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Viertes Kapitel.

Der Hauptmann Zerrwitz hatte schon seit einer Stunde auf einem Pferde der französischen Chasseurabtheilung und begleitet von zweien aus der Zahl derselben das verwüstete und ausgeplünderte Dorf verlassen. In dem Pfarrhause war Alles still geworden. Auf Decken, Kisten, Strohschobern in den einzelnen Kammern lagen trunkene Schläfer und der Mond blickte durch zertrümmerte Scheiben auf die im fahlen Lichte todtenblaß daliegenden Gesellen mit den häßlichen, zerfurchten, tiefgeschnittenen Zügen, die der Schlaf gibt. Sie sind halb entkleidet, halb stecken sie in bunten zusammengeraubten Uniformen, während ihre Waffen, eine Sammlung von Mordinstrumenten, eben so bunt und zusammengelesen wie die Kleidungsstücke sind, an den Wänden lehnen, auf zerschlagenen Möbeln liegen oder den Boden bedecken. Ein wüster Anblick! Rings herrscht lautlose Stille, welche nur durch den Hufschlag oder das Gewieher der im Hof und Stall untergebrachten Pferde oder durch den Schritt der ausgestellten Schildwache zuweilen unterbrochen wird.

In dem Wohnzimmer des Pfarrers allein glimmt noch ein düster flackerndes Licht, ist noch ein menschliches Auge wach. In einem lederüberzogenen Armsessel von schwerem Eichenholz ausgestreckt, die Arme untergeschlagen, den Kopf an die Rückenlehne gelegt, aber hellen offenen Auges sitzt Lambert und sinnt über Dinge nach, welche den Schlummer mit jeder Minute weiter scheuchen. Unter das friedliche Dach des Pfarrherrn sind nie Gäste eingekehrt, wie heute es entweiht und verwüstet haben. Aber auch noch nie mögen um den Patriarchenstuhl des sorglichen Seelenhirten die Schemen so dämonischer Gedanken geschwebt haben, wie in dieser stürmischen Nacht des Unglücks und des Jammers für die flüchtige, obdachlose, hungernde Gemeinde.

Lambert's trocken glühendes Auge stierte, als ob er ein Gespenst sähe. Und es war ein Gespenst, was sich vor ihm erhob und immer wieder vor ihm stand, so oft er es verscheuchen wollte, immer näher, immer dichter, immer herzbeklemmender!

Es war die Ueberzeugung, daß sein Leben ein verlornes, daß er ein unglücklicher Mensch sei, daß ein Fluch auf seinem Haupte laste, den er nimmer abschütteln könne!

Das also war das Resultat des Kampfes mit dem Leben, in den er mit so viel freudigem Muthe gegangen! Das war die Frucht der schönen und hohen Begeisterung seiner ersten Jugend: dafür war so viel Schwung, so viel Kraft, so viel unerschöpflicher Jugendmuth, wie ihn einst beseelte, vergeudet!

Und wen sollte er anklagen? sich? die Menschen? die Ereignisse? wie hieß der Dämon, der ihn ins Unglück gestürzt?

Die Leidenschaft für ein Weib hatte sein Herz in helle Flammen gesetzt, das Gefühl der Unterdrückung hatte ihn dem Fanatismus für die Freiheit in die Arme getrieben. Im unbezähmbaren Drange, jener Leidenschaft zu dienen, hatte er ein Verbrechen begangen, das sein Gewissen eine entschlossene That im Dienste des bedrohten Fortschritts, des Menschenwohls nannte. Im Fanatismus für die Freiheit war er der Mitschuldige blutiger Revolutionsgreuel, war er der Hochverräther am eigenen Vaterlande geworden. Die Liebe und die Freiheit, die heiligsten, höchsten Ideen, für welche er Blut und Leben geopfert hätte – sie hatten ihn auf den Weg zum Verderben geführt. Sie hatten sich verschworen, ihn in einen Abgrund zu stürzen. Die Liebe war in seinem Herzen erstorben. Die Freiheit hatte sich vor seinen Augen in Gewänder gekleidet, so blut- und schmutzbefleckt, hatte so thierisch trunken sich geberdet, daß er an ihr verzweifelt war. Mit ihr war der letzte Stern seines Lebens erloschen, der Tempel seines Innern verödet. Von den Ereignissen fortgezogen, willenlos ihrem starken Strome hingegeben, vom Kriegerleben und dem Lärm des Lagers und der Schlacht betäubt, hatte er das Bewußtsein dieser Lage niedergehalten und die innern Stimmen erstickt, welche in ihm laut werden wollten, in stillen Nächten am Bivouacfeuer, auf einsamen Posten, an dämmernden Abenden, denen der blutige Morgen einer Heeresschlacht folgen sollte.

