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Siebentes Kapitel.

Es gelang ihr, ungesehen und ungehindert den Weg zu erreichen, der zu dem Orte führte, welchen sie von österreichischen Truppen besetzt wußte. Kein Späherauge schien wach zu sein, das die eilig im Schatten der den Weg abgrenzenden Hecken dahinschwebende Gestalt bemerkt hätte. Die Nachtluft wehte eisig kalt um das flüchtige Mädchen, aber sie fühlte es nicht; ihr Fuß wurde von dem Thau des hohen Grases bis an die Knöchel genäßt; aber dieser Fuß blieb so elastisch, als sei er der eines gescheuchten Rehes. Nach einer Viertelstunde durfte sie sich außer Gefahr glauben. Sie schöpfte Athem. Vor ihr in einiger Entfernung erblickte sie ein Strohdach. Noch zehn Minuten und sie hatte das unansehnliche Gehöft eines Bauers erreicht, das einsam unter einer Pappelgruppe am Wege lag und vor welchem sich mehre Pfade kreuzten.

Sie lenkte ihre Schritte seitwärts vom Wege ab und klopfte an die kleine Seitenthür des Hauses. Im Innern antwortete ein heftiges Hundegebell. Dies schien die Bewohner aus dem Schlafe zu erwecken; sie hörte Geräusch und Stimmen, und nach einer Weile öffnete sich ein niederes Fenster, aus welchem der Kopf eines jungen Burschen hervorsah.

Habt Ihr ein Pferd? fragte Cölestine laut und hastig.

Der junge Bauer sah sie verwundert an; er mochte sich besinnen, ob die Erscheinung des Mädchens, welches so plötzlich vor ihm aufgetaucht war, noch seinen Träumen oder der Wirklichkeit angehöre.

Habt Ihr ein Pferd? wiederholte Cölestine.

Freilich haben wir Pferde!

So nehmt eins, schwingt Euch hinauf und sprengt zu den österreichischen Vorposten. Es sind Franzosen in Schwalborn; ein Streifcorps ist eingefallen, welches das Schloß niederbrennt und die Bewohner mordet; holt Hülfe herbei – da ist Geld, nehmt es, nehmt es, aber eilt!

Der Bursche zog mit einer, Cölestine zur Verzweiflung bringenden Ruhe vorsichtig seinen Kopf aus dem Fenster zurück, indem er sagte:

Ich will den Bauer fragen.

Der »Bauer« erschien nach einigen Augenblicken auf der Schwelle seiner Thür und lud Cölestinen in das Haus, wo der Knecht eben den Binsendocht einer Lampe entzündet hatte. Cölestine wiederholte dem Hausherrn ihre Worte und sank erschöpft auf einen Stuhl. Der Bauer stieß ein paar derbe Flüche aus, ohne zu erklären, ob er sie gegen die Unterbrechung seines Schlummers oder gegen die Feinde seines Vaterlandes richte, dann aber hieß er seinen Knecht, sogleich das beste Thier aus seinem Gespann zu zäumen und davonzusprengen.

Nicht so rasch, wie es Cölestinens Ungeduld verlangte, aber doch in kurzer Zeit saß der Bursche auf der schmutzigen Wolldecke, die schief über dem Rücken des Gaules hing, und ein schwerfälliger Galopp trug ihn von dannen.

Cölestine athmete auf. Dann ging sie mit sich zu Rathe, ob sie nicht lieber bleiben, als zurückkehren sollte. Aber es war ihr nicht möglich, ruhig den Verlauf der Dinge abzuwarten. Es trieb sie zurück, und da sie einmal zur Heimkehr entschlossen war, raffte sie sich alsogleich auf, um noch den Rest nächtiger Dunkelheit zu benutzen und vor Anbruch des Tages heim zu kommen.

