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Drittes Kapitel.

Das Nationalgefühl war erstorben in Deutschland. Seine Fürsten freuten sich, wenn ihre Nebenbuhler oder Nachbarn von den fremden Kriegsheeren überwältigt wurden, die Völker hatten den Gebrauch des Wortes deutsch verlernt. Nur in der Brust eines alten Bauers haben wir noch einen Funken davon leben sehen, der genährt worden durch alte geheiligte Traditionen, gehegt von der unentweihten Stille eines waldumschlossenen Sassenhofes. Ja, dieser Funke war stark genug gewesen, über die laute Sprache des väterlichen Gefühls zu siegen, das deßhalb nicht minder innig und tief war, weil es nicht in beredten Worten sich aussprach, weil nichts davon über die Lippen kam, als höchstens eine schwache, kaum verständliche Andeutung.

Lambert war von dem Empfange, den er bei seinem Vater erhalten, tief erschüttert. Er war nicht allein von Groll und Schmerz erfüllt worden, nein, der Schlag war tiefer gedrungen, er hatte ihm seine Ruhe, den letzten Rest innerer Zufriedenheit und Harmonie geraubt. Bitterkeit und Haß erfüllten ihn und das heiße Verlangen, irgend Jemanden zu finden, dem er sie entgelten lasse. Er murmelte zwischen den Zähnen:

Die verfluchten Aristokraten sollen mir dafür zahlen, was sie an diesem brutalisirten, verdummten Volke gethan haben. Faß ich Euch, Euch will ich ihn eintränken, den Fluch meines vermaledeiten Daseins!

Er wollte seine Stimmung vor Zerrwitz verbergen. Dieser sollte ihn durchaus glücklich und im Vollgenuß seiner glänzenden kriegerischen Stellung glauben.

He, kriegsgefangener Preuße – Ihr müßt weit wandern heut. Eure magern Stelzbeine werden nicht mehr können. Schwingt Euch auf die Kruppe hinter meine Ordonnanz und dann zu unserm Quartier. Wir wollen trinken zusammen und von alten Zeiten plaudern. Was treibt Ihr Euch auch diesseits der Demarcationslinie umher! So nüchtern zu sein – und doch den Strich nicht halten zu können!

Lambert verfiel jedoch bald wieder in sein schweigsames Hinträumen, und ohne weiter ein Wort zu wechseln, ritten die Männer durch die Dunkelheit dahin.

Nach einer guten Stunde hatten sie den Ort erreicht, in welchem Lambert's Schwadronen für die Nacht ihr Quartier angewiesen worden. Es war eine zerstreut liegende Bauerschaft, die meisten Einwohner hatten sich beim Herannahen französischer Truppen geflüchtet und brachten die Nacht in den Wäldern unter freiem Himmel zu. Lambert hielt vor dem Pfarrhause, das in der Nähe der kleinen Kirche isolirt zwischen Garten und Baumhof lag. Lärm, Jauchzen, Gassenhauer schollen den Ankommenden aus der Wohnung des Friedens entgegen; durch die hellerleuchteten Fenster sah man das Getümmel trunkener und zerstörungslustiger Sansculotten, die den Wein des Pfarrers leerten und zum Danke seine Möbeln zertrümmerten.

Lambert ließ das Wohnzimmer des geflüchteten Geistlichen von den Soldaten räumen und befahl seinen Ordonnanzen, ihm Speise und Wein dorthin zu schaffen; dann setzte er sich mit Zerrwitz an den Tisch, während er zwei Pistolen vor sich niederlegte, mit der Drohung, Jeden erschießen zu wollen, der in das Zimmer dringe und ihn störe.

Der preußische Hauptmann war, je länger er seinen alten Bekannten hatte begleiten müssen, desto schüchterner und unsicherer ihm gegenüber geworden. Doch konnte er jetzt die Bemerkung nicht verschlucken:

Donnerwetter – ich muß sagen, es war doch in meiner Compagnie ganz andere Subordination! Der Stock ist doch kein Aberglaube! Pistolen mit gespanntem Hahn hatte unser Einer bei seinen Leuten nicht nöthig.

Trink, dürre Hopfenstange, und mach keine Glossen, versetzte Lambert, sein Glas leerend. Unsere Leute werden nicht geschlagen und schlagen desto besser!

Geschlagen werden sie auch, fiel der alte Preuße mit einem spöttischen Lächeln ein; fragt nur den Hack in Odenthal!

Wer ist das?

Ein Zimmermann seines Zeichens, der drei und sechszig Lefebresche Husaren mit einem Dreschflegel in die Flucht geschlagen hat, mit dem Rücken an seine Scheune gelehnt, und obwol ein Flintenschuß seinen rechten Oberarm durchbohrt!

Lambert hörte staunend die Erzählung dieses merkwürdigen Beispiels von Muth und Unerschrockenheit an. Dann sagte er:

Wäre der Mann ein Franzose, er würde General; hier schrumpft solch ein Männerherz ein und die tüchtigsten Charaktere verderben unter der Herrschaft von Junkern und Pfaffen – oder des Stocks!

Nun, der Mensch muß regiert sein, sagte der Hauptmann. Wenn Ihr meine politische Meinung erfahren wollt, so gestehe ich es Euch geradezu: mit Eurer Freiheit ist es nichts; für die Freiheit ist der Mensch nicht geschaffen, etwas muß über ihm stehen und ihn kurz halten – ehemals war es der Aberglaube oder der Unsinn, der Junker oder der Pfaff –

Und jetzt, fiel Lambert ein, – Dank den bewundernswürdigen Fortschritten der Aufklärung dieses Jahrhunderts, kommt man statt dessen mit dem Geist preußischer Subordination über ihn, und der steckt im – Stock!

Ihr reducirt mein politisches System auf den kürzesten Ausdruck, antwortete Zerrwitz lachend.

Sklavenseele!

Freie Männer! versetzte der Hauptmann höhnisch, indem er über die Schulter nach der Thür des Zimmers deutete, durch welche das Jauchzen, Lärmen und die Blasphemien der trunkenen Soldateska hereinschollen!

Seid Ihr denn wirklich so einfältig, zu glauben, diese vermoderte Welt habe länger so fortbestehen können, ohne daß die Revolution mit ihrer Fackel sie in Flammen gesetzt, um eine wiedergeborene Gesellschaft aus der Asche neu erstehen zu lassen?

Asche – ja und Flammen seh' ich auch – das ganze Phönixnest brennt allerdings lichterloh, aber der wunderbare Vogel, der daraus emporsteigen soll, den seh' ich nicht!

