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Zweites Kapitel.

Die Hotels des Faubourg St. Germain sind meist durch eine Vormauer mit großem Einfahrtsthor und einen Hof mit Stallungen, Remisen und Wohnungen für das Gesinde von der Straße getrennt. Das Corps de Logis ist dann ganz dem Lärm des Straßenverkehrs entrückt und wendet seine Hauptfaçade einem stillen Garten zu, dessen sorgsam gepflegte, üppige Pflanzenwelt die Schranken der Mauern überhüllt und wie in eine unbegrenzte Land- und Waldnatur die getäuschten Blicke schweifen läßt.

Wir werfen vor dem Leser eine Enfilade von Zimmern in einem dieser »entre cour et jardin« liegenden Hotels auf. Sie sind zu ebener Erde und gehen auf den Garten hinaus. Aus den beiden Cabinets an den entgegenstehenden Enden der Zimmerreihe führen Balconthüren über einen Perron und breite Sandsteintreppen in den Garten hinab. In einem dieser Cabinets hängt eine Ampel von der mit Frescobildern geschmückten Decke nieder und gießt ein mattes, dämmerndes Licht aus, welches die schwerfällige Pracht der Zimmereinrichtung erkennen läßt. Im Hintergrunde des Gemachs lockt eine weibliche Gestalt leise, wunderbare, phantastische, oft bis ins Bizarre sich verirrende Melodien aus einem Fortepiano. Eine andere Frauengestalt sitzt draußen vor der geöffneten Flügelthür auf dem Perron, der in den Garten führt. Der Schein der Ampel liegt auf ihrer Stirn und ihrer linken Wange, während die übrigen Züge in Halbdunkel gehüllt bleiben. Diese Beleuchtung gibt ihnen etwas Scharfes, Markirtes; das halb strahlende, halb mystisch verhüllte Gesicht hat etwas von dem Ausdruck einer Judith bekommen. Die große, schlanke Gestalt ruht auf einem Tabouret zu dem Steingeländer der Treppe hinübergeneigt, auf welches der Arm sich stützt. Sie ist ganz in schwarze Seide gekleidet, so einfach, als ob sie Trauergewänder trüge.

Die Klänge des Instruments verstummen. Die Virtuosin, deren wunderbar schönes Profil und hinreißend edle, anmuthige Formen jetzt vom vollen Schein der Ampel überglänzt werden, während sie mit elastischem Gange durch die Mitte des Gemachs schreitet, nähert sich der Ruhenden und legt die Hand auf ihren Arm.

Hat mein Spiel meine hohe Freundin traurig gemacht?

Nein, liebes Kind, – aber dieser Abend hat es. Setzen Sie sich zu mir. Sehen Sie, wie wunderschön dieser Abend ist! Wie das Mondlicht weich und mild über diese Gebüsche gleitet! Und die Luft spielt so warm um die stillen Pflanzen da draußen, – es ist, als gönne der Himmel sein mildestes Licht, seinen wärmsten Hauch nur dieser reinen Pflanzenwelt noch!

Sie ist entzückend schon, die Nacht! versetzte das Mädchen leise.

Ich glaube überhaupt, daß die Pflanzen Gottes liebste und gelungenste Schöpfungen sind.

Halten Sie die andern nicht für gelungen, Fürstin?

Nein, Bianca, – nur in der Pflanzenwelt ist keine Bildung durchaus unschön. Was die Thierwelt betrifft, so hat Gott augenscheinlich zweimal dazu angesetzt, sie hervorzubringen. Die scheußlichen Ungethüme, welche die Vorwelt bevölkerten, diese Fleisch- und Knorpelberge der Mammuth, Ichthyosauren und wie man sie nennt, waren gewiß nur ein erster Entwurf, eine Probeschöpfung, deren Mislingen die häßlichen Schlammgeburten, welche davon übrig geblieben sind, der Elephant, das Flußpferd, beweisen. Der Schöpfer hat an ihnen gelernt; und dann hat er die zweite Schöpfung hervorgehen lassen, das Pferd, den Hirsch, den Schwan. Er hat darauf, kühn geworden durch das Gelingen solcher schönen Bildungen, den Menschen zu erschaffen versucht. Aber dieses Werk seiner Hand ist, wie es jetzt einherstolzirt, sicherlich auch nur ein bloßes Brouillon, der erste rohe Entwurf, der von dem idealen Wesen, welches einst diese schöne Erde beherrschen wird, so weit entfernt ist, wie der ungeschlachte Mammuth der ersten von dem edeln Hirsch, von dem intelligenten arabischen Pferde der zweiten Schöpfung.

Es ist freilich schwer zu glauben, daß diese unendlich schöne, unaussprechlich reiche Natur, die in jeder Gebirgslinie, in jedem stillen Laubwipfel einen Gedanken des Friedens und der Poesie trägt, für jene Menschen geschaffen sei, welche wir draußen auf den Gassen toben und ihre revolutionairen Lieder brüllen hören. Aber hat Gott sie so gemacht?

Glaubst du etwa, irgend ein Dämon habe sie von einem Stern der Verdammniß auf seinen Flügeln herübergetragen und sie Gott in seinen Garten gesetzt, um ihm denselben zu verderben?

Ich kann nicht so schlecht von den Menschen denken, wie Sie thun, Fürstin. Aber hätten Sie recht, so könnten Sie sich mit dem Gedanken trösten, daß die Zeit der zweiten Schöpfung herannahe; denn die Menschen, welche jetzt leben, scheinen ja im besten Zuge, sich einander von der Erde zu vertilgen!

Die Fürstin schwieg. Nach einer Weile hob Bianca wieder an: Der Marquis bleibt lange.

Es ist ein gutes Zeichen: ich schließe daraus, daß es ihm gelungen ist, den Schweißhund auf die Fährte des Wildes zu bringen.

Bianca erhob sich bei diesen Worten der Fürstin plötzlich aus ihrer ruhenden Stellung, wobei sie sich vertraulich auf die Schulter der Sprechenden gestützt hatte. Sie wandte sich ab und zog, als wenn ein Frösteln sie überlieft, ihr Fichu enger um ihren Nacken.

Was hast du, Kind? fragte die Fürstin.

Nichts, versetzte Bianca. Die Worte der Fürstin hatten sie zu sehr verletzt, als daß sie es ihr hätte gestehen mögen. Erst nach einer Pause sagte sie:

Welches Glück ist es für Sie, daß Sie von so genialer Härte sind; wäre ich es auch, um wie viel leichter könnte ich meine Rolle spielen!

Ich bin nicht hart, Bianca. Ich greife nur stets dreist nach dem Kern jedes Verhältnisses und habe den Muth meiner Auffassung. Glaubst du, Bianca, ich sei hart?

Die Fürstin nahm ihre Hand und sagte, indem sie dieselbe drückte, mit weichem Tone:

Was hat dich verletzt? Habe ich dir wehe gethan, indem ich Schwalborn kurzweg mit einem Ausdruck bezeichnete, der freilich nicht schmeichelhaft ist, aber desto prägnanter die Aufgabe ausdrückt, für die wir ihn nun einmal bestimmt haben? Sag' mir, Bianca, hegst du vielleicht ein Interesse für diesen jungen Menschen?

Bianca schwieg eine Weile. Dann versetzte sie seufzend, aber fest und bestimmt:

Nein!

Und du seufzest dabei?

Ich will Ihnen ganz sagen, was in mir vorgeht, denn Sie zwingen mich, auch dreist nach dem Kern meiner Empfindungen zu greifen. Ich bin zu alt, um nicht über die Liebe nachgedacht, um nicht ein Bedürfniß, oder besser eine Sehnsucht nach einer Verbindung des Herzens und der Seele mit einem Manne gefühlt zu haben. Ich habe ein paar Mal in meinem Leben geglaubt, den Keim einer erwachenden Neigung in mir zu fühlen. Ich habe versucht, ihn zu hegen, sein Wachsthum zu nähren, ich habe alle meine Gedanken gezwungen, die fortwährenden treuen Hüter und Pfleger dieses Keims zu sein. Aber nach kurzer Zeit habe ich mir gestehen müssen, daß er eigentlich gar nicht vorhanden gewesen, oder daß er bereits wieder erstickt sei. Ich weiß nicht, woher es kommt, ob ich recht habe oder unrecht, wenn ich ein Verhältniß mir so ideal denke, daß kein Mann, den ich habe kennen lernen, hineinpaßt. Aber ich kann nicht anders. Doch ich bin traurig darüber. Ich habe seufzen müssen, als ich eben Ihnen nichts als ein kaltes Nein antworten konnte. Ich habe Mitleid mit mir selber. – Mitleid – lachen Sie nicht – darüber, daß ich nicht unglücklicher bin. Ich möchte eine recht große, eine unglückliche Leidenschaft haben. Ich möchte ein hochschlagendes Herz, eine göttliche Seele kennen, der ich irgend ein großes Weihegeschenk, eine hohe That, ein tragisches Schicksal darbringen könnte. Wenn uns gelingt, was wir zu vollführen hier sind, dann möchte ich nicht allein das, was meinen Geist und meinen Ehrgeiz lohnt – ein Blatt in der Geschichte dafür erhalten – nein, ein wärmeres, persönlicheres, das Herz angehendes Anerkenntnis; – das erst würde mich glücklich machen!

Die Fürstin erhob sich und legte ihren Arm um die Taille Bianca's.

Du bist eine Schwärmerin, sagte sie, aber deine Seele ist so rein, wie die weiße Jasminblüte dort, um welche der Glühwurm kreist. Sehne dich nicht nach einer Leidenschaft. Dein Herz ist groß und voll genug, um ihrer nicht zu bedürfen. Ich bin nicht so glücklich gewesen. Ich habe ihrer bedurft; ohne sie wäre ich ein stolzes, hartes, übermüthiges Weib geworden, – vielleicht ein heller Kopf, ein scharfes Auge, aber eine kalte Seele. Die Leidenschaft hat mir so viel Herz geben, mich so groß machen müssen, um mich nicht vor der Aufgabe zurückbeben zu lassen, welche uns hierher führte. Aber die Leidenschaft hat mir auch eine Schuld aufgewälzt, welche eine Buße von mir verlangt. Ich bin hierher gekommen, um diese Buße zu üben. Du kamst, um an meinem Werke Theil zu nehmen. Aber was bei mir eine verdienstlose That der Sühne, zu der mein Inneres mich drängt, das wird bei dir eine freie, schöne That der Aufopferung und des Heroismus sein. Wie viel glücklicher bist du!

In diesem Augenblicke hörten die beiden Frauen durch die Zimmer, welche vor ihrem Cabinete lagen, Schritte sich nähern. Sie traten in das Cabinet zurück und gleich darauf stand der Marquis vor ihnen.

Was bringen Sie, Marquis? fragte die Fürstin.

Nicht viel Gutes, Madame. Ich habe Hrn. von Schwalborn zu den Cordeliers geführt, weil ich vermuthete, daß er seinen Feind dort finden würde. Auch erschien dieser in der That, aber begleitet von einem mir unbekannten Weibe. Hr. von Schwalborn wechselte einige Worte mit ihm und reichte ihm seine Karte. Zum Unglück jedoch verstand das Mädchen am Arme Lambert's die deutsche Sprache, und es zeigte sich, daß sie Niemand anders war, als Theroigne de Mericourt, jenes Scheusal, welches die incarnirte Revolutionsfurie scheint. Sie wollte uns verhaften lassen, und wir sind nur durch die schleunigste Flucht ihr entgangen.

Das ist schlimm, das ist höchst fatal! rief die Fürstin erschrocken aus.

Ich habe Hrn. von Schwalborn nicht in seine Wohnung zurückführen dürfen, da er unvorsichtiger Weise seine Karte bereits in die Hände seines Feindes gegeben hatte, und deßhalb ihn hierher gebracht.

Hierher? Es ist zu früh, ihn einzuweihen!

Was war anders zu machen? Er wartet im gegenüberliegenden Eckzimmer.

Die Fürstin stand eine Weile nachdenklich da; dann sagte sie:

Wir werden ihn jetzt freilich hier behalten müssen. Führen Sie ihn herein: sagen Sie ihm, wen er sehen wird; das Uebrige überlassen Sie mir.

Der Marquis ging und kehrte nach wenig Augenblicken zurück. Mit ihm trat Karl in das Cabinet.

Sie hier, Sie also wirklich in Paris, und das jetzt noch, durchlauchtigste Frau? Und Sie, Gräfin Bianca? Ich traue meinen Augen nicht.

Und doch sind wir es, versetzte Bianca mit herzlicher Freude über das Wiedersehen und Karl die Hand reichend.

Sie sehen Bianca an, Sie staunen, wie glücklich sie ihrer Krankheit entronnen ist, nicht wahr, Herr von Schwalborn?

In der That! rief Karl aus – es grenzt ans Wunderbare. Die Spuren der Krankheit sind kaum sichtbar!

Bei Tage sind sie es sehr, sagte Bianca.

Und doch ist auch bei Tage Bianca noch immer schön, fiel die Fürstin ein: ihre frühere makellose Schönheit hat nur etwas sehr Capriciöses, ihr klarer Teint etwas Dunkles, Pikantes bekommen – die Italienerin ist zur Spanierin geworden.

Sagen Sie lieber zur Afrikanerin, theure Fürstin, sagte Bianca, heiter lächelnd.

Aber daß Sie noch hier sind, und daß ich keine Ahnung davon hatte!

Glaubten Sie so sicher, unsere Anwesenheit hätte sie Ihnen einflößen müssen? versetzte die Fürstin mit spöttischem Lächeln. Aber setzen Sie sich, ich will Ihnen das Räthsel unserer Anwesenheit in Paris lösen.

Ich bin mit der Königin Maria Antoinette auferzogen, fuhr die Fürstin, nachdem sie sich auf einer Causeuse niedergelassen hatte, fort. Von der Zeit unsrer gemeinsamen Kinderspiele an ist sie mir die wärmste Freundin gewesen. Als eine Trauerbotschaft nach der andern über die herzbrechende Lage der Königin nach Wien gelangte, hat es mich unwiderstehlich in ihre Nähe getrieben, um ihr die Tröstungen der Freundschaft und die Versicherungen der Treue zu bringen, womit ihre Heimat an ihr hängt und ihr Loos beweint. Bianca, welche seit ihrer Krankheit meine unzertrennliche Gefährtin gewesen ist, hat mich begleitet. Aber leider haben uns hier nur Enttäuschungen erwartet. Die Königin hat mich schriftlich gebeten, keine Schritte thun zu wollen, um sie zu sehen. Ihre Feinde würden mich dem Volke als eine Spionin des »österreichischen Complots« denunciren, welches, wie die Jacobiner vorgaben, in den Tuilerien von der Königin Maria Antoinette angesponnen und geleitet worden sein soll. Ich habe ihren Wunsch erfüllt und mich darauf beschränken müssen, ein paar Mal heimlich mit großer Mühe und allem Aufwande von List Briefe mit ihr zu wechseln. Ich habe von Tage zu Tage gehofft, daß eine bessere Wendung im Schicksale des unglücklichen königlichen Paares eintreten werde. Darüber ist die Zeit verstrichen und die Revolution ist zu einem furchtbaren Strome angeschwollen, der alle meine Hoffnungen verschlungen und meine wenigen Freunde hier auseinander geworfen, in seine Strudel gerissen oder als Flüchtlinge über die Grenze Frankreichs geschleudert hat. Ich selbst habe leider den rechten Augenblick der Flucht unbenutzt vorüberstreichen lassen. Meine Sicherheit war bedroht. Als österreichische Fürstin wäre ich unrettbar ein Opfer des Argwohns und des blutgierigen Hasses der Jacobiner gegen die österreichische Kaisertochter und ihre Freunde geworden. Ich konnte nicht fort und ich konnte nicht bleiben. Da haben wir einen Entschluß gefaßt, der uns vor Verdacht und Verfolgung sicherstellt. Bianca Tondini hat, um ihren Aufenthalt in Paris zu rechtfertigen, ihr herrliches Gesangstalent zu Hülfe gerufen. Sie ist auf dem Theater der Italiener als Sängerin aufgetreten und ich bin ihre Schwester und Begleiterin geworden.

Also doch – rief Karl aus – so sind Sie doch endlich wie die Phaläne in die lang umkreiste Flamme gestürzt?

Der Mensch kann seinem Schicksale nicht entgehn, lächelte Bianca – ich tröste mich mit dem Gotte des Alterthums, der auch die wilden Thiere mit seinem Spiel besänftigte. Ich mache Contrerevolution mit den Tönen, ich wetze die Scharten des Herzogs von Braunschweig und der Coalitionsarmee mit Couplets aus!

Und sie vertheidigt unser Leben mit Melodien, wie jener französische Tanzmeister, der in die Hände der Huronen gefallen war – fuhr die Fürstin fort. Aber hören Sie weiter. Das Auftreten Bianca's war vom schönsten Erfolge gekrönt, bis sich eines Abends zeigte, daß ihre öffentliche Erscheinung auf der Bühne eine neue und furchtbare Gefahr über uns heraufbeschworen hatte. Es ist schon mehre Wochen her, daß sie bemerkte, wie eine männliche Gestalt sie verfolgte, wenn sie nach den Vorstellungen das Haus verließ. Sie theilte mir diesen Umstand mit, aber ich legte kein Gewicht darauf, da ich in der Erscheinung nichts als einen harmlosen Anbeter erblickte, den Bianca's Schönheit an ihre Schritte fesselte. Aber vor einigen Tagen stellte sich dieser Mensch im Foyer der Schauspieler ihres Theaters Bianca frech in den Weg – und sie erkannte in ihm Lambert, den unseligen Menschen, der vom Schicksal zu ihrem bösen Dämon ausersehen scheint.

Denken Sie, wie furchtbar dies uns erschrecken mußte. Lambert ist einer jener Blutmenschen, welche den Club der Cordeliers besuchen. Er soll eine nicht ganz untergeordnete Rolle dort spielen. Mußten wir nicht jeden Augenblick erwarten, von ihm denuncirt zu werden? Wir wechselten augenblicklich unsre bisherige Wohnung und bezogen dieses abgelegene Hotel, welches eine mir befreundete emigrirte Familie uns zur Disposition gestellt hat. Bianca schrieb dem Unternehmer des Theaters, daß sie durch Krankheit gehindert sei, in den nächsten Tagen aufzutreten. Damit aber war nur für den nächsten Augenblick gesorgt. Wir mußten darauf sinnen, uns des gefährlichen Menschen, der unser Geheimniß kannte, zu entledigen. Mein Freund, der Marquis de la Roche, übernahm es, Sie aufzusuchen. Ich wußte, daß Sie hier waren, und ich setzte voraus, daß Sie entschlossen seien, die Gelübde der Rache, welche Sie in Wien ablegten, heilig zu halten. Deßhalb ließ ich Sie durch den Marquis zu den Cordeliers führen.

Aber – verzeihen Sie meiner Neugier – woher wußten Sie alles dies, meine Anwesenheit in Paris, Lambert's Theilnahme an dem Cordelierclub?

Nun, durch Zufall – Paris ist nicht so groß, daß man sich ganz vollständig vor einander darin verstecken könnte.

Und doch haben Sie sich vor mir darin vollständig versteckt, gnädigste Frau!– Sie haben mir damit weh gethan. Wie gern hätte ich alle meine Kräfte aufgeboten, um Ihnen und der Gräfin Bianca von Nutzen zu sein!

Sind Sie so sicher, uns nützlich sein zu können? sagte die Fürstin etwas herbe; Sie haben, wie ich eben höre, die Sachen schlimmer gemacht, als sie waren. – Und soll ich Sie an Ihre glänzende Rechtfertigung meines Vertrauens in unsern Wiener Angelegenheiten erinnern? fuhr sie fort, indem ein bitteres Lächeln über ihre Lippen flog. Aber lassen wir das jetzt und überlegen wir, was zu thun ist.

Lambert kennt meine Wohnung, sagte Karl. Will er sich schlagen, so wird er in meine Wohnung irgend ein Lebenszeichen senden.

Ich glaube, daß er es wird, fiel der Marquis ein. Diese Jacobiner, diese großen Geister, welche von den Pyramidenhöhen ihrer Weisheit so königlich stolz auf alle Vorurtheile herabblicken, sind entsetzlich schwache und kleine Seelen, wenn ihre Eitelkeit ins Spiel kommt. Ich bin überzeugt, es wird Ihrem ehemaligen Leibeigenen zu schmeichelhaft sein, sich mit einem Baron schlagen zu dürfen, als daß er die Gelegenheit vorübergehen ließe!

Hoffen wir es, sagte die Fürstin. Ich übernehme es, durch einen zuverlässigen Menschen Ihnen zukommen zu lassen, was etwa in Ihrer Wohnung für Sie abgegeben wird. Reichen Sie mir Ihre Karte zu diesem Zwecke. Unterdeß bleiben Sie hier in diesem Hause consignirt. Der Marquis, der uns die Honneurs dieses Hotels seines emigrirten Oheims macht, wird so gütig sein, Ihnen ein Zimmer einzuräumen.

Der Marquis verbeugte sich.

Und so will ich Sie nicht länger in Anspruch nehmen. Auf Wiedersehen!

Die Fürstin reichte dem Marquis die Hand und verbeugte sich vor Karl. Die beiden Männer gingen.

Sie waren nicht ganz aufrichtig gegen Schwalborn, sagte Bianca, während die Schritte in den Vorsälen verhallten. Sollte er es nicht verdienen durch die Gefahr, in welche er so freudig sich unsertwegen stürzt?

Es wäre zu früh, Bianca! Laß ihn erst etwas gethan haben, bevor wir ihm verstatten, den Ruhm eines Werkes zu theilen, welches so groß und erhaben ist wie das unsre. Er hat noch zu viel von der Naivetät und ungeschickten Harmlosigkeit eines Kindes in sich, um ohne weiteres zu einer Aufgabe verwandt werden zu können, welche selbst für die Kräfte eines Mannes zu groß wäre!

Während die Fürstin dieses stolze Wort sprach, folgte Karl dem Marquis über eine verborgene Treppe in das obere Stockwerk des Gebäudes und wurde von ihm in ein kleines, auf den Garten gehendes Schlafzimmer geführt, in welchem er die Nacht zubringen sollte. Sie müssen vorlieb nehmen, sagte sein Begleiter. Wenn Sie etwas bedürfen, so ziehen Sie leise jene Klingel in der Ecke und ich werde selbst kommen, um zu sehen, ob ich im Stande bin, Ihre Wünsche zu befriedigen. Domestiken haben wir nicht. Das Hotel gilt für unbewohnt, und für die Nachbarn existiren wir nicht.

Ich danke Ihnen, versetzte Karl, indem er mit herzlichem Händedruck dem Marquis gute Nacht wünschte – und dann, als er allein war, rief er mit einem bittern Gefühle der Demüthigung und voll heftigen Zornes aus:

Also zu ihrem Bravo hat sie mich gebrauchen wollen!

*


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