Ernst Schulze
Cäcilie
Ernst Schulze

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Zehnter Gesang.

1.
                          Durch Berg und Thal und dunkle Waldesnacht
War Gormo's Sohn indeß schon lang' umhergezogen,
Von Furcht gejagt, von Hoffnung stets betrogen,
Zu neuer Hoffnung stets durch Täuschung angefacht.
Die schroffe Kluft des Stroms, geschwollne Wogen,
Der schneebedeckte Fels, wo nie der Lenz erwacht,
Der Pfad, wo Müh' und Tod mit jedem Schritte kämpfen,
Nichts konnte seinen Muth und seine Sehnsucht dämpfen.
 
2.
Je drohender der Fels zu ihm herniedersah,
Je mächtiger die tiefe Höhle gähnte,
Je größre Noth erschien, um desto sichrer wähnte
Der kühne Held, er sey dem Ziele nah.
Und wo der Waldesstrom zu tiefen Bergesschlünden
Gewaltig niederfiel und um den dichtern Hain
Die breiten Wellen zog, da sprang er kühn hinein
Und glaubte dort gewiß die holde Braut zu finden.
 
3.
Und wenn er dann mit starker Hand
Der Strudel rasches Drehn, der Woge wildes Wallen
Mit Mühe nur besiegt, und in den finstern Hallen
Des Haines keine Spur der theuren Freunde fand,
Dann ließ er weit umher den lauten Ruf erschallen,
Daß gellend sich der Ton durch Thal und Felsen wand,
Und immer schien es ihm, daß aus des Waldes Tiefe
Ihn Adelheid mit leisen Klagen riefe.
 
4.
So trieb der rasche Wahn ihn immer weiter fort,
Indeß sich wilder stets der öde Pfad verwirrte:
Wie oft ein Wanderer, der sich im Hain verirrte,
Dem leichten Flämmchen folgt, das täuschend hier und dort
In dunkler Ferne hüpft; schon wähnt er sich der Hütte
Geliebter Menschen nah und fördert stets die Schritte,
Als rasch in's tiefe Moor der falsche Schein versinkt,
Und ohne Ziel und Pfad die Wildniß ihn umringt.
 
5.
Als nun das Abendroth am Himmel schon entglommen,
Da wirft der matte Fürst mit lebensmüdem Sinn,
Von Zorn und Schmerz erregt, von dumpfer Angst beklommen,
Tiefseufzend, hoffnungslos in's feuchte Gras sich hin.
Und so wie dichter stets in dunkler Waldesstille
Die Dämmerung durch Zweig und Wipfel zieht,
So scheint auch ihm im trauernden Gemüth,
Daß immer nächtlicher die Hoffnung sich verhülle.
 
6.
Es ist umsonst! so klagt der müde Held,
Wo soll ich jetzt verziehn und welchen Pfad beschreiten?
O wehe mir! wie ist die weite Welt
So grenzenlos, wie viele Wege leiten
Durch ihre Fernen hin! Wie darf ich eine Bahn
Aus tausenden verschmähn, aus tausend eine wählen?
Kann ich auf jeder nicht das dunkle Ziel verfehlen,
Auf jeder nicht vielleicht dem Ziele nahn?
 
7.
Ach, daß ich jetzt so weit von dir geschieden
Und doch, du holdes Bild, vielleicht so nah dir bin!
Wo weilst du jetzt? Wo trug dein Loos dich hin?
Bist du schon dort? Umfängt dich noch hienieden,
Weh mir! ein fernes Land? Ach, hat durch diesen Wald
Dein Fuß nicht auch vielleicht dich irr' umhergetragen?
Erscholl nicht auch vielleicht in deinen lauten Klagen
Des Freundes Name hier, wo jetzt der deine schallt?
 
8.
Du wehst so sanft mit deinen hohen Zweigen,
Du dunkler Hain, als wolle mir dein Wink,
Dein Säuseln mir die holde Stelle zeigen,
Wo kühlend jüngst dein Schatten sie umfing.
O Quell, wie plätscherst du so freundlich von den Höhen,
Als sage mir dein lieblich heller Laut:
Dort ist der Pfad, dort suche deine Braut!
Weh mir! es ist umsonst, ich kann euch nicht verstehen.
 