Ich will dir ein Stücklein erzählen, du im Fleische wandelndes Gespenst der alten Zucht und Ordnung, woraus du sehen kannst, wohin es mit Euch gekommen war, Dank Euern Beamten und Junkern, wie selbst Eure allmächtigen Fürsten von Gottes Gnaden ohnmächtig und zum Spott geworden unter der Herrschaft des Misbrauchs und des Schlendrians. Ihr werdet zugleich ein nicht uninteressantes Stück meiner Biographie zu hören bekommen!

Dem Hauptmann war nichts willkommner als das.

Ich war in Wien, hub Lambert an, nachdem er die erste der Flaschen, die man aus den Vorräthen des flüchtigen Pfarrers ihm vorgesetzt, geleert in die Ecke geschleudert hatte, – ich war in Wien als Dolmetscher unserer Gesandtschaft. Dort traten Ereignisse ein, welche mir den Aufenthalt unerquicklich machten. Ich eilte so schnell wie möglich wieder fortzukommen. Sobald ich meine Entlassung und meine Pässe hatte, schlug ich den Rückweg nach Frankreich ein. Ich fuhr die Donau hinab, reiste durch Franken weiter und kam bis Mainz. Diese Stadt fand ich in einer seltsamen Gährung und Bewegung. Es war der erste Fleck auf deutscher Erde, den ich reif zur Aufnahme jener großen Ideen fand, die bestimmt sind von nun an die Welt zu beherrschen. Ich fand Männer, welche über die Mission dieses Jahrhunderts und die Wahrheiten der souverainen Vernunft eben so aufgeklärt dachten, wie die begeistertsten Patrioten Frankreichs. Dies fesselte mich. Ich beschloß zu bleiben und Alles zu thun, um von hier aus für den Sieg dieser Ideen in meinem deutschen Vaterlande zu wirken. Fast zwei Jahre blieb ich in Mainz und nährte mich durch Unterrichtgeben in der französischen Sprache. Da kamen die Nachrichten von der Flucht des Königs, von den Gräueln in Paris. Diese erschütterten mich und warfen einen tiefen Zwiespalt in meine Seele. Mein Heiligthum wurde durch Blut und Schande befleckt. Und doch konnte ich mich nicht lossagen von ihm. Um den Zweifeln meiner Seele, der Qual zu entgehen, welche mich bei Tag und Nacht verfolgte, beschloß ich endlich, statt zu grübeln und über die Freiheit zu disputiren, für sie zu kämpfen. Ich schlug den Weg nach Frankreich ein, um unter die Fahnen Dumouriez's aufgenommen zu werden. Mein Weg in die Niederlande, wo Dumouriez befehligte, führte mich tief in ein unwegsames Gebirgsland hinein, aus dem öden Hundsrück in die Ardennen. Zum Unglück war meine Baarschaft nicht groß, so daß ich schon in Mainz mich hatte entschließen müssen, zu Fuß zu gehen. Nun aber war es Winter, das Wetter stürmisch und kalt, die Wege in der gebirgigen Gegend befanden sich in einem unaussprechlichen Zustande. Mühsam schleppte ich mich weiter, oft durchnäßt, erfroren, bis zum Tode ermattet. Durch die Kämpfe der vorhergegangenen Tage, ja auch schon durch jene Wiener Ereignisse, die ich erwähnte und die jetzt neu vor mir auftauchten, war ich in die düsterste Stimmung versetzt und –

Waren diese Vorgänge so melancholischer Art? fragte der Hauptmann.

Lambert's Brauen zuckten zornig empor, aber als ob er die Frage nicht vernommen, fuhr er fort zu erzählen:

Ich war in der düstersten Stimmung, und als ich einige Tage lang mich fortgeschleppt, verzweifelte ich, je mein Ziel zu erreichen, und dachte darüber nach, ob es nicht besser sei, ein unglückliches Leben in dem nächsten Gewässer zu enden!

In dieser Laune erreichte mich ein Reiter, der von einem Seitenwege her auf die Heerstraße einbog und eine Zeitlang schweigend neben mir herritt, dem Anschein nach unbefangen und nur mit der Führung seines Thieres beschäftigt, aber, wie ich bald wahrnahm, mit Seitenblicken aufmerksam mich beobachtend. Nach einer Weile eröffnete er eine Unterhaltung; als ich sie einsylbig fallen ließ, sagte er:

Ich glaube gar, Ihr seid zu müde zum Sprechen, Landsmann; und in der That, dies sind Wege, wie man sie nur in unserm guten Ardennenlande finden kann! Ich will Euch einen Vorschlag machen. Wenn Ihr mir versprecht, Euer Nachtquartier in meinem Hause zu nehmen – Ihr müßt wissen, daß ich Wirth in meinem Dorfe bin – so nehme ich Euch hinter auf die Kruppe meines Pferdes!

Mir war jeder Vorschlag genehm, der mich der Bagnoarbeit des Wanderns bei solchem Wetter und solchem Erdreich überhob. Ich saß im nächsten Augenblick neben dem Fremden, der jetzt sein schon ermattetes Thier aufs strengste zur Eile antrieb.

Ihr werdet Eure Pferde nicht lange behalten, wenn Ihr sie so behandelt!

Lange behalten, Gott bewahre mich davor!

Seid Ihr Händler mit Pferden?

Etwas dem Aehnliches!

Wir kamen nach einer Stunde in dem Dorfe meines Reisegefährten an. Es lag abseits vom Wege in einer kleinen Thalniederung – wie mir in der unterdeß hereingebrochenen Nacht schien, ein auffallend dürftiges, schmutziges und verwahrlostes Nest. Die Schenke meines Begleiters entsprach dem. Zwei Gäste fanden wir anwesend, beide an einem großen Torffeuer sitzend und Branntwein trinkend, welchen eine schmutzige Stallmagd von Zeit zu Zeit, wenn die Bastflasche geleert, außer dem Hause zu holen ging. Dies weckte zuerst meinen Verdacht. Eine Schenke schien das Haus meines Begleiters nicht zu sein. Was mein Mistrauen erhöhte, war der Umstand, daß einer der anwesenden Männer nach einer halben Stunde sich erhob, das Haus verließ und das Pferd meines Wirths bestieg, um mit dem zu Tode ermüdeten Thiere fortzutraben. Ich grübelte übrigens nicht zu lange über diese Umstände nach; die zerlumpten Gestalten in diesem Hause flößten mir keine Furcht ein – außerdem war ich in einem Dorfe, Menschen nahe und die Entfernung des Einen dieser verdächtigen Gesellschaft schien mir Aengstlichkeit und Sorge zu verrathen, daß das, vielleicht gestohlene Pferd nicht entdeckt werde.

Doch schlug ich die Einladung meines Wirths aus, mich zu Bette zu legen. Ich behielt meinen Platz am Feuer, wartete hier, bis Alles im Hause sich zur Ruhe begeben, und nachdem ich meinen Knotenstock und ein Pistol, welches mein Reisebegleiter war, neben mir auf den Tisch gelegt, schloß ich die Augen zum Schlummern.

