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Siebentes Kapitel.

Während der Unterredung Bianca's mit Lambert war Karl bei der Fürstin geblieben. Sie hatte es gewünscht, da sie befürchtete, daß das Hin- und Hergehen zu vieler Personen zwischen dem Hause Delcour's und dem Garten, worin Lambert ein Rendezvous gegeben war, Aufsehen errege. Karl sollte erst nach einer Weile den Vorangegangenen folgen. Karl war es angenehm, sich der Fürstin allein gegenüber zu sehen, um sich offen gegen sie aussprechen zu können.

Sie sind ungerecht gegen mich, sagte er zu ihr, nachdem Bianca und der Marquis das Cabinet der Fürstin verlassen hatten, um sich in den Garten zu begeben, wo Lambert sie erwartete – Sie finden für gut, mich noch einmal als Ihr Werkzeug zu gebrauchen, aber Sie würdigen mich dabei wieder nicht des mindesten Vertrauens. In Wien, wo es nur galt, die Liebe eines schönen Mädchens zu erwerben, konnte ich mir das gefallen lassen. Aber hier, wo es gilt, einen Menschen zu tödten, ist die Sache ernster. Doch – ich fodere Ihr Vertrauen nicht; aber es kränkt mich, daß Sie, ohne mir es freiwillig zu schenken, so über mich –

Ohne Weiteres disponiren! wollen Sie sagen, fiel die Fürstin ein. Sie haben Recht. Ich that das; aber wenn ich Sie dabei im Blinden ließ, so geschah es zu Ihrem Heile, nicht aus Mistrauen. Ich wollte Ihnen nicht Dinge aufbürden, deren Schwere Ihren frischen Muth vielleicht gelähmt hätte, deren bloße Kenntniß eine Gefahr ist.

Trauen Sie meinem Muth so wenig zu?

Ich traue ihm alles Mögliche zu, und jetzt, wo Sie doch halb eingeweiht sind, will ich auch den Schleier ganz vor Ihren Blicken heben, weil Sie es so wollen. So hören Sie denn: Ich habe beschlossen, die Königin Marie Antoinette aus dem Tempel zu befreien!

Frau Fürstin! –

Sprechen Sie nicht so laut! Weßhalb erschrecken Sie? Finden Sie nicht einen solchen Wunsch natürlich? Und weßhalb hätte ich nicht von einem solchen Wunsche zu dem Entschlusse übergehen sollen? Seit ich den Kaiser verloren habe, hat das Leben keinen Werth mehr für mich. Ich will es für ihn, für seine Schwester wagen. Bianca, die für jeden großen Gedanken so leicht zu begeistern ist, theilt meinen Entschluß. Die Ausführung ist schwierig allerdings, aber nicht so schwer, wie Sie im ersten Augenblick glauben mögen. Noch schlägt in Tausenden von französischen Herzen die Liebe für ihren König und die Königin. Es gibt Hunderte von französischen Edelleuten hier in Paris, unter den Augen der Marat und Danton, welche entschlossen sind, ihren König zu retten. Sie machen ihre Vorbereitungen in größter Stille, mit der schlauesten Vorsicht. Im Tempel sind Verständigungen gewonnen. Der treue Clery, der Kammerdiener Ludwig's XVI., hat eine ununterbrochene Verbindung mit diesen treuen Anhängern ihres königlichen Herrn herzurichten gewußt, eine Art Telegraphenschrift, die aus den Mansardenfenstern eines dem Tempel naheliegenden Hauses beobachtet und erwidert wird. Nun hören Sie, was beschlossen worden ist. Das Théâtre des Italiens soll ein Stück aufführen, in welchem die Königin auftritt, um darin dem öffentlichen Gelächter preisgegeben zu werden. Für Bianca, welche große Aehnlichkeit mit der Gestalt Marie Antoinettens hat, wird die Erlaubniß ausgewirkt werden, die Königin zu sehen und zu sprechen, damit sie dieselbe auf der Bühne getreu copiren könne. Hat Bianca diese Erlaubniß erhalten, so begibt sie sich zur Königin und überreicht ihr heimlich den schriftlich ausgearbeiteten Plan des Befreiungsversuchs, damit die königliche Familie diesen Plan genehmige und zu rechter Stunde sich bereit halte. Die Königin ist von dem bevorstehenden Kommen einer Fremden schon unterrichtet. Bianca hofft nun, daß sie dieselbe geneigt finden werde, statt ihrer aus dem Gefängniß zu gehen und Bianca im Tempel zurückzulassen. Sie will sich dazu kleiden wie die Königin, der nichts geblieben ist, wie ein abgetragenes Kleid von schwarzer Seide, und will einen weiten, verhüllenden Schleier umwerfen. Ich habe diesen Gedanken Bianca auszureden versucht, da er zu gefährlich und, wenn er mislingt, ihr Leben ganz umsonst aussetzt. Aber Bianca, die einmal die Idee eines solchen Opfertodes mit einer gewissen Leidenschaft erfaßt hat, will nicht davon lassen. Und so sind wir übereingekommen, daß, während sie bei der Königin ist, ich mit einem verschlossenen Wagen in der Nähe ihrer oder der Königin harre, um im Falle des Gelingens diese einem sichern und längst bereiteten Zufluchtsorte zuzuführen.

Glauben Sie an die Möglichkeit des Gelingens?

Die Fürstin zuckte die Achseln.