9.
Doch wenn auch dunkler noch die Nacht herniederschwebt,
So fährt er rascher fort und drängt die feigen Schmerzen
In seine Brust zurück, wenn auch die Erde bebt,
Und sich vom Sturmgewölk die bleichen Sterne schwärzen.
Dir folg' ich stets, so lang noch Muth im Herzen,
So lang noch Kraft in diesen Gliedern lebt;
Und erst wenn jeden Dienst mir Leib und Geist versagen,
Erst dann will ich an mir und auch an dir verzagen.
 
10.
So ruft er aus. Und wie mit stärkrer Kraft
Der Fichtenstamm sich hebt, je mehr er sich gebogen,
Und wie der flücht'ge Pfeil, je straffer angezogen
Die Senne gellt, gewalt'ger fort sich rafft:
So hebt auch männlicher sein tapfres Herz sich wieder
Und trotzt des Glücks veränderlichem Spiel,
Und wandellos verfolgt mit mächtigerm Gefieder
Sein kühner Geist das unverrückte Ziel.
 
11.
Er wandelt fort, als schon im letzten Scheine
Des Abendroths die hohen Felsen glühn,
Da öffnet unverhofft im unwirthbaren Haine
Sich eine Wiesenflur mit üppig weichem Grün,
Um die sich dort ein Kranz von ragendem Gesteine
Und hier des Stroms geschwollne Wellen ziehn;
Auch blüht ein Gärtchen dort, und eine kleine Hütte,
Vom grünen Netz umrankt, erhebt sich in der Mitte.
 
12.
Der Ritter naht erfreut und watet durch die Fluth,
Und ungewiß, wer hier in dichter Wildniß hause,
Betritt er jetzt die enge Klause,
Die menschenleer in dunkler Stille ruht.
Den Gott der Christen schien der Eigner zu verehren,
Ein hölzerner Altar war dort dem Herrn erhöht,
Von dessen Kreuz zum heiligen Gebet
Ein Kranz herniederhing aus wilden Waldesbeeren.
 
13.
Da zeigt im Winkel sich verrostet und zerfetzt
Ein Panzerhemd, umstrickt mit Spinngeweben,
Und feiernd stand ein altes Schwert daneben,
Von manchem Hieb versehrt, zu mancher Schlacht gewetzt,
Die stumpfe Streitaxt lag vergessen längst im Staube,
Im breiten Schilde glomm des Herdes matte Gluth,
Und friedlich saß die fromme Turteltaube
Im kriegerischen Helm auf ihrer zarten Brut.
 
14.
Der Held bewundert noch die seltnen Hausgeräthe,
Da naht ein alter Mann dem engen Hüttenraum
Und sieht zuerst, versunken im Gebete
Mit fromm geneigter Stirn, den jungen Ritter kaum.
Wohl schien die starke Brust des eisernen Gewandes,
Der Arm des Schwerts gewohnt, des Helms das kühne Haupt;
Doch war vom milden Ernst des stillen Siedlerstandes
Dem schlachtenfreud'gen Blick der wilde Trotz geraubt.
 
15.
Doch als er jetzt sein still Gebet geendet
Und seinen Gast verwundert angesehn,
Da bleibt er starr und wie vom Blitz geblendet,
Mit abgewandtem Haupt am Hüttenpförtchen stehn.
Und wie er schüchtern nun den Blick noch einmal wendet,
Da scheint ein freud'ger Glanz um sein Gesicht zu wehn,
Er eilt hinzu und stürzt vor Biarko nieder,
Und küßt des Helden Hand und drückt und küßt sie wieder.
 
16.
Und auch der Jüngling beugt mit glühendem Gesicht,
Von bittrer Lust, von süßem Schmerz durchdrungen,
Zum Greise sich hinab und hält ihn fest umschlungen,
Indeß ein Thränenstrom aus seinen Augen bricht.
Und schweigend ruhn sie lang, vom holden Schreck bezwungen,
Und Keiner hebt das Haupt, und Keiner fragt und spricht.
So sieht man oft den Baum mit jugendlichen Zweigen
Auf ein verfallnes Mahl sich freundlich niederneigen.
 