Als Lambert an dieser Stelle seiner Erzählung angekommen war, erhellte plötzlich ein Feuerschein das kleine Wohnzimmer des Pfarrherrn; zugleich wurde ein helles, wieherndes Freudengelächter laut –

Eine Feuersbrunst! rief der Hauptmann, erschrocken aufspringend.

Nichts als eine Kinderei meiner braven Jungen, sagte Lambert durchs Fenster schauend. Sie haben die Möbel des Pfarrherrn zusammengeschleppt und oben auf dem Scheiterhaufen ein großes Crucifix befestigt, dem sie eine Jacobinermütze aufgesetzt haben – wenn die Lohe im besten Zuge ist, werden sie umhertanzen – sie bleiben immer Kinder, mitten im Sengen und Plündern!

Aber verflucht ungezogene! bemerkte der Hauptmann. Thut mir den Gefallen und fahrt in Eurer Diebshöhlengeschichte fort. Die Harmlosigkeit Eurer guten Freunde in der Dorfschenke, die Euch wahrscheinlich über die Mühseligkeiten einer weitern Fußreise aufs menschenfreundlichste hinaushelfen wollten, hat ordentlich etwas Beruhigendes für mich bei dem Mordspektakel da draußen!

Mag sein, versetzte Lambert lächelnd, aber, fuhr er fort, für mich bekam das Abenteuer eine sehr beunruhigende Wendung. Ich hatte kaum seit einer Viertelstunde die Augen geschlossen, als ein Schimmer von Licht und ein Geräusch mich weckten. Ich erblickte drei bewaffnete Männer, welche an den verglimmenden Kohlen des Herdfeuers eine Lampe entzündet hatten. Sie stellten sie auf den Tisch, einer von ihnen schlug in demselben Augenblick auf mich einen Karabiner an, ein Anderer ergriff meinen Arm, und als ich aufsprang, wurde mir in französischer Sprache, aber halblaut zugerufen:

Still! kein Wort! oder man wird dich niederschießen wie einen Hund!

Ich war verloren und mußte mich darein ergeben, daß man mir die Hände auf den Rücken band. Während dieser Operation sah ich, daß der dritte der Bewaffneten einen ebenfalls gefesselten Menschen an einem Stricke gefangen hielt, und dieser Gefangene war Niemand anders, als derselbe Geselle, welcher unlängst mit dem Pferde meines Wirths davongeritten war. Er mußte in die Hände einer Streifpartie der Landpolizei gefallen sein und hatte dann, vielleicht um seine eigene Begnadigung zu erkaufen, oder durch Drohungen gezwungen, den Schlupfwinkel seiner Spießgesellen verrathen.

Es entstand nun unter den drei Männern der vollziehenden Gewalt die Frage, wie man sich der zwei übrigen Diebe bemächtigen könne – denn das waren sie in der That, und zwar hatten sie die Specialität des Pferdediebstahls zu ihrem eigentlichen Beruf erkoren. Der Gefangene deutete auf eine Thür im Hintergrunde der Küche, hinter welcher die beiden Feinde schlafen müßten. Endlich, nach einigem Zaudern und Zögern, das mir auf keine große Geübtheit der löblichen Maréchaussée in solchen Unternehmungen zu deuten schien, kamen sie überein, die verschlossene Thür zu der Schlafkammer plötzlich gewaltsam sprengen und sofort einen Schuß in das Bett abfeuern zu wollen, dessen Stellung der erwähnte Gefangene ihnen mit großer Bereitwilligkeit genau beschrieb. Dieser Feldzugsplan wurde ausgeführt, aber als die tapfern Männer des Gesetzes sich in die pulverraucherfüllte Kammer stürzten, um die von Schrecken gelähmten Bösewichter zu überwältigen, fanden sie sich durch die Entdeckung eines völlig leeren Nestes überrascht. Vielleicht hatten die Diebe, durch das bei meiner Verhaftung gemachte Geräusch gewarnt, sich auf die Flucht begeben, vielleicht auch waren sie nie in der Kammer gewesen und der Gefangene hatte seine Häscher in die Irre geführt. Ich erhielt hierüber keine Aufklärung, denn ich wurde jetzt mit meinem Schicksalsgefährten abgeführt; meine Protestationen, mein Paß halfen mir zu nichts, ich mußte mich bequemen, wie ein Verbrecher gebunden zwischen zwei Häschern weiter zu wandern. Wir wurden mehre Stunden weit, rechts ab von meinem Wege geschleppt. Ich hörte, daß wir in dem Gebiete eines französischen Fürsten uns befänden, der aber noch nie in seinem Lande residirt habe; seinen Beamten sollten wir ausgeliefert werden, und dazu führte man uns in die kleine Hauptstadt des Landes. Das ist die Einleitung meiner Geschichte, unterbrach sich Lambert, als er so weit gekommen; ehe ich fortfahre, will ich diese leere Flasche der ersten nachsenden.

Die Flasche klirrte in der That in der Ecke in hundert Scherben auseinander, und es entging dem lauernden Blicke des Hauptmanns nicht, wie viel versteckte Leidenschaft und Wuth dabei aus den Mienen und Bewegungen Lambert's hervorblitzte, während er dem Anschein nach durch den Genuß des Weines immer heiterer und gesprächiger wurde.

Die kleine Souverainetät von Aurignon, fuhr Lambert fort, hatte die Ehre, höchst bedeutende Grenznachbarn zu besitzen, denn diese führten keine minder stolzen Titel als den: »Römischer Kaiser und immer Mehrer des Reichs« oder »König von Frankreich und Navarra« – ihr selber hatte dies jedoch wenig zu Ansehn unter den Nationen und Einfluß unter den europäischen Völkern verhelfen. Dagegen war sie jedenfalls überaus glücklich und gesegnet, wenn anders das Glück sich nach dem Maße stiller Verborgenheit bestimmen läßt, wie weise Männer des Alterthums es behauptet haben. Denn wol Niemand in der Welt kannte sie oder hatte sie je nennen gehört, es sei denn, daß es der große Genealoge Hozier gewesen wäre, der sie als zum Titel einer Linie der Fürsten von Rohan gehörig kennen mußte. Sie lag an den Grenzen von Frankreich und den Niederlanden, tief in den Ardennen versteckt und war ein burgundisches Lehen. Außer dem Hauptort Aurignon, den ein stattliches gethürmtes Schloß auf einem Bergvorsprung beherrschte, gehörten nur noch ein paar Dörfer und ein halbes Dutzend Weiler dazu, welche von dem hohen Donjon des Schlosses herab auch ein etwas kurzsichtiger Mensch sehr bequem übersehen konnte.

