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Zweites Kapitel.

Der Hauptmann Zerrwitz war während des Wegs in höchst unbehaglicher Stimmung. Lambert sah düster aus und war so schweigsam, daß der alte Preuße vergebens mit allerlei Anspielungen sondirte und tastete, wie er seinen wiedergefundenen alten Bekannten zu behandeln habe. Mit ihm wie mit dem jungen Menschen von ehemals umzugehen, der so tief unter ihm stand, das wagte er nicht, und den frühern leibeigenen Bauerburschen als fremden Offizier von höherm Range, als sein eigener war, zu behandeln – dazu konnte er sich unmöglich entschließen! Er war von Herzen froh, als Lambert endlich eine Frage hinwarf, die das Gespräch auf Dinge brachte, welche ein Zurückkommen in die alte Vertraulichkeit vermitteln mußten.

Wo ist Karl von Schwalborn? sagte er, halblaut, zögernd, als wenn er es über sich gewinnen müsse, den Namen auszusprechen, oder als wenn es ihm einen Kampf koste, auf die Zustände und Personen seiner alten Heimat einzugehen.

Nicht weit, versetzte der Hauptmann. Er hat eine Reise nach Frankreich gemacht und dann ist er heimgekehrt, jedoch auf wenige Tage nur, um gleich darauf als Offizier in die österreichische Armee einzutreten. Er hatte ein Lieutenantspatent noch vom Kaiser Joseph her. Kurze Zeit nach seinem Eintritt in die Armee kam er in seiner weißen Cuirassieruniform wieder nach Schwalborn; er stand bei dem Corps des alten Coburg, das in die Niederlande zog und von dem er auf Urlaub für ein paar Tage sich entfernen durfte. Dann eilte er nach über den Rhein, nach Belgien hinein, bis nach Mons. Als die österreichischen Kostbeutel retirirten und über den Rhein zurückgeworfen wurden, hat er sich hier nicht wieder sehen lassen, aber meine Cölestine, die immer mehr davon weiß als ich, versichert, er stände bei den Truppen unter Clerfayt – und wo die sind, das müßt Ihr Herren Franzosen, die Ihr sie vor Euch hertreibt, selbst am besten wissen!

Ich bin ausgesandt, Recognoscirungen vorzunehmen, aber ich habe keine Spur von ihnen zu Gesichte bekommen, sagte Lambert.

Es sind mehre Tage, seitdem sie auf der Retirade sind, nach Süden zu, fiel der Hauptmann ein; durch diese Gegend hier kamen zuerst Erzherzog Ferdinand Husaren, dann Artillerie und zuletzt eine Abtheilung von dem Freicorps O'Donnell's.

Und was macht Ihre Tochter?

Der Hauptmann schüttelte den Kopf.

Es ist nicht viel Gescheites aus der Dirne geworden! sagte er; in den Weibern steckt einmal keine Vernunft.

Aber desto mehr Eigensinn, Laune und Treulosigkeit! murmelte Lambert mit einem Fluche.

Sie zogen eine Strecke lang schweigend weiter.

Und interessirt Niemand sonst in Ihrer alten Heimat den Herrn Major? fragte Zerrwitz mit einem boshaften Lächeln.

Nein! versetzte Lambert barsch.

Zerrwitz ließ sich dadurch nicht abhalten, seinen Begleiter an Gegenstände zu erinnern, welche diesem unangenehm sein mußten. Es machte einmal sein Vergnügen aus, an den Leuten zu bohren.

Ich kann es Ihnen nicht übel nehmen, fuhr er fort. Die Menschen hier machen immer noch die alten langweiligen Gesichter; Ihro Gnaden die Frau von Schwalborn ist noch immer der alte incarnirte Hochmuthsteufel, und der arme Schelm und Pantoffelheld, der Herr Gemahl, geht umher wie die gemalte theure Zeit. Dann ist da ihr Gänschen von Tochter – Madame la Marquise, ehemals Fräulein Marianne.

Lambert bückte den Kopf und machte sich am Riemen seines Steigbügels zu schaffen. Zerrwitz schwieg, als er dies sah.

