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Neuntes Kapitel.

Während die Fürstin, ungewiß, welchen Entschluß sie ergreifen sollte, mit sich zu Rathe ging, ob es nicht besser sei, daß auch sie Paris verlasse und sich in Sicherheit bringe, hatte das Comité de Surveillance générale der Gemeinde von Paris seine Vorbereitungen zu dem großen Schlage, den es wider die Feinde der Revolution führen wollte, beendigt. Auf einem Terrain vor der Barriere Saint Jacques, unter dem alte Katakomben sich erstreckten, waren Todtengräber in der Stille geschäftig, den verschütteten Zugang zu den Wohnungen der Gestorbenen wieder aufzudecken und Platz für die zu schaffen, die unter den Händen der Septembriseurs der »Freiheit und Brüderlichkeit« geopfert werden sollten. Santerre, der Commandant sämmtlicher bewaffneten Sectionen, eilte musternd von Posten zu Posten; die Führer hatten ihre geheimen Weisungen erhalten. Die Mörder schärften ihre Waffen. Maillard, ihr Haupt, feilschte mit Danton, Marat und den andern Mitgliedern des Comité um den Preis für jeden von seinen Schlächtern zu vollstreckenden Mord, und zankte sich mit den Kärrnern um den Lohn für jedes Hundert wegzuschaffender Leichen.

Unter den Eingeweihten, welche sich Instructionen von dem Comité zu holen kamen, war auch Lambertine oder Theroigne de Mericourt. Sie wollte bei dem großen Blutbade, welches sich vorbereitete, eine persönliche Rachlust befriedigen. Sie hatte durch den Späher, welchem sie Auftrag gegeben, Lambert zu beobachten, erfahren, daß dieser eine Zusammenkunft mit einer Dame in einem entlegenen Garten des Faubourg St. Germain gehabt: es war ihr hinterbracht worden, daß diese Dame aus dem Hause des Händlers Delcour oder wahrscheinlicher aus dem daran stoßenden Hotel im Faubourg St. Germain gekommen; ebenso hatte der Späher berichtet, daß dort zwei junge Männer aus- und eingegangen, deren einer Bianca zu der Zusammenkunft begleitet habe.

Auf dem Wege zum Stadthause hatte Lambert, nachdem er Bianca in den Wagen steigen lassen, so furchtbar geeilt, daß Theroigne's Späher ihn aus den Augen verloren. Theroigne hatte ihn selbst am Abende jenes Tages, an welchem er Bianca zum Stadthause geführt, nicht gesehen. Sie hatte ihn zur gewohnten Stunde vergebens erwartet und ihre eifersüchtige Wuth war dadurch nur noch höher gestiegen. Theroigne hatte sich nun nicht lange mit mühsamen Combinationen geplagt, aber sie hatte sich vorgenommen, bei der großen Haussuchung, welche bevorstand, in den ihr bezeichneten Wohnungen selbst die Nachforschungen zu leiten – und dann wehe einer Nebenbuhlerin!

Als sie nun, wie wir eben berichteten, am andern Morgen das Stadthaus betrat, um dort Hebert aufzusuchen, einen ihrer Freunde, der zum Comité de Surveillance gehörte, begegnete sie auf dem Corridor dem Bürger Bonnet.

Ah, da ist ja die schöne Lütticherin! rief dieser aus – und so ganz allein? ohne alles Gefolge von ihren rosenrothen und himmelblauen Anbetern?

Der junge Mann wollte diese Worte mit einer Vertraulichkeit gegen sie begleiten.

Laß mich, Bonnet, oder ich mache dich zum himmelblauesten aller Anbeter, die ich je gehabt habe.

Wie sie heut launig ist! Dein Mignon hat dir einen Streich gespielt, schöne Lütticherin, und deßhalb bist du in einer Stimmung wie der Ci-devant König von Yvetot, als er Tambour bei der Republik werden mußte.

Streich gespielt? was willst du damit sagen, Bonnet? fragte Theroigne, indem sie einen spähenden Blick über die Züge des lächelnden jungen Beamten gleiten ließ. Welchen Streich hat er mir gespielt?