Nachdem sie die Neugier des Bauers durch einige hastige Antworten auf seine Fragen gestillt und ihm Dank gesagt, eilte sie wieder davon. Der Himmel schien sie zu begünstigen. Kein menschliches Wesen wurde auf ihrem Wege sichtbar. Die Natur und die Menschen schienen in Schlummer zu liegen, und die Pein ihres fieberhaft klopfenden Herzens, wie das ganze Bild der farblosen, im Morgengrauen so öde und todt und kalt daliegenden Ebene, welche sie durcheilte, ja ihre eigene lautlos dahingleitende Gestalt schien nichts zu sein, als ein schwerer und angstvoller Traum, ein Alp, der ihren Odem drückte.

Sie kam an eine Stelle ihres Wegs, wo ein Fußsteig links nach dem Herrenhause von Schwalborn sich abzweigte. Das Gebäude selbst lag in dunkeln, dämmerigen Umrissen vor ihr – das Dach erschien von dieser Seite wie ein großer schwarzer Sarg, um den, wie eben so viele Leichencandelaber, die hohen schmalen Pappeln standen. Kein Laut tönte von dort her, kein Lichtschimmer war im Schlosse wach. Cölestine hemmte ihre Schritte und stand eine Weile lauschend da. Kein Schall, kein Ton, nichts als das bald leiser, bald voller tönende Pfeifen und Sausen des Windes, der um die Zeit des Sonnenaufgangs sich zu erheben pflegt und durch die Gesträuche der Wiesenhecke neben ihr pfiff. Gefahr schien hier so weit – das Haus, welches von einem fürchterlichen Geschick bedroht war, lag so nahe – ein unwiderstehlicher Drang ergriff sie, den Fußweg einzuschlagen, nach dem Herrenhause selbst zu gehen und die Einwohner aus ihrem unseligen Schlummer wach zu rufen. Sie kämpfte und rang mit sich; sie strengte ihre Augen an, um die verborgen lauernden Feinde zu entdecken – sie ging den Fußsteig, anfangs so schüchtern tastend wie ein Knabe, der zum ersten Male den zugefrornen Weiher betritt, dann schneller, entschlossener. Endlich schien sie sich zu sagen, daß die Schnelligkeit ihres Ganges die Gefahr verkleinern müsse; und jetzt begann sie zu laufen, so rasch es ihre Kräfte zuließen, dem Ziele zu, das sie wie magnetisch anzog.

Aber Cölestine war nicht unbeobachtet. In ihre Mäntel gewickelt, die Carabiner neben sich, lagen zwei Männer unfern ihres Pfades hinter einer mit Nußstauden bewachsenen Hügelwellung verborgen.

Tiens, tiens, tiens – sagte der eine, ein junger Bursche von keckem, verwildertem Aussehen, mit schielenden Augen – voilà une femme!

Une servante qui pendant la nuit aura donné un rendez-vous à quelque rustre! versetzte der andere, ein langer Mensch mit einem grauen Barte, einer tiefen Narbe über Wange und Mund und einem Gesicht, dem man ansah, daß ihn ein schlechtes Gewissen unter die Fahne der Republik getrieben hatte, die Flagge, welche damals so manche havarirte Waare deckte!

Je crois que non; elle a la taille fine et elancée, la marche d'une aristocrate …

Elle regarde de ce côté.

Est-ce qu'elle nous aurait remarqués par hasard?

J'espère que non. Mais –

Sans doute – elle nous aura remarqués. – La voilà qui court!

Oui – tue-la, L'Etange!

Der junge Chasseur hatte bereits den Carabiner angelegt. Der Schuß folgte augenblicklich. Cölestine stieß einen leisen Schrei aus und blieb stehen; ihre Knie wankten, sie sank zu Boden, sie war getroffen.

Sot, que je suis! Le coup éveillera les habitans du château, sagte jetzt der, welcher geschossen hatte.

Qu'importe! Nous avons l'ordre de ne laisser passer personne, qui que ce siot.

Voyons, so elle est réellement morte.