Nun? sagte der französische Major zögernd nach einer Weile.

Mein Geschwätz langweilt Sie, warf Zerrwitz ein. Wenn es nicht zu dunkel gewesen, um ihn zu beobachten, würde man darauf haben schwören können, daß nie eine ausgemachtere Fuchsphysiognomie auf Erden gewandelt, als die des alten Preußen in diesem Augenblick.

Sprechen Sie nur immerhin weiter.

Fräulein Marianne also ist jetzt Frau Marquise geworden – Titel ohne Mittel – Armuth und Bettelstolz – Monsieur le Marquis est emigré, d. h. seine Güter liegen im Monde, und unterdeß muß der Schwiegerpapa ihn unterhalten. Eine so thörichte Heirath ist nicht geschlossen worden seit dem Ehebund Kophetua's!

Und weßhalb ist dieser Ehebund so schnell geschlossen worden?

So schnell? Nun, so schnell eben nicht. Der Marquis de la Roche kam zugleich mit Karl von Paris aus nach Schwalborn. Er gehörte zu den vornehmen Herren, die aus Entrüstung über die Alluren, welche die bürgerliche Canaille in Frankreich annahm, das Land verließen. Da nun die Renten des jungen Herrn von den Jacobinern nicht mehr über die Grenze gelassen wurden, hinterließ ihn der würdige junge Stammherr der Gastfreundschaft seines lieben Papas zur Fütterung. Nun, wenn man Feuer und Zunder zusammenbringt, so entsteht eine Flamme. Der junge Herr hatte rothe Wangen wie ein funfzehnjähriges Mädchen, die Grazie und die süße Ueberredungskunst eines französischen Höflings, und den ganzen lieben langen Tag nichts Anderes zu thun, als Fräulein Marianne seine Aufmerksamkeit zu widmen. Was Wunder, daß Fräulein Marianne Feuer fing und daß sie ihren Kopf darauf setzte, ihn zu bekommen, und daß sie ihn endlich trotz aller Scenen, welche Gnaden Mama gemacht haben soll, bekam?

Verweigerte die Alte ihre Einwilligung?

Weil er ein Flüchtling ohne Besitz und Heimat sei, verwarf ihn die Mutter, und gerade deßhalb wollte ihn die Tochter, versetzte Zerrwitz.

Dieser La Roche, sagte Lambert mit einem Tone der Stimme, worin eine innere Bewegung lag, welche er umsonst zu verheimlichen sich bestrebte, dieser La Roche ist in Begleitung einer Dame, einer italienischen Gräfin aus Paris entflohen. Wissen Sie von der nichts?

Nein, antwortete Zerrwitz, ich habe nie davon gehört!

Wo ist dieser glückliche rosenrothe Marquis jetzt? fragte Lambert mit erzwungener Gleichgültigkeit weiter. Hoffentlich hat er bei unserer Annäherung die Flucht ergriffen, sonst würde ich in die unangenehme Nothwendigkeit versetzt sein, einen Besuch in Schwalborn zu machen und ihn als Emigranten erschießen zu lassen.

Ich weiß nicht, wo er ist, aber man sagt, daß er vor mehren Monaten schon abgereist sei, um in Coblenz sich unter die Fahnen des Herzogs von Condé zu stellen.

Man sagt? Zweifeln Sie daran?

Wenn ich es thäte, so würde ich doch Ihren Spion und Angeber nicht machen. Aber da liegt das Gehöft Ihres Vaters.

Sie hielten auf einer Anhöhe, von der der Weg schnurgerade in einen Eichenhain niederlief, aus dessen Wipfeln die halb mit Stroh, halb mit Ziegeln bedeckten Dächer des Bauerhofes dunkel und kaum erkennbar hervorschauten. Ein Licht schimmerte aus einem der Gebäude durch die dichte Zweig- und Laubhülle, welche sich schützend um die Wohnungen legte. Das Gehöft schien auf einem feuchten Grunde erbaut zu sein, denn dichter blauer Wolkennebel, wie sie der Herbstabend aus wasserreichen Geländen zieht, hatte sich gleich einem zweiten Gürtel in langen compacten Schichten um den grünen Laubkranz gezogen. Von dem Hofe her hörte man helle Frauenstimmen, welche Lieder nach seltsamen melancholischen Volksmelodien sangen und dazu mit Flachsbrechen den Takt klapperten.