17.
O theurer Herr, o königlicher Freund!
So ruft der Greis zuletzt, so hörte Gott mein Flehen!
Noch einmal soll ich dich mit diesen Augen sehen,
Die lange schon um deinen Tod geweint!
Dich, den ich früh als Knaben schon geleitet,
Den ich auf jeder Fahrt, in jedem Kampf begleitet,
Der Vater mich genannt, dich führt das rasche Glück
Dem alterschweren Greis in blühnder Kraft zurück!
 
18.
Wie träge schlichen mir die freudenlosen Stunden
In dieser Wüste hin! Wie war dem trüben Geist
Mit dir ein jeder Trost und jede Kraft entschwunden!
Wie fühlt' ich mich so ganz verlassen und verwaist!
Und sah ich leuchtend dann das Schwert im Winkel blinken,
Die Axt, woran sich oft dein junger Arm geübt,
Dann weint' ich fast und sagte tief betrübt:
Ihr fochtet einst für ihn und konntet ihn nicht schützen.
 
19.
O sprich, wie kamst du her? Wie konntest du entfliehn
In jener Nacht, wo alle deine Treuen
Der Feinde Schwert erschlug? Wer hat dir Kraft verliehn,
Aus Harald's wilder Schaar allein dich zu befreien?
Und Jene, die so ganz dein tiefstes Herz erfüllt,
Zu deren Schutz du mit dem mächt'gen Heere
Den Kampf begannst, wo ist das holde Bild,
Daß ich in ihm dein Glück und deinen Engel ehre?
 
20.
O Sivald, ruft der Jüngling tief bewegt,
Du sprichst von ihr, um die ich ewig klage!
Du treues Herz, wie hat mir deine Frage
Den ganzen tiefen Schmerz noch bittrer aufgeregt!
Weh mir, daß grade jetzt an diesem schönen Tage
So herben Kummer mir das Schicksal aufgelegt!
Ach, mußt' ich dich nur darum wiederfinden,
Um dir das größte Leid des Lebens zu verkünden!
 
21.
Doch nein, ich will den Trost des Himmels nicht verschmähn,
Will freudig meine Hand der holden Hoffnung reichen.
Noch liebt mich Gott, er giebt mir jetzt das Zeichen,
Ich werd' auch sie noch einmal wiedersehn.
Wohl ist das flücht'ge Glück der Biene zu vergleichen,
Die dort am liebsten wohnt, wo duft'ge Blumen stehn.
Dich fand ich unverhofft in diesen Waldesgründen,
Und sollte sie nicht auch einst wiederfinden?
 
22.
Und jetzt erzählt er ihm, wie er dem Tod' entkam,
Wie Gott der theuren Braut das Leben,
Die holde Schwester ihr, den Freund zurückgegeben,
Und wie von neuem jetzt das Glück ihm Alles nahm.
Doch du, wie bist denn du der blut'gen Schlacht entgangen?
So fährt er fort; du sankst von tiefen Wunden roth
An meiner Seite hin, schon wähnt' ich längst dich todt
Und glaubte nie den Freund noch einmal zu umfangen.
 
23.
Ich selber meinte kaum dem Tode zu entfliehn,
Begann der Greis; von manchem Schwert getroffen,
Entsank ich neben dir in's rothbenetzte Grün
Und ruhte fast betäubt und ohne Furcht und Hoffen,
Von Leichen überdeckt. Mit kalter, starrer Hand
Schloß oft Ermattung mir die müden Augenlieder.
Und frostig bebten schon im eisernen Gewand
Vom Todeskrampf die blutlos bleichen Glieder.
 
24.
Doch als allmählig nun das Schlachtgetümmel schwieg,
Und leis' empor vom Morgenduft getragen
Aus fernem Meer die warme Sonne stieg,
Begann's auch mir im dumpfen Geist zu tagen.
Ich blickt' empor und sah der Feinde Sieg
Und leer das blut'ge Feld und jeden Feind erschlagen;
Doch kräftig regte sich in meiner alten Brust
Bei'm hellen Morgenstrahl des Lebens holde Lust.
 