Er hat dich um das Vergnügen gebracht, eine Nebenbuhlerin zum Frühstück zu verspeisen, antwortete Bonnet boshaft. Sie ist fort!

Ich verstehe dich nicht!

So wüßtest du nicht, daß er sie hat ausweisen lassen, seine schöne Sängerin? daß sie jetzt auf dem Wege zur Grenze dahinrollt, weit genug, daß du sie nicht mehr erreichen kannst?

Eine Sängerin? Welche Geschichten das sind! Aber ich schwöre dir, Bürger Bonnet, ich weiß keine Sylbe von allem dem. Ich habe Lambert gestern den ganzen Tag über nicht gesehen.

So ist er wahrscheinlich auf Amors Flügeln seiner Liebe nachgesegelt. Was wirst du thun, Theroigne, diesen Schimpf zu rächen?

Theroigne war Weib genug geblieben, um diesen Spott zu fühlen. Die anscheinende Bestätigung ihres Verdachts gegen Lambert, welche sie durch ihren Späher erhalten, hatte ihren Zorn aufwallen lassen; aber ein solches Spiel hinter ihrem Rücken, ein solcher Betrug, wie sie es nannte, stachelte sie zur Wuth und zum Ingrimm, und in ihrer maßlosen Leidenschaftlichkeit, der immer die äußersten und gewaltthätigsten Schritte die nächsten waren, suchte sie sofort einen Gegenstand zu finden, an dem sie jene Wuth auslassen konnte. Sie stieß einen Fluch aus, wandte dem jungen Mann den Rücken und verließ augenblicklich das Stadthaus, Draußen winkte sie einem Fiaker, rief dem Kutscher die Worte: Rue St. Dominique Faubourg St. Germain, zu und warf sich in den Wagen.

Die Fürstin war, während Theroigne so ihrer Wohnung zurollte, in großer Gemüthsbewegung. Sie hatte soeben ein drittes Billet vom Marquis de la Roche bekommen. Es war an der nächsten Poststation vor Paris auf dem Wege nach Amiens auf die Post gegeben und an Delcour adressirt, aber mit dem geheimen und für die ganze Correspondenz der Fürstin verabredeten Zeichen versehen, der es als für diese bestimmt erkennen ließ. La Roche schrieb in Chiffern:

»Ich reiße noch einmal ein Blatt aus meinem Taschenbuch, um Ihnen, Madame, aufs schleunigste eine erschütternde Nachricht zukommen zu lassen, die ich eben aus dem Munde Bianca's vernehme. Lambert hat ihr verrathen, daß die Männer des Schreckens, welche Frankreich regieren, beabsichtigen, ohne Zeitverlust Alles was in Paris fremd, verdächtig ist, einen aristokratischen Namen trägt, oder vom Hasse der Machthaber und ihrer Creaturen verfolgt wird, aufheben, zusammentreiben und niedermetzeln zu lassen. Eine Haussuchung durch ganz Paris wird vorhergehen. Es ist eine Sündflut von Blut, welche meiner armen Vaterstadt bevorsteht. Ich beschwöre Sie, sich augenblicklich zu flüchten; aber lassen Sie durch Delcour und die andern Ergebenen ohne Verzug alle unsere Freunde warnen. Ich erwarte Sie morgen in Amiens bei der Vicomtesse de Mezieres. M. d. l. R.«

Die Fürstin war außer sich. Alle ihre Hoffnungen lagen am Boden, alle mit so viel Mühe, Ueberlegung und Aufwand an Zeit, Kräften, Geld getroffenen Vorbereitungen waren umsonst. Und dazu war ihr Leben in Gefahr. La Roche hatte gut ihr die Flucht rathen. Wie sollte sie sich die nöthigen Papiere verschaffen. Der Ein- und Ausgang von Paris, die Heerstraßen, die Grenzen waren streng bewacht. Sie hatte zwar mit mehren andern Theilnehmern ihres Anschlags, die wie sie im Geheimen für die Ausführung desselben gewirkt, an der Herstellung eines verborgenen Zufluchtsorts arbeiten lassen, in den die königliche Familie gebracht werden sollte, wenn es gelungen, sie aus dem Tempel zu retten. Aber dies Asyl war nicht fertig und schwerlich schon gegen Nachforschungen gesichert, wie sie nach La Roche's Billet jetzt so nah bevorstanden.