Dies stille und friedliche Ländchen war lange Gegenstand eines äußerst hitzigen und erbitterten Rechtskampfes zwischen drei großen Familien der französischen Aristokratie gewesen. Es gehörte nämlich zu der Erbschaft des Hauses Bouillon, und wenn ich nicht irre, so waren es die Elboeuf, die de la Tour d'Auvergne und die Rohan, welche alle ihre Mittel, alle Schlauheit ihrer Advocaten und alle Gewandtheit ihrer Procuratoren aufwenden ließen, um nebst vielen andern Gütern auch in den Besitz von Aurignon zu kommen. Es war ein förmliches Schachspiel zwischen geübten Gegnern, eben so endlos und eben so langweilig wie dieses. Zu guter Letzt, als die Acten zu einem hinreichend feierlichen Berge aufgeschwollen, und als gar keine Möglichkeit mehr vorhanden, daß Jemand dies Werk mehrer Generationen durchlese, tappte ein Urtheil durch das verworrene Dunkel, welches sich um so unbefangener aussprechen konnte, je sicherer der Richter war, daß Niemand seinen Entscheidungsgründen in dem ungeheuern Actenhaufen nachforschen könne.

Die Rohan kamen laut dieses Urtheils in den Besitz des Landes und nahmen mit großer Genugthuung den Titel: »Souverain von Aurignon« in die Reihe ihrer erhabenen Prädicate auf. Darum hatte es sich auch eigentlich bei dem ganzen Streite gehandelt; denn um die beschränkten Einkünfte des Landes beneidete man sich nicht, auch war die große Familie der Rohan so weit davon entfernt, auf den Besitz selbst Werth zu legen oder in väterlich weiser Regierung des Landes ihren Stolz zu suchen, daß seit Menschengedenken noch niemals ein Glied des Herrscherhauses einen Fuß in das stille Thal von Aurignon gesetzt hatte.

Eine Behörde, die den Titel »Cour souveraine« führte, verwaltete die Besitzung mit unumschränkter Machtvollkommenheit. Die Einkünfte bestanden meist in Naturalien und wurden von den Mitgliedern des Hofs und ihren Gemahlinnen in Küche und Stallung sehr gewissenhaft verwandt, so daß am Ende des Jahres ganz sicherlich nichts verkommen oder unbenutzt übrig geblieben war. Steuern in baarem Gelde flossen mit großer Regelmäßigkeit in einen eisernen Kasten, der im Sitzungszimmer der Behörde oben auf dem Schlosse höchst vorsichtig an den Dielen festgeschraubt und mit starken Schlössern wohl verwahrt war, so daß gewiß nichts davon entwendet werden konnte. Nur die Mitglieder des Hofs hatten Schlüssel dazu und schöpften vor und nach daraus, wie das Bedürfniß sie heranführte, in mäßiger und höchst bescheidener Weise, gerade so, wie sie ihre Väter und Großväter, deren Stellen sie geerbt hatten, daraus schöpfen gesehen. Leicht begreiflich, daß sich am Ende des Jahres in dem eisernen Kasten nicht viel mehr vorfand. Freilich war man auch in Beitreibung rückständiger Renten nicht grausam, und wenn ein ehrlicher Unterthan von Aurignon in menschlicher Vergeßlichkeit sich seines Termins ganz und gar nicht zu erinnern das Unglück hatte, so besaß die »Cour souveraine« Humanität und gute Lebensart genug, durch widerwärtige Mahnungen und ekelhafte Quängeleien ihm nicht den ungetrübten Genuß seines Daseins zu verkümmern. Er brauchte nur in irgend einem entfernten Verwandtschafts- oder Schwägerschafts- oder Freundschaftsverhältnisse mit den Machthabern zu stehen; die Unglücklichen freilich, die keine Vettern oder Basen waren, hatten auf solche Berücksichtigungen als Pöbel und »Volk« keinen Anspruch. Und doch – sollte man es denken? – waren dieselben Unterthanen sehr unzufrieden mit ihrer Behörde, klagten über Willkürherrschaft und fanden sie in allen Dingen hinter den Anfoderungen der Zeit zurückgeblieben.

Dies war das Land, in dessen Marken ich gefänglich eingezogen worden – ein Fang, der jede Unterthanenseele mit großer Theilnahme, die Mitglieder des Hofes aber mit dem Gefühle gerechten Stolzes und äußerster Erhabenheit erfüllte. Capitalverbrecher waren es, um die es sich handelte – und der souveraine Hof war uns zu richten berufen – er hatte Gelegenheit, in dem höchsten Glanze seiner Prärogative zu leuchten, gewiß ein höchst willkommenes und dem Ansehen des Staats äußerst förderliches Ereigniß! – Auch hat ein erhaschter Vogel wol nie das Herz eines Knaben mit der Freude erfüllt, welche die Brust des Seneschalls von Aurignon schwellte, als er uns Galgenvögel hatte! Wir wurden getrennt eingesperrt; an mir mußte der Seneschall ein besonderes Interesse nehmen.

In die Hexenkammer mit ihm! sagte dieser mächtige und hochgebietende Herr, ein kleiner Mann, der sehr hohe Absätze trug, um seiner Leibeslänge etwas hinzuzusetzen, und der im Gesichte so viel Röthe hatte, daß er aussah wie ein kolleriges Kampfhähnchen – in die Hexenkammer mit ihm! sagte er, als ich ihm vorgeführt war. Nehmt ihm die Stricke, aber laßt einen Mann bei ihm wachen, und eine Wache auf dem Gange vor dem Gefängniß stehen; ich mache Euch verantwortlich für den Gefangenen. Ich brachte auf meinem Strohbündel in der Hexenkammer eine fatale Nacht zu und fürchtete mit Recht für mein Leben. Und in der That, es war wenig Hoffnung da, daß ich einer schimpflichen Todesstrafe entgehen werde. Als ich den Kopf an die Gitterstäbe meines engen Fensters drückte, um von der Höhe des Schloßthurms auf die Gegend niederzubücken, sah ich über das Städtchen unter mir weg eine kahle runde Anhöhe sich erheben, auf der ein Etwas stand, das immer beunruhigendere, gespenstischere Umrisse annahm, je höher der Mond stieg und je heller sein Licht über die waldigen Bergzüge niederfloß, welche das Thal umgaben. Ich zog endlich, von einem Schauder ergriffen, den Kopf zurück und entschloß mich, wenn es einmal sein müsse, mit so viel ungebeugter Gelassenheit an diesem Galgen zu sterben, als mir möglich sein werde.

Lambert unterbrach sich, um sein Glas zu leeren; Zerrwitz bemerkte zu seinem Vergnügen, daß er immer heiterer würde, und daß er durch sein Geplauder und die Ausführlichkeit seiner Erzählung den dunkeln Hintergrund seiner Seele verschleiere.