25.
Mit Müh' erhob ich mich, geschwächt von vielen Wunden,
Und schleppte langsam mich von jener Stätte fort,
Und als ich jetzt im Hain mir Brust und Arm verbunden,
Verfolgt' ich meinen Weg und irrte hier und dort,
Und kam zuletzt, als schon der Tag verschwunden,
Nach vielem Ungemach an diesen wilden Ort,
Wo einst ein alter Freund, dem ich am meisten traute,
Zum frommen Siedlerstand sich diese Klause baute.
 
26.
Schon war er todt, ich fand die Hütte leer;
Da sprach ich zu mir selbst: Hier sollst du künftig wohnen;
Die Welt hat doch für dich nun keine Freude mehr,
Nur Biarko konnte dir die lange Treue lohnen.
So lebt' ich manchen Tag in diesem dichten Wald
Und diente Gott mit Buß' und brünst'gem Flehen
Und betete: Laß mich, o Himmel, bald
In deinem Reich den Liebling wiedersehen.
 
27.
Nun setze dich! das Mahl ist längst bereit;
Doch heller will ich erst des Herdes Gluth entzünden,
Denn tiefer naht die Nacht den engen Felsenschlünden,
Und dunkler wird des Waldes Einsamkeit.
Fern braust die Tanne schon von ungestümen Winden,
Der Rabe krächzt, bald ist es an der Zeit,
Und sichrer läßt es sich bei'm muntern Feuer weilen,
Wenn draußen in dem Forst die Geister ziehn und heulen.
 
28.
So sprach der Greis und trug mit rüst'ger Hand
Viel trocknes Holz und dürres Laub zusammen,
Und lustig loderte vom Herde bald der Brand
Und spielte durch's Gemach mit leichtbewegten Flammen.
Und als sie Beide nun dem Herde nah gerückt
Und sich mit Speis' und Trank gesättigt und erquickt,
Da fragte Gormo's Sohn, was jenes Wort bedeute,
Und welche Schrecken hier die tiefre Nacht bereite.
 
29.
Du wirst ein grausend Spiel in diesen Wäldern sehn,
Begann der Greis; denn wenn am nächt'gen Himmel
Auf ihrer höchsten Bahn die goldnen Sterne stehn,
Erhebt von ferne sich ein gräßliches Getümmel,
Und nah und näher tobt's von jenen wald'gen Höhn,
Und durch die Lüfte zieht ein wunderbar Gewimmel
Von Nebelbildern hin, und gleich dem Lärm der Jagd
Erschallt's und heult's und bellt's und wiehert's durch die Nacht.
 
30.
Zwar kündete mir einst ein hocherfahrner Meister,
Sobald ein kühner Mann auf jenen Schwarm den Speer
Emporzuschleudern wagt, so fliehn die wilden Geister
Und toben künftig stets auf anderm Pfad umher.
Doch gräulich ist's, mit nächt'gem Spuk zu streiten,
Und da schon jenes Kreuz durch Gottes heil'ge Macht
Vor jedem Ungestüm der Hölle mich bewacht,
Vermaß ich mich noch nie zum Kampf hervorzuschreiten.
 
31.
Erstaunt vernahm's der Held und freudig rief er aus:
Sey unverzagt! ich will den Arm dir leihen.
Sobald die Stunde naht, tret' ich zum Kampf hinaus,
Von jenem wüsten Schwarm dein Obdach zu befreien.
Schon traf ich manchen Feind in wilden Kriegerreihen,
Jetzt will ich sehn, ob auch in diesem Strauß
Der Speer mir nicht versagt. Leb wohl, schon ziehn die Sterne
Am Himmel hoch empor, schon braust es in der Ferne.
 
32.
Er sprach's und machte sich zum nächt'gen Kampf bereit,
Doch Sivald sprang empor und rief mit glühnden Wangen:
Das sage Keiner je, daß ich die Bahn gescheut,
Worauf mein König mir, mein Freund vorangegangen!
War ich nicht stets der Nächste dir im Streit?
Hab' ich in deinem Dienst nicht manche Wund' empfangen?
Vergaß' ich je aus schnöder Furcht die Pflicht,
Wohl hätt' ich deine Huld und diese Narben nicht.
 