Die Fürstin ließ Karl zu sich rufen und theilte ihm die furchtbare Situation mit, in welcher sie Beide sich befanden. Sie berathschlagten lange, was zu thun sei. Endlich wurde beschlossen, das Heil auf dem einfachsten Wege zu versuchen. Die Fürstin hatte einen Paß für Bianca in Händen, in welchen diese als Sängerin, die Fürstin selbst als ihre sie begleitende Schwester eingeschrieben waren. Die Fürstin hatte sich diesen Paß bei der Herreise in Wien geben lassen, neben einem andern, worin sie als Fürstin K. und Bianca als ihre Gesellschafterin verzeichnet waren. Sie beschloß jetzt, von jenem erstern Gebrauch zu machen und auf der Mairie die Visirung desselben zur Abreise zu verlangen, mit Bezug auf den Ausweisungsbefehl gegen Bianca, derentwillen die Fürstin ja allein in Paris anwesend schien. Schwieriger war es, Karl zu retten. Er mußte als Bedienter gelten. Dazu mußten aber Legitimationspapiere beschafft werden. Die Fürstin machte Karl Aussicht, diese von einem ihrer Mitverschwornen zu erhalten, der für den Fall der Gefahr einen kleinen Vorrath von solchen Pässen und Legitimationspapieren in Bereitschaft hielt.

Dieser Plan schien freilich leicht ausführbar und ohne alle Schwierigkeit. Es war nur die Frage, ob man überhaupt Pässe visiren und irgend Jemanden aus Paris abreisen lassen würde – so nahe vor der großen Bartholomäusnacht des Freiheitscultus von 1792!

Man mußte es darauf ankommen lassen und wenigstens den Versuch wagen. Karl machte sich bereit, den Herzog von M. aufzusuchen, von dem er auf ein Billet der Fürstin hin einen Paß als Kammerdiener zu erhalten hoffte. Die Fürstin hatte eben dies Billet geschrieben und begann ein neues an den Director des Theaters der Italiener, um ihn zu bitten, wenn sie nach einer Stunde bei ihm erscheine, sie als Fürsprecher und Bürge ihrer Angaben auf die Mairie zu begleiten, da Bianca ausgewiesen sei und sie ihr augenblicklich zu folgen wünsche.

Plötzlich hielt die Fürstin inne. Draußen, in den Vorzimmern, ließen sich heftige Stimmen im Wortwechsel vernehmen.

Die Fürstin erblaßte, ergriff ein Doppelpistol, welches sich in einem Fache ihres Schreibtisches befand, und winkte Karl, sich einer zweiten Waffe zu bemächtigen, welche neben der ersten lag. Dann sprang sie auf und näherte sich der Thür, an welche sie lauschend das Ohr legte.

Sie sehen – es ist Niemand da, Bürgerin, das Hotel ist leer – keine menschliche Seele wohnt hier! Es war Delcour's Stimme, die draußen laut dies rief.

Schurke! Ich jage dir eine Kugel durch den Schädel, wenn du fortfährst zu lügen, versetzte eine durchdringende schreiende Weiberstimme. Noch einmal, führe mich! Ich will wissen, wer hier versteckt ist. Allons!

Wir sind entdeckt! Es ist Alles verloren! flüsterte die Fürstin, von der Thüre zurücktretend.

Es ist die Stimme Theroigne's de Mericourt! sagte Karl. Es ist geschehen – Lambert hat uns verrathen!

O, es ist eine Kette von Verrath – Sie, Bianca, Lambert – warf die Fürstin halblaut ein. Aber laß sie kommen!

Der erste Eindruck des Schreckens schien bei der Fürstin völlig verschwunden. Auf ihrem Gesichte lag nur noch die helle Röthe des Zorns.

Die Thür wurde aufgerissen. Karl wollte den Eintritt vertheidigen. Aber die Fürstin machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

Theroigne de Mericourt trat über die Schwelle. Hinter ihr stand, fahlbleichen Gesichts, die stieren Augen wie Vergebung flehend auf die Fürstin gerichtet, der alte Delcour.