Der Chasseur erhob sich und wandelte schleichend der Stelle zu, wo Cölestine gestürzt war. Aber in demselben Augenblick, wo er ihr so weit sich näherte, daß sie seinen Schritt vernahm, fuhr sie wie elektrisirt empor und stürzte, so schnell es der Rest ihrer Kräfte erlaubte, davon.

Der Franzose schien überrascht, ja erschrocken über diese plötzliche Wiederbelebung der Gestalt, welche er ein Opfer seiner verbrecherischen Handlung glauben mochte. Er verfolgte sie nicht. Kurze Zeit darauf hatte Cölestine die kleine Thür in der Mauer des Schwalborn'schen Gartens erreicht, welche ihr zunächst lag. Sie wurde gewöhnlich nicht verschlossen und war es zum Glück auch heute nicht. Cölestine schlüpfte hinein; noch einige Schritte durch den Garten, über einen Hof, und die Thüre der Gärtnerwohnung in einem Nebenhause war erreicht. Vor dieser Thüre sank Cölestine mit einem lauten Schrei wie leblos zusammen. – –

Sehen wir uns jetzt nach Zerrwitz um, der, den Bitten seiner Tochter folgend, unterdeß auf eine andere Weise dem bedrohten Hause seiner Feinde Rettung zu bringen versucht hatte. Wir finden ihn in dem Dorfe wieder, das etwa zehn Minuten weit von Haus Schwalborn entfernt und durch eine Allee alter Eichen damit verbunden ist. Hier in dem Dorfwirthshause hatte Lambert sein Hauptquartier aufgeschlagen, und hierhin war Zerrwitz – bald, nachdem er sein Haus verlassen, von einem Chasseurposten aufgefangen – vor das Antlitz des Gebieters der Schar gebracht worden. In einer schmutzigen, räucherigen Küche, welche durch ein flackerndes Herdfeuer erhellt wurde, standen sich die beiden Männer gegenüber.

Was wollt Ihr, Hauptmann? Wollt Ihr Euer Jammern und Gnadeflehen von neuem anfangen? Pfui, seid ein Mann! Ich kam zu Euch, um Euch eine Nachricht zu sagen, von der ich dachte, sie werde Euer Herz erfreuen, und Ihr winselt!

Ja, Ihr seid sehr freundlich und gütig gegen mich gewesen, versetzte Zerrwitz bitter. Ihr kamt mitten in der Nacht mit Eurer frohen Nachricht, daß ich so glänzend gerächt werden solle; es war sehr liebenswürdig, daß Ihr Euch die Mühe gabt. Vielleicht auch war Euch nicht ganz wohl zu Muthe und Ihr hofftet von mir gehetzt zu werden. Aber es ist eins. Was ich will, ist weiter nichts, als diesen Zettel Euch geben.

Als Lambert die Zeilen Cölestinens gelesen, entfärbten sich seine Züge. Dann fixirte er Zerrwitz.

Kennt Ihr den Inhalt dieser Zeilen?

Ja.

Wie kommt Bianca Tondini nach Schwalborn?

Zerrwitz zuckte mit den Achseln.

Was weiß ich? Ich kümmere mich nicht darum, wer in Schwalborn aus- und eingeht. Meine Tochter muß es wissen.

Lambert setzte sich auf den Strohsessel, der neben dem Herdfeuer stand, und blickte in die Flamme. Zerrwitz beobachtete still seine Züge. Diese wurden härter und düsterer, als sie je gewesen. Cölestine hatte recht gerathen, wenn sie annahm, daß er vor einem Zusammentreffen mit der Italienerin zurückschaudern werde. Aber der Gedanke, daß Bianca in Schwalborn sei, machte Lambert nicht milder gestimmt, sondern stachelte alle bösen Geister seines Innern auf. Bianca war also La Roche nachgefolgt, sie war sogar bei ihm geblieben, trotz seiner Vermählung mit Marianne – welche Nahrung für Lambert's eifersüchtiges Hassen!