33.
Wähnst du, ich wolle jetzt noch einmal dich verlieren,
Da du so wunderbar zu mir zurückgekehrt?
Noch kann mein Arm den Stahl, die ehrne Kolbe führen,
Noch fühlt vom Druck des Helms mein Haupt sich nicht beschwert.
So lang das Leben weilt, will auch die Kraft sich rühren,
Und freudig blüht der Muth, so lang' ihn Hoffnung nährt.
Nur wenn des Baumes Keim der rasche Blitz zerschlagen,
Magst du den Stamm zerhaun und ihn in's Feuer tragen.
 
34.
So ruft er aus und streift das Bußgewand
Von seinen Schultern ab und wirft's zur Erde nieder,
Und freudig nimmt er dann den Panzer von der Wand
Und schmückt mit ehrnem Kleid die kräft'gen Heldenglieder;
Schon glänzen Art und Schwert in seiner alten Hand,
Schon hängt der staub'ge Schild an seinem Arme wieder,
Und freundlich spricht er jetzt, als er die Taub' erblickt,
Die sich im rost'gen Helm verschüchtert niederdrückt:
 
35.
Dich pflegt' ich stets zu tränken und zu speisen
In meiner Einsamkeit, du frommes kleines Thier;
Jetzt raub' ich dir dein Nest, dein Herr muß weiter reisen
Und läßt das ganze Haus zum Erbe dir dafür;
Gar friedlich wohntest du in deiner Hütt' aus Eisen,
Bald pocht mit blut'ger Hand der Krieg an ihre Thür.
Er spricht's und trägt das Nest zum kleinen Betaltare
Und drückt den schweren Helm auf seine grauen Haare.
 
36.
So wandeln sie hinaus in's nächtliche Gefild.
Rings lag die Flur in grauenvollem Schweigen,
Am Himmel hing der Mond, von Wolken halb umhüllt,
Und drohend stand der Wald mit schwarz vermummten Zweigen,
Auf manchen Bergen schien manch stummes Riesenbild
Bald starr hinabzuschaun und bald empor zu steigen,
Der Welle Rauschen klang wie Schluchzen und Gestöhn,
Und heimlich flüsterte das Laub im nächt'gen Wehn.
 
37.
Und horch, von fern erscholl ein halb vernehmlich Brausen,
Und von den Bergen zog's wie Wolkendunst heran,
Und nah und näher kam's mit immer wilderm Sausen,
Und Heulen und Gebell und Ruf und Klang begann;
Die Zweige zitterten im ungeheuren Grausen,
Es schmiegte Blatt an Blatt und Halm an Halm sich an,
Und schäumend schien die Fluth im grimmigen Entsetzen,
Vom Grund emporgedrängt, der Bäume Haupt zu netzen.
 
38.
Und wie ein wild Gemisch von Bildern sich verwebt,
Wenn rasch in düstrer Luft die Wolken ziehn und walten;
Von Ungeheuern scheint der weite Raum belebt,
Die bald einander fliehn, bald fest im Kampf sich halten,
Das wälzt sich, jenes läuft, das kriecht, ein andres schwebt,
Und gräßlich gatten sich die feindlichen Gestalten,
Doch heulend fährt der Sturm auf breiter Bahn daher
Und treibt den wüsten Schwarm weit über Land und Meer:
 
39.
So drängt vielköpfig, vielgegliedert,
Ein dichtes Thiergewühl am Himmel sich herbei;
Hier hat sich Schlang' und Greif zu einer Form verbrüdert,
Und Adlerkrallen schwingt zum Kampfe dort der Leu,
Der Eber stürzt heran, roßhufig und gefiedert,
Und trotzig prangt der Bär mit drohendem Geweih,
Und grimm zerfleischt den rothgefleckten Drachen,
Worin sein Schweif sich schließt, der Wolf mit blut'gem Rachen.
 
40.
Wohl schien aus blasser, dunst'ger Luft
Der ganze Zug geformt, doch nahte sich dem Leben
Ein jedes Nebelbild durch bleichen Farbenduft
Und schien durch eigne Kraft gesondert fortzustreben.
Und wie der wilde Sturm mit tausend Stimmen gellt,
Wenn eine Felsenschlucht sein Wehn gefangen hält,
So schallte rings Geheul und Zorngebrüll und Aechzen
Und Röcheln und Geschrill und Angstgepfeif' und Krächzen.
 