Am andern Morgen um zehn Uhr wurde ich vor die Richter geführt. In dem altfränkisch möblirten Sitzungssaale der »Cour souveraine«, welchen dunkles Eichenholzgetäfel und die trüben kleinen Wappenscheiben in schmalen Fenstern sehr düster machten, ruhte der Seneschall und zwei seiner Beisitzer in höchst feierlicher und imponirender Haltung auf den schwarzsammetnen Sesseln – gleich jenem Richter des Sachsenspiegels, von dem es heißt: »Der Richter soll sitzen gleich einem grimmigen Leun, das linke Bein über das rechte geschlagen.«

Als nun Alles bereit, der Protokollführer seine Feder fertig geschnitten, der Seneschall mich mit der durchbohrenden Kraft seines Blicks genugsam mortificirt und niedergeschlagen, begann das Verhör:

Wie lange waret Ihr ein Mitglied der Räuberbande, mit der man Euch aufhob?

Lange genug, um zu sehen, daß die schlimmsten Räuber nicht die sind, welche Diebsherbergen, den Wald oder die Keller verfallener Schlösser bewohnen – versetzte ich lachend.

Der Seneschall nahm den Amtsstab von silberbeschlagenem Ebenholz, der vor ihm auf dem Tische lag, stellte ihn auf das linke Knie, und indem er die rechte Hand gegen mich ausstreckte, sagte er:

Junger Frevler, so lange die Wände dieses feierlichen Ortes stehen, hat man die Heiligkeit desselben noch nicht durch lautes Lachen entweiht.

Dann muß ich annehmen, daß Die, welche vor mir hier standen, nie gewagt haben, die Blicke zu erheben und Euch anzuschauen, gestrenger Herr Seneschall.

Der Seneschall und die ganze »Cour souveraine« kamen ob dieser frechen Antwort gänzlich aus der feierlichen Amtsmiene und imponirenden Haltung heraus. Mit Hintansetzung aller Würde schrie der eine Beisitzer nach dem Stockknecht, der andere faßte gar das große Dintenfaß, als ob er es mir an den Kopf werfen wollte, und der Vorsitzende rief, daß die Scheiben klirrten:

Halsstarriger Schacher, ich will dich auf der Stelle über die Folterbank spannen lassen!

Ich hatte bis zu diesem Augenblick meine Ruhe beibehalten – die letzten Worte aber trafen mich wie ein Donnerschlag. Einen völlig Unschuldigen wie mich konnte man unmöglich hinrichten und deßhalb war ich guten Muths gewesen; aber ich hatte nicht daran gedacht, daß es im Jahre des Heils 1793 noch Länder gebe, wo man die »peinliche Frage« anwandte.

Unterdeß war wirklich ein wüster, vierschrötiger Gesell, der Stockknecht, eingetreten und nahte sich mir mit einem fragenden Blicke auf den Seneschall.

Legt nicht Hand an mich! rief ich, da mir der Muth bei dem Anblick dieses plumpen Büttels wiederkehrte und in zorniger Flamme über mein Gesicht lohte – wer mich berührt, den schlag' ich zu Boden! Schießt mich todt wie einen Hund, aber mishandeln laß ich mich nicht!

Votiren wir, ob Inquisit mit der peinlichen Frage anzugehen oder vorab mit angemessener Züchtigung zu belegen sei – sagte der Seneschall, zu seinen Beisitzern gewendet und zum Bewußtsein seiner Amtswürde zurückkehrend.

Aber er wurde plötzlich durch eine heftige Bewegung unterbrochen, welche unter dem Volkshaufen entstand, der sich im untern Ende des Saales neugierig zusammengedrängt hatte.

Ein Bote!

Ein Postillon aus Thionville!

Eine Estafette!

Ein Courier!

So schrie es durcheinander, und in der That entwickelte sich aus dem Gedränge die Montur eines Postknechts, der ein großes Schreiben mit einem mächtigen Siegel trug und es dem Seneschall überreichte.

Von wem ist das? fragte dieser und las dann:

A nos bons et féodaux, le sénéchal et la cour souveraine séante dans notre prinipauté d'Aurignon à Aurignon.

Der Seneschall erbrach das Schreiben, las, wurde sehr ernsthaft dabei und nahm eine überaus starke Prise, nachdem er es seinen Nachbarn gereicht.

Man führe für jetzt den Gefangenen in die Hexenkammer zurück, bis auf Weiteres! befahl er dann mit seiner feinen näselnden Stimme. Das Volk hinaus!

Ich wurde abgeführt, der Saal geräumt.

Als dies geschehen war, hielten die gestrengen Herren sofort eine Berathung über den auffallenden Inhalt des erhaltenen Briefs. Dieser war kein anderer als eine Ankündigung des regierenden Fürsten von Rohan, daß er seinen Erbprinzen beauftragt habe, in seinem Namen seine Herrschaft Aurignon in Augenschein zu nehmen, sich des Wohles seiner geliebten Unterthanen zu vergewissern und Notiz vom ganzen Stande der Geschäfte und den Angelegenheiten des Landes zu nehmen.

Das ist ein ganz absurder Einfall, sagte der älteste Beisitzer.

Nie erhört bei unsern und unserer Väter Lebzeiten! rief der Seneschall.

Man sollte protestiren dawider! meinte der jüngste der gestrengen und hochmögenden Herren.

Man kann ihn nicht hindern, ins Land zu kommen, versetzte achselzuckend der Seneschall – auch muß er gebührend und mit allen Ehren empfangen werden. Aber was den Stand der Geschäfte angeht, so ist die wohlbestallte Cour souveraine dafür eingesetzt und Niemand anders! Wir werden dem gebührenden Ansehen unserer Stellung nichts vergeben. Die Sitzung ist aufgehoben!

Am Mittag hörte ich in meiner Hexenkammer den Donner der alten eisernen Kanonen, mit welchen die Platform eines der Schloßthürme besetzt war. Sie bewillkommneten den einziehenden Herrscher, der eben in einer einfachen dreispännigen Reisekalesche, nur von einem Secretair und von einem Diener begleitet, durch die Gassen des Städtchens zur Burg hinanfuhr. Die Glocken wurden geläutet, das Volk lief mit Hurrahs und Vivatrufen hinter dem Wagen her und die Cour souveraine empfing den Fürsten mit eifriger Bezeigung aller möglichen herkömmlichen Devotion am Außenthore des Schlosses, dann wurde er in die besterhaltenen Gemächer des Gebäudes geleitet, welche die Frau Seneschallin mit gesammter zahlreicher Nachkommenschaft in aller Eile hatte räumen müssen. Für den Abend bereiteten die guten Bürger von Aurignon einen Fackelzug und eine Illumination vor, und der Erbprinz mußte, wenn er anders ein fühlendes Herz im Busen trug, in der Seele gerührt sein von der Anhänglichkeit seiner getreuen Unterthanen, dieser verwaisten Schafe, welche die Sorglosigkeit ihrer Herrscher so lange ohne Vater und Hirten gelassen. Aber – so werden Sie mich fragen – was wollten Seine Durchlaucht, der sehr hohe und sehr mächtige Herr, Fürst Gaston Camille von Rohan, eigentlich so plötzlich in Ihrer Herrschaft Aurignon – was suchten Sie in den alterthümlichen Sälen Ihres Schlosses, die so lange den wilden Buben des Herrn Seneschalls zum Spielplatze gedient, und das nie der Fuß eines Rohan noch betreten?