Theroigne war in ein Gewand von blutrothem Sammet gekleidet. An ihrem Gürtel hingen an zwei kurzen Silberketten ein Dolch und ein Terzerol. Sie blieb stehen, nachdem sie einen Schritt über die Schwelle gemacht; sie schlang die Arme unter der Brust zusammen und warf das bloße, noch immer schöne, von üppigem, nach Männerart gescheitelte Haar umlockte Haupt in den Nacken zurück. Ein Blick aus ihren zornig leuchtenden Augen maß die Fürstin von oben nach unten. Die Fürstin stand in der Mitte des Gemachs. Sie erwiderte den impertinenten Blick des furchtbaren Geschöpfs mit einer ruhigen Würde. Nur, wer sie wie Karl kannte, vermochte zu errathen, daß diese Züge eine innere Leidenschaft von vulkanischer Gewalt verschleierten. Denn sie hatten einen Ausdruck bekommen, der ganz verschieden war von dem, welchen sie gewöhnlich trugen. Es lag in den mandelförmig geschnittenen Augen etwas unnennbar Wildes, Trotziges. Das gewöhnliche, anmuthig lebhafte Mienenspiel dagegen war verschwunden, alle Theile des Gesichts hatten eine bleiche, marmorartige Unbeweglichkeit angenommen, etwas Starres, Maskengleiches. Es war ein wunderbar scharf ausgeprägtes, unendlich charakteristisches Bild, diese beiden Frauen so sich einander gegenüber stehen zu sehen: die eine die verkörperte Revolutionsfurie, die mit der Fackel der Vernichtung bewehrt, über Schutt und Erschlagene, über die Leiche der eigenen Menschenwürde fort den Zielen ihrer Rachsucht und ihres Ehrgeizes zustürmt: und dieser Mänade gegenüber das Bild des aristokratischen Geistes, hochmüthig, schön, tapfer, den Egoismus wie eine Religion in sich tragend, bereit zu jedem Opfer, ja zu tausend Toden, nur nicht zum leisesten Hauch von Demuth.

Was wollen Sie hier – wer gibt Ihnen das Recht, sich hier einzudrängen? sagte die Fürstin mit leiser, klangloser Stimme.

Theroigne antwortete nicht. Ihr Blick fiel auf Karl.

Aha, Sie sind's! rief sie mit einem Organ, in welchem etwas Heiseres, Blechernes, unendlich Gemeines lag – Sie sind's! Und dies ist wol die Schöne, um derentwillen Sie sich mit dem Bürger Lambert Kerstine haben schlagen wollen? Sie deutete mit einem frechen Lachen auf die Fürstin.

Nein, versetzte Karl, sich gewaltsam beherrschend, um den Schein völliger Ruhe zu bewahren; diese da ist ihre Schwester. Der Mensch, den Sie nennen, hat das Mädchen, welches Sie zu suchen scheinen, aus Paris ausweisen lassen.

So ist es wahr? sagte Theroigne mit verbissenem Grimm halblaut. Und wo ist er? schrie sie lauter. Ist er mit ihr fort, ist er der Landläuferin nachgefolgt?

Die Fürstin unterbrach sie: Noch einmal – was gibt Ihnen das Recht, sich hier einzudrängen? Entfernen Sie sich! Ich werde sonst mein Hausrecht gegen Sie auf die rücksichtsloseste Weise zu wahren wissen. Die Fürstin erhob bei diesen Worten ihr Pistol und spannte es.

Du gefällst mir, Bürgerin, sagte Theroigne lachend. Du scheinst mir für die Tugendwächterin einer Komödiantin ein vortrefflich gut ausgesuchter Hausdrache!

Die Fürstin machte eine Bewegung, als wolle sie wirklich von ihrer Waffe Gebrauch machen. Aber Karl sprang vor sie hin, erfaßte ihren Arm und sagte:

Seien Sie ruhig – lassen Sie mich machen – ich werde mit der Dame sprechen; wir werden uns verständigen.