Lambert hielt sein Pferd an und blickte düster auf das Ziel seines Weges nieder, welches vor ihm lag; tiefe Furchen zogen sich über seine Stirn. Seine Gestalt sank zusammen – der elastische Reiter hing wie ein ermüdeter Denker in dem Sattel seines Pferdes, und die Zügel glitten auf die Mähne desselben nieder. So hielt er eine Weile still und dann erhob er sich und holte tief Athem, als ob er zum letztenmal die Luft der Heimat athmen wollte, und machte eine Bewegung mit der Hand, welche die Zügel wieder ergriffen hatte, wie um zu wenden und desselben Weges zurückzukehren. Aber in diesem Augenblicke fiel sein Blick auf Zerrwitz, der ihn beobachtete, und sogleich trieb er erröthend sein Pferd an und ritt weiter, dem Bauerhofe zu.

Sie erreichten nach einer Weile das Gehölz, welches die Gebäude des Schulzenhofes umgab. Von dem Vorplatze des Haupthauses, aus seiner Küche und weitgeöffneten Tenne schimmerte ihnen eine Fülle Licht entgegen, überall glänzten eben entzündete Lampen, und Gelächter, Rufen, Jauchzen, bei dem Frauenstimmen entschieden die Oberhand behaupteten, scholl an den Wänden wider und klang hinaus in das Dunkel des Gehölzes, dessen moos- und laubbedeckter Boden den Hufschlag der Pferde einsog. Ungehört, ungesehen konnte Lambert mit seinen Begleitern sich nähern und das auffallende Schauspiel überblicken, welches sich seinen Augen darbot.

Es war »Schwingtag« auf dem Hofe, das Herbstfest der Flachsbereitung, zu welchem alle Frauen und Mädchen der Nachbarschaft zusammengeströmt waren. Vom frühen Morgen an war der Flachs gebrochen und im Schwingstock zerfasert, vom frühen Morgen an hatte der Hof von den schönsten Volksliedern nach der herkömmlichen Reihe und Ordnung widergehallt, wie ein ordentlicher Schwingtag es fodert, und jeder alte Brauch war gewissenhaft vollzogen, wenn auch in Niemand aus der Schar dieser Leute mehr das Bewußtsein seiner Bedeutung lebte. Die schöne Romanze vom Abendsreuter (Abenteurer), einem Grafensohne, der seine von den bösen Heiden geraubte Schwester suchend umherirrt, und sie endlich in der Herberge am Rhein als dienende Magd wiederfindet; die schöne Mähr von der Königstochter, welche dem Spielmann folgt, die Schelmenlieder und wie die alten Weisen alle heißen, welche die Schwingtagfeier dieser Gegenden allein erhalten hat – von diesen hellen Mädchenkehlen ist jeder ihr Recht widerfahren. Um Mittag ist die ganze Schar vor den Hof hinausgeeilt und eine Anhöhe hinaufgesprungen und gelaufen, und Alle haben dort, gegen Osten gewandt, die Arme erhoben und haben dreimal gejauchzt aus voller Brust. Das methähnliche Gemisch, welches zum Getränk gereicht worden, hat, während Lied und Arbeit in vollem Gange war, nicht aufgehört zu kreisen und seine berauschenden Wirkungen haben jetzt die Freude den höchsten Gipfel erreichen lassen, während Krieg und Franzosen und alle Noth der Zeit vergessen sind. Eben sind die Männer und Burschen der Nachbarschaft eingetreten und mehren die laute Lust, und während ein paar Jungen dem mit Saiten bespannten Pferdeschädel, dem unvermeidlichen Symbol bei jedem heidnischen Feste, eine nervenzerreißende Musik entlocken, toben, springen, tummeln sich die Dirnen mit glühenden Wangen und flatternden Kleidern wie Bacchantinnen; den Thyrsus bildet die Schwinge, mit welcher sie um sich schlagen, und um ihr Haupt schwebt und weht und zerfliegt der Kranz von Werg und Eichenlaub. Die sonst am stillsten und sittsamsten sind, rasen in trunkener Ungebundenheit und ruhen nur, wenn sie nach der Vorschrift der alten Sitte sich setzen, einen der jungen Burschen vor sich niederknien lassen und ihn aus der irdenen Schale in ihrem Schooße mit Meth oder Hirsebrei füttern.