41.
Dann nahten stürmisch sich auf dichter Wolkenbahn,
Mit hochgezücktem Speer, auf feuersprühnden Rossen,
Mit dunklen Waffen angethan,
In riesiger Gestalt die finstern Jagdgenossen.
Die Stirn war wild gefurcht, die Wange hohl und grau,
Verzerrt der offne Mund, das Auge halb gebrochen,
Das Haar emporgesträubt, die Stimme dumpf und rauh,
Und gräßlich klapperten von Frost die nackten Knochen.
 
42.
Lautgellend schmetterte des Horns gewaltiger Klang,
Die Peitschen klatschten hell, es klirrten Pfeil und Bogen,
Daß weit der wüste Schall durch alle Thäler drang,
Und von der Berge Stirn die Nebel abwärts flogen,
Die Hunde bellten drein, vom hartgeschwungnen Huf
Erdröhnten Erd' und Luft, und Roß und Reiter schnoben,
Gebot und Jauchzen scholl, Gelächter, Drohn und Ruf,
Und dumpfig sang die Schaar durch's wilde Sturmestoben:
 
43.
                Halloh, Halloh, zur Jagd, zur Jagd!
Hurrah, ihr blassen Nebelhüllen!
Es pfeift der Sturm, es heult die Nacht,
Der Fels erbebt, die Fichte kracht,
Der Waldstrom rauscht, die Klüfte brüllen,
Noch währt der Geister Recht und Macht.
Vorüber, eh der Tag erwacht,
Die kecke Waidmannslust zu stillen
 
44.
Ihr finstern Jäger, stoßt in's Horn,
Daß rings die Felsen sich zerspalten!
Durch Haid' und Wald, durch Busch und Dorn,
Wie Windesgeißel, Blitzessporn,
In blutlos bleichen Wahngestalten,
Bei Sturmesruf und Sturmeszorn,
Und Nebel hinten, Nebel vorn,
So ziehn die nächtlichen Gewalten.
 
45.
                      So sang der wüste Schwarm und tobte durch die Luft
Und senkte tiefer stets sich in das Thal hernieder,
Und wilder heulte stets der Sturm um Fels und Kluft
Und peitschte Wald und Fluth mit zürnendem Gefieder;
Mühselig rang der Mond mit raschem Wolkenduft,
Sah kläglich bald hervor und bald entschwand er wieder,
Und bleich, verstört und wüst, wie wenn Verzweiflung lacht,
Beschien ein trübes Licht die grausenvolle Nacht.
 
46.
Die Helden stehn erstarrt, mit wilden Blicken stieren
Sie himmelan, betäubt sind Geist und Ohr,
Fast will vor Graun das Blut in ihrer Brust gefrieren.
Da reißt aus feigem Wahn der Ritter sich hervor;
Entzeuch, unholder Schwarm, aus diesen Waldrevieren!
So ruft er drohend aus und hebt den Speer empor,
Er schwingt und schleudert ihn, und durch der Winde Brausen
Hört man den langen Schaft gewaltig aufwärts sausen.
 
47.
Dem nächt'gen Heere zog ein kühnes Riesenbild
Auf schwarzem Roß voran. Die dunkeln Locken flogen
Im Sturm umher, vom Helm nur halb verhüllt,
Um den ein glühnder Kreis von Flammen sich gezogen;
Dem Schein des Nordes glich sein ungeheurer Bogen,
Sein Speer dem Wetterstrahl, dem Sturmgewölk sein Schild,
Und hier und dort von rothen Funken blitzte
Das schwarze Panzerkleid, das seinen Leib beschützte.
 
48.
Ihn traf des Ritters Wurf, und pfeifend flog der Speer
Durch's finstre Nebelbild und sank mit lautem Klirren
Dann in den Wald hinab. Und wie auf wildem Meer
Die Wellen wunderbar sich in einander wirren
Und auf und nieder fliehn und hier und dorthin irren,
So regt' und mischte sich das luft'ge Geisterheer;
Und rasch begann mit gräßlich dumpfem Heulen
In Stück' und Glieder sich ein jedes Bild zu theilen.
 