Bürgerin Theroigne, sagte er, haben Sie Grund, zu glauben, daß mein Gegner der Sängerin, die er, ich weiß nicht weßhalb, gestern hat aus Paris verbannen lassen –

Du weißt nicht weßhalb? unterbrach Theroigne ihn; das ist sehr einfach, du Pinsel: um sie deiner Liebe und meinem Hasse zu entziehen!

So ist's, wahrscheinlich – fuhr Karl fort. Aber haben Sie Grund, zu glauben, daß er ihr nachgereist sei oder sie begleite?

Beim Teufel, Grund genug. Er ist seit vierundzwanzig Stunden so unsichtbar wie unser Herrgott Denen, die etwas von ihm wollen!

Der elende Bösewicht! rief Karl aus. Zu feig zu einer kühnen Entführung, sucht er Hülfe dazu bei der Polizei! Und um das Maß der Treulosigkeit voll zu machen, hat er jetzt auf irgend eine Weise Ihren Unwillen gegen die Schwester Bianca's und mich, ihren Geliebten, rege gemacht. Nicht wahr, Bürgerin Theroigne? Er befürchtet, daß wir ihn verfolgen, daß ich ihn erdroßle; darum wird er uns als schlechte Bürger haben denunciren lassen, weiß der Himmel, welche Anklagen und Verleumdungen er gegen uns ersonnen hat, damit wir in irgend einem Kerker für ihn unschädlich werden. Welch höllischer Anschlag!

Theroigne stutzte bei diesen Worten. Ah – in der That, sagte sie mit einer Miene der Ueberraschung – ich glaube, es ist so – diese tückische Blindschleiche, Bonnet, hat mich soeben zu stacheln und zu reizen versucht; ich bin fortgestürzt, ohne ihn zu Ende zu hören. Ich will ihn ecrasiren, diesen lügnerischen Schleicher. Und Lambert! Wenn ich je diese Bestie in meine Gewalt bekomme!

Er wird dafür gesorgt haben, daß er außerhalb Ihres Bereichs ist! warf Karl spöttisch hin.

Ja, ja! und ich habe keine Zeit, ihm nachzurennen. Aber ich will ein paar Windhunde hinter diesen Fuchs lanciren. Du scheinst mir keinen Scherz zu verstehen, Bürgerin Drache! sagte sie mit insolentem Lachen, sich zur Fürstin wendend. Versprichst du mir, ihn nicht lebend aus deinen Händen zu lassen, wenn du ihn erreichst?

Die Fürstin wandte sich stolz, ohne eine Antwort zu geben, ab. Karl antwortete an ihrer Stelle

Sie können deß sicher sein! rief er mit einem lächelnden Seitenblick auf die Fürstin.

Und du, was würdest du thun, wenn du ihn erreichtest?

Ihn niederschießen wie einen Hund!

Vortrefflich! Aber weßhalb seid ihr nicht längst auf seiner Fährte?

Karl zuckte die Achseln.

Wir haben –

Kein Geld? Ihr wohnt ja in einem Palaste?

Karl nahm bei dieser Frage einen lauernden Blick Theroigne's wahr, der hinter der Maske seiner Züge ein Geheimniß überfallen zu wollen schien. Es galt, die volle Geistesgegenwart zu bewahren.

Diese Dame ist eine Verwandte des Herrn Delcour dort, des Hausmeisters. Er hat uns erlaubt hier, ohne Miethe zu zahlen, die Zimmer des emigrirten Besitzers zu beziehen.

Und weßhalb leugnete er mir eure Gegenwart ab, dieser elende Aristokratensklave?

Delcour stand mit bleichen Lippen und schlotternden Knien da; sein Auge hing am Munde Karl's.

Sprich, Schurke! fuhr Theroigne ihn an

Der arme Teufel fürchtet, daß sein Herr erfährt, wie er Schauspieler in sein Hotel aufgenommen. Er würde seinen Dienst, sein Obdach verlieren, wenn es zu den Ohren seines Herrn käme.

Theroigne sah eine Weile bald Delcour, bald Karl prüfend an. Es war für Beide ein Augenblick der furchtbarsten Spannung

Nun, meinethalb, sagte sie dann achselzuckend – was geht's mich an! Also du hast kein Geld zur Abreise mit deinem Drachen?

Geld wohl – aber noch kein Paßvisa!

Gib mir deinen Paß.