Aber jene innern Stimmen erhoben sich in dieser Nacht aufs neue; sie waren furchtbar laut geworden! Der Schleier, welcher über seinem eigenen Herzen ausgebreitet lag und das Auge seines Gewissens nicht hinabblicken ließ in den tiefsten Grund desselben – dieser Schleier war fortgerissen, und von Niemandem anders als von der Hand seines Vaters! Der alte Bauer war vor ihn getreten und hatte ihn wie eine drohende Gestalt von der Schwelle zurückgewiesen, hinter welcher die Erinnerungen seiner Jugend wohnten; hoch, düster, drohend wie ein grauer Prophet des Alterthums, hatte diese Gestalt sich auf seinem Wege erhoben und ein Wehe! über ihn gerufen, das die heiligen Eichen seiner Heimatgötter, die Lüfte, welche über das Grab seiner Mutter dahergeweht kamen, angehört und nachgeflüstert hatten, als ob es ein Echo fände bei den Geistern der Nacht.

Die Worte seines Vaters, die Zurückweisung von seinem Herde hatten auf Lambert einen tiefen, erschütternden Eindruck gemacht. Gewissensbisse, Seelenangst, furchtbare Niedergeschlagenheit bemächtigten sich seiner Seele. Gewiß, unter all den Flüchtigen, welche draußen in Zagen und Furcht, in Noth und Hunger die Nacht auf freiem Felde, im Schutz des Waldes oder verborgen in Höhlen zubrachten, war Niemand, dessen Herz so tiefes Wehe fühlte, als der, vor dem sie geflohen waren und dessen übermüthige Scharen ihre Hütten plünderten.

Lambert hatte lange mit seinem Schmerze zu ringen, ohne einen versöhnenden Gedanken in seinem Innern zu finden, der ihn hätte trösten und erheben können. Und wo hätte er ihn finden sollen? Er war ein verlornes Opfer einer Uebergangsepoche der Geschichte, wie jede Uebergangsepoche ihrer so viele fodert und gerade unter den kräftigsten Charakteren sich auswählt. Er hatte sich seiner Zeit zum Werkzeug hingegeben und sie hatte ihn misbraucht. Wie jedes große erschütternde Ereigniß, welches bestimmt ist, eine neue Idee zur Herrschaft der Welt zu rufen, damit beginnt, Die, welche ihm dienen, zu blenden, so hatte auch ihn der große Gedankenumschwung seiner Tage geblendet. In dieser Blindheit hatte er die Mark überschritten, wo das Reich die sittlichen Wahrheiten und jener ewigen Grundsätze beginnt, die unerschütterlich feststehen müssen, die Mark, jenseits welcher die Revolution zum Frevel wird.

Aber konnte Lambert keinen versöhnenden Gedanken finden – einen Trost fand er dennoch. Dieser Trost, freilich ein schrecklicher und verzweiflungsvoller, lag in der Hoffnung, sein Elend gerächt zu sehen an Denen, welchen er die ursprüngliche Schuld dieses Elends zuschrieb. Er hätte Vernichtung suchen müssen, hätte er nicht noch wenigstens Zorn und Rachsucht genug in sich gefunden, um seine alte Energie wieder wach zu rufen. Das Gewissen in seiner Seele mußte einen Gegenstand finden, der außer ihm lag und auf den es sich entladen konnte. Die, welche einst sein junges freiheitdürstiges Herz mit Galle erfüllt, welche seinen Stolz unter das Joch der Knechtschaft gebeugt und ihn so dem Fanatismus in die Arme gejagt hatten – die sollten ihm dafür büßen! Er kannte keine Rücksicht mehr für irgend ein menschliches Wesen. Hatte doch Die, welche er einst geliebt, hatte doch Marianne durch die Treulosigkeit, welche er ihr Schuld gab, den Stachel der Erbitterung bis zum wüthendsten Schmerze geschärft! Er gelobte sich feierlich, sie Alle zu verderben, Ihr stolzes Schloß wollte er niederbrennen, die Besitzer wie gehetztes Wild in die Wälder treiben lassen, – an Polydore de la Roche aber sollte unerbittlich jene Strafe vollzogen werden, welche die Republik über die Emigranten verhängt hatte. Das Gesetz der Republik verhängte über sie den Tod durch die Kugel.

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