49.
Hier schien in bleichen Dunst der Reiter zu verwehn,
Dort flog als Nebelstreif das hohe Roß von dannen,
Hier ließ ein Haupt und dort ein Rumpf sich sehn,
Dort sucht' ein bloßer Arm den Bogen noch zu spannen,
Hier strebte noch der Fuß im Bügel fest zu stehn,
Da Schenkel, Brust und Leib schon formenlos zerrannen,
Bis endlich ein Gewölk das Gaukelwerk verschlang
Und sausend durch die Luft zum fernen Meer sich schwang.
 
50.
Wohl übten fliehend noch die finsteren Gewalten
Ihr altes Recht, durch neue Schmach ergrimmt:
Es bricht der Fels, die Eiche muß sich spalten,
Wo tobend ihren Flug die Sturmeswolke nimmt.
Doch folgt' auch holde Ruh den nächtlichen Gestalten,
Wie hinter'm raschen Kiel die Woge heller schwimmt,
Und sanft beleuchtete die kaum entstandnen Trümmer
Der Mond aus blauer Luft mit friedlich leichtem Schimmer.
 
51.
Und wie die Welt bei'm ersten Frühlingsstrahl
Tiefathmend sich belebt, gelöst vom harten Bande:
Schon keimt das junge Grün im sonnenhellen Thal,
Die Quelle rieselt schon im dünn umkränzten Rande,
Die weiße Blüthe bricht ihr zartgeflochtnes Haus,
Im lichten Schatten singt das Vöglein seine Lieder,
Zur bunten Wiese wagt die Biene sich hinaus,
Und auf den Halmen wiegt der Schmetterling sich wieder:
 
52.
So wachte sanft das friedliche Gefild
Aus grausen Träumen auf, und stiller floß das Wehen
Der lauen Nacht umher, von keinem Duft verhüllt
Ließ jetzt der klare Mond die volle Scheibe sehen,
Entschleiert zeigten sich in blauer Luft die Höhen,
Im tiefen Strome schwamm des Himmels schönes Bild,
Und freundlich säuselte, durchspielt von linden Westen,
Der Hain mit lichtem Laub und silberfarbnen Aesten.
 
53.
Doch nach und nach beginnt ein lieblicher Gesang
Durch Wies' und Hain und um den Strom zu schallen;
Es scheint, als dufte rings die Blume süßen Klang,
Als spiele Well' und Wind mit tönenden Metallen.
Und auf den Halmen schwebt und schwimmt's die Fluth entlang,
In bunten Flammen scheint des Haines Grün zu wallen,
Und luftig zieht in drei getrennten Reihn
Der Elfen leichte Schaar durch Wiese, Strom und Hain.
 
54.
In weichem Grase schwingt sich hell der eine Reigen,
Wie wenn der flücht'ge Bach im Frühlicht Wellen schlägt;
Es darf kein zarter Halm bei ihrem Nahn sich neigen,
Kein schlummernd Würmchen wird von ihrem Tanz erregt.
Die stillen Düfte nur, die aus den Blumen steigen,
Sie scheinen sanft vom Flug der Gaukelnden bewegt,
Und lieblich wandelt sich durch zauberisches Walten
Der unsichtbare Hauch in Farben und Gestalten.
 
55.
So schien die Wiese jetzt dem bunten Himmel gleich,
Wenn freundlich durch's Gewölk viel tausend Sterne glänzen;
Doch holder noch begann das grünende Gesträuch,
Der Haine dunkles Laub mit Schimmer sich zu kränzen.
Denn wie mit irrem Schein im tiefen Wellenreich
Der Glanz der Nächte schwimmt bei leichten Wogentänzen,
So zitterte der Funken goldne Pracht,
Vom Wehn des Hains bewegt, in stiller Waldesnacht.
 
56.
Und wie der Bienenschwarm durch duftig grüne Linden
Bald hier bald dort mit leisem Summen fliegt,
So regt die bunte Schaar sich in den Irrgewinden
Des dichten Hains, wo Zweig an Zweig sich schmiegt,
Indeß, umhergeweht von lieblich lauen Winden,
Um ihren leichten Pfad ein holder Klang sich wiegt;
Und wenn sie ruhend oft an schlanken Zweigen hangen,
Dann scheint mit goldner Frucht der stille Wald zu prangen.
 