Es kommt Alles auf die Umgebung der Königin an. Sind es die von unsern Freunden gewonnenen Commissaire des Gemeinderaths, welche die Wache haben, so ist die Schwierigkeit nicht groß. Morgen z. B. wissen wir Commissaire im Tempel, auf welche wir uns verlassen können, da sie im Einverständniß sind. Aber wir haben keine Aussicht, die Erlaubniß für Bianca so bald zu bekommen; diese Erlaubniß zeigt sich jetzt überhaupt weit schwieriger zu erwirken, als wir im Anfang glaubten und glauben durften. Denn unser Plan wurde bereits entworfen, als Marie Antoinette noch in den Tuilerien war und weit weniger rücksichtlos bewacht wurde.

Und um dieses Plans willen ist wol Bianca einzig und allein Sängerin geworden?

Einzig und allein, versetzte die Fürstin. Sie kennen nun beinahe unsern ganzen Plan. Die Details wird Ihnen La Roche mittheilen und Sie auch mit seinen Freunden bekannt machen, sobald Sie sich bereit erklären, die Hand zur Ausführung zu bieten.

Karl stützte nachdenklich das Kinn auf seine Hand, ohne zu antworten. Er mußte mit sich zu Rathe gehen: er konnte sich nicht verhehlen, daß es ihm persönlich eine weit größere Genugthuung sein werde, wenn er Bianca aus dieser halsbrecherischen Unternehmung, als wenn er Marie Antoinette aus dem Tempel gerettet sehe. Im Falle des Mislingens war Bianca der Tod gewiß; der Königin aber, glaubte er, drohe keinenfalls eine Todesgefahr. Er glaubte nicht, daß die französische, auf ihre Ritterlichkeit so stolze Nation der fremden Fürstentochter, die vertrauend in ihr Land gekommen, das Leben nehmen würde. Und rückten nicht die Heere von halb Europa an die Grenzen Frankreichs, um die Freiheit der königlichen Familie zu erzwingen? Weßhalb hatte die Fürstin diesen Drang und Eifer, im Verein mit einer Anzahl Wagehälse einen solchen Handstreich zu wagen? War das wirklich eine Art religiösen Aufopferungtriebes für das Andenken ihres Geliebten, des Bruders der Königin? War nicht auch vielleicht eine gute Dosis von Ehrgeiz, von Intriguengeist darin? Und wenn das der Fall, war es dann nicht unverantwortlich, daß die Fürstin als Werkzeug den wunderbaren schwärmerischen Hang zu großartiger Hingabe benutzte, der in Bianca – wie so oft in der Brust edlerer Frauen, deren Herz keine Liebe erfüllt – lebte? Auf der andern Seite konnte es für Karl nichts Lockenderes geben, als die Aussicht, bei einem so ritterlichen und gefährlichen Unternehmen sich zu betheiligen, eine gefangene Königin befreien zu helfen!

Sie werden jetzt wenigstens, unterbrach die Fürstin sein Sinnen, uns bereitwillig und rasch von jenem lauernden und gefährlichen Menschen befreien, der im Stande ist, Alles scheitern zu machen, weil er uns kennt und haßt.

Ich werde Alles thun, was Sie wollen; stellen Sie mich an den gefährlichsten Posten: aber gegen Eins muß ich Protest einlegen!

Und das ist?

Daß den ganz schwärmerischen und durchaus unausführbaren Ideen Bianca's nachgegeben werde. Sie können nicht dulden, daß Bianca unrettbar in den Tod gehe, um der bloßen unsichern Hoffnung willen, daß sie dadurch die Königin aus dem Kerker befreie!

Die Fürstin wollte antworten, aber ihr Gespräch wurde in diesem Augenblicke durch das rasche Eintreten Delcour's unterbrochen.

Was gibt's, Delcour? Sie können vor diesem Herrn sprechen.

Madame, antwortete der alte Diener, der Marquis La Roche läßt Ihnen sagen, daß Mademoiselle Bianca sich soeben mit dem Gegner des Herrn hier zum Stadthause begibt, um dort durch seine Verwendung ein wichtiges Document zu erhalten. Der Marquis folgt ihnen, um in der Nähe zu bleiben; er hat mir dies Blatt für Sie gegeben und mir befohlen, dann sofort ihm nachzueilen, nach dem Grève-Platz.

Die Fürstin nahm den Zettel. Es war ein aus einem Taschenbuch gerissenes Blättchen, welches mit Ziffern bedeckt war. Die Fürstin wechselte die Farbe, während sie las.

Gehen Sie, eilen Sie dem Marquis nach, rief sie dann aus, und als Delcour sich hastig wieder entfernt hatte, fuhr sie, zu Karl gewendet, in großer Aufregung fort:

Denken Sie, welche Nachricht! Bianca hat Lambert bewogen, mit ihr zum Stadthause zu gehen und ihr dort die Erlaubniß zu erwirken, die Königin zu sehen. Sie hat viel gewagt; aber täuscht ihr Vertrauen zu diesem Menschen sie nicht, so sind wir dem Ziele um Vieles näher gerückt!

Karl war bei dieser Nachricht unwillig aufgesprungen. Es war nicht allein die Sorge um Bianca, was ihn erfaßte. Es empörte sein Gefühl, daß Bianca diesen Schritt that, daß sie einen Dienst, und wenn auch den allerwichtigsten, von Lambert annahm. Was ihr diese Selbsterniedrigung um eines großen Zieles wegen kostete, brachte er nicht in Anschlag. Er zuckte die Achseln und sagte für sich mit einem bittern Lächeln:

So sind die Frauen – aber Cölestine würde das nicht thun!

*


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