Karl ließ sich von der Fürstin den Paß reichen, worin sie als die Schwester der Sängerin Bianca aufgeführt war. Theroigne warf einen Blick hinein und gab ihn dann zurück.

Es ist gut, sagte sie. Geben Sie mir Schreibzeug.

Sie setzte sich an den Schreibtisch der Fürstin und schrieb ein Billet. Dann siegelte sie es und adressirte es: »An den Bürger Panis, Mitglied des Gemeinderaths von Paris.«

Nehmen Sie dieses Billet und senden Sie es mit Ihrem Paß ins Stadthaus. Wenn Panis nicht dort ist, lassen Sie ihn in seiner Wohnung aufsuchen. Lassen Sie sagen, es käme von der Bürgerin Theroigne de Mericourt und man wird Ihrem Boten ohne Weigerung Zutritt verstatten. Ist der Paß, von Panis unterzeichnet, wieder in Ihren Händen, dann reisen Sie – aber ohne Zeitverlust – augenblicklich! Lassen Sie sich's gesagt sein: augenblicklich! Adieu.

Theroigne ging mit einem Kopfnicken an Karl vorüber und entfernte sich mit raschen und männlichen Schritten.

Als sie verschwunden war, ergriff die Fürstin mit heftiger Bewegung Karl's Hand.

Ich danke Ihnen! sagte sie tief aufathmend. Ihrer Geistesgegenwart verdanken wir unsere Rettung.

Sie schütteln mir die Hand? Sie verachten mich nicht wegen dieses Gewebes von Lügen?

Herr von Schwalborn! sagte die Fürstin vorwurfsvoll.

Sie hatten mir zu bittere Vorwürfe wegen meiner Unbesonnenheit gemacht, die der Grund unserer verzweifelten Lage sei – ich mußte Alles aufwenden, um meinen Fehler wieder gut zu machen – selbst die Lüge!

Wäre dieser Augenblick nicht so traurig-ernst – ich müßte lachen über Ihre Scrupel, sagte die Fürstin; jedenfalls bin ich die Letzte, die Sie wegen Ihrer Geistesgegenwart im Betrügen dieser Theroigne für einen weniger vollkommenen Edelmann halten darf!

Nach einer Stunde kam Delcour vom Stadthause zurück und lieferte der Fürstin den Paß mit den nöthigen Visas und einer Erlaubniß des Gemeinderaths aus, die Stadt zu verlassen. Er hatte auf dem Herwege zugleich Postpferde bestellt. Karl eilte nun seiner Wohnung zu, um rasch sein Bündel zu schnüren, während die Fürstin mit Hülfe Delcour's ebenfalls in größter Hast ihre Vorbereitungen traf. Gegen die Zeit der Abenddämmerung rollte eine Postchaise mit beiden Flüchtlingen unaufgehalten zur Barriere von St. Denis hinaus und auf der Straße nach Brüssel dahin. Es war am 29. August. In der Nacht, die diesem Tage folgte, begann die Ausführung jener Schreckensmaßregel, welche selbst das gehärtete Gemüth Lambert's mit Entsetzen erfüllt hatte. An 5000 Menschen wurden in dieser Nacht in ihren Wohnungen aufgehoben, um wenige Tage danach von den Septembriseurs erwürgt, geschlachtet und zu Tode gehetzt zu werden.

Aber wo war Lambert während all dieser Zeit? Er hatte mit innerlichem Schauder den Dienst der Freiheit, wie ihn seine Cordeliers und Jacobiner übten, abgeschworen. Er hatte sich als Freiwilliger in die Reihen der Vertheidiger des Vaterlands gestellt, welche von allen Seiten unter die Fahnen der Republik eilten, und war am Morgen desselben Tages, an welchem Karl und die Fürstin Abends Paris verließen, zum Thore hinausgewandert, um das Corps des Generals Dumouriez zu erreichen.

Zu den übrigen Quälgeistern, die in seiner Seele hausten, war ein neuer gekommen: der einer wüthenden Eifersucht auf den Marquis La Roche, der wider seinen Willen Bianca's Begleiter geworden, den er für ihren Geliebten hielt und dem er tausend Tode wünschte.

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