Wahrscheinlich einmal Kassenrevision halten, sagte Zerrwitz.

Hören Sie die folgende Unterredung, welche der Fürst am Nachmittage und bevor man sich zur Tafel begab, mit seinem gestrengen Seneschall hatte. Der Prinz, ein blühender, lebhafter, schlank gewachsener junger Mann, ruhte dabei in einem hohen Lehnsessel, über den in Schnitzarbeit das Wappen des alten Hauses Bouillon prangte. Der Seneschall aber stand im hellblauseidenen Galarock und in einer Staatsalongeperücke, die aus den besten Mannesjahren seines Vaters stammte, vor dem Sohne seines Gebieters.

Es freut mich, sagte der Prinz lächelnd, daß die Moden des letzten halben Jahrhunderts, welches nach einander so vielen Thorheiten gehuldigt hat, also spurlos an Euch vorübergegangen sind, mein Herr Seneschall.

Der Seneschall verbeugte sich.

Hoffentlich werden auch die andern teuflischen Ausgeburten dieser bösen Zeit, die Auflehnung, der Unglaube, die Empörung wider das Recht und Gesetz, die Rebellion wider die Obrigkeit eben so spurlos an den getreuen und loyalen Unterthanen von Aurignon, die Eurer Obhut anvertraut sind, vorübergegangen sein!

Der Seneschall verbeugte sich abermals.

Ich hoffe das. Im Uebrigen werde ich morgen beginnen, mich genauer über die Verhältnisse dieser Besitzung zu unterrichten. Ich werde morgen einer Session des Hofes beiwohnen. Haltet Euch in den Stand, mir dabei die Rechnungsbücher und Rentenregister und vor Allem die Uebersicht über die baaren Kassenbestände vorzulegen. Mein Haus legt in diesem Augenblicke großen Werth auf Aurignon. Ihr wißt, daß wir vor dem Sturme, der seit einiger Zeit Frankreich durchtobt, emigriren mußten. Die Nationalversammlung hat darauf alle unsere Güter eingezogen; unsere Renten haben aufgehört zu fließen und wir bedürfen dringend neuer Fonds. In dieser Verlegenheit hat sich mein erlauchter Vater dieser Besitzung erinnert. Begib dich nach Aurignon, Camille, hat er zu mir gesprochen; ich habe aus diesem Lande seit undenklichen Zeiten keine Einkünfte mehr bezogen. Die Berichte, die ich von Zeit zu Zeit von meiner dortigen Behörde erhielt, sind höchst unklar und dürftig. Ja, so sagte mein erlauchter Vater, Herr Seneschall. Höchst unklar und dürftig. Aber sie lassen mich dennoch einen durchaus geordneten Zustand der ganzen Verwaltung voraussetzen. Es müssen sich bedeutende Summen in den Kassen aufgehäuft haben. Gehe hin, Camille, und laß dir diese Summen, jetzt unsere einzige Zuflucht, überantworten.

Der Seneschall verbeugte sich zum dritten Male und zwar dieses Mal weit tiefer als vorhin, und dann versetzte er:

Der souveraine Hof kann Seiner Durchlaucht nicht anders als äußerst dankbar sein für die gute Meinung, die Hochdieselben vom Zustande der ganzen Verwaltung zu hegen geruhen. Aber es dürfte vielleicht zweifelhaft sein –

Zweifelhaft? was ist zweifelhaft?

Ob der Hof nach Pflicht und Gewissen Ew. Durchlaucht gnädigen Befehlen alsogleich zu obtemperiren sich bemüßigt finde. da diese letztern mir unmaßgeblich wider hergebrachte Gewohnheiten zu laufen scheinen, den ganzen Geschäftsgang der Behörde umstürzen dürften, auch eine Neuerung einführen würden, welche als höchst bedenklicher Art sich erweisen zu können im Stande sein möchte!

Herr Seneschall! brauste der Fürst auf.

Der Seneschall verbeugte sich wieder und versetzte mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit:

Der souveraine Hof von Aurignon ist auf die Rechte, Rechtsgewohnheiten und langjähriges Herkommen als Richtschnur und Norm für seine amtliche Thätigkeit nun einmal vereidet. Nun ist aber in Ew. Durchlaucht Gebiet von Aurignon eine Ausantwortung von Renten an die Herrschaft, Vorlage von Rechnungsbüchern oder Aehnlichem bis anhero nicht vorgekommen. Ich wagte deßhalb meine bescheidenen unmaßgeblichen Bedenklichkeiten zu äußern. Doch nicht ich, nur der Hof in vollständiger Sitzung hätte wol zu beschließen.

Theurer Seneschall, Ihr seid in der That ein recht alter Narr! sagte der Prinz halb entrüstet, halb verwundert. Geht und sorgt nur, daß ich morgen bei Zeiten den Hof in vollständiger Sitzung beisammen finde; unterrichtet ihn von meinem Willen und auch von dem, keinerlei Art von Ungehorsam zu dulden! Ich hasse alle Pedanterie. Nun geht!

Der Seneschall verbeugte sich nochmals und ging.

Am Abend machte der Prinz einen Spaziergang durch das Städtchen. Es wurde ihm eine Menge Bittschriften überreicht. In allen wurde Klage geführt über die Despotie des souverainen Hofs, und den Versicherungen der Supplicanten zu glauben, waren die Mitglieder sammt und sonders wahre Ungeheuer. Der Fürst schüttelte bedenklich den Kopf und bereitete sich auf eine donnernde Strafrede vor, mit welcher er nöthigenfalls seine ungetreuen Diener am andern Tage zerschmettern wollte.

Dieser Tag kam. Der Fürst begab sich, begleitet von seinem Secretair, in die Sitzung des Hofes. Beim Eintritt bemerkte er zu seinem Misvergnügen, daß man ihm nicht den Präsidentenstuhl geräumt, sondern einen Sessel an die andere Seite des Tisches gestellt hatte, da, wo ich gestern noch als Angeklagter stand. Aber er setzte sich schweigend; ich muß, dachte er wol, mit diesen, nach dem Moder des Schlendrians duftenden grauenhaften Pedanten so lange wie möglich in freundlichem Vernehmen zu bleiben suchen, da die gewissenhafte Ablieferung der Kassenvorräthe von zu wesentlichem Interesse für meine Familie ist.

