfreude
Zum letzten Todeshieb den mächt'gen Tyrfing schwang,
Da wich der Held zurück, daß tief die lange Schneide
In's steinigte Gefild gewaltig niederdrang,
Und, weil mit rascher Kraft die Klinge weiter strebte,
Das Heft der Hand entfuhr und in den Lüften bebte.
 
81.
Und Hialmar zwang zum letzten Mal
Die müde Kraft empor, er riß mit starken Händen
Tief aus dem Felsengrund Angantir's Zauberstahl,
Um auf den eignen Herrn das grimme Schwert zu wenden.
Schon blitzte hoch und hell des Tyrfings rascher Strahl,
Schon sollte sich sein Fluch an Arngrim's Sohn vollenden,
Schon drang die rothe Fluth hervor aus Brust und Mund,
Und gräßlich rasselnd sank Angantir auf den Grund.
 
82.
Doch auch des Siegers Knie begann sich jetzt zu neigen,
Er stützte sich auf's Schwert und wankte bleich und schwach
Der hohen Eiche zu, die nah mit breiten Zweigen
Vielfältig sich verschlang zum kühlen Schattendach.
Dort saß er athemlos in träumerischem Schweigen,
Vor seinem Auge schwamm rasch wechselnd Nacht und Tag,
Doch lächelnd schien aus finsterm Todesgrauen
Der Braut geliebtes Bild den Sieger anzuschauen.
 
83.
Und aus dem fernen Walde trat
Auch Odur jetzt hervor mit neugestärktem Leben,
Er sah von weitem schon des Freundes große That
Und wollte freudig schon das Siegeslied erheben;
Doch als er jetzt dem Baum genaht,
Entschwand ihm Wort und Muth, sein Herz begann zu beben,
Und klagend, wie der Schwan die letzten Seufzer zieht,
Erhob nach nord'schem Brauch sich dieses Wechsellied:
 
84.
        Wie ist dein Panzer
Von Blut so roth,
Wie deine Wange
So bleich vom Tod?
Kalt liegt Angantir
Am grünen Hang;
Doch schallt von Hialmar
Kein Siegsgesang?
 
85.
Ist Kleid und Wange
Mir roth und bleich,
So ist's vom Siege
Und Tod zugleich;
Und wenn vom Munde
Kein Lied mir schallt,
So folgt dem Todten
Der Sieger bald.
 
86.
Wie soll ich's klagen
Der holden Braut,
Die bang vom Ufer
Herüberschaut?
Nicht grünt von Kränzen
Des Schiffes Rand,
Die Wellen tragen
Nur Blut an's Land.
 
87.
Dies Ringlein golden,
Das blutig raucht,
Bis tief zum Herzen
Hab' ich's getaucht;
Das bring zum Pfande
Der Braut und sprich:
Er stritt und siegte
Und starb für dich.
 
88.
                  Und wie ein edler Baum, von dem das schwüle Wehen
Des langen Sommers schon die Blüthen abgepflückt,
Eh Grün und Leben ihm im Winterfrost vergehen,
Noch einmal prangend sich mit bunten Früchten schmückt,
Und reich und herrlich anzusehen
Durch's dürft'ge Waldgesträuch mit farb'gem Schimmer blickt,
Und willig dann nach schön beschloßnem Leben
Der Erde wiedergiebt, was sie ihm einst gegeben:
 
89.
So hob der tapfre Held, nachdem das Lied verhallt,
Noch einmal sich empor; er stand in kühnem Prangen,
Die Arm' erschlossen sich mit liebender Gewalt,
Als wollt' er noch einmal die ferne Braut umfangen;
Ein heller Glanz umfloß die herrliche Gestalt,
Ein holdes Morgenroth die todesbleichen Wangen.
Dann neigt' er still, der letzten Kraft beraubt,
Zum langen Schlaf das jugendliche Haupt.
 
90.
Und Odur grub am Meer ein Grab mit düsterm Schweigen
Und senkte weinend dort den theuren Freund hinein,
Und pflückte frisches Laub und Blüthen von den Zweigen,
Um mit dem letzten Schmuck den Todten zu bestreun;
Dann ließ er hoch empor den grünen Hügel steigen
Und setzt' ein Mahl darauf von moosigem Gestein,
Auch pflanzt' er rings viel schattenreiche Bäume,
Daß gern der Wandrer einst an Hialmar's Hügel säume.
 
91.
Auch für Angantir ward ein hohes Grab gebaut
Im wüsten Haidenthal, wo Hialmar ihn erschlagen.
Doch ward die dunkle Gruft von Thränen nicht bethaut,
Nur Schlangen sah man dort an gift'gen Kräutern nagen;
Kein Vater klagt' um ihn, kein Freund und keine Braut,
Kein Skalde rührte dort die Harf' in späten Tagen;
Der blut'ge Tyrfing nur, der ihm den Fluch gebracht,
War sein Genoß in dunkler Grabesnacht.
 