Lambert hielt noch einmal sein Pferd an und blickte auf die Scene, welche in der That ganz geeignet war, das Auge zu fesseln. Es war ein seltsames Nachtstück, dies Bild mit der grellsten Lampenbeleuchtung, die rothgelbe Scheine auf die geweißten Lehmwände der Hofgebäude und auf einzelne Gruppen der dämonisch wild bewegten Gestalten warf, während andere Theile des Bildes sich in die schwarzen Schatten des Abends bargen. Die Wipfel der nächsten Eichen, nur hie und da an den untersten Zweigen vom Lichtschimmer angeglüht und smaragdene Laubbüschel kräuselnd, standen darüber, düster und schweigend wie die Nacht, und streckten mächtige Aeste über die stillen Strohdächer und die jauchzenden Menschen aus, als seien sie alte Priestergestalten, welche ihre Arme weihend über das Fest eines heidnischen Gottes ausstreckten.

Unterdeß schien einer der Anwesenden die Reiter entdeckt zu haben, welche im Schatten jenseits der Hofumzäunung hielten – eine allgemeine Stille erfolgte, man lief zusammen, flüsterte, deutete mit den Händen auf die Fremdlinge und die Männer suchten nach ihren Knitteln. Lambert näherte sich jetzt, und als er mit seinen Begleitern in den Kreis gelangte, den die Lichter erhellten, erfolgte ein lautes Geschrei aus dem Munde der erschrockenen Weiber; die Männer eilten beim Anblick der französischen Uniformen, eine feste Gruppe zu schließen, während sie kampflustig Flüche gegen die »verfluchten Franzosen« ausriefen, welche ihre Lust zu stören kamen.

Als Lambert, mit der Hand winkend, an diese Gruppe herangeritten, trat einer der Männer aus ihr hervor, dicht an den Reiter. Es war ein alter Bauer mit schlohweißem Haar und hoher kahler Stirn, aber seine große kräftige Gestalt war ungebeugt, seine Bewegung verrieth nicht Hast noch Unruhe, sein Arm hob mit langsamer Bedächtigkeit, als ob er den Sonntagshut vom Nagel nähme, eine Lampe bis an das Gesicht des Reiters empor. Aber als sie so hoch gehoben war, daß ihr Schein voll in das Gesicht des französischen Jägeroffiziers fiel, zuckte der Arm, der sie trug, die Lampe schwankte, fiel – nein, sie fiel nicht, der Alte hielt sie fest, sein Arm wurde wieder so unbeweglich, als habe er stählerne Nerven, und der Bauer sagte mit unveränderter Stimme, nur etwas leiser und langsamer, als er gewöhnlich sprach:

Lambert! – bist du es!!

Der Name Lambert! ging jetzt von Mund zu Mund, die Männer traten dicht an den Reiter heran und auch die Weiber kamen neugierig näher.

Ich bin es, Vater, sagte Lambert, indem er aus dem Sattel glitt. Ich komme Euch guten Abend zu sagen. Ihr hättet mich auf ein Haar nicht wiedererkannt, glaub' ich!

Die Augen des alten Bauers ruhten mit Wohlgefallen auf der Gestalt seines Sohnes, der in der glänzenden Uniform, blank von Gold und hellem Stahl vor ihm stand, während seine zwei Ordonnanzen sich in ehrfurchtsvoller Entfernung hinter ihm hielten.

Lambert reichte ihm die Hand hin.

Der Alte wollte sie erfassen, aber bevor er es gethan, ließ er seine Rechte sinken.