Seneschall, hob er also mit großer Leutseligkeit zu sprechen an, habt Ihr unsers durchlauchtigsten Herrn Vaters Willensmeinung und unsere eigene Absicht bei unserm Anherkommen diesem unsern versammelten, mit der Verwaltung unserer souverainen Herrschaft betrauten Hofe kund und zu wissen gethan?

Der Seneschall erhob sich, verneigte sich dreimal aufs tiefste und dann antwortete er:

Sehr hoher, sehr mächtiger Herr! Ew. Durchlaucht gnädige Intentionen sind bereits mit schuldpflichtigster Devotion und Untertänigkeit von dem hier versammelten Hofe vernommen, auch reiflich debattirt und danach abvotirt worden. Der Beschluß, den ich die unaussprechliche Ehre habe, Ew. Durchlaucht mitzutheilen, ist des Inhalts: wasmaßen und alldieweilen eine Ablieferung von Renten oder Ablegung von Rechnungen oder Ausantwortung von Naturaleinkünften oder ähnliche Dinge in der Herrschaft Aurignon Seitens des hochfürstlichen wohlbestallten souverainen Hofs nie vorgenommen worden, auch sich wider alles Herkommen und gang und gäbe Gewohnheit erweisen, einen freventlichen Umsturz bestehender Rechtsverfassung involviren, dem verwalteten Lande zum äußersten Nachtheil gereichen –

Was – unterbrach der Prinz, zornig aufspringend – Ihr weigert Euch in der That, meinen Befehlen zu gehorchen – Ihr wagt solche offene Empörung – so wahr ich Rohan heiße – ich will Euch züchtigen lassen – – heda, sind keine Büttel – ist keine bewaffnete Macht hier?

Er ergriff die Klingel, die vor dem Seneschall stand, und schüttelte sie heftig. Dann faßte er den Amtsstab des Vorsitzenden, zerbrach ihn mit kräftiger Hand, und indem er die Stücke dem Seneschall vor die Füße schleuderte, rief er:

Im Namen meines Vaters: Ihr seid cassirt! Ihr Schlingel da, hierhin; verhaftet diesen Menschen! führt ihn ab! Ins Gefängniß mit ihm!

Die letzten Worte waren an den Boten des Hofs und an den Büttel gerichtet, die hereingestürzt kamen. Aber statt zu gehorchen, warfen sie einen Blick auf den Seneschall, und beruhigt durch die unerschütterliche Würde, womit dieser ruhig auf den zornigen und tobenden Prinzen niederblickte, brachen sie Beide nach der ersten Ueberraschung in ein höchst unziemliches Gelächter aus.

Mein Gott, Sie compromittiren sich, mein Prinz; kommen Sie, – ziehen Sie sich zurück, so lange Ihre Würde nicht unrettbar gefährdet ist – raunte jetzt der Secretair dem zornigen jungen Manne zu.

Der Prinz sah die Richtigkeit dieser Bemerkung auf der Stelle ein und ließ sich von seinem Secretair fortziehen.

Als er in seinem Zimmer angekommen war, warf er sich kochend vor Wuth in die Ecke eines Sophas.

Diese Schurken! rief er aus – ich will sie bestrafen lassen, daß sie daran ihr Leben genug haben sollen! Aber das Geld, das Geld, welches ich mitbringen soll!

Beruhigen sich Eure Durchlaucht – ich habe hier und da Erkundigungen eingezogen und danach allen Grund, anzunehmen, daß so wenig Geld in den Kassen zu Aurignon ist, wie in der Börse einer Opernsängerin zu Paris!

Verdammt! – Was soll ich thun, Lepelletier, um wenigstens diese Hochverräther zu bestrafen?

Der Secretair, der ein pfiffiger Kopf voller Anschläge war, machte dem Prinzen einen Vorschlag, den dieser aber erstaunt und entrüstet von sich wies.

Aber, Durchlaucht, denken Sie nur, daß Sie ohne alle Macht hier sind, daß Sie also mit Schimpf und Schande werden abziehen müssen. Mein Rath zeigt Ihnen das einzige Mittel, einen vernichtenden Schlag auf Ihre ungehorsamen Diener zu führen. Der ganze Rausch der tollhäuslerischen Ideen und Schwärmereien unsers Zeitalters muß ja bald verflogen sein, und alsdann ist es Ihnen ein Leichtes, eines schönen Morgens aller Ihrer aufgegebenen Rechte sich wieder zu bemächtigen!

Der Prinz besann sich eine Weile, dann sagte er:

Ja, du hast Recht, Lepelletier – geh' und mache alle Anstalten, welche du für nöthig erachtest, um unsern Staatsstreich auszuführen!

Lepelletier begab sich demzufolge in das Städtchen unter dem Schlosse.

Nach einer kurzen Zeit hörte ich durch die Gitter meines Thurmfensters die Stimme des Ausrufers sehr laut und heftig unten in den Straßen ertönen. Die Einwohner kamen alsbald aus ihren Häusern hervor; die Straßen füllten sich; ich bemerkte, wie man nach dem Marktplatze eilte und wie dieser endlich dicht voll von drängenden Menschen wurde.

Nach etwa einer halben Stunde entstand ein heftiges Gewoge unter ihnen. Ich konnte den Grund nicht entdecken, aber Lepelletier, mit dem ich später bekannt wurde, gab mir nachher Aufklärung. Der Prinz schritt durch die Haufen der Neugierigen. Man machte ihm ehrerbietig Platz, man zog und schwenkte die Hüte, indem man ihm laute Vivat rief.

In der Mitte des Marktplatzes befand sich ein Brunnen mit runder Steineinfassung, Auf diese schwang sich der Prinz, und indem er mit dem linken Arm die eine der beiden Brunnensäulen umfaßte, streckte er den rechten aus, um Stille zu gebieten, die auf der Stelle erfolgte. Dann hielt er an das Volk seiner Getreuen folgende Rede – gewiß die denkwürdigste, die je aus dem Munde eines Erbprinzen von Rohan gekommen ist.