92.
Als Odur nun dies Alles treu vollzogen,
Da fuhr er heim allein durch's weite Meer,
Und leicht durchschnitt sein Schiff die raschen Wogen,
Mit Blut getränkt, an Beut' und Kriegern leer.
Kein Lied erschallte draus, und keine Gimpel flogen,
Den Siegesboten gleich, mit buntem Spiel vorher;
Nur Raben sah man oft und Dohlen auf den Masten,
Durch keinen Klang verscheucht, vom langen Fluge rasten.
 
93.
Und als die Braut die düstre Kund' empfing,
Da schwieg sie lang. Sie nahm mit starren Blicken
Des Liebsten letztes Pfand, den blut'gen Fingerring,
Um bald ihn an den Mund, bald fest an's Herz zu drücken.
Dann ging sie, wo der Fels zum Strande niederhing,
Und schaute still hinab zum breiten Meeresrücken;
Und erst, als spät hervor die erste Thräne drang,
Begann ihr bleicher Mund den leisen Klaggesang:
 
94.
              So liegst du blutig
Vom harten Streit,
Im Siegeskranze,
Im Grabeskleid?
So ist dein Busen
Zum Tode wund,
Dein Blick so dunkel,
So bleich dein Mund?
 
95.
O Hialmar, Hialmar!
Dich ruf' ich laut;
Was schweigst du, Hialmar,
Der treuen Braut?
Wohl hast du sterbend
Auch mich genannt,
Und Sighild spielte
Am fernen Strand.
 
96.
Hoch steht dein Hügel
Am weiten Meer,
Die Wogen brausen
Gar wild umher.
Was stürmt ihr, Winde?
Was wogst du, Fluth?
Nie bebt der Hügel,
Wo Hialmar ruht.
 
97.
Von grüner Haide,
Aus dunklem Hain
Kommt oft zum Grabe
Das Vögelein;
Dort singt es lieblich
Im Hügelstrauch.
Der drinnen schlummert,
Sang lieblich auch.
 
98.
Weh, weh dir, Tyrfing,
Von Blut so roth,
Dich schliff der Vater
Zum Sohnes-Tod!
Weh dir, Angantir,
Der Tyrfing schwang!
Dein Name schwinde
Aus Sag' und Sang!
 
99.
Und weh dir, Sighild,
Verlaßne Braut!
Fern hat dein Liebster
Sein Haus gebaut.
Dort schläft er ruhig
Auf kühlem Moos –
Wohl ist's noch kühler
Im Meeresschoos.
 
100.
Von Hialmar schallet
Die Wog' im Meer,
Von Hialmar lispelt
Der Wind umher.
Ihr lockt so freundlich
Die Braut hinab;
So tragt sie leise
An Hialmar's Grab.
 
101.
            Sie rief's und glitt hinab. Und wie mit leisem Singen
Die Muttertreu' im Arm das müde Kindlein trägt,
Und, daß die Strahlen nicht in's matte Aug' ihm dringen,
Ihm los' um's kleine Haupt den zarten Schleier legt:
So schien die linde Fluth sie flüsternd zu umschlingen,
Vom sanften Liebeshauch der Weste nur bewegt,
Bis still zuletzt die lieblich lauen Wogen
Mit leichtem Silberflor ihr holdes Haupt umzogen.
 
102.
Allein der Zauberschmidt, der selbst das scharfe Schwert
Zum Fall des Sohns gewetzt durch dunkle Runenlieder,
Zerbrach mit starker Hand den zauberischen Herd
Und sprach: nie leuchte hier die rothe Flamme wieder.
Und als er rings die Kluft mit mächt'gem Fluch zerstört,
Da stieg er zornentbrannt zum Meeresufer nieder
Und steuerte mit rachedurst'gem Sinn
Im kleinen Kahn zu Hween's Gestaden hin.
 
103.
Und als nun spät der nächt'ge Leichenrabe
Am Hügel dort sein grauses Lied begann,
Da öffnet' er sich zu Angantir's Grabe
Den dunkeln Pfad durch starken Zauberbann,
Und nahm mit düsterm Blick die unheilvolle Gabe,
Von der das kalte Blut noch tröpfelnd niederrann.
Und um am Todten noch des Sohnes Fall zu rächen,
Begann er murmelnd so den schweren Fluch zu sprechen:
 
104.
Unseel'ges Schwert, noch roth von Hialmar's Mord,
Kein Zauber tilgt, du fluchbeladnes Eisen,
Den blut'gen Spruch von deiner Schneide fort,
Den ich dir eingeätzt mit dunkeln Liederweisen.
Drum schlummre tief verhüllt am ewig finstern Ort!
Doch nächtlich soll dein Herr um deine Stätte kreisen,
Und wer verwegen einst Angantir's Stahl begehrt,
Der kämpfe mit ihm selbst um's hart verfluchte Schwert!
 
105.
So sprach der Greis und schloß des Grabes Riegel
Und trieb den Kahn zurück durchs wilde Meer.
Und wenn das Dunkel naht, dann ringt aus seinem Hügel
Angantir sich hervor in blutbefleckter Wehr.
Laut kreist um seinen Helm das nächt'ge Raubgeflügel,
Laut heult der Wolf, die Schlange zischt umher;
Doch wachend sitzt der Geist auf hohem Grabessteine
Und harrt, ob wohl ein Held zum kühnen Kampf erscheine.

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