Ich habe dich wol erkannt, Lambert, sagte er ernst; aber ich wollte, ich hätte es nicht, und du wärest an meinem Hofe vorübergezogen!

Weßhalb wolltet Ihr das, Vater? fragte Lambert.

Der Alte schaute um sich her und reichte einem Nebenstehenden die Oellampe, welche er bisher gehalten.

Geht fort! sagte er dann, zu den Umstehenden gewendet – auch Ihr, Hauptmann Zerrwitz, geht bei Seite, ich habe mit meinem Sohne zu reden!

Der alte Bauer sprach diese Worte so feierlich und gebieterisch, daß der ganze Haufe still auf seine frühern Plätze sich zerstreute, während Zerrwitz, der ebenfalls den schweigenden Zuschauer gemacht, sich nach einem Stuhle oder Gegenstande umsah, auf welchem er seine ermüdeten Glieder ausruhen könne.

Nun? fragte Lambert, den Oberkörper an Mähne und Hals seines Pferdes lehnend – nun, Alter, weßhalb laßt Ihr mich hier stehen? Habt Ihr so viel Söhne und Blutsfreunde auf der Welt, daß es Euch zu viel ist, einem die Hand zu geben, wenn er nach Jahren aus der Fremde zurückkehrt und sein Herz ihn treibt, zu sehen, wie es Euch geht bei Euern grauen Haaren und in Eurer Verlassenheit?

Wäre es Tag gewesen, so hätte man bei diesen Worten seines Sohnes, so kühl sie anscheinend auch waren, einen feuchten Glanz in den Augen des Bauers wahrnehmen können. In seiner Stimme aber verrieth sich diese Rührung nicht; er sagte mit demselben Ausdruck ernster und gehaltener Trauer:

Ich habe nur dich auf der Welt, das weißt du wohl, Junge; und wenn du wiederkämest, wie du gegangen bist, oder noch ärmer, als du gegangen bist, wie ein Bettler und in Lumpen – dann würde ich dir die Hand drücken und den Stuhl ans Herdfeuer schieben –

Und nun?

Nun bist du unter die Franzosen gegangen und kommst mit Krieg ins Land, und bist ein Landsverräther!

Lambert schlug ein gezwungenes Gelächter auf.

Weßhalb kommen wir ins Land? weil uns die Oesterreicher angegriffen haben, und nun schlagen wir sie. Was geht das Euch an, Vater? Ihr seid kein Preuße und kein Oesterreicher. Die Franzosen sind Eure Freunde, denn sie sind Freunde des Unterdrückten und Geknechteten.

Was die Freundschaft angeht, so wissen die Leute verschiedentlich davon zu reden, denn sie schreiben sie dem Einen mit Säbelhieben auf den Rücken und zünden dem Andern das Dach über dem Kopfe an, und schleudern seinen alten gichtbrüchigen Vater oder seine blinde Mutter in die Flamme. Und wenn sie uns Jammer und Hungersnoth bringen, unsere Töchter und Weiber schänden und unsere Altäre beschmutzen, so ist das ein schlechter Trost, daß sie nur mit den Oesterreichern Krieg führen. Ich weiß nicht, was das heißen soll. Ich weiß nur, daß sie mit Mord und Todtschlag ins Reich gekommen sind, und das Reich hat seine Fürsten und über ihnen den Kaiser. So ist es eingesetzt seit Karoli Magni Zeiten – ein Kaiser und vier Kurfürsten und vier Herzöge und vier Burggrafen des Reichs und wie der Heerschild weiter ist – das hat Gott also eingesetzt und angeordnet; wer dawider krieget und die christliche Obrigkeit angreift und die Religion, der ist ein Bösewicht und ein Landsverräther!

Vater, ich bin ein leibeigener Knecht gewesen hier unter Euern vier Burggrafen und wie sie weiter heißen. Die Franzosen haben mich frei gemacht, und weil ich mich wie ein Löwe geschlagen habe, haben sie mich zu hohen Ehren erhoben. Ich bin Major und ein ganzes Regiment, dessen Oberst erschossen ist, steht augenblicklich unter meinem Commando. Ist das nun recht und billig, daß Ihr mir ein Verbrechen daraus macht, wenn ich zu ihnen halte bis in den Tod?