57.
Doch schiffend schwamm auf manchem blühnden Reis,
Auf zartem Laub und duft'gem Quellenmoose,
Ein Schooß der Lilien, im Silberkelch des Mai's,
Im irren Labyrinth der halb entblühten Rose,
Von klaren Wellen leis' und lose
Umflüstert und umspielt, der dritte Zauberkreis.
Es glänzten Strom und Strand von wunderbarer Helle,
Und hold verschwisterten sich Licht und Blüth' und Welle.
 
58.
So hab' ich oft dein Aug', o Adelheid, erblickt,
Wenn leis' ein holdes Bild in deiner Brust erwachte,
Und dein Gemüth, halb sinnend, halb entzückt,
Im Denken zart empfand und im Empfinden dachte;
Dann war mit Zauberglanz der dunkle Quell geschmückt,
Doch friedlich regt' er sich, und nur die Seele lachte,
Und tief im Auge schwamm und um der Lippe Saum
Anstatt des Lächelns nur des Lächelns leiser Traum.
 
59.
Indeß ist jene Schaar an's Ufer schon geschwommen,
Und auch die Andern sind durch's duft'ge Blüthenfeld
Und aus der grünen Nacht des Hains herbeigekommen
Und haben alle sich zu einem Schwarm gesellt.
Jetzt ist im Wiesengrün ein lichter Kreis entglommen,
Und in der Mitte steht der süß erstaunte Held,
Und sieht statt irren Scheins viel zarte Bilder wallen,
Und hört anstatt des Klangs ein holdes Lied erschallen.
 
60.
Denn wie sich inniger ihr bunter Tanz verflicht,
Scheint jedes Flämmchen sich zu dehnen und zu heben,
Und lieblich gattet sich mit farb'gem Duft das Licht,
Und in dem Glanz beginnt's zu formen und zu weben.
Schon sieht man hier und dort ein zartes Füßchen schweben,
Aus heller Dämmrung taucht manch holdes Angesicht,
Bis nach und nach viel freundliche Gestalten
Sich wunderbar aus Farb' und Glanz entfalten.
 
61.
So strahlt die Rose nicht, vom frischen Thau getränkt,
Und nicht die Lilie im Spiegel klarer Quellen;
So lieblich mischt, wenn sich die Sonne senkt,
In stiller Luft sich nicht das Farb'ge mit dem Hellen,
Als Licht und zarte Gluth um ihre Wangen fliegt,
Und in der holden Form sich Farb' an Farbe schmiegt.
Von ihrem Schein beginnt der Lüfte leises Säuseln
Gleich goldnen Wellen sich zu wiegen und zu kräuseln.
 
62.
Und wie im Edelstein sich flücht'ger Glanz verschließt,
Und wie der Morgen tagt an glühnden Himmelshöhen,
Und wie ein Strahlenquell mit leichten Wellen fließt,
So waren Aug' und Wang' und Locken anzusehen.
Und Alles, was im Lenz auf zarten Wiesen sprießt,
Umkränzte bunt ihr Haupt mit duftig leisem Wehen,
Und wie der Harfenklang durch stille Dämmrung zieht,
Ertönte träumerisch ihr wunderbares Lied.
 
63.
        Leise, leise
Zieht die vielverschlungnen Kreise
Auf der Wies', im Hain, am Bache,
Daß die Blume nicht erwache!
Denn sie schläft im stillen Haus,
Sendet von des Kelches Saume
Nur im Traume
Ihren linden Athem aus.
 
64.
Denn der wilde
Kampf der feindlichen Gebilde
Hat mit stürmisch wüstem Walten
Lang die Kindlein wach gehalten
In der grausen Mitternacht,
Und die milden Pflegerinnen
Flohn von hinnen
Vor der drohnden Geisterjagd.
 
65.
Doch bezwungen
Hat das Heer sich fortgeschlungen,
Und es kehrt die Elfe wieder,
Singt die längst verklungnen Lieder
An der bunten Kelche Rand,
Und es flüstern leichte Winde
Lau und linde
Durch das fromme Blumenland.
 
66.
Heil dem Retter,
Der gebannt die Sturmeswetter!
Durch die Wälder, durch die Weiten
Soll die Elf' ihn freundlich leiten,
Bis der Liebesstern ihm scheint.
Trage sanft, o Strom, den Nachen!
Elfen wachen
Schützend über ihrem Freund.

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