Meine Freunde, sagte der Prinz Gaston Camille – setzt eure Hüte auf. Es ist jetzt nicht mehr an der Tagesordnung, vor großen Herren oder irgend Jemand auf Erden oder im Himmel das Haupt zu entblößen. Das große Wort der Freiheit ist von dem französischen Volke ausgesprochen und macht seinen Weg als Apostel durch die Welt. Die Zeit ist gekommen, wo man alte Fesseln abschüttelt, nur noch den erhabensten Ideen der Menschheit huldigt und alles das thut, woran man Vergnügen findet – die Zeit, wo der freie Geist seine alten Irrthümer und der freie Mensch seine alten Pflichten abschüttelt. Es wäre eine Schande für die aurignonsche Nation, wenn sie dem erhabenen Rufe der Zeit nicht folgen sollte. Und so erkläre ich euch denn, daß euer Fürst und Herr allen seinen Herrscherrechten über euch entsagt. Er legt die Souverainetät in die Hände des Volks zurück, dem sie gebührt, und führt selbst die Freiheit bei euch ein, die euer aller ewiges Erbtheil ist. Ihr seid eures Eides gegen uns entbunden, ihr seid frei! Fortan gibt es keine Gesetze und keine Beamte mehr, als die ihr selbst euch gebt. Keine Büttel und keine Steuern, keine Frohnden und keine Cour souveraine mehr! Nur noch Freiheit und Gleichheit – ruft es mit mir: Freiheit bis in den Tod! Es lebe die eine und untheilbare aurignonsche Republik!

Der Prinz schwenkte seinen Hut und sprang von seiner Brunneneinfassung. Ein ohrenzerreißendes Geschrei betäubte ihn. Seine Worte waren auf den besten Grund gefallen. Unter den guten Leuten hatten früher freilich nur die Wenigsten, einige liederliche Bummler je daran gedacht, daß im Laufe der Zeiten Aurignon eine Republik werden könne. Aber welcher Einfall, so verrückt er auch sein möge, zündete nicht, wenn man ihn plötzlich in eine aufgeregte Masse Volks schleudert! So auch hier. Man wüthete förmlich vor Freude und Entzücken. Man weinte, man umarmte sich, man rief nach dreifarbigen Fahnen, nach einem Freiheitsbaume – die Weiber tanzten die Carmagnole um den Brunnen, auf dessen Spitze man eines Schneiders rothe Mütze als Symbol jacobinischer Begeisterung setzte. Umsonst suchten die Mitglieder des Hofs, die sich in den tollen Haufen mischten, Einhalt zu thun. Man überfiel und mishandelte sie. Alle Unzufriedenheit gegen die Willkür der alten absoluten Regenten entlud sich in ganzen Hagelschauern von Steinwürfen und Schlägen auf die Unglücklichen. Damit nicht zufrieden, beschloß man, augenblicklich das Schloß zu überfallen. Der Seneschall, drohte man, solle die Fäuste des souverainen Volks fühlen. Einige gingen so weit, seinen Tod zu fodern, Andere wollten ihn an die Zinnen des höchsten Thurms hängen. Heulend, schreiend, Hüte schwenkend, drängte sich die Masse den Schloßberg hinan. Der Erbprinz hatte genug gesehen: sein Anschlag war vollständig gelungen. Mit seinem listigen Secretair verließ er sein ehemaliges Gebiet und fuhr in demselben Augenblick über die Grenze, in welchem der Seneschall sich in eine versteckte Berghöhle hinter dem Schlosse verkroch, um seine zitternden Glieder und seine Todesangst darin zu verbergen.

Unterdeß hausten die edeln Bürger der jungen aurignonschen »einen und untheilbaren Republik« aufs fürchterlichste in dem alten Schlosse. Alle die schönen Rococomöbel, welche die Frau Seneschallin mit den Ihren so lange als ihr Eigenthum betrachtet hatte, wurden zerschlagen oder durch die Fenster geworfen, da die Volkswuth ein Opfer wollte und das gesuchte, der Seneschall, ihr entgangen war. Ein Theil des Haufens aber übernahm es, das Licht der Freiheit auch wie gebräuchlich in das Dunkel der Kerker leuchten zu lassen. Die Thüre der Hexenkammer wurde mit donnernden Schlägen gesprengt. Ich wurde im Triumphe aus meinem Gefängniß geholt. Auf eine Terrasse des Schlosses gebracht, mußte ich hier auf der Stelle eine Rede halten.

Der plötzliche Wechsel meines Schicksals hatte mich etwas berauscht. Meine Gedanken wirbelten, ich war wie toll und deßhalb in der allerbesten Verfassung, den losgebundenen Haufen zu befriedigen. Ich sprach wie ein Verzückter. Jeden Augenblick unterbrach mich unendlicher Jubel – am Ende wurde ich nebst zwei andern, den größten Wort- und Wirthshaushelden von ganz Aurignon, durch Acclamation zum Gesandten an die große französische Nation gewählt, um dieser ein Trutz- und Schutzbündnis anzubieten mit ihrer jüngern Schwester, der aurignonschen einen und untheilbaren Republik!

So endete die Willkürherrschaft der »Cour souveraine«, die in ihrer Allmacht es wagen durfte, selbst ihrem Fürsten zu trotzen, und die eine bessere Caricatur auf die Macht des Schlendrians und der Bureaukratie im heiligen römischen Reiche ist, als die strotzendste Phantasie sie erfinden könnte!

Der Hauptmann Zerrwitz hatte mit steigendem Ergötzen dieser Geschichte zugehört. Nachdem Lambert geendet, lachte er und sagte:

Diese Geschichte ist vortrefflich, aber sie beweist ganz und gar für mein System. Hätte Ihr Prinz Ordnung gehalten, hätte er früher den Stock gehandhabt, wie es seine christliche Regentenpflicht gewesen, so wäre es nie so weit gekommen in seinem Ländchen!

Lambert antwortete nicht auf dies Argument seines alten Freundes. Er stand auf und sagte mürrisch:

Geht zum Teufel mit Euern verstockten Ideen. Ich bin Euch jetzt satt! Macht, daß Ihr heimkommt!

Das ist ein verbindlicher Abschied, erwiderte der Hauptmann mit bedeutend verlängerten Gesichtszügen. Habt Ihr mich dazu so weit mit Euch herumgeschleppt? Mitten in der Nacht, durch Eure Streifcorps, mehre Stunden weit zu Fuß zu laufen, bei meinen Jahren eine ganz verdammte Vergnügungsreise!

Lambert faßte den Arm des Hauptmanns, und indem er ihm scharf in die Augen sah, sagte er:

Kauf mir ein Pferd und eine Sauvegarde ab für deinen Heimweg!

Womit?

Durch eine Antwort!

Fragt!

Ist der Emigrant auf Schwalborn verborgen?

Polydore de la Roche? fragte der Hauptmann, wie um Zeit zur Ueberlegung zu gewinnen, während seine Augen ein boshaftes Funkeln annahmen – Polydore de la Roche?

Zum Teufel, ja! – Nun?

Lambert's Finger legten sich mit krampfhaftem Druck um den Arm des Hauptmanns.

Laßt mir den Gaul satteln und die Sauvegarde aufsitzen!

Der alte Preuße sagte diese Worte mit einem verbissenen Ingrimm und dann entriß er sich dem Griffe seines ungestümen Zechgesellen. – –

Ich danke Euch, versetzte Lambert, tief aufathmend.

*


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