Weßhalb glaubt deine Tochter, daß ich mich vor einem Weibe fürchte? sagte er nach einer Weile mürrisch zu Zerrwitz.

Fragt sie selber, versetzte der Hauptmann, der eine Zusammenkunft Lambert's mit seiner Tochter herbeizuführen wünschte, da er in Cölestinens Beredsamkeit die letzte Aussicht auf Hülfe sah.

Ich will nicht – aber geh' heim, hölzernes Preußenthum, und sage deiner Tochter, weil das Dach von Schwalborn so viele mir liebe Häupter berge, werde ich mir mit Durchsuchungen und Exemtionen einzelner Schuldigen nicht die Zeit verderben. Ich werde die Sache in Bausch und Bogen abmachen.

Was wollt Ihr thun?

Ich will das Nest in Brand stecken lassen und damit gut.

Um Himmels willen – Ihr wollt alle, alle, die Unschuldigen mit den Schuldigen untergehen, Ihr wollt sie verbrennen lassen!

Und weßhalb nicht? Sind es nicht Aristokraten? Wäre es nicht ein Verbrechen, die Feinde der Freiheit am Leben zu lassen? Haben sie nicht alle den Tod zehnmal verdient?

Lambert – das ist nicht möglich, das könnt und werdet Ihr nicht thun – Ihr könnt kein Mordbrenner sein!

Lambert erhob sich: ein wilder Zorn flammte in seinem Gesichte.

Fort! sagte er, und winkte den Soldaten, welche Zerrwitz eingeführt hatten. Dieser fühlte sich im nächsten Augenblicke am Arme gefaßt; er mußte den Raum verlassen.

Verzweiflung im Herzen, erreichte der Hauptmann seine Wohnung wieder. Es war nicht genug, daß er die Anwesenheit des Emigranten in Schwalborn verrathen hatte – jetzt hatte er durch die unheilvollen Zeilen Cölestinens, deren Ueberbringer er gewesen, die Lage der Dinge zehnfach verschlimmert, und eine Greuelthat sollte die Folge seiner unglückseligen Einmischung sein, eine Barbarei, vor der sein Blut erstarrte.

Zitternd, außer sich, trat er über die Schwelle seines Hauses und in das Zimmer seiner Tochter. Vielleicht seit einem halben Jahrhundert hatte seine Wimpern kein Tropfen einer weichern Empfindung genetzt, denn er war ein harter und gemüthloser Mensch gewesen von Kindesbeinen an. Aber heute war ihm, als hätte er weinen können am Halse Cölestinens. Er sehnte sich förmlich nach ihr. Aber wo war seine Tochter? Er betrat ihr Zimmer.

Cölestine! rief er, indem sich schwer und ächzend seine Brust hob; Cölestine!

Cölestine antwortete nicht. Die Magd trat über die Schwelle.

Ihre Tochter ist fort: sie ist gleich nach Ihnen aus dem Hause gegangen und noch nicht heimgekehrt!

Fort!? Herr Gott im Himmel! So ist sie nach Schwalborn gegangen! so hat sie dort warnen, retten wollen und die französischen Posten haben sie niedergeschossen, ehe sie das Schloß betreten konnte, oder sie hat es schon betreten, und – – –

Der alte Soldat wagte den Gedanken nicht auszudenken. Er stand wie versteinert, die Arme schlaff herabhängend, in der Mitte des Gemachs. Sein Gesicht war blaß wie der Tod – seine Lippen waren blau und ein schmerzliches Zucken umspielte sie.

Er will das Haus niederbrennen lassen! flüsterten diese Lippen – lautlos, mechanisch. In diesem Augenblicke tönte von fernher, aber deutlich ein Schuß durch die todtenstille Morgenluft. Der Hauptmann sank in die Knie. Was je an Falschheit, Tücke und Härte in dieser Seele gelegen – das Alles war abgebüßt und gesühnt durch die Pein dieses Augenblicks.

*


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