Junge, sagte der Bauer und legte seine dürre Rechte, an welcher Alter und Arbeit nichts als Sehne und Knochen gelassen, auf die Schulter seines Sohnes, während er mit der Linken in die nächtliche Gegend hinein deutete: Junge, blicke dort hinaus: wenn es Tag wäre, sähst du den Glockenturm unserer Kirche, in dessen Schatten deine todte Mutter liegt. Wenn du dich unschuldig fühlst, daß du mit deinen Reitern und Mordbrennern wie ein Würgengel in dies Land gekommen bist, so geh hin und sprich ein Vaterunser auf ihrem Grabe.

Lambert stand unbeweglich und blickte auf den Boden.

Du magst nicht? fuhr der Alte fort. Nun wohl, ich sage dir, all dieser Boden, auf dem du stehst, so weit er des Reiches und des Kaisers ist, soll dir so heilig sein, wie das Grab deiner Mutter.

Lassen wir das, sagte Lambert, wir werden doch nicht eines Sinnes darüber werden. Kommt ins Haus, ich will die Nacht bei Euch bleiben, und morgen weiter.

Der Bauer machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

Ha! Vater, Ihr wollt mir doch nicht Euer und mein Haus verbieten?

Willst du den Rock abwerfen, den du trägst, und die Waffe von dir thun, mit der du kommst? Ein Franzose kommt mir nicht mit meinem Willen ins Haus!

Lambert wurde dunkelroth; seine Lippe zitterte.

Ihr seid ein starrköpfiger alter Narr! sagte er und schwang sich mit einer heftigen Bewegung wieder in seinen Sattel.

Lambert, versetzte sein Vater, indem er ernst seine Rechte erhob, sag kein Wort mehr, sondern danke Gott, daß ich dich schweigend fortweise von meinem Hause, und dir nicht einen Spruch mitgebe, welcher eben so dunkel ist, wie die Nacht, in welche du fortziehst, und die Wege, auf denen du deinem Schicksal entgegengehst!

Lambert hörte diese Worte, in welchen eine Drohung und eine unheilkündende Prophezeiung lag, mit zusammengepreßtem Munde, mit verbissenem Grolle an. Er winkte seinen Begleitern mit der Hand und ohne eine Sylbe zu erwidern, ohne sich umzusehen nach dem grauen Haupte seines Vaters, das er vielleicht zum letztenmal in seinem Leben erblickte, verließ er die Schwelle seines Geburtshauses.

Die Anwesenden, welche auf des Bauers Geheiß sich entfernt gehalten hatten, ließen jetzt ihren Zungen freien Lauf, um ihre Ueberraschung, ihre Befürchtungen, ihre Beobachtungen auszutauschen. Die Schwingtagfeier war vollständig vergessen und die halblaute, geheimnißvolle Unterredung, welche Vater und Sohn mit einander gehalten, die Wahrscheinlichkeit, daß größere Haufen feindlicher Truppen nahe seien, die staunenswerth glänzende Laufbahn, welche ihr alter Standes- und Schulgenosse gemacht, beschäftigten die ganze Schar. Man hatte gespannt auf das Ende der Unterredung geharrt, um von dem Schulzen Aufklärungen zu erhalten. Aber der alte Bauer war unnahbar. Mit finster zusammengezogenen Brauen schritt er dem Hause zu. Hier schloß er sich ein in seine Kammer und Niemand hat belauscht, wie er die Nacht dort zubrachte. Als er am andern Morgen wieder sichtbar wurde, hatte sein braunes tiefgefurchtes Gesicht einen Ausdruck angenommen, der ihn vor allen zudringlichen Fragen schützte. Auch war es eine Beobachtung, die sich bald Allen aufdrängte, daß der verschlossene alte Bauer von diesem Tage an doppelt so schweigsam und mürrisch geworden, wie je zuvor.

*


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