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Sechstes Kapitel.

So sahen sich Karl und Cölestine denn von nun an in jeder Nacht mehre Stunden lang. Sie sprachen von ihrer Liebe, ihrer Zukunft und auch von der unheimlichen Gegenwart, deren kriegerisches Fluten und Stürmen ja jeden Augenblick in das bis jetzt so glücklich verschonte Asyl ihrer Liebesseligkeit dringen konnte.

Karl freute sich über Cölestinens höher gespannten und kräftiger gewordenen Geist. Die Jahre der Sehnsucht und des Harms hatten ihre Wangen gebleicht, die zarte Fülle ihrer Schönheit litt unter den ersten Spuren dessen, was man Verblühen nennt. Aber ihre Seele war schöner geworden, ihre Urtheilskraft geschärft, ihr Geist hatte im Strome der Zeit ein gesundendes Wellenbad genommen. Ihr Verhältniß zu Karl hatte sie den Bewegungen jener Tage, welche den Umsturz aller Verhältnisse der Gesellschaft bezweckten und die alten Scheidewände zwischen Menschen und Menschen vernichten wollten, mit gespannter Theilnahme folgen lassen. Die Geschichte der Gegenwart hatte durch diese Bewegungen ein so gewaltiges Leben, einen solchen thatkräftigen Schwung bekommen, daß es unmöglich war, nicht davon berührt zu werden. Die Revolution, der Krieg, das Ringen großer Ideen und ganzer Völker, der Kampf eines neuen Zeitalters mit dem noch immer gewaltigen Geiste der Vorzeit, der so viele Jahrhunderte hindurch sich hatte befestigen und tiefe Wurzeln schlagen können, – das Alles konnte nicht an einem empfänglichen Gemüth vorübergehen ohne große und entscheidende Nachwirkungen. Cölestine war aus ihrem Träumen, aus den dämmerungerfüllten Gefühlssphären gerissen, die romantischen Nebel, aus denen sich wie Fata-Morganagestalten die Ideale ihres Herzens gebildet hatten, waren verscheucht. Das wirkliche Leben, die Welt in ihrer wahren Gestalt, der Mensch mit seinen eigentlichen Bedingungen waren dicht an sie herangetreten. Sie hatte die Foderungen des praktischen Lebens zu verstehen gelernt. Und sonderbar – die Wirklichkeit hatte jetzt eine Menge Offenbarungen für sie gehabt, welche sie nie darin zu finden erwartet; sie hatte ihr viel geheimnißvollere, höhere, seltsamere Dinge erschlossen, als in dem Reich der Dichtung und Romantik je zu finden gewesen wären. Das Leben in seiner nackten Wahrheit zeigte ihr rings um sie herum Schätze, welche die Phantasie, auch wenn sie die weitesten Fernen durchschweift, nicht ersonnen hätte. Es war Cölestinen, als erwachte sie aus einem Traume. Die Revolution war ihr eine Magierin, welche ihr plötzlich den Schleier vom verhüllten Bilde der verachteten Wirklichkeit, des wahren Menschenlebens riß!

So wie auf Cölestinen hat ja die Revolution auf eine ganze träumende Generation gewirkt!

Während der Unterredungen unsers Liebespaars hielt sich Onkel Desibod bescheidentlich im Hintergrunde. Gewöhnlich trat bei ihm ein sanfter Halbschlummer ein, und in diesem Zustande waren es zwei immer wiederkehrende Gestalten, welche beständig in seinen Traumbildern auftauchten. Die eine dieser Gestalten war ein hochgewachsener kräftiger Mann in veralteter Bauerntracht, mit einem überaus edeln und malerischen Kopfe, um den langes blondes Haar in natürlichen Locken niederhing. Seine Brauen, welche dunkler waren als das Haupthaar, stießen dicht zusammen und gaben ihm den Ausdruck von fester Entschlossenheit; auch war ein Zug von Schärfe, der um den festgeschlossenen Mund lag, da, welcher andeutete, daß hier mehr ein leidenschaftlicher und energischer, als ein offner und heitrer Charakter verborgen liege.

Die andere Gestalt hatte Züge, welche Aehnlichkeit mit denen Mariannens zeigten. Nur war sie größer, ihr Gesicht war verblüht und es lag darauf ein Gepräge von Leiden und Gedankenkämpfen, von welchem das runde blühende Antlitz Mariannens keine Spur verrieth. Ihre Tracht war die einer Klosterschwester mit weißer Stirnbinde und schwarzer faltiger Robe.

Es waren dieselben Gestalten, deren Portraits im Speisesaale von Haus Schwalborn unter den übrigen Bildern der Vorfahren hingen.

Daß diese zwei Traumbilder den Halbschlummer des guten Domherrn belebten, hatte etwas sehr Erklärliches. In ihnen allein konnte er die Entschuldigung finden, daß er heimlich, in tiefer Abendstunde die Zusammenkünfte der beiden Liebenden begünstigte, deren Verbindung schnurstracks dem Willen seines Bruders und seiner gestrengen Schwägerin entgegenlief.

Die Nonne, deren Bild sich ihm so tief eingegraben, war die Schwester seines Urgroßvaters gewesen. Ohne viel hofmeisternde Erziehung nach dem frühen Tode ihrer Mutter aufgewachsen, hatte Rosine von Schwalborn den unglaublichen und unerhört thörichten Jugendstreich begangen, sich in einen jungen Bauer zu verlieben, der Niemand anders war als der damalige Erbe des Schulzenhofes, welchen jetzt sein Urenkel, der Vater Lambert's, besaß. Ein heimliches Liebesverständniß hatte sich zwischen dem Edelfräulein und dem Leibeigenen entsponnen und war ein paar Jahre lang unentdeckt geblieben. Mehre junge Adlige hatten sich unterdeß um ihre Hand beworben und waren um so eifriger in ihren Bemühungen gewesen, als Rosine außer ihrem kleinen Brautschatz einen großen und reichen Hof besaß, den sie von einer unverheiratheten Tante geerbt hatte und der sie zu einer höchst begehrenswerthen Partie machte. Aber Rosine widerstand hartnäckig dem Andringen der Freier und der Familie. Endlich brachte eine Unvorsichtigkeit ihr verborgenes Verhältniß ans Tageslicht, und da sie trotz des Sturmes, der jetzt über sie hereinbrach, nicht nachgab und die Hand eines auch jetzt noch treugebliebenen armen Junkers nicht annehmen wollte, so wurde von Vettern und Basen beschlossen, sie ohne Weiteres ins Kloster zu sperren.

Rosine widersetzte sich diesem Beschlusse nicht, aber bevor sie den Schleier nahm und damit auf die Welt und alle ihre Rechte darin Verzicht leistete, ließ sie den Gaugrafen des nächsten Gerichtsorts kommen und durch ihn eine Verschreibung, »ein Testament« aufnehmen, in welchem sie ihrem Geliebten, dem Schulzen zu Kersting, für alle Zeiten den Besitz und die Verwaltung ihres Eigenthums Schwarzhorst vermachte. Durch die Drohung, sonst ihrer Einkleidung den hartnäckigsten Widerstand entgegensetzen und ein öffentliches Zerwürfniß mit ihrer Familie nicht scheuen zu wollen, zwang sie die letztere zur feierlichen Anerkennung des Leibeigenen als unabhängigen Verwalters von Schwarzhorst, trotz aller entgegenstehenden Gesetze über die Verhältnisse und rechtlichen Befugnisse der Leibeigenen.

Jener Verschreibung aber war ein zweites Actenstück beigefügt, welches sie geheim hielt vor den Augen Aller und das sie am Abend vor ihrer Einkleidung ihrem Geliebten überreichte, mit dem sie eine letzte Zusammenkunft ohne Zeugen sich zu verschaffen gewußt hatte.

Was ich besitze, sagte sie, habe ich den Meinigen entzogen, nicht um es dir zu schenken, der du ohnehin wohlhabend bist, und um dich so mit einem Reichthum zu überschütten, der doch deinen Lebensschmerz nicht heilen würde, nein, nur um mich an der Härte meiner Verwandten zu rächen. Aber meine Verwandten sind nicht reich, und ich will, daß diese Rache dann aufhöre, wenn die Schuld, die sie an mir begehen, gesühnt werden sollte. Darum verwalte du den Hof und wuchere mit seinem Ertrage: was du davon für dich bedarfst, das nimm; das Andere sammle und lege es an einem sichern Orte nieder, gib es in die Obhut einer Stiftung oder wohin dir gut scheint. Dann erst, wenn in meinem väterlichen Hause wieder Menschen wohnen, deren Herz stärker ist als ihr Vorurtheil: wenn ein Schwalborn mit der freien Einwilligung seiner Aeltern ein Mädchen ohne Reichthum und Geburt heirathen oder ein Edelfräulein meines Hauses einem armen Manne niedrer Herkunft ihre Hand mit ihrem Herzen schenken darf; dann soll dem Brautpaare als Aussteuer übergeben werden, was ich dir hinterlasse. Bis dahin laß es vor Jedermann ein Geheimniß sein; hüte dies Document, welches meinen Willen enthält, vor dem Auge jedes Sterblichen. Nur deine Nachfolger auf deinem Hofe sollen es von Generation zu Generation empfangen; wenn sie das Alter der Mündigkeit erlangt haben, dann sollen sie um das Geheimniß wissen und es beschwören, und dazu geloben, es eben so dem nächsten Erben hinterlassen zu wollen. Ich werde ruhig sein im Sarge meiner Klosterzelle, daß es so geschieht. Unter deinen Nachkommen wird kein Schurke sein! –

Das war das Geheimniß, welches Lambert an jenem Abend im verschwiegenen Parke dem Domherrn anvertraut hatte, als er noch hoffte, damit Karl von Schwalborn die Hand seiner Schwester Marianne und die Freiheit abkaufen zu können. Waren doch die Einkünfte des reichen Hofes nach und nach zu einer unermeßlichen Summe angeschwollen. In den Händen von Lambert's Vater lagen mehre Tonnen Goldes. Schon der erste Empfänger des Gutes hatte mit der Verwaltung einer benachbarten Abtei einen Vertrag geschlossen, wonach diese gegen eine jährliche Aversionalsumme die Einkünfte des Hofes an sich nahm. So war das Aufsehen vermieden, das sonst des Schulzen ins Unermeßliche sich ansammelnder Reichthum gemacht haben würde. Es hieß nun, der Hof Schwarzhorst sei von der letzten Eigenthümerin der Abtei vermacht, während doch die Stiftskassenverwaltung nur als Bank für die Reichthümer diente, welche der Schulze zu Kersting verwaltete, auslieh und einzog.

Aber Lambert's Hoffnungen waren gescheitert, die Bilder der Zukunft, welche er sich auf diesem Goldgrunde ausgemalt hatte, waren in bittre Täuschung aufgelöst worden. Desto mehr hatte sich der Domherr mit diesem Geheimniß beschäftigt. Er wußte freilich, daß seine Schwägerin nie die Einwilligung zu einer Verbindung ihres Sohnes mit einer Bürgerlichen um des Geldes wegen geben würde, und wären es alle Millionen der Welt. Aber daß sie beitragen würden, diese Schätze, die strenge Dame mit einer einmal geschlossenen Verbindung zu versöhnen – daran zweifelte er nicht, und so kam es, daß seine Seele unter hundert Gedanken, Hoffnungen und Plänen sich abarbeitete, wie er die Liebenden, die er verstohlen zusammenführte, offen vor den Augen aller Welt und besonders seiner gefürchteten Schwägerin zusammenführen könne, ohne das Siegel zu brechen, welches seine Lippen schloß.

Der ehrliche Desibodus ahnte nicht, daß währenddeß sich eine neue Schwierigkeit zwischen diese Verbindung schob, welche größer und unbesieglicher zu werden drohte als alle frühern.

Es war natürlich, daß sich die Unterredungen Karl's und Cölestinens vielfach um die Lebensschicksale Karl's während der Jahre ihrer Trennung bewegten. Einst, in einem Augenblick traulichster Unterhaltung – Cölestine hatte ihr Haupt an Karl gelehnt, neben dem sie auf dem Sopha saß, während sein linker Arm ihre weißglänzende und schöngeformte Schulter umschlang – erzählte Karl von Bianca Tondini. Die Männer haben einen eigenthümlichen Hang, den Frauen, an welche sie ein festes Verhältniß bindet, von ihren frühern Herzensangelegenheiten, von ihren verliebten Abenteuern zu erzählen. Es ist nicht immer Eitelkeit, was sie zu diesen überflüssigen Ergießungen treibt; es ist oft der Trieb, aufrichtig zu sein und den Beweis vollständiger Hingebung dadurch zu liefern, daß sie die ganze alte Liebschaft en bagatelle behandelt, der Geliebten als Opfer darbringen, wie sie ihr einen vertrockneten Blumenstrauß aus frühern sentimentalen Tagen hingeben würden; so werthlos und unbedeutend erscheint uns leichtsinnigen Männern ja meist die alte Geschichte, wie ein Bouquet aus Rosen und Reseda, das im Staube einer Schublade schon seit Jahren seinen letzten Duft verhaucht hat!

Sie ahnen nicht, welches Unheil sie nur zu oft damit anstiften!

Die Frauen nehmen solche Dinge weit ernster. Das Verlangen, nicht allein die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit und die Zukunft des Herzens, welches sie lieben, zu besitzen, ist in den Frauen eben so stark wie in den Männern. Die Männer aber sind naiv genug, ganz einfach an die Möglichkeit dieses Verlangens gar nicht zu denken, wenn sie es nicht erfüllen können und, wie nur zu oft der Fall ist, über ihre Vergangenheit nicht mehr zu disponiren haben. Es ist überhaupt seltsam, wie wenig geneigt wir sind, den so leichten, so naheliegenden Schluß von uns auf Andre zu machen!

Dazu kommt, daß den Frauen die Flatterhaftigkeit männlicher Herzen unverständlich ist und daß sie deßhalb an das völlige Erlöschen eines einmal entzündeten Feuers nicht glauben können.

Auch in Cölestinens Seele gruben sich tief Karl's Worte ein, als er von der schönen Italienerin erzählte. Er hätte es wahrnehmen können an ihren Fragen und Bemerkungen. Sie hatten etwas Bittres und Spöttisches: es war vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben, daß Cölestine spottete.

Während Karl noch sprach, erhob sie sich; sie entwand sich seinem sie umschlingenden Arme; als er ihre Hand erfaßte, fühlte er, daß sie zitterte.

Was hast du, Cölestine, ist dir nicht wohl?

Nichts! mich fröstelt. Sie zog ihren Shawl um sich. Karl erzählte unbefangen weiter. Erst als er der schrecklichen Katastrophe in Bianca's Geschichte erwähnte, barg sie sich erschrocken, tief erschüttert an ihm.

Und wo ist die Unglückliche jetzt? fragte sie.

Sie ist nicht weit. Die Fürstin K. hat sie zu sich genommen: ein enges Freundschaftsband umschlingt die zwei Frauen, und Beide trennen sich nie. Natürlich ahnt Bianca nicht, welchen Theil von Schuld die Fürstin selbst an ihrem Schicksal trägt; sie glaubt der Liebe der fürstlichen Freundin alles das zu verdanken, was zum Theil die Sühne eines reuigen Gewissens ist.

Und wo ist sie?

Sie folgt dem Heere Clerfayt's. Der Fürst K. ist Feldmarschall-Lieutenant unter Clerfayt und die unruhige Frau ist ihrem Gemahl nach ins Feld gezogen. Der Fürst commandirt die Avantgarde, also kann sie nicht weit sein.

Cölestine stand auf, um den in der Ecke in seinem Sorgenstuhl nickenden Domherrn zu wecken. Sie schied ungewöhnlich früh heute; und selbst Desibodus bemerkte, während er sie zum Hause ihres Vaters heim begleitete, daß sie auffallend ernst und schweigsam sei.

Als Cölestine leise und unbemerkt in ihr Zimmerchen geschlüpft war, warf sie sich unausgekleidet auf ihr Ruhelager. Sie faltete die Arme über der Brust, die heftig auf und nieder wogte. Aber nur eine kurze Weile konnte sie so ihren schmerzlichen Gefühlen sich überlassen. Denn erst wenig Augenblicke waren vergangen, seit sie zurückgekehrt, als sie die Thür ihres Vaters im obern Stock sich öffnen hörte und ein leichter Schritt, der langsam und sachte auftrat und Geräusch vermeiden zu wollen schien, die Treppe nieder kam. Ein Andrer folgte, Sie hörte die Stimme des Hauptmanns flüstern. Durch die Spalten ihrer Thür fielen Lichtschimmer in ihr Gemach; die Hausthür öffnete sich, wurde geschlossen und einen Augenblick darauf trat Zerrwitz im Schlafrock, ein Licht in der Hand, rasch in das Gemach seiner Tochter.

Du bist auf? in deinen Kleidern?

Was ist dir, Vater? was ist geschehen? – versetzte Cölestine erschrocken, ohne die Frage ihres Vaters zu beantworten – Du siehst aus so bleich wie der Tod –

Zerrwitz warf sich auf einen Stuhl und ließ das Licht aus seiner Hand auf den Boden fallen.

Ich wollte, der leibhafte Teufel holte mich, ehe der Morgen anbricht –

Vater, Vater, was ist dir? rief Cölestine noch erschrockener aus, während sie sich zu der flackernden Flamme am Boden niederbeugte.

Ich verdiene Spießruthen zu laufen! ächzte Zerrwitz und raufte sein graues Haar.

Cölestine hatte ihren Vater nie in einer ähnlichen Verzweiflung gesehen.

Ums Himmels willen, was ist dir geschehen? Wer war der Mensch, der eben ging?

Es war Lambert, Lambert Kersting, der vermaledeyte Bauernprinz!

Lambert – der ist hier?

Der Teufel hat ihn hergeführt. Er ist Major bei den Franzosen und Chef eines ganzen Regiments der heillosesten Räuber und Schufte geworden, die je von diesem Diebsgesindel über den Rhein gekommen sind!

Und was wollte er von dir, was bringt dich so in Verzweiflung?

Von mir nichts: aber von dem Marquis de la Roche will er etwas, nämlich seinen Kopf.

Gott im Himmel! Und du?

Ich habe ihm das Vorhandensein dieses unglückseligen Stutzers verrathen!

Verrathen!? Vater! Wie ist das möglich!

Verrathen! Ja! – Es ist nicht das erste Mal, daß ich Lambert wiedersehe; du weißt, ich war unlängst eine Nacht abwesend. Ich war bei ihm. Ich plauderte mit ihm wie mit einem alten Bekannten. So erwähnte ich auch der Vermählung Mariannens. Er verlangte zu wissen, ob der Marquis in Schwalborn sei. Ich konnte es nicht leugnen. Ich hätte nun den Menschen gern gewarnt. Aber dies adlige Gesindel hat mir ja das Haus verboten. Es ist ihre Schuld, wenn sie darüber zu Grunde gehen! Und doch nahm ich es mir vor, von Tage zu Tage, dem Marquis eine Warnung zukommen zu lassen – ich zauderte, es ging gegen meine Natur, den stolzen Menschen einen Gefallen zu thun; da zogen die Franzosen weiter, sie wurden geschlagen, flohen, ich athmete leicht auf – jetzt plötzlich, wie ein Dieb in der Nacht, steht dieser Bluthund, dieser räuberische Schurke, dieser Lambert vor mir, der mit einer Schwadron keck durch die Vorposten der Oesterreicher sich durchgeschlichen hat, um den Emigranten in Schwalborn zu fangen und zu erschießen!

Das ist fürchterlich!

Ja wohl fürchterlich; und wenn der Mensch ermordet wird, so ertrage ich den Gedanken nicht, daß auf mich ein Theil der Schuld kommt. Ich wollte, man hätte mich wie einen Hund todtgeschlagen, bevor ich so meine alte preußische Uniform entehrte!

Zerrwitz war in Verzweiflung: sein bleiches häßliches Gesicht hatte einen Ausdruck von Wildheit angenommen, wie die Physiognomie eines Wahnsinnigen. War es das plötzlich durch Lambert's Erscheinen und den Gedanken an die bevorstehende Greuelthat erregte Gewissen, war es das Bewußtsein, die alte eingefleischte Soldatenehre durch seine leichtsinnige oder boshafte Verrätherei befleckt zu haben – kurz, er glich jetzt einem Rasenden.

Aber ist denn Alles zu spät, ist denn gar nichts mehr zu thun? rief Cölestine, die jetzt auch wie vom Schlage getroffen dastand und an allen Gliedern zitterte. Drang Lambert ins Schloß, dann war ja auch Karl, der österreichische Offizier, verloren!

Was ist zu thun! schrie Zerrwitz – nichts ist zu thun: die Schwadron Lambert's hat in diesem Augenblick bereits das Schloß umstellt – dann wird Haussuchung gehalten und wenn der Marquis nicht gleich zu finden ist, so will der Schurke das Haus in Flammen setzen.

Das ist furchtbar – das ist unmenschlich – das kann, das darf nicht geschehen. Dieser Lambert ist ein Mensch; hier, in seiner Heimat wenigstens wird er ein Mensch sein!

Ein Mensch – ja aber ein in Fanatismus versunkener – was bleibt da vom Menschen übrig? Entreiß dem Bären sein Junges, du wirst ihn höflich und weichherzig finden im Vergleich mit einem Menschen, in dem politischer Wahnsinn sich mit Ehrsucht vereint hat!

Cölestine legte nachdenklich die Hand an die Stirn: es schien, als sei plötzlich ein rettender Gedanke in ihr aufgetaucht. Nach einer Weile Besinnens stand sie auf und griff nach Hut und Umschlagetuch.

Was willst du thun?

Ich will einen Versuch machen, zu retten.

Wohin? – doch nicht zu den Franzosen?

Ja!

Um Gottes willen! Du willst jetzt in der Nacht dich unter eine Schar des Räubergesindels wagen!

Cölestine ließ matt die Arme sinken.

Du hast Recht, sagte sie. So mußt du gehen, Vater!

Ich?

Nun ja, du: du bist es dem Marquis, du bist es dir schuldig!

Und was soll ich thun?

Cölestine setzte sich an den kleinen Tisch, auf dem ihr Schreibzeug stand. Zerrwitz blickte ihr über die Schulter. Cölestine schrieb die folgenden Zeilen:

Mein Vater theilt mir mit, was Sie vorhaben. Aber ich warne Sie, Haus Schwalborn zu betreten. Es wohnt Jemand in dem Schlosse, der wie ein zürnender Racheengel Ihnen entgegentreten würde, falls Sie die Schwelle überschritten. Lambert, – es ist nicht möglich, daß Sie es wagen sollten Bianca Tondini unter die Augen zu treten!

Cölestine Zerrwitz.

Was soll das bedeuten? rief Zerrwitz aus – was wird das helfen?

Geh, Vater, geh und zögre nicht: zu Erklärungen ist keine Zeit – geh und gib diese Zeilen in die Hände Lambert's.

Zerrwitz eilte in sein Zimmer, um sich in seine Kleider zu werfen. Nach zehn Minuten kam er, zu seinem Gange gerüstet, zurück. Es war eine sternenhelle Nacht. Der alte Soldat trat ungesäumt mit dem Briefe seiner Tochter seinen Weg an, indem er sich nach der Seite wendete, wo er Lambert früher hatte verschwinden sehn.

Während er so den nächsten der französischen Posten aufsuchte, gab Cölestine sich keineswegs zuversichtlich dem Glauben hin, daß sie zur Rettung ihres Geliebten und des Marquis genug gethan. Vielleicht, sagte sie sich, ist Lambert so verhärtet, daß er vor einem Zusammenkommen mit der Italienerin nicht zurückbebt; oder, falls so viel menschliches Gefühl in ihm zurückblieb, daß er den Anblick des armen Opfers seiner Verworfenheit scheut, so trägt er Andern seiner Schar auf, an seiner Stelle die Anschläge seiner Rachsucht auszuführen. Es muß mehr geschehen – es muß Hülfe herbeigeschafft werden, und Hülfe ist nirgendwo als bei der nächsten österreichischen Heeresabtheilung.

Cölestine hatte gehört, daß ein österreichisches Piquet in einem Dorfe stand, welches nicht eine Stunde weit entfernt war. Es galt also diesem augenblicklich eine Nachricht zukommen zu lassen. Aber wer sollte den gefährlichen Botengang machen? In ihrem Hause war kein lebendiges Wesen außer einer Magd; es war zu erwarten, daß die französischen Reiter sich in der nächsten Häusergruppe des Dorfes, das zu Schwalborn gehörte, einquartiert und an den Ausgängen Posten aufgestellt hatten. Vielleicht war die Vorsicht so weit getrieben, daß auch ihr Haus umstellt worden, damit keine Nachricht daraus dringen könne, nachdem Lambert dem Hauptmann seine Absichten mitgetheilt. Aber ihr Vater hatte ja das Haus unangerufen verlassen. Cölestine zauderte deßhalb nicht, ihren Entschluß zu fassen. Es galt, Karl die Freiheit, vielleicht das Leben zu retten. Sie machte sich selbst auf den Weg. Sie vertauschte ihren Hut und ihr Umschlagetuch mit dem Mantel und der Haube ihrer Magd, nahm Alles zu sich, was sie an baarem Gelde besaß, und schritt dann kühn in die dunkle Nacht hinaus, welche eben dem ersten halben Dämmern des Morgens weichen zu wollen